

Betonung
des Menschen als Maßstab in der chinesischen Verfassungsrevision
Von
Li Wuzhou
Während
der Tagungen des Nationalen Volkskongresses (NVK) und der
Politischen Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes (PKKCV)
im März dieses Jahres wurde ein seit Jahrzehnten geltendes
Privileg, nämlich die Vorfahrt der Kolonnen der Abgeordneten
des NVK und Vertreter der PKKCV im Straßenverkehr in
Beijing, abgeschafft. Bei Rot allerdings mussten auch sie
wie alle anderen Verkehrsteilnehmer warten.
Experten
weisen darauf hin, dass durch die Abschaffung dieses Privilegs
der Geist der aktuellen Verfassungsrevision erkennbar wurde,
nämlich die zunehmende Beachtung der Grundrechte des
Volkes.
In
der Verfassungsrevision beziehen sich fünf Stellen auf konkrete
Interessen der Bürger. Dabei handelt es sich vor allem um
Menschenrechte, Sozialabsicherungen, Privateigentum und Inanspruchnahme
von Grund und Boden mit entsprechender Entschädigung.
Diese Punkte gehören zu den wichtigsten Grundrechten
der Bürger. In der öffentlichen Meinung wird die Verfassungsrevision
in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Handeln der chinesischen
Regierung gesehen. Es wird darauf hingewiesen, dass die Verfassungsänderung
den Leitgedanken der chinesischen Regierung in der neuen Legislaturperiode,
nämlich den Menschen als Maßstab anzusehen, verkörpert.
Davor hat die chinesische Regierung bereits die Erschließung
der nordöstlichen Regionen des Landes in Angriff genommen,
um das regionale Gefälle in der Wirtschaftsentwicklung
zu verringern. Zudem gilt Ministerpräsident Wen Jiabao
als Wortführer bei der Eintreibung der Löhne der bäuerlichen
Wanderarbeiter. Die chinesische Regierung hat von sich aus
das Wirtschaftswachstum verlangsamt, um eine ausgeglichene
gesellschaftliche Entwicklung zu ermöglichen und das
Problem des großen Gefälles zwischen Reichen und
Armen zu lösen. Im Hinblick darauf ist das Konzept „der
Mensch als Maßstab“ nicht nur eine Losung, vielmehr
verkörpert es eine Wertschätzung von Seiten des
Staates.
Die
bis März 2004 geltende Verfassung wurde im Dezember 1982
verabschiedet. In der Zwischenzeit wurden dreimal inhaltliche
Änderungen an insgesamt 17 Stellen vorgenommen. Obwohl
die chinesische Regierung darauf hingewiesen wurde, dass die
Verfassung durch die wiederholten Revisionen seit 1982 an
Stabilität eingebüßt habe, wurde diesmal die Revision
von den breiten Massen begrüßt. Denn nach der Reform
und Öffnung seit Anfang der 80er Jahre haben große
wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen in
China stattgefunden. Im Allgemeinen wurde festgestellt, dass
sich China momentan in einer Übergangsphase von der wirtschaftlichen
Verwandlung hin zur gesellschaftlichen Verwandlung befindet.
Deshalb besteht die Notwendigkeit einer angemessenen Änderung
mancher Verfassungsteile, die aufgrund der Entwicklung mittlerweile
überholt sind.
Die
wichtigsten Abänderungen beziehen sich auf den Schutz
des Privateigentums und die Wahrung der Menschenrechte. Es
ist das erste Mal seit der Gründung der VR China im Jahre
1949, dass der Schutz des Privateigentums und der Menschenrechte
in der chinesischen Verfassung verankert wurde.
Eindeutiger
Schutz des Privateigentums
Neu
in der Verfassung ist die klare Aussage: „Das legale Privateigentum
ist unantastbar.“ Das stellt zweifelsohne einen grundlegenden
Wandel in der Einstellung der Kommunistischen Partei Chinas
zum Privateigentum dar. Prof. Gao Bingzhong, Soziologe an
der Peking-Universität, weist darauf hin, dass durch
die Verfassungsrevision offen verkündet wird, dass das seit
1949 in China praktizierte System des Gemeineigentums „ans
Ende gelangt ist.“
Jahrzehntelang
wurden in China Planwirtschaft in Konbination mit einem Gemeineigentumssystem
praktiziert. Privateigentum war nur sehr begrenzt existent
und die Notwendigkeit seines Schutzes stand im Hintergrund.
In den vergangenen mehr als 20 Jahren, die durch Reform und
Öffnung geprägt waren, hat sich ein System mit diversen
wirtschaftlichen Eigentumsformen entwickelt. Der Wirtschaftsbereich
des Nicht-Gemeineigentums macht mittlerweile ein Drittel des
Gesamtwirtschaftsvolumens Chinas aus. Die Spareinlagen der
Bevölkerung der letzten über 20 Jahre belaufen sich auf
über elf Billionen Yuan. Das Eigentum der Volksmassen wird
ständig mehr. Es handelt sich hierbei vor allem um Aktien,
Autos, Wohnungen, Spareinlagen und Wertpapiere. Wenn man Eigentum
besitzt, will man natürlich Gesetze haben, die es schützen.
Aus einer Untersuchung von 2002 geht hervor, dass 93% der
städtischen Bevölkerung hoffen, dass durch die Verfassungsrevision
ihr Eigentum besser geschützt wird.
Seit einigen Jahren wird in
der Gesellschaft heftig über den „Hass gegen Reiche“ gesprochen.
Doch hat dieses Phänomen viel tiefere – mit unter auch
– historische Gründe. China war in seiner Geschichte
immer ein Land, in dem Handel verachtet wurde und über Gewinne
zu sprechen man sich schämte. Aber „manche Medien bringen
,Reiche‘
in Zusammenhang mit Korruption und lancieren entsprechende
Kampagnen, was viele Privatunternehmer abschreckt. Das soll
nun geändert werden,“ sagt Liu Yonghao, der Vorstandsvorsitzende
der Xinxiwang-Gruppe, der einst in der Zeitschrift Forbes
als der reichste Mann auf dem Festland Chinas eingestuft wurde.
Die
Einführung des Satzes „Das legale Privateigentum der Bürger
ist unantastbar“ in die chinesische Verfassung ist ein der
historischen Entwicklung entsprechender Fortschritt.
Dies
hat weitreichende Auswirkungen und stellt einen wichtigen
Fortschritt Chinas in Richtung Marktwirtschaft dar. Es ermöglicht
der nicht vom Staat betriebenen Wirtschaft, sich schnell zu
entwickeln und so zum rasanten Wirtschaftswachstum Chinas
beizutragen. Diese Ergänzung verkörpert zudem den
immer von der chinesischen Regierung geförderten Geist
der Befreiung von Produktivkräften. Die Abänderung
der Verfassung hat zur Folge, dass das chinesische Rechtssystem
mit der an der Marktwirtschaft orientierten Reform koordiniert
wird. Sie stellt eine verfassungsmäßige Sicherheit
für Unternehmer dar, die früher als Kapitalisten und als Feinde
des Kommunismus galten, mittlerweile aber bei der Schaffung
von Arbeitsplätzen und Reichtum eine wichtige Rolle spielen.
Von
der Ergänzung des Absatzes über den Schutz des Privateigentums
profitieren nicht nur Privatunternehmer, auch sozialschwache
Gruppen werden dadurch in Schutz genommen. Beispielsweise
werden die rechtmäßigen Interessen der Eigentümer
von Wohnhäusern in der Stadt, die für den Neubau abgerissen
werden, und Besitzer von Boden auf dem Land, der beansprucht
wird, nun ebenfalls durch die Verfassung geschützt. Hierin
liegt der Grund, weshalb diese Ergänzung nicht nur von
Reichen begrüßt wird.
Cai
Dingjian vom Sekretariat des Ständigen Ausschusses des
Nationalen Volkskongresses weist darauf hin, dass sich die
schlimmste Verletzung des Eigentums der Bürger in der Gegenwart
darin zeige, dass in Städten Wohnhäuser für den
Neubau ohne angemessene Entschädigung abgerissen sowie
Boden und Feld von Bauern beansprucht würden. Es sei oft zu
beobachten, dass die Häuser einfacher Bewohner abgerissen
werden, sobald der Abrissplan verkündet wird. Die gezahlte
Entschädigung sei dabei oft unangemessen. Das geschehe
meistens in Übereinstimmung mit lokalen gesetzlichen
Verordnungen, Bestimmungen der Verwaltungen und sogar dem
Verfahren zum Abriss von Wohnhäusern einer Stadt. Durch
die das Privateigentum betreffende Verfassungsrevision werde
laut Cai von nun an verhindert, dass das Privateigentum durch
die Staatsmacht verletzt wird. Mit der Bestimmung „Das legale
Privateigentum ist unantastbar“ sei den Behörden der
lokalen Verwaltungen und Immobilienhändlern bei der Verletzung
der Interessen der Hauseigentümer die rechtliche Grundlage
entzogen. Cai kommt zu dem Schluss: „Die Gewährleistung
des Schutzes des Privateigentums ist für die Verbesserung
des Arbeitsstils der Behörden und den Schutz der Menschenrechte
von weitreichender Bedeutung.“
„Schutz
der Menschenrechte“ zum ersten Mal in der Verfassung verankert
Der
Begriff der Menschenrechte tauchte bisher in der chinesischen
Verfassung nicht auf. Nach der dominierenden traditionellen
Konzeption von Politik und Kultur in China stehen Ordnung
und Harmonie der Gesellschaft, des Staates, des Kollektivs
und der Sippe über den Rechten, Interessen und sogar dem Leben
des Individuums. Die absoluten Menschenrechte im westlichen
Sinne wurden von den Chinesen nicht akzeptiert, was auf den
Unterschied der kulturellen Traditionen zwischen Ost und West
zurückzuführen ist.
Nun
wurde innerhalb der Verfassungsrevision ein neuer Absatz über
die Menschenrechte hinzugefügt, und zwar aus zwei Gründen:
Für die inländische Politik hat die chinesische Regierung
in diesen Jahren das Konzept zur „Förderung der allseitigen
Entwicklung des Menschen“ aufgestellt und wiederholt betont,
dass das Prinzip „Der Mensch ist der Maßstab“ geltend
gemacht werden soll. Damit wird gezeigt, dass der Staat den
Menschenrechten immer größere Beachtung schenkt;
in der internationalen Politik hat China seit den 90er Jahren
verschiedene Dialoge mit westlichen Ländern über Menschenrechte
aufgenommen und veröffentlicht regelmäßig
Berichte über den Zustand der Menschenrechte in China. Dass
die Ergänzung „Der Staat respektiert
und schützt die Menschenrechte“ in die Verfassung aufgenommen
wurde, zeigt, dass sich die Haltung der chinesischen Regierung
den international anerkannten Wertschätzungen und Konzepten
von Menschenrechten annähert.
Prof.
Gao Bingzhong weist darauf hin, dass die Menschenrechte in
China für viele Chinesen, insbesondere für Beamte, ein sensibler
und negativer Begriff geworden ist, weil die westlichen Länder
- vor allem die USA - seit langem China in diesem Punkt kritisieren.
Dieser Begriff wird durch diesmalige Verfassungsrevision positiv
belegt. Die Verfassungsrevision trägt zur Steigerung
des rechtlichen und demokratischen Bewusstseins der Chinesen
einerseits und zur Beschleunigung der politischen Reform in
China andererseits bei.
Dazu
meint Prof. Dai Zhongchuan von der Universität für Überseechinesen
und Abgeordneter des Nationalen Volkskongresses: „Durch die
Verfassungsrevision wird dem Rechtsschutz der Bürger eine
bisher nicht gekannte Bedeutung beigemessen.“ Prof. Wang Lei
von der Peking-Universität weist ebenfalls darauf hin,
dass die Aufnahme des Absatzes über die Menschenrechte in
die Verfassung dazu führen wird, dass in Zukunft in China
nicht nur in der Gesetzgebung, sondern auch in der Administration
dem Schutz von Menschenrechten mehr Beachtung eingeräumt
werde. Das zeige, dass die Behörden die Rechte der Volksmassen,
insbesondere die von sozial schwachen Gruppen, behutsam behandeln
werden und Ehrfurcht vor den durch die Verfassung geschützten
Menschenrechten haben sollen.
China ist bereits
21 internationalen Menschenrechtskonventionen beigetreten.
Die Menschenrechte in China befinden sich in einem Prozess
der Entwicklung und Verbesserung. Obwohl noch zahlreiche Unzulänglichkeiten
im Schutz der Menschenrechte bestehen, stellt die Verfassungsrevision
nach allgemeiner Einschätzung einen guten Anfang dar.
Prof. Zhou Zhengxiao von der Renmin-Universität weist
darauf hin, dass die Ergänzung des die Menschenrechte
betreffenden Absatzes in der Verfassung noch nicht ausreicht.
Seiner Ansicht nach sollten die Menschenrechte auch in konkreten
Gesetzen verankert werden.