Februar 2004
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Westliche Sitten umarmen, doch an den heimischen Traditionen festhalten

Von Mitarbeiterin Lu Rucai

Die starke Welle der westlichen Kultur

In den letzten mehr als 20 Jahren seit Einführung der Reform– und Öffnungspolitik, hat die chinesische Jugend vorgeblich westliche Kultur aufgenommen. Sie isst in irgendeinem der 600 McDonalds oder 1000 KFCs in China, schwärmt von NBA Ligaspielen und italienischen Fussballligaspielen und schaut lieber Hollywoodfilme als heimisch produzierte Filme an. Der Hollywood-Anteil an Chinas 1 Milliarde Yuan-Filmmarkt stellt den der lokal produzierten Filme in den Schatten, CCTVs Sportsender sendet beinahe jeden Abend live die Turniere der NBA Liga und alle jungen chinesischen Basketballfans sind begeisterte Leser von NBA Magazine und Slam. In einer Umfrage in den Küstenstädten über die Lieblingspersönlichkeiten von Mittelschülern im Bereich Sport und Unterhaltung wurde Michael I. Jordan an erster Stelle gereiht (26 Prozent) vor dem internationalen Star Jackie Chan (18,6 Prozent). In weiteren drei Umfragen zwischen 2002 und 2003 standen Hong Kongs Andy Lau, Jackie Chan und der britische Fussballer David Beckham an der Spitze. Zhang Yan, eine Studentin an der Schule für Internationale Studien an der Chinesischen Renmin-Universität gibt zu: „Leute in meinem Alter sind geblendet von den fortschrittlichen und innovativen westlichen Produkten.“ In ihren Kreisen wird jeder, der nicht überzeugend über internationale Sportstars parlieren kann, als Hinterwäldler angesehen; das gleiche gilt für die Unglücklichen, die Sportschuhe heimischer Marken und nicht die von Adidas oder Nike tragen. Mittel- und Grundschüler sind besonders anfällig für westliche Modetorheiten, die Mehrheit von ihnen fühlt sich eher zu Harry Potter und Finding Nemo hingezogen als zu heimischen Büchern oder Zeichentrickfilmen.

Die jugendliche Vorliebe für westliche Freizeitbeschäftigungen bezieht sich auch auf die Feier von Festen. Von Chinas zahlreichen traditionellen Feiertagen wird nur das Frühlingsfest (Chinesisches Neujahr) einmütig von Jung und Alt eingehalten. Andere, wie das Laternenfest und das Drachenbootfest sind von Vatertag, Muttertag, Valentinstag und Weihnachten überschattet. Zudem sind die Eltern noch dazu ziemlich besorgt darüber, wie offen ihre Sprösslinge für westliche Einstellungen zu Sex und Heirat sind. Laut einer Umfrage unter jungen Beijingern im Jahr 2000 sind nur 30 Prozent der Befragten mit der Aussage „Es ist in Ordnung, wenn Liebhaber Sex haben, gleichgültig ob sie vorhaben, zu heiraten“ nicht einverstanden. Außerdem war der Anteil der Teilnehmer unter 20, die mit dieser Meinung übereinstimmten, um 16 Prozent höher als der der über 30-jährigen. Es besteht wahrhaftige Sorge um die anscheinend bedinglungslose Akzeptanz der Jugendlichen, was westliche Kultur angeht; viele haben die Befürchtung, dass sie zu moralischem Verfall führen kann.

Tief verwurzelte chinesische Traditionen

Jeder in China, ob Jung oder Alt, gibt zu, dass die westliche Kultur den Lebensstil und die Wertvorstellungen der jüngeren Generation wirklich beeinflusst hat. Aber in welchem Ausmaß? Haben die heutigen Jugendlichen den westlichen Einfluss wirklich zu so einem „gefährlichen“ Ausmaß verinnerlicht, wie man sich vorstellt?

Nachdem die Studentin Zhang Yan einen Medienbericht über die hohe Anpassungsrate chinesischer Jugendlicher an westliche Kultur las, wurde sie jedoch skeptisch. Gemäß ihren Beobachtungen ist der westliche Einfluss nicht so stark. Sie und ihre Schulkameraden machten ihre eigene Umfrage unter einigen hundert jungen Leuten zwischen 15 und 30 in sieben Städten unterschiedlicher geografischer Lage und veschiedener Entwicklungsgrade, inklusive Beijing, Chongqing, Xining und Weihai. Das Ergebnis bestärkte ihre Annahme. Als Antwort auf die Frage „Was hältst du von westlichem Essen?“ drückten nur 10 Prozent eine besondere Vorliebe dafür aus, während 62,55 Prozent sagten, dass es den Reiz des Neuen hätte, aber sie auch darauf verzichten könnten. Was Familienvorstellungen betrifft, hielten nur 15,03 Prozent die westlichen Ansichten zu persönlicher Freiheit und Unabhängigkeit für besonders wichtig und 44 Prozent fanden sie unakzeptabel. Das deutet darauf hin, dass junge Chinesen und Chinesinnen noch immer die Tradition der familiären Verantwortung unterstützen. Zhang Yans Ergebnisse werden auch von Professor Fang Ning bestätigt, einem Experten für chinesische Jugend am Institut für Politikwissenschaften der Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften. Professor Fang findet, dass der westliche Einfluss auf die Moral und die gesellschaftlichen Werte, wie in den Medien berichtet wird, übertrieben ist. Auf die Frage „Warum magst du westliche Filme?“ antworteten die meisten Befragten, dass sie von den technisch spektakulären Aspekten der Hollywoodfilme fasziniert seien und auch von den Einblicken, die sie in psychologische Wechselbeziehungen bekämen, aber nicht mehr. All dies würde zeigen, dass die chinesische Jugend an westlichen Produkten interessiert ist, aber weit davon entfernt ist, in der Kultur, von der diese stammen, assimiliert zu sein.

Das Ausmaß, zu welchem die jüngere Generation westliche Einflüsse akzeptiert, steht in enger Verbindung mit ihrem Alter und ihrem Wohnort. Junge Leute in Chinas großen Städten haben vermehrten Zugang zu ausländischen Trends, Moden und Meinungen als die in mittelgroßen und kleinen Städten. Sie sind infolgedessen auch anfälliger dafür. Yu Jun, Ende 30, war Hochschulstudent Mitte der 80er Jahre, als liberale Konzepte, die aus der breiten Verwestlichung stammten, weitgehend willkommen geheißen wurden. Zu jener Zeit führten Yu Jun und seine Freunde einen Lebensstil, der sehr stark vom Westen beeinflusst war. Yu Jun sagt: „Damals war es in, single zu bleiben. Einige meiner früheren Kommilitonen haben noch immer nicht geheiratet, da ihnen das Singleleben besser gefiel – ein Ergebnis des westlichen Einflusses.“ Von den Leuten, die ungefähr 20 Jahre jünger sind als er, denkt Yu Jun: „Wenn sie reifer sind, werden sie die Situation neu bewerten und zur Tradition zurückkehren.

Die Kommentare der Studentin Zhang Yan übermitteln ein noch klareres Bild der zeitgenössichen chinesischen Jugend. „Die chinesische Jugend ist von Grund auf unfähig, die traditionellen Einflüsse abzustreifen, besonders was Familienwerte betrifft. Als z.B. mein amerikanischer Lehrer nach China kam, verabschiedete er sich nicht offiziell von seiner Mutter, bevor er zum Flughafen fuhr. Würde ein Chinese dasselbe tun können?“ Auf der anderen Seite scheint es für viele Ausländer so zu sein, dass sich chinesische Studierende ein eigenes Leben verwehren. Sie sind entsetzt darüber, wie ihre chinesischen Kollegen am Wochenende studieren statt wie sie ihre Freizeit so zu verbringen, wie sie wollen. Im Gegensatz zu ihren östlichen Gegenübern sind westliche Studierende zum Großteil hedonistisch eingestellt. Das könnte auch erklären, warum es so schwer für chinesische Studierende im Ausland ist, sich in die westliche Gesellschaft einzufügen, es ist schwer, sich von Traditionen zu trennen, die sich über Tausende von Jahren herausgebildet haben. Manche chinesische Jugendliche denken, sie verstehen den Westen und seine Sitten, aber ihr Wissen ist sehr oberflächlich. Stanley Rosen, Professor am Institut für Politikwissenschaften der University of Southern California, sagte in einem Vortrag im August 2004: „Wenn ich meine chinesischen Studenten frage, warum sie Politikwissenschaften gewählt haben, sagen sie mir, dass es eine Abkürzung für das Visum ist. Nach einem Studienjahr wechseln sie zu EDV oder einem MBA, da diese bessere Jobaussichten bieten. Das Institut für Politikwissenschaften wird nur als Sprungbrett für Studierende aus dem Osten angesehen und manche beginnen sogar einen kleinen Handel, während sie noch hier sind. Sie sind sehr pragmatisch.“ Professor Rosen denkt, dass es unter amerikanischen Studierenden kein ähnliches Phänomen gibt.

Chinesische und westliche Fusion

In unserer Zeit der hoch entwickelten Medien haben die Menschen mehr Kontakt mit der Außenwelt als jemals zuvor. Laut Statistiken von CNNIC hatte China am 30. Juni 2004 87 Millionen Internetbenutzer, von denen die meisten junge Leute waren. Wenn man die Offenheit und Vielfalt der modernen Gesellschaft berücksichtigt, würde das andeuten, dass junge chinesische Leute jetzt ihre kulturelle Ausrichtung im Bereich der westlichen Normen suchen.

Im Gegensatz zur Jugend der 80er Jahre, die sich aus vollem Herzen mit den neuen Trends verbündete, hat die heutige Jugend aber eine eher rationale Einstellung zu westlicher Kultur. Weder akzeptieren sie westliche Konzepte bedingungslos, noch halten sie westliche Kultur für die Gesamtheit der Zivilisation: heutige chinesische Jugendliche nehmen Elemente des Westens und des Ostens an. Eine Stichprobenerhebung, die mit 2500 Teilnehmern im Jahr 2000 in Tianjin zum Thema „Die chinesische Jugend, ihre Werte und ihre Lebenseinstellung“ durchgeführt wurde, zeigte, dass die Anzahl derer, die sich nach westlichen Einstellungen zu Heirat und Sexualität richten, minimal ist. Z. B. stimmten nur 7,7 Prozent der Studierenden und 7,2 Prozent der jungen Leute mit anderen Berufen der Aussage „Sexuelle Befreiung ist ausschlaggebend für eine moderne Zivilisation und ein unvermeidbarer Aspekt der Liebe“ zu, wohingegen überwältigende 73,3 Prozent beider Gruppen dies verneinten. Und 54,4 Prozent der Studierenden und 51,4 Prozent der anderen Jugendlichen antworteten mit „Ja“ auf die Frage: „Ist ein keusches Leben, das von Frauen erwartet wird, eine traditionelle Unterdrückung der Menschheit?“ – ein weiteres Zeichen, dass die chinesische Jugend westliche Moral nicht unhinterfragt annimmt.

Auf der Oberfläche haben sich bestimmte Aspekte des westlichen/östlichen jugendlichen Lebensstils so vermischt, dass sie nicht mehr voneinander zu trennen sind. „Bestimmte gesellschaftliche Veränderungen beziehen sich auf gesellschaftliche Entwicklung“, sagt Wang Zhuo, der single geblieben ist. „Z. B. haben viele meiner Freunde beschlossen, nicht zu heiraten, bevor sie 30 sind, aber diese Entscheidung basiert nur auf dem Streben nach einer höheren Lebensqualität. Niemand glaubt heute daran, dass dies durch westlichen Einfluss geschieht, aber vor zwanzig Jahren wäre diese Einstellung darauf zurückgeführt und deshalb auch verdammt worden.“ In der Tianjiner Erhebung aus dem Jahr 2000 stimmten 50 Prozent der Studierenden und der anderen Jugendlichen mit der folgenden Aussage überein: „Die chinesische und die westliche Kultur haben beide Schwächen und sollten sich miteinander entwickeln, damit die eine von der anderen lernen kann.“ Ungefähr 30 Prozent der Befragten dachten, dass „letztendlich eine vereinigte Weltkultur entstehen wird“.

Hu Shuowen, Präsident des Chinesischen Jugendverlags, sagt, dass der Eintritt westlicher Kultur in China eine Herausforderung ist: „Wir sollten die westliche Kultur nicht meiden, da wir noch viele ihrer essentiellen Eigenschaften übernehmen müssen.“ Zhang Qizhi, ein bekannter Ideologie- und Kulturhistoriker, stimmt dem zu. Er tritt für Bildung in Chinas guten kulturellen Traditionen ein, um zu einer objektiveren Wertschätzung der westlichen Errungenschaften zu gelangen.

Unser Dank gilt Zhang Yan von

der Chinesischen Renmin-Universität

für ihren Beitrag zu diesem Artikel.

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