Hochschulabsolventen
sind auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr gefragt
Von
Lu Rucai


Am
28. Februar 2004 fand im Militärmuseum in Beijing eine
Arbeitsmesse statt. Feng Jun, der sein ordentliches Studium
an der Peking-Universität bald abschließen wird,
stand mit zahlreichen anderen künftigen Absolventen vor dem
Tor des Militärmuseums Schlange. „In der Tat habe ich
lange überlegt, ob ich komme oder nicht, weil es so viele
Arbeitsmessen gibt. Ich fürchte, dass diese auch nichts Besonderes
ist. Bei einer Arbeitsmesse ist es oft so, dass Arbeitssuchende
sich die Füße platt stehen, für eine einzige Stelle
oft hundert, wenn nicht gar tausend Lebensläufe eingereicht
werden, manche von ihnen jedoch bereits wärhend der Arbeitsmesse
noch auf den Boden geworfen wurden. Nur ganz wenige Bewerber
haben die Möglichkeit, mit dem Arbeitgeber persönlich
zu sprechen“, sagt Feng Jun. „Wenn dies der Fall ist, warum
sind Sie dennoch gekommen?“, fragt die Journalistin. Feng
Jun antwortete: „Weil ich keine einzige Gelegenheit verpassen
will. Zwar wurde die Namenliste der Unternehmen, die Personal
anstellen wollen, im Voraus von der Arbeitsmesse bekannt gegeben,
aber ich will auf jeden Fall persönlich zur Arbeitsmesse
kommen, um zu schauen, ob noch einige gute Firmen, die nicht
auf der Namenliste stehen, zu finden sind.“ Diese Ansicht
vertreten fast alle Besucher der Arbeitsmesse.
Es
ist üblich, dass man bei einer Arbeitsmesse enttäuscht
wurde und dennoch die nächste wieder besuchen will. Das
ist im Falle von Feng Jun auch nicht anders. Viele Leute sind
der Meinung, dass die Absolventen der Peking-Universität,
einer der wenigen Spitzenuniversitäten Chinas, eine Arbeitsstelle
leicht finden können. Solche Worte hat Feng Jun bereits
mehrmals gehört. „Ich hoffe wirklich, dass das wahr ist.
Auch die Leute, die im Ausland studiert haben, wagen nicht
zu sagen, dass es leicht ist, eine Arbeitsstelle zu finden,
geschweige denn für uns, die bisher nur im Inland waren“,
sagt Feng Jun mit bitterer Ironie. Statistischen Angaben zufolge
betrug von 1978 bis 2003 die Gesamtzahl der im Ausland Studierten
Chinas 700 200, 172 800 davon sind nach China zurückgekehrt.
Die Zahl der Zurückgekehrten lag 2003 bei 20 100, eine Zunahme
von 12,3% gegenüber 2002. Eine Forschungsinstitution hat bei
1500 Zurückgekehrten eine Umfrage durchgeführt. Die Ergebnisse
zeigen, dass mehr als 35% der Befragten Schwierigkeiten bei
der Arbeitssuche haben und deshalb vorläufig arbeitslos
sind. 30% der Befragten haben drei Monate lang keine Arbeitsstelle
gefunden und weitere 15% waren sogar fünf Monate arbeitslos.
Immer
mehr Arbeitssuchende, die im Ausland studiert haben, sorgen
für Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt, wo die angebotenen Arbeitsplätze
ohnehin nicht für alle ausreichen. „Solche Leute üben wirklich
einen großen Duck auf uns aus. Gegenüber ihnen sind
wir unterlegen, weil wir nicht im Ausland studiert haben.
Selbst sie, die Englisch sehr gut sprechen können, werden
auf dem Arbeitsmarkt kühl behandelt. Das gilt dann erst recht
für uns“, sagt Feng Jun schwermütig. Glücklicherweise ist
er erfolgreich in die letzte Runde des Auswahlverfahrens der
französischen Firma L’Oréal gelangt. Eine ausländische
Firma wie L’Oréal ist sehr interessant für die meisten Studienabgänger.
Allein in dieser letzten Auswahlrunde wurden schon mehr als
1000 Hochschulabsolventen als Bewerber abgewiesen. Trotzdem
sieht Feng Jun seiner Zukunft nicht sonderlich optimistisch
entgegen: „Zwar befinde ich mich bereits in der letzten Auswahlrunde,
aber ich wage noch nicht zu sagen, ob ich Erfolgsaussichten
habe. Für diese Stelle will die Firma L’Oréal landesweit nur
ein oder zwei Personen anstellen. Allein in Beijing gibt es
mehr als zehn Bewerber, die auch erfolgreich in die letzte
Auswahlrunde gekommen sind. In Shanghai und anderen Gebieten
warten noch viele weitere Konkurrenten.“
Ein
wichtiger Grund für den großen Beschäftigungsdruck
auf Studienabgänger liegt in der Reduzierung der Arbeitsmöglichkeiten
und der Zunahme der Studentenzahl. Das hat mit der Vergrößerung
des Aufnahmeumfangs neuer Studenten seit 1999 zu tun. „Wäre
schön, wenn meine Eltern mich einige Jahre früher geboren
hätten. Für Absolventen, die ein paar Jahre älter
als ich sind, war es früher viel einfacher, eine Arbeitsstelle
zu finden, da sie bereits kurz vor dem Abschluss ihres Studiums
von vielen Firmen angeworben wurden.“ 1992 gab es in China
2,18 Mio. Studierende. Diese Zahl stieg 1998 auf 7,8 Mio.
und 2002 auf 16 Mio. In diesen drei Jahren betrug die Gesamtbevölkerung
Chinas 1,16 Mrd., 1,248 Mrd. und 1,28 Mrd. Menschen. Die Vergrößerung
des Aufnahmeumfangs neuer Studenten trägt einerseits
zur Erhöhung der Bildungsniveaus innerhalb der Bevölkerung
bei, hat andererseits jedoch große Beschäftigungsprobleme
mit sich gebracht. Am Anfang gab es in China nur wenige Studenten,
wobei in der Gesellschaft zahlreiche Arbeitsstellen auf sie
warteten. Der Staat übernahm außerdem für die Arbeitszuweisung
der Absolventen die volle Verantwortung. Mit der Zunahme der
Absolventenzahl gibt es für sie immer weniger freie Arbeitsstellen.
Gleichzeitig ist die Arbeitszuweisung durch den Staat inzwischen
durch die Politik „Gegenseitiges Wählen“ ersetzt worden.
Studienabgänger müssen heute selbst eine Arbeitsstelle
suchen. Auf dem Arbeitsmarkt wählen sie ihren Arbeitgeber
und werden gleichzeitig selbst von künftigen Arbeitgebern
gewählt.