Juli 2004
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Der Lohn des Wartens

 

Von Atze Schmidt

 

Nun wird es wieder Preise geben für Ha Jin, den chinesischen Professor für Englische Literatur an der Boston University. Sein neuer Roman „Verrückt“ erfüllt dafür alle Voraussetzungen. Kritiker ziehen bereits Vergleiche mit dem frühen Hemingway, Tschechow, Balzac und Dickens, sogar mit Camus.

Es ist die Geschichte des Literaturprofessors Yang, der infolge eines Schlaganfalls verrückt geworden zu sein scheint, und seines Studenten Jian, der ihn pflegt. Der Student und auch der Leser stehen vor der Frage: ist das, was der Patient da über die Tage und Wochen von sich gibt, nur wirres Zeug? Oder steckt in dem vermeintlichen Wahn die Wahrheit?

Meisterhaft hat es Ha Jin verstanden, in diesen Rahmen der Handlung soviel an geballter Ungeheuerlichkeit und beklemmender Erkenntnis unterzubringen, dass das Hirn auf einmal Gefahr läuft, „dass es nur noch platzen kann, einem Dampfkochtopf vergleichbar, dessen Ventil verstopft ist, während das Feuer darunter immer weiter brennt...“, wie der Leser bereits auf Seite 15 indirekt gewarnt wird. Doch man trotzt der Gefahr, weil einen die Spannung weitertreibt.

Es hat sich also gelohnt, auf einen „Neuen Ha Jin“ zu warten. Denn als vor gut einem Jahr ein Band mit einem Dutzend Erzählungen von Ha Jin erschien („Ein schlechter Scherz“) und manche Kritiker sogleich die Superlative auffuhren: „Brillant! Ha Jin wird immer besser!“, schrieben wir an dieser Stelle, man möge sich solche Lobeshymnen doch besser aufsparen für den Fall, dem Autor gelinge nach seinem mehrfach preisgekrönten Roman „Warten“ (1999) wieder ein wirklich großer Wurf.

Der große Roman ist nun da, exzellent ins Deutsche übersetzt von Susanne Hornfeck. Wie uns der Verlag mitteilt, arbeitet Ha Jin derzeit an seinem dritten Roman. Man darf gespannt sein.

Kleiner Hinweis an den Verlag: Die Bezeichnungen „Beijing-Universität“ (Seite 7) und „Beijing-Oper“ (Seite 28) sind nicht korrekt. Nach wie vor ist in China der Name „Peking“ in drei Benennungen üblich. So heißt es Peking-Universität, Peking-Oper und Peking-Ente.

Ha Jin: „Verrückt“, Deutscher Taschenbuch Verlag, 315 Seiten, 45 Euro

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