Juli 2004
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Psychische Hürden: Studierende unter Druck

Von Lu Rucai

Ma Jiajue, 23, stammt aus einer verarmten ländlichen Familie aus einem abgelegenen Dorf in der Autonomen Region der Zhuang-Nationalität der Provinz Guangxi. Ma schrieb sich an der berühmten Universität Yunnan ein, und sah sich außerstande, sich in der Studienumgebung zurechtzufinden. Er hatte Wutausbrüche, die in seinem Minderwertigkeitsgefühl wurzelten und durch die Armut seiner Familie hervorgerufen wurden, und damit einhergehend wenige Freunde. Im Februar erschlug Ma vier seiner Klassenkollegen nach einer Auseinandersetzung. Dieser Vorfall schockierte das ganze Land. Viele fragten, was stimmt nicht mit unseren Kindern?

Anpassungsperiode

Universitätsstudierende, die in China auch „Günstlinge des Himmels“ genannt werden, haben ein aufregendes Leben und finden nach dem Studienabschluss relativ gut bezahlte Berufe. Aber Selbstmorde auf dem Universitätsgelände, Gewalt und diese letzten Morde, haben nichtsdestotrotz die psychische Gesundheit der Studierenden zu einer dringenden Angelegenheit gemacht. Ein Student, der ungenannt bleiben will, erzählte von seinen Anpassungsschwierigkeiten an der Universität. Von Natur aus schüchtern, wurde seine Introvertiertheit noch gesteigert durch seine Schwierigkeiten mit den anderen mitzuhalten. „Durch ein unterschwelliges Unterlegenheitsgefühl kam ich mir dumm vor“, sagt er, „Ich konnte mich meinen Klassenkollegen gegenüber nicht natürlich verhalten und mit der Zeit wurde ich zum Einzelgänger. Die Morde in Yunnan haben mir meine Probleme vor Augen geführt und ich habe Angst, dass ich eines Tages auch die Kontrolle verlieren werde.“

Zur Zeit sind an der Universität häufig Studierende mit psychischen Problemen anzutreffen. Der Bericht Die Psychische Verfassung der Beijinger Universitätsstudierenden aus dem Jahre 2001 zeigte, dass 16.51 Prozent der Bejinger Universitätsstudierenden ernste diesbezügliche Probleme haben. Der Großteil ist aus ländlichen Gebieten. Die Daten wurden von Ende 1997 bis Anfang 1998 erhoben und Psychologen schätzen, dass der Anteil heute bei über 30 Prozent liegt. Das bedeutet, dass fast ein Drittel der 23 Millionen Universitätsstudierenden in China ernste psychische Probleme haben. Laut Shi Gang, einem Psychologieprofessor der Chinesischen Universität für Landwirtschaft, hat jeder Jahrgang seine eigenen psychischen Symptome. Die Erstsemester haben Probleme, sich an die neue Studienumgebung insbesondere an die neuen zwischenmenschlichen Beziehungen zu gewöhnen. Nachdem am Ende des ersten Semesters Stipendien an Studierende mit guten Noten vergeben werden, finden manche Studierende im zweiten Studienjahr den Durck unerträglich. Ein weiteres Problem ist, dass die sexuelle psychische Verfassung weit hinter der körperlichen Reifung herhinkt. Das Hauptanliegen der Studierenden der höheren Jahrgänge ist, einen guten Arbeitsplatz zu finden. „Die meisten dieser Probleme sind eine unvermeidbare Folge des Erwachsenwerdens, können aber, wie beim Fall Ma Jiajue, wenn man nicht richtig damit umgeht, zu Tragödien führen“, sagt Shi.

Hintergründe

Lius Sohn ist im dritten Jahrgang der Universität. Er ist süchtig nach Online-Spielen und hat kein Interesse daran, Kontakte mit Menschen zu knüpfen. „Wir hatten diese Probleme nicht, warum haben sie so viele“, fragt Liu. Am Östlichen Psychologischen Beratungszentrum erklärt Doktor Dong Lijun, dass psychische Probleme auch existierten als Liu jung war, aber mit Chinas aufblühender Wirtschaft wurde die psychische Gesundheit im Streben nach Materialismus vernachlässigt. „Die gesellschaftliche Entwicklung hat viele Probleme mit sich gebracht“, sagt Dong. „Ein beschleunigter Lebensrhythmus und hoher Druck am Arbeitsmarkt machen Universitätsstudierende viel anfälliger für Verhaltensstörungen.“

Für das Aufwallen psychischer Probleme gibt es außer dem gesellschaftlichen Wandel noch viele andere Gründe. „Unter dem herrschenden Erziehungssystem werden die Universitätsstudierenden mit weniger Rückschlägen konfrontiert und verfügen deshalb über eine mangelhafte Anpassungsfähigkeit“, sagt Shi. Die familiäre Umgebung spielt auch eine wichtige Rolle in der Entwicklung eines Kindes. Dr. Fang, Arzt an der Univerität Beijing, weist darauf hin, dass eine ungesunde Familienumgebung negative Auswirkungen auf die Gesundheitsverfassung hat. „Ein großer Prozentsatz der Studierenden mit psychischen Problemen kommt aus gestörten Familienverhältnissen“, sagt Fang, „Sie verfügen nicht über die Fähigkeit, mit zwischenmenschlichen Beziehungen umzugehen und können keinen Druck ertragen. Für Studierende mit ländlicher Herkunft ist ein Minderwertigkeitsgefühl aufgrund der ärmlichen Verhätlnisse ihrer Eltern das größte Problem.“ In ihrem Streben, möglichst viele Studierende anzuwerben, vernachlässigen die Universitäten die psychische Gesundheit der Studierenden.

Unterstützungssysteme

Psychische Belange werden in China kaum ernst genommen. Leute mit psychischen Störungen werden als „verrückt“ angesehen, deshalb zögern die meisten, professionelle Hilfe anzunehmen und gehen eher in den Tempel auf der Suche nach spirituellem Trost. Psychologische Beratung ist sehr selten in China und Studierende gehen nicht zu Psychologen, wenn Probleme auftreten, obwohl sie generell sehr offen sind. „Ich wende mich mit Problemen lieber an meine engen Freunde“, sagt Wang Hao, ein Student der Polytechnischen Hochschule Beijing, „Ich glaube daran, sie selbst lösen zu können, anstatt zu einem Seelenklempner zu gehen.“

Mit dem Fortschritt der Gesellschaft verändern sich auch die Anschauungen. „Die Einstellung der Studierenden hat sich sehr geändert“, sagt Zhao, ein psychologischer Berater an der Zentralen Universität für Finanz- und Wirtschaftswissenschaften, „Als die Beratungen anfingen, kam niemand, heute sind sie aber sehr beliebt. Die Studierenden, die hierher kommen, wollen Ratschläge zu Themen wie Lernkompetenz und emotionalen Problemen. Das ist das Ergebnis des gesellschaftlichen Wandels.“

Um sich diesem Problem zu widmen, haben 70 Prozent der Beijinger Hochschulen psychologische Beratungszentren eingerichtet, um den Studierenden Experten anzubieten, mit denen sie über ihre Konflikte und Probleme sprechen können. Doch die psychische Gesundheitserziehung ist nicht systematisch. Laut des Berichts Die Psychische Verfassung der Beijinger Universitätsstudierenden hat die Hälfte dieser Zentren keine fixen Fördermittel und die meisten unterstehen den Büros für Studentische Angelegenheiten. Manche Universitäten haben keine extra Beratungszimmer, geschweige denn eine dazueghörige Ausstattung. Eine psychologische Beraterin einer Beijinger Universität sagte, dass die meisten Zentren auf Aufforderung des Bildungsministeriums gegründet worden wären und dass die Berater keine Ausbildung in diesem Gebiet hätten. Doktor Dong vom Östlichen Psychologischen Beratungszentrum sagt: „Die Funktion der Campusberater ist, eine grundlegende Einschätzung der Probleme vorzunehmen und die Studierenden mit ernsten Problemen an professionelle Organisationen zu überweisen. Leider sind sie nicht qualifiziert, mehr zu tun, obwohl es in manchen Fällen viel einfacher wäre, den Verzweifelten zu helfen, wenn man ihre Probleme früher behandeln könnte.“ 

Professionelle Psychologen finden, dass die psychologische Gesundheitserziehung im Universitätsbereich durch den Mangel an Beratern vom Fach ernsthafte Lücken aufweist. Das Verhältnis zwischen Studierenden und psychologischen Beratern ist an den meisten Universitäten 10.000 zu eins, viel zu wenig, um sich um die steigende Zahl der Studierenden mit psychischen Problemen kümmern zu können.

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