
Der
Lohn des Wartens
Von
Atze Schmidt
Nun wird es wieder Preise
geben für Ha Jin, den chinesischen Professor für Englische
Literatur an der Boston University. Sein neuer Roman „Verrückt“
erfüllt dafür alle Voraussetzungen. Kritiker ziehen bereits
Vergleiche mit dem frühen Hemingway, Tschechow, Balzac und
Dickens, sogar mit Camus.
Es
ist die Geschichte des Literaturprofessors Yang, der infolge
eines Schlaganfalls verrückt geworden zu sein scheint, und
seines Studenten Jian, der ihn pflegt. Der Student und auch
der Leser stehen vor der Frage: ist das, was der Patient
da über die Tage und Wochen von sich gibt, nur wirres Zeug?
Oder steckt in dem vermeintlichen Wahn die Wahrheit?
Meisterhaft hat es Ha Jin
verstanden, in diesen Rahmen der Handlung soviel an geballter
Ungeheuerlichkeit und beklemmender Erkenntnis unterzubringen,
dass das Hirn auf einmal Gefahr läuft, „dass es nur
noch platzen kann, einem Dampfkochtopf vergleichbar, dessen
Ventil verstopft ist, während das Feuer darunter immer
weiter brennt...“, wie der Leser bereits auf Seite 15 indirekt
gewarnt wird. Doch man trotzt der Gefahr, weil einen die
Spannung weitertreibt.
Es hat sich also gelohnt,
auf einen „Neuen Ha Jin“ zu warten. Denn als vor gut einem
Jahr ein Band mit einem Dutzend Erzählungen von Ha
Jin erschien („Ein schlechter Scherz“) und manche Kritiker
sogleich die Superlative auffuhren: „Brillant! Ha Jin wird
immer besser!“, schrieben wir an dieser Stelle, man möge
sich solche Lobeshymnen doch besser aufsparen für den Fall,
dem Autor gelinge nach seinem mehrfach preisgekrönten
Roman „Warten“ (1999) wieder ein wirklich großer Wurf.
Der große Roman ist
nun da, exzellent ins Deutsche übersetzt von Susanne Hornfeck.
Wie uns der Verlag mitteilt, arbeitet Ha Jin derzeit an
seinem dritten Roman. Man darf gespannt sein.
Kleiner Hinweis an den Verlag:
Die Bezeichnungen „Beijing-Universität“ (Seite 7) und
„Beijing-Oper“ (Seite 28) sind nicht korrekt. Nach wie vor
ist in China der Name „Peking“ in drei Benennungen üblich.
So heißt es Peking-Universität, Peking-Oper und
Peking-Ente.
Ha
Jin: „Verrückt“, Deutscher Taschenbuch Verlag, 315 Seiten,
45 Euro