November 2004
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Maotai, ein Ort und ein Schnaps

Von Li Chaochen

 

 

Wer kennt ihn nicht, den Maotai, Chinas besten Schnaps. Das beliebte geistige Getränk kommt von den Ufern des Chishui, des Roten Flusses, der die Provinz Guizhou in Chinas Südwesten gegen Südsichuan abgrenzt. Guizhou mit seinen Kegelbergen und ins Riesenhafte vergrößerten felsigen Termitenhügeln ist schön für’s Auge, aber umso unliebsamer für den Landmann, denn zwischen den skurrilen Formationen findet sich kaum einmal ein Fleckchen ebenen Landes. Was das heißt, erlebte ich am eigenen Leibe, als ich mich von Zunyi aus nach Westen aufmachte, so zerschunden kam ich an. Überall gibt es nichts als Steine, selbst die Äcker sehen aus wie ein japanischer Steingarten. Es gibt einen Witz, den man sich hier gern erzählt: Ein Bauer hat 0,9 Mu (1ha = 15 Mu) Landes, das in 99 Felderchen aufgeteilt ist. Eines Tages nun wollte er sein Hab und Gut einmal genüßlich abzählen. Er nahm seinen Strohhut vom Kopf, legte ihn auf die Erde und begann seine Felder zu zählen. Doch wie er es auch anstellte, ob er von West nach Ost oder von Nord nach Süd zählte, stets kam er nur auf 98 Felder. Schrecklich! Es fehlte ein Feld. Plötzlich aber fiel ihm auf, was er falsch gemacht hatte. Er nahm seinen Hut wieder auf, und siehe da, darunter lag ja das vermisste Ackerland! Nie soll sich jemand mehr gefreut haben.

Nach 120 Kilometern durch dieses üppige Gebiet war ich dann endlich in Maotai angekommen und konnte darangehen, meine Knochen wieder einzurenken. Maotai nennt sich „Marktstädtchen“, was angesichts seiner 7300 Einwohner sicher recht mutig ist, angesichts seines Produktes aber wohl wiederum zu bescheiden. Ganz gleich, aus welcher Richtung man sich der Heimat dieses Seelentrösters nähert, man muss sich aus der in 2000 m Höhe liegenden Ebene langsam in ein enges Flusstal herabschrauben wie ein Bussard auf Mäusefang. Der Chishui durchfließt den Ort von Osten nach Westen, um sich dann nach Norden zu wenden; dort in der Biegung ist das Tal weit, mit Sandbänken durchsetzt, und das Wasser fließt langsam und ruhig. Hier gibt es eine Fähre, ein Holzboot, das genau unter einem Denkmal an- und ablegt: Dort überquert 1935 die Rote Armee zum dritten Mal den Chishui.

Gab es denn hier nichts anderes als Schnaps? Wohin der Blick auch fiel, überall Schnapsläden, Schnapsbehälter, Verkaufsstände, sich über Schnapsproben blähende Nasenflügel. Maotais Einwohner scheinen indes auch nicht immun gegen ihr Erzeugnis zu sein. Ein mittelalteriger Mann hielt am Straßenrand ein weinseliges Nickerchen, einer alten Dame schien auch einiges in den Kopf gestiegen zu sein, während sie in den Füßen eine seltsame Leichtigkeit verspürte. Was denn bloß mit der verdammten Straße los sein, murmelte sie sich zu. Aber dann lag’s doch nicht am Maotai: An diesem Tag hatten in dem kleinen großen Städtchen gleich vier Paare geheiratet, und an einem solchen Tag trinkt man den einheimischen Freudentrunk wie anderenorts Tee, so ist es hier nun einmal Brauch, wie mir jemand sagte. Wenn die Gäste kommen, muss der Hausherr zuerst selbst dreimal einen Toast mit dem Selbstgebrannten ausbringen. Nach jedem Becher muss er den eben noch gefüllten Becher umdrehen, und kein Tropfen darf mehr zur Erde fallen. Beim Zuprosten heißt es deshalb auch „gan bei!“, „Trockne den Becher!“. So etwas führt schon leicht zu einem kleinen oder größeren Schwips.

Die Schnapsbrennerei von Maotai liegt am Ostende der Hauptstraße. Im Inneren wabern heiße Dämpfe, und der intensive Geruch des Hirseschnapses dringt einem fast unangenehm in die Nase. Zwischen zwei alte Fabrikhallen hat sich eine neue gesetzt, mit einem Spitzdach, das allerdings von anderer Farbe ist als die anderen Dächer. „In Häusern mit einem grauweißen Dach gibt es keinen Schnaps“, erklärte der Vizedirktor Ji Keliang. „Wo die Dächer so schwarz sind, da wird gebraut.“ Herr Ji ist Ingenieur und 41 Jahre alt. Er fuhr fort: „Die Fabrik ist 20 Hektar groß, mit 100 000 Quadratmetern bebauter Fläche. Insgesamt arbeiten 1200 Arbeiter und Angestellte hier.“ 1949 hatte es hier drei kleinere Schnapsbrennereien gegeben, die zusammengelegt wurden. Damals war die neue Fabrik nur 3000 Quadratmeter groß. Das hat sich nun alles geändert, alles ist größer, besser, moderner geworden, nur Schnaps nicht: Der war auch schon früher so gut wie heute. Dafür gibt es heute viel mehr davon. Allein im letzten Jahr wurde 20mal soviel produziert wie in der Zeit der Befreiung. „Aber den Verarbeitungsprozess haben wir nicht verändert, sonst hätten wir die Qualität niemals halten können“, sagte Ingenieur Ji.

Maotai wird aus Gaoliang und Weizen gebrannt; anders als bei anderen Schnäpsen findet die Gärung bei hohen Temperaturen statt, auch die Fermentierung wird durch Hitze beschleunigt. Während des nahezu ein Jahr währenden Herstellungsprozesses werden die Kessel zweimal mit frischem Getreide beschickt, dann folgen auch Koch- und acht Fermentiervorgänge. Der Schnaps muss nach der Gärung noch gut ein Jahr lagern. Diese lange Bearbeitungs- und Lagerdauer ist auch für die große Fläche der Brennerei verantwortlich, die immerhin vier- bis fünfmal so groß ist wie gewöhnliche Brennereien. Der Maotai hat neben guter Farbe, angenehmem Geruch und wohltuendem Geschmack noch eine vorzügliche Eigenschaft: Man bekommt von ihm keinen schweren Kopf, und auch, wenn man ein wenig über den Durst trinkt, wird man deshalb noch nicht unbedingt betrunken. Einer, der es wissen muss, ist der frühere amerikanische Sicherheitsberater und Harvard-Professor Zbignev Brzezinski. Seine Kinder hatten nach dem Genuss von reichlich Maotai, so Brzezinski, zwar leicht glasige Augen und konnten auch nicht mehr perfekt geradeaus gehen, am nächsten Morgen hatten sie jedoch nicht den leichtesten Anflug eines Katzenjammers. Deshalb ist der Maotai auch auf Banketten und als Geschenk so beliebt, und deshalb ist er auch ständig und überall ausverkauft. Nicht zuletzt wegen dieses angenehmen Charakters hat er auch einige internationale Auszeichnungen erhalten.

„Maotai schmeckt nicht nur gut, er macht müde Männer wieder munter und ist auch gut gegen Schmerzen.“ Ji Keliang musste bemerkt haben, wie meine Fahrt auf mich gewirkt hatte. Aber er hatte es ganz anders gemeint. „In der Roten Armee gab es einige Offiziere und Soldaten, die ganz gerne mal ein Fläschen tranken. Als sie aber hier nach Maotai kamen, wagten sie kein Glas anzurühren, weil die Lage so gespannt war. Stattdessen rieben sie sich mit unserem Feuerwasser Arme und Beine ein, und es gab keinen, der seine gute Wirkung gegen Müdigkeit und Schmerzen nicht gepriesen hätte. Einige Soldaten leerten sogar das Wasser aus ihren Feldflaschen, um sich für den weiteren Marsch mit dem heilsamen Elixir zu versorgen.“ Vielleicht gab es später ja noch Gelegenheit zur innerlichen Anwendung.

Je namhafter der Maotai wurde, desto mehr Leute kamen an die Ufer des Roten Wassers, um die Gär- und Brenntechnik zu erlernen. Zurück an ihrem Heimatort gelang es jedoch auch den Eifrigsten nicht, einen Schnaps Marke Maotai zu kopieren. Das Geheimnis des Maotaier Feuerwassers liegt im feuchten Klima und im Wasser des Chishui, aber auch in der Brenntechnik. Maotai kommt eben aus Maotai. Woher sonst.

Maotai war früher nur ein kleines, unbedeutendes Bergnest. Seit 1745 kann es per Schiff erreicht werden, und seitdem ist es ein wichtiger Hafen am Chishui. Auch die Hafenarbeiter brauchen den Schnaps, zum Einreiben, versteht sich, das mindert die Hitze und gibt Kraft, die hin und her fahrenden Passagiere der Schiffe und der Fähre brauchen den Maotai, um sich nach der langen Fahrt zu erfrischen und den Staub aus der Kehle zu spülen. Nicht zuletzt deshalb entwickelte sich die Brennerei schnell.

Die Maotai-Brennerei hat indes schon eine längere Geschichte. Vor etwa 200 Jahren kam ein Händler nach Maotai und entdeckte, was für ein einzigartiges Aroma der dortige Schnaps hatte. Er rang sich dazu durch, eine Brennerei einzurichten. Nach und nach fand er einen geradezu idealen Herstellungsprozess heraus, und so entstand schon in der Qing-Dynastie der Welt feinstes Tröpfchen. Vor knapp dreißig Jahren wurde Maotai auch ans Straßennetz angeschlossen, und der Hafen verlor etwas an Bedeutung. Die Schnapsproduktion aber erreichte ungeahnte Höhen. „Man darf mit allem Recht sagen, dass der Schnaps ganz Maotai ernährt“, sagte Ji Keliang. Na denn Prost. Oder „gan bei“, wie es hier heißt.

Aus „China im Aufbau“, Nr. 6, 1984

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