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Die Literatur als Bestandteil des Bildungskanons kann diesem hohen Wert tatsächlich insofern gerecht werden, als sie permanent im Horizont der Kritik, der Interpretation und in unserem Zusammenhang der Didaktisierung im Unterricht steht. Es kommt also darauf an, wie sie ausgewählt, gedeutet und behandelt wird. Damit die genannten Ziele erreicht werden, wird in chinesischen Fachzeitschriften und Zeitungen gleichwohl über didaktische Konzepte, Methoden und Vorschläge diskutiert. Die Ansätze hierfür vollziehen sich im Wesentlichen in zwei Richtungen, in der Selbstbildung – in Form von selbstgesteuertem Studieren – und in der Aneignung von Wissen – in Form von Vermittlung spezifischer Studieninhalte. So berichtet eine Professorin in einer Wochenzeitung diskursiv über ihre Veranstaltung „Literatur und Gesellschaft“, bei der sie 6 Werke aus der englischen Literatur vom 17. bis 20. Jahrhundert mit den Studenten intensiv liest und bespricht. Es sind 6 ausgewählte Werke, in denen verwerfliche Phänomene wie Jagd nach Profitinteressen, Korruption der Justiz, Verfall der Moral, Vulgarisierung des Lebens oder Totalität der politischen Macht ironisch dargestellt werden. Die Studenten erfahren zunächst etwas über die Autoren und die Entstehungszeit der Werke, dann führen sie Werkanalysen und -interpretationen durch. Anschließend haben sie die Aufgabe, in Diskussionen über die Erscheinungsformen der aufgezeigten Phänomene in der heutigen Welt bzw. in der Gegenwart zu reflektieren. Mit diesem inhaltgelenkten Unterrichtverfahren würden, so die Professorin, nicht nur die Erkenntnisse der Studenten über die Entwicklung der englischen Gesellschaft vertieft, sondern durch kritische Reflexion in Verbindung mit der heutigen Zeit könnte auch die persönliche Qualifikation der Studenten verbessert werden. 5 Ein anderes Beispiel: in der Fachzeitschrift Foreign Literatures wird eine Veranstaltung zum Thema Shakespeare und politische Philosophie, bei welcher der leitende Professor die Ausbildung der Studenten darin sieht, einen erkenntnisoffenen Freiraum zu schaffen, in dem sich literarische Auseinandersetzung des Studenten frei entwickeln soll. Er konfrontiert die Studenten mit Texten und Materialien, die sie nur mit gelegentlicher Anleitung 8 Wochen lang lesen und diskutieren sollen. Die Studenten bilden kleine Gruppen, um über die Lesestoffe zu diskutieren. Am Ende der Veranstaltung entstehen Seminararbeiten, die von Intensität, Anstrengung, begeistertem Erleben der ästhetischen Dimensionen, neuen Leseerfahrungen und Ansichten zeugen. 6

Die beiden der chinesischen Öffentlichkeit als aktuelles Modell vorgestellten Beispiele kommen alle aus dem Bereich des englischen Literaturunterrichts. Sie wurden hier angeführt, weil sie auch paradigmatisch die literaturpädagogischen Konzepte und die Zielverfolgung des deutschsprachigen Literaturunterrichts in China zeigen. Wie in Englischabteilungen wird der Literaturunterricht in Deutschabteilungen an chinesischen Hochschulen gewöhnlich über die Aspekte der Sprache und der Kultur begründet und beschrieben: Die deutsche Literatur ist in der Sprache geschrieben, die man studiert, und in der Kultur entstanden, die sie transportiert. In der Unterrichtspraxis heute aber tritt der Aspekt des Spracherwerbs jedoch weitgehend in den Hintergrund und spielt nur eine untergeordnete Rolle gegenüber Wissens- und Erkenntnisvermittlung sowie Einüben und Trainieren von wissenschaftlichen Methoden. Ein anderer Bereich, der heute im Zentrum des Literaturunterrichts steht, ist die Entwicklung und Ausbildung von Schlüsselqualifikationen wie Kommunikationskompetenz, analytisches Denken, Teamfähigkeit, Eigeninitiative usw.

Dies wird deutlich an dem extra für den Literaturunterricht konzipierten Lehrbuch „Literatur und Erkenntnis“– ein Titel, der für sich spricht. Der Buchautor lässt dort keinen Zweifel daran aufkommen, dass es sich bei der Lehrbuchidee um ein Konzept handele, „das die Erkenntnis der Literatur in den Mittelpunkt stellt und der Literaturgeschichte und Gattung Rechnung trägt“. Neben der Aneignung der literarischen Erkenntnisse komme es darauf an, dass „die Studenten lernen, wie man ein Referat schreibt, wie man zitiert und wie ein Literaturverzeichnis zu erstellen ist“. 7 Oder es wird evident an dem ebenfalls für den Literaturunterricht konzipierten Lehrbuch „Anthologie der deutschsprachigen Literatur“, in dem der Buchautor die literaturdidaktische Intention seines Werkes so betont: „Absicht dieses Buchs ist, dass der Studierende durch intensive Auseinandersetzung mit literarischen Texten dazu befähigt wird, im ästhetischen Genießen die Problematik eines literarischen Werks angemessen wiederzugeben, das Charakteristische dargestellter Personen genau zu erfassen und die künstlerischen Gestaltungsmittel in ihrer Bedeutung für die Aussagekraft eines Werks einzuschätzen“. Noch deutlicher: „Uns geht vor allem darum, durch systematische Beschäftigung mit literarischen Texten Erkenntnisse des Studierenden über sich selbst und seine Welt zu vertiefen und sein Denkvermögen zu schärfen“. 8

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