November 2004
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Mama, wo kommen die Teigtaschen her?

Von Ina Pleskacheuskaya

Ich bin mir sicher, dass meine Mutter in einem ihrer früheren Leben Chinesin war und ihr eigenes Restaurant besaß. Natürlich würde man das ihrem Aussehen nach nie erwarten, aber ihre Kochleidenschaft ist Beweis genug für mich. Das wird noch bestätigt durch die Fülle von Teigtaschen in unserem Haus. Wann ich auch nach Hause komme, ist unser Kühlschrank voll gestopft mit Teigtaschen, oder ihren slawischen Kusins, die als Vareniks bekannt sind. Als ich Beijing 1999 zum ersten Mal besuchte, vernahm ich mit Erstaunen, dass Teigtaschen ihren Ursprung nicht in Sibirien haben, wie die meisten Russen, Weißrussen und Ukrainer glauben, sondern in China! Jiaozi (der einheimische Name für Teigtaschen) waren im Land der Mitte schon vor 1700 Jahren beliebt.

Wenn ich meinen chinesischen und anderen ausländischen Freunden erzähle, dass ich immer gedacht hätte, dass Teigtaschen eine russische Nationalspeise seien, ziehen sie ihre Augenbrauen hoch und fragen: „Wirklich?“ Dann folgt sofort die nächste Frage: „Kannst du sie zubereiten?“ Ich muss ehrlich gestehen, dass ich nur gut bin, was die Theorie betrifft, aber meine Mutter...

Aber meine liebe Mutter, Erzeugerin hochstehender Teigtaschen, hat keine Ahnung, dass einige der Beijinger Restaurants Jiaozi mit 130 unterschiedlichen Füllungen mit bis zu 200 Gewürzen servieren. Die beliebteste Jiaozifüllung in Beijing ist Schweinefleisch mit Kohl oder anderen Gemüsesorten – Zwiebeln, Karrotten, Koriander, chinesischem Schnittlauch und vielem mehr. Ausländer, die Teigtaschen nicht kennen, bevorzugen gedämpfte Brötchen namens Baozi, eine Art gedämpftes Brot mit Fleischfüllung, die im Norden beliebt ist.

Die südliche Version von Jiaozi, die Wonton oder Huntun genannt wird, sind winzige Teigtaschen mit Eier- und Tofufüllung, die in einer reichhaltigen Brühe serviert werden. Manche Leute behaupten, dass der Ursprung des Speisenamens im Wort Hundun liegt, was kosmisches Chaos bedeutet, und dass Teigtaschen in die Suppe zu geben gleichbedeutend ist mit dem Ordnen des Universums. Kochkunst nach kosmischen Metaphern zu benennen zeigt, wie ernst ihr Heimatland Essen nimmt.

Teigtaschen symbolisieren in China Einigung, Harmonie und Ausgeglichenheit, weswegen diese Speise zum Chinesischen Neujahr ein Muss ist. Dieser Symbolismus stammt vom Vorgang der Zubereitung, da normalerweise alle Familienmitglieder beim „Formen“ der Jiaozi teilnehmen. Das verwandelt ein alltägliches Mahl in eine fröhliche und festliche Angelegenheit. Die Form ist auch besonders. Die Teigtaschen für das Chinesische Mondneujahr sind mondsichelförmig oder wie altes chinesisches Geld geformt, und laden Wohlstand und Reichtum für das kommende Neujahr ein.

Wenn man „Reis“ erwähnt, denken die Menschen auf der ganzen Welt automatisch an China, aber es ist das Hauptnahrungsmittel Südchinas, nicht des ganzen Landes. In der nördlichen Küche ist Getreide die Hauptnahrung, deren Hauptpfeiler, wie erwähnt, Teigtaschen und Frühlingsrollen – winzige Pfannkuchen aus knusprigem Teig mit verschiedenen Füllungen – sind. Doch das Kronjuwel der nördlichen Küche ist ohne Zweifel die Pekingente.

Diese berühmte geröstete Ente wurde von Herrn Yang erschaffen, der Lieferant für fette Vögel war, und der auf seinen Beschluss hin, seinen Beruf zu wechseln, 1864 das heute berühmte Restaurant Quanjude eröffnete. Er lud die besten Köche der Provinz Shandong ein, die berühmt für ihre feinen Gerichte ist, sandte Spione aus, die die Geheimnisse der kaiserlichen Küche stahlen, und erfand seine eigene Entenzubereitungstechnik. Anfangs bestand diese Speise aus der knusprigen Haut des Vogels, die mit Schalotten und einer Spezialsoße serviert und in einen kleinen Pfannkuchen eingerollt wurde. All die anderen Teile der Ente wurden in Speisen, die vom Eintopf bis zur Suppe reichten, verwendet. Das Entenhirn und die Entenzunge waren (und sind noch immer) eine Delikatesse.

Während des 19. Jahrhunderts probierten ausländische Diplomaten dieses Gericht, das als Pekingente bekannt war, worauf es in der ganzen Welt beliebt und sehr begehrt wurde. Als George Bush Senior, der frühere US-Präsident und Vater des jetzigen Präsidenten, in Beijing als Vorsitzender des Büros für Kommunikation mit den USA (zu jenem Zeitpunkt gab es keine diplomatischen Beziehungen zwischen den USA und China und deshalb keine Botschaftsvertretungen) arbeitete, entwickelte er eine Vorliebe für dieses Gericht.

Den mit der chinesischen Geschichte Vertrauten überrascht der starke mongolische Einfluss auf die nördliche Küche nicht. Die zwei bekanntesten Gerichte – mongolischer Grill und mongolischer Feuertopf – waren ursprünglich Soldatenkost, die über dem Lagerfeuer gekocht wurde. Fleisch und Gemüse wurden auf Schildern gebraten oder in manchen Fällen in einem Helm gemeinsam gekocht – die Geburt des Feuertopfes.

Feuertopf ist ein großartiges Gericht, das einen während der kalten Wintertage erwärmt. Er wird in einer Pfanne über dem offenen Feuer gekocht. Die Gäste werfen papierdünne Lammfleischscheibchen, Gemüse, Nudeln und Tofu in eine kochende Brühe. Feuertopf-Fans behaupten, dass die dazugehörende Soße für den umfassenden Genuss des Gerichts ausschlaggebend sei. Es ist eine dicke und stark gewürzte Mischung aus Sesampaste, Knoblauch, chinesischem Schnittlauch, Tofu, Fischgewürz und anderen Gewürzen.

Früher gab es verschiedene Feuertopfzutaten – von Rindfleisch und Hasenohren bis zu Fischköpfen und Blutwurst. Die heutige Version des Feuertopfes ist sinisiert und zeigt den grundlegenden chinesischen Wunsch, Fleisch und Gemüse ausgewogen zu konsumieren.

Aber man wird nie wirklich einheimische Speisen kennen, wenn man nicht die Imbisse, die auf Beijings Straßen verkauft werden, gekostet hat. Sie sind als Dianxin bekannt, eine Bezeichnung, die aus dem klassischen chinesischen Ausdruck diancai suixin – „wähle die Gerichte nach dem Wunsch deines Herzens“ – stammt. In früheren Zeiten kamen die berühmtesten Süßwaren aus Hangzhou und Chang’an (heute Xi’an) und die erste Person, die dafür eine Leidenschaft entwickelte, war die Kaiserinwitwe Ci Xi. Kurz danach folgten der Hof wie auch die Bürger ihrem Vorbild.

Diese Imbisse gibt es in einer reichhaltigen Auswahl. Es gibt z. B. Ai Wowo – kleine Bällchen aus Klebreisteig mit einem roten Punkt obendrauf und verschiedenartigen Füllungen; Wan Dou Huang – kleine viereckige Gebäckstücke aus Erbsenteig, ein Lieblingsgericht von Ci Xi, und Qie Gao – leichtes Backwerk aus Klebreis und roter Sojapaste, um nur drei aufzuzählen. Wenn man Beijings Straßen mit einem Kind entlang geht, wird man nicht vermeiden können, ein Tang Hulu zu kaufen, verschiedene Früchte oder Große Chinesische Weißdornfrüchte, die auf einem Stöckchen aufgespießt und mit karamelisiertem Zucker überzogen sind. Mein persönliches Lieblingsgericht von der Straße ist Jian Bing, ein geschmackvoller und füllender Imbiss, der vor deinen Augen gekocht wird, was die Frische garantiert. Flüssiger Teig wird auf eine runde Bratplatte gegossen und gleichmäßig mit einer Spachtel verstrichen und ein oder zwei Eier (je nach Geschmack) werden hineingeschlagen. Die Mischung wird daraufhin mit Grünzeug bestreut, mit verschiedenen Soßen beschmiert und ein weiterer knuspriger Pfannkuchen aus Mehlteig wird in die Mitte gelegt. Danach wird das Ganze auf ein Viertel zusammengefaltet und in dickes braunes Papier gehüllt. Mit diesem mächtigen Jian Bing bewaffnet kann man jedem Winterwetter trotzen – sogar in Sibirien.

Die Autorin leitet das Beijinger Büro der weißrussischen Nationalzeitung Belarus Today und des Nationalen Fernsehsenders ONT.

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