Mai 2004
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Betonung des Menschen als Maßstab in der chinesischen Verfassungsrevision

Von Li Wuzhou

Während der Tagungen des Nationalen Volkskongresses (NVK) und der Politischen Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes (PKKCV) im März dieses Jahres wurde ein seit Jahrzehnten geltendes Privileg, nämlich die Vorfahrt der Kolonnen der Abgeordneten des NVK und Vertreter der PKKCV im Straßenverkehr in Beijing, abgeschafft. Bei Rot allerdings mussten auch sie wie alle anderen Verkehrsteilnehmer warten.

Experten weisen darauf hin, dass durch die Abschaffung dieses Privilegs der Geist der aktuellen Verfassungsrevision erkennbar wurde, nämlich die zunehmende Beachtung der Grundrechte des Volkes.

In der Verfassungsrevision beziehen sich fünf Stellen auf konkrete Interessen der Bürger. Dabei handelt es sich vor allem um Menschenrechte, Sozialabsicherungen, Privateigentum und Inanspruchnahme von Grund und Boden mit entsprechender Entschädigung. Diese Punkte gehören zu den wichtigsten Grundrechten der Bürger. In der öffentlichen Meinung wird die Verfassungsrevision in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Handeln der chinesischen Regierung gesehen. Es wird darauf hingewiesen, dass die Verfassungsänderung den Leitgedanken der chinesischen Regierung in der neuen Legislaturperiode, nämlich den Menschen als Maßstab anzusehen, verkörpert. Davor hat die chinesische Regierung bereits die Erschließung der nordöstlichen Regionen des Landes in Angriff genommen, um das regionale Gefälle in der Wirtschaftsentwicklung zu verringern. Zudem gilt Ministerpräsident Wen Jiabao als Wortführer bei der Eintreibung der Löhne der bäuerlichen Wanderarbeiter. Die chinesische Regierung hat von sich aus das Wirtschaftswachstum verlangsamt, um eine ausgeglichene gesellschaftliche Entwicklung zu ermöglichen und das Problem des großen Gefälles zwischen Reichen und Armen zu lösen. Im Hinblick darauf ist das Konzept „der Mensch als Maßstab“ nicht nur eine Losung, vielmehr verkörpert es eine Wertschätzung von Seiten des Staates.

Die bis März 2004 geltende Verfassung wurde im Dezember 1982 verabschiedet. In der Zwischenzeit wurden dreimal inhaltliche Änderungen an insgesamt 17 Stellen vorgenommen. Obwohl die chinesische Regierung darauf hingewiesen wurde, dass die Verfassung durch die wiederholten Revisionen seit 1982 an Stabilität eingebüßt habe, wurde diesmal die Revision von den breiten Massen begrüßt. Denn nach der Reform und Öffnung seit Anfang der 80er Jahre haben große wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen in China stattgefunden. Im Allgemeinen wurde festgestellt, dass sich China momentan in einer Übergangsphase von der wirtschaftlichen Verwandlung hin zur gesellschaftlichen Verwandlung befindet. Deshalb besteht die Notwendigkeit einer angemessenen Änderung mancher Verfassungsteile, die aufgrund der Entwicklung mittlerweile überholt sind.

Die wichtigsten Abänderungen beziehen sich auf den Schutz des Privateigentums und die Wahrung der Menschenrechte. Es ist das erste Mal seit der Gründung der VR China im Jahre 1949, dass der Schutz des Privateigentums und der Menschenrechte in der chinesischen Verfassung verankert wurde.

Eindeutiger Schutz des Privateigentums

Neu in der Verfassung ist die klare Aussage: „Das legale Privateigentum ist unantastbar.“ Das stellt zweifelsohne einen grundlegenden Wandel in der Einstellung der Kommunistischen Partei Chinas zum Privateigentum dar. Prof. Gao Bingzhong, Soziologe an der Peking-Universität, weist darauf hin, dass durch die Verfassungsrevision offen verkündet wird, dass das seit 1949 in China praktizierte System des Gemeineigentums „ans Ende gelangt ist.“

Jahrzehntelang wurden in China Planwirtschaft in Konbination mit einem Gemeineigentumssystem praktiziert. Privateigentum war nur sehr begrenzt existent und die Notwendigkeit seines Schutzes stand im Hintergrund. In den vergangenen mehr als 20 Jahren, die durch Reform und Öffnung geprägt waren, hat sich ein System mit diversen wirtschaftlichen Eigentumsformen entwickelt. Der Wirtschaftsbereich des Nicht-Gemeineigentums macht mittlerweile ein Drittel des Gesamtwirtschaftsvolumens Chinas aus. Die Spareinlagen der Bevölkerung der letzten über 20 Jahre belaufen sich auf über elf Billionen Yuan. Das Eigentum der Volksmassen wird ständig mehr. Es handelt sich hierbei vor allem um Aktien, Autos, Wohnungen, Spareinlagen und Wertpapiere. Wenn man Eigentum besitzt, will man natürlich Gesetze haben, die es schützen. Aus einer Untersuchung von 2002 geht hervor, dass 93% der städtischen Bevölkerung hoffen, dass durch die Verfassungsrevision ihr Eigentum besser geschützt wird.

Seit einigen Jahren wird in der Gesellschaft heftig über den „Hass gegen Reiche“ gesprochen. Doch hat dieses Phänomen viel tiefere – mit unter auch –  historische Gründe. China war in seiner Geschichte immer ein Land, in dem Handel verachtet wurde und über Gewinne zu sprechen man sich schämte. Aber „manche Medien bringen ,Reiche‘ in Zusammenhang mit Korruption und lancieren entsprechende Kampagnen, was viele Privatunternehmer abschreckt. Das soll nun geändert werden,“ sagt Liu Yonghao, der Vorstandsvorsitzende der Xinxiwang-Gruppe, der einst in der Zeitschrift Forbes als der reichste Mann auf dem Festland Chinas eingestuft wurde.

Die Einführung des Satzes „Das legale Privateigentum der Bürger ist unantastbar“ in die chinesische Verfassung ist ein der historischen Entwicklung entsprechender Fortschritt.

Dies hat weitreichende Auswirkungen und stellt einen wichtigen Fortschritt Chinas in Richtung Marktwirtschaft dar. Es ermöglicht der nicht vom Staat betriebenen Wirtschaft, sich schnell zu entwickeln und so zum rasanten Wirtschaftswachstum Chinas beizutragen. Diese Ergänzung verkörpert zudem den immer von der chinesischen Regierung geförderten Geist der Befreiung von Produktivkräften. Die Abänderung der Verfassung hat zur Folge, dass das chinesische Rechtssystem mit der an der Marktwirtschaft orientierten Reform koordiniert wird. Sie stellt eine verfassungsmäßige Sicherheit für Unternehmer dar, die früher als Kapitalisten und als Feinde des Kommunismus galten, mittlerweile aber bei der Schaffung von Arbeitsplätzen und Reichtum eine wichtige Rolle spielen.

Von der Ergänzung des Absatzes über den Schutz des Privateigentums profitieren nicht nur Privatunternehmer, auch sozialschwache Gruppen werden dadurch in Schutz genommen. Beispielsweise werden die rechtmäßigen Interessen der Eigentümer von Wohnhäusern in der Stadt, die für den Neubau abgerissen werden, und Besitzer von Boden auf dem Land, der beansprucht wird, nun ebenfalls durch die Verfassung geschützt. Hierin liegt der Grund, weshalb diese Ergänzung nicht nur von Reichen begrüßt wird.

Cai Dingjian vom Sekretariat des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses weist darauf hin, dass sich die schlimmste Verletzung des Eigentums der Bürger in der Gegenwart darin zeige, dass in Städten Wohnhäuser für den Neubau ohne angemessene Entschädigung abgerissen sowie Boden und Feld von Bauern beansprucht würden. Es sei oft zu beobachten, dass die Häuser einfacher Bewohner abgerissen werden, sobald der Abrissplan verkündet wird. Die gezahlte Entschädigung sei dabei oft unangemessen. Das geschehe meistens in Übereinstimmung mit lokalen gesetzlichen Verordnungen, Bestimmungen der Verwaltungen und sogar dem Verfahren zum Abriss von Wohnhäusern einer Stadt. Durch die das Privateigentum betreffende Verfassungsrevision werde laut Cai von nun an verhindert, dass das Privateigentum durch die Staatsmacht verletzt wird. Mit der Bestimmung „Das legale Privateigentum ist unantastbar“ sei den Behörden der lokalen Verwaltungen und Immobilienhändlern bei der Verletzung der Interessen der Hauseigentümer die rechtliche Grundlage entzogen. Cai kommt zu dem Schluss: „Die Gewährleistung des Schutzes des Privateigentums ist für die Verbesserung des Arbeitsstils der Behörden und den Schutz der Menschenrechte von weitreichender Bedeutung.“

„Schutz der Menschenrechte“ zum ersten Mal in der Verfassung verankert

Der Begriff der Menschenrechte tauchte bisher in der chinesischen Verfassung nicht auf. Nach der dominierenden traditionellen Konzeption von Politik und Kultur in China stehen Ordnung und Harmonie der Gesellschaft, des Staates, des Kollektivs und der Sippe über den Rechten, Interessen und sogar dem Leben des Individuums. Die absoluten Menschenrechte im westlichen Sinne wurden von den Chinesen nicht akzeptiert, was auf den Unterschied der kulturellen Traditionen zwischen Ost und West zurückzuführen ist.

Nun wurde innerhalb der Verfassungsrevision ein neuer Absatz über die Menschenrechte hinzugefügt, und zwar aus zwei Gründen: Für die inländische Politik hat die chinesische Regierung in diesen Jahren das Konzept zur „Förderung der allseitigen Entwicklung des Menschen“ aufgestellt und wiederholt betont, dass das Prinzip „Der Mensch ist der Maßstab“ geltend gemacht werden soll. Damit wird gezeigt, dass der Staat den Menschenrechten immer größere Beachtung schenkt; in der internationalen Politik hat China seit den 90er Jahren verschiedene Dialoge mit westlichen Ländern über Menschenrechte aufgenommen und veröffentlicht regelmäßig Berichte über den Zustand der Menschenrechte in China. Dass die Ergänzung „Der Staat respektiert und schützt die Menschenrechte“ in die Verfassung aufgenommen wurde, zeigt, dass sich die Haltung der chinesischen Regierung den international anerkannten Wertschätzungen und Konzepten von Menschenrechten annähert.

Prof. Gao Bingzhong weist darauf hin, dass die Menschenrechte in China für viele Chinesen, insbesondere für Beamte, ein sensibler und negativer Begriff geworden ist, weil die westlichen Länder - vor allem die USA - seit langem China in diesem Punkt kritisieren. Dieser Begriff wird durch diesmalige Verfassungsrevision positiv belegt. Die Verfassungsrevision trägt zur Steigerung des rechtlichen und demokratischen Bewusstseins der Chinesen einerseits und zur Beschleunigung der politischen Reform in China andererseits bei.

Dazu meint Prof. Dai Zhongchuan von der Universität für Überseechinesen und Abgeordneter des Nationalen Volkskongresses: „Durch die Verfassungsrevision wird dem Rechtsschutz der Bürger eine bisher nicht gekannte Bedeutung beigemessen.“ Prof. Wang Lei von der Peking-Universität weist ebenfalls darauf hin, dass die Aufnahme des Absatzes über die Menschenrechte in die Verfassung dazu führen wird, dass in Zukunft in China nicht nur in der Gesetzgebung, sondern auch in der Administration dem Schutz von Menschenrechten mehr Beachtung eingeräumt werde. Das zeige, dass die Behörden die Rechte der Volksmassen, insbesondere die von sozial schwachen Gruppen, behutsam behandeln werden und Ehrfurcht vor den durch die Verfassung geschützten Menschenrechten haben sollen.

China ist bereits 21 internationalen Menschenrechtskonventionen beigetreten. Die Menschenrechte in China befinden sich in einem Prozess der Entwicklung und Verbesserung. Obwohl noch zahlreiche Unzulänglichkeiten im Schutz der Menschenrechte bestehen, stellt die Verfassungsrevision nach allgemeiner Einschätzung einen guten Anfang dar. Prof. Zhou Zhengxiao von der Renmin-Universität weist darauf hin, dass die Ergänzung des die Menschenrechte betreffenden Absatzes in der Verfassung noch nicht ausreicht. Seiner Ansicht nach sollten die Menschenrechte auch in konkreten Gesetzen verankert werden.       

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