Eine
Reise zum „Steinwald“
Von
Qing Xianyou

Der
„Steinwald“, eines der Naturwunder Chinas, liegt im Autonomen
Kreis Lunan der Yi-Nationalität in der Provinz Yunnan.
Dieser Landstrich ist wegen seiner großen Schönheit
im In- und Ausland bekannt.
Über
die Entstehung des „Stein-Walds“ gibt es viele Sagen. Eine
erzählt von einem „bösen Teufel namens Asi Abo,
der einen Fluss mit Steinen aufstauen wollte“: Vor langer,
langer Zeit schleppte Asi Abo viele große Steine herbei,
um den Nanpan-Fluss zu stauen und so die fruchtbaren Felder
bei Yiliang und Lunan, wo die Sani und Axi (die heutigen
Yi) seit Generationen lebten, furchtbar zu überschwemmen.
Er kam aber bloß bis zu dieser Stelle, als der Morgen
heraufdämmerte. Er fürchtete, jemand könne seine
abscheuliche Teufelsfratze sehen, und verschwand. Die Steine
ließ er liegen. In Wirklichkeit ist der „Steinwald“
jedoch eine spezielle Karsterscheinung.
Ohne
Angst vor Asi Abo machte ich also im Herbst letzten Jahres
auf zum „Steinwald“. Aus Kunming ging es mit dem Bus südwärts,
vorbei an grünbewaldeten Höhenzügen und Kristallklaren
Seen, und nach einer Fahrt von ungefähr drei Stunden
erreichte ich mein Reiseziel.
Als
ich durch das Tor in den Garten eintrat, fiel mein erster
Blick auf den wunderschönen Steinwald-See. Aus dem
klaren Wasser ragt eine Reihe von Steinsäulen hervor,
die, angespritzt von einem künstlichen Wasserfall, wie badende
schöne Frauen aussahen.
Geleitet
von unserer Reiseführerin, einem siebzehnjährigen Yi-Mädchen,
stiegen wir eine Treppe hinauf zum Löwen-Pavillon,
welchselbiger sich südwestlich vom See befindet, und von
dem aus man die ganze Landschaft des „Stein-Waldes“ ins
Auge fassen kann. Unsere Reiseführerin: „Anhand von geologischen
Untersuchungen wissen wir heute, dass diese Gegend vor etwa
270 Millionen Jahren noch von einem Meer überflutet war.
Eine dicke Kalkschicht lagerte sich ab. Später stieg
der Meeresboden auf und wurde zum Festland; in der Kalksedimentschicht
entstanden tiefe Spalten und damit Durchlässe für das
abfließende Wasser. Es entstanden immer größere
Schichtfugen, Klüfte und Spalten, aus denen sich zu guter
Letzt der ,Steinwald’ mit seinen wunderlich geformten Felsen
bildete.“
Dieser
„Wald“ aus Felsen zieht sich über 26 000 Hektar hin. Schwerpunktmäßig
besichtigt werden meist nur wenig mehr als 80 Hektar, nämlich
der große und der kleine „Wald“.
Bevor
man den großen „Steinwald“ betritt, schreitet man
auf eine wie ein großes Tor geformte Steinplatte zu,
in die zwei große rote Schriftzeichen „Shilin“ eingraviert
sind.
Bizarre
Figuren und Formen aus Stein – Tiger, Löwen, Schlangen,
Vögel, Mandarinenten, Bambus, Lotosblumen und Feen
– formieren sich hier zu einer faszinierenden Landschaft.
Schließlich dringt man zum klaren Jianfeng (Schwertspitzen)-Teich
vor, der von hohen Gipfeln umgeben ist. Wache über den Teich
hält der Jianfeng-Stein, ein großes, mit dem
Griff in den Boden gerammtes Schwert.
Die
nächste Station ist ein achteckiger Pavillon namens
„Wangfeng“, der auf einem der höchsten Gipfel steht.
Von hier aus kann man in aller Ruhe eine Reihe von Gipfeln
mit schönen Namen – „Der Phönix glättet seine
Flügel“, „Das Nashorn, das in den Mond guckt“, „Zehntausendjahrespilz“
usw. – betrachten.
Unter
diesem Pavillon trifft man überall auf Höhlen und seltsame
Felsen, manche davon hängen so lose herunter wie die
Sterne am Himmel. Unter diesen Sternen bleibt niemand lange
stehen. Mitten im „Steinwald“ entdeckt man dann einen Rasenplatz,
auf dem Mädchen und Jungen der Yi-Nationalität
oft unterm silbernen Mondschein singen und tanzen.
Östlich
von diesem Platz liegt der sogenannte „kleine Steinwald“.
Dort, rings um den Goldfisch-Teich, sehen die Felsen so
aus, als ob sich Feen im Winde kämmten. Eine davon
heißt „Ashima“ – nach einem schönen Mädchen
aus den Legenden der Yi, das nach seinem Tod zu Stein geworden
ist.
Von
Generation zu Generation ist „Ashima“ von den Yi als ein
Mädchen verehrt worden, das alle Tugenden – Mut und
Fleiß, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit – in sich
vereinen. „Du bist die schönste aller Kamelien; du
bist das beste aller Sani-Mädchen“, preisen sie die
Yi. Einen Spielfilm namens „Ashima“ gibt es auch, und der
schildert die tragische Liebesgeschichte Ashimas und ihren
mutigen Kampf gegen die Ungerechtigkeit.
Die
Reiseführerin entließ uns schließlich mit den
Worten: „Vor kurzem wurde es noch größerer und
noch faszinierenderer ,Steinwald‘ entdeckt, der 12 km nordöstlich
von hier liegt und sich über mehr als 300 Hektar erstreckt.
Die meisten Steine sind wie Pilze geformt. Nicht weit vom
,Wald‘ braust ein großer Wasserfall wie ein silbernes
Band aus einer Höhe von 100 Metern herab. Außerdem
wurde nocheine unterirdische, drei km lange Kalkhöhle
entdeckt. Der neue ,Steinwald‘ wird bald für den Besuch
freigegeben werden“. – Da weiß ich ja, wo ich nächstes
Jahr hinfahren werde.
Aus
„China im Aufbau“, Nr. 2, 1983
