Beijing
– eine Stadt verändert sich
Von
Anja Schmidt-Amelung

Endlich
ist es soweit. Nach viereinhalb Jahren kehre ich wieder in
die Stadt zurück, die mein Leben verändert hat. Damals
war ich 18 Jahre alt, voll von Träumen, Zielen und einer
Offenheit für Neues, wie sie nur Kinder haben. Fasziniert
von der völlig fremden, neuen Welt, die sich mir darbot,
betrat ich erstmals das ferne Reich der Mitte. Ich war vom
ersten Tag an beeindruckt von all den Menschen auf ihren Fahrrädern,
den wunderschönen alten Palästen und Tempeln, der
unglaublichen Geschichte und Kultur dieses Landes.
Die acht Tage erscheinen mir wie eine Art
Traum, irgendwie unwirklich. Alles war so fremd, so anders
als das, was ich bis dahin erlebt und gesehen hatte und, trotzdem
schön. Damals war ich mehr als eine Fremde, ich war blind
und taubstumm zugleich. Keiner verstand mich und ich konnte
nicht einmal die Straßennamen lesen. Einige Straßen
waren auch noch so unfertig, dass sie keine Namen, sondern
nur Nummern trugen.
Mich
faszinierten besonders die vielen Menschen in ihren blauen
Maojacken, die ganz früh morgens im Freien tanzten und Taijiquan
machten. Und dann diese Smogglocke, unter der weder Sonne,
noch Sterne zu sehen waren und die gemischt mit dem Geruch
der Menschen und Garküchen einen ganz eigenen Duft hervorbrachte.
Ich war wie geblendet, von der Flut der Eindrücke, die über
mich hereingebrochen war, und ich wusste, dass ich irgendwann
wiederkommen würde.
Ich bin gerade aufgewacht, als der Flugkapitän
uns auf die Chinesische Mauer zu unserer Rechten aufmerksam
macht. Zwischen den Chinesen dränge ich mich an eines
der Fenster und wirklich, unter uns windet sich die Chinesische
Mauer wie eine Schlange durch die Berge. Selbst von so weit
oben erscheint sie riesengroß und es lässt sich
erahnen, welch ein immenser Aufwand zu ihrem Bau betrieben
werden musste. Die letzten Minuten des Fluges vergehen von
nun an im wahrsten Sinne des Wortes wie im Flug.
Nach einer kleinen Ewigkeit verlasse ich
später die Halle der Passkontrolle und entferne mich
von den lärmenden Menschenmassen, die sich vor den Kontrollschaltern
drängen. Als ich aus dem Flughafengebäude trete,
weht mir ein frischer, sonniger Hauch entgegen und der Stress
der vergangenen Stunden fällt von mir ab.
Ich nehme ein Taxi in die Stadt. Begierig
darauf, meine Sprachkenntnisse zu testen, beginne ich eine
Unterhaltung mit dem Taxifahrer, doch sie beschränkt
sich auf die Themen Wetter, Deutschland und Uni. Trotzdem
bin ich stolz, dass ich mit meinen dürftigen Sprachkenntnissen
eine kleine Unterhaltung führen kann. Nach einiger Zeit nähern
wir uns der Stadt und die Bilder meines letzten Aufenthalts
nehmen wieder deutlichere Konturen an. Ich erwarte ähnliche
Zustände wie damals, werde jedoch bereits am Stadteingang
eines Besseren belehrt: Ein wohlbekannter Schriftzug sticht
mir ins Auge. In großen Lettern steht an einem mehrstöckigen
Gebäude das Wort „IKEA“. Ein wenig irritiert verfolge
ich die Umgebung während der Fahrt nun genauer und stelle
fest, dass sich auch McDonald’s, KFC und Starbucks hier verbreitet
haben. Das passt nun gar nicht in das Bild, welches ich von
Beijing habe und, es zeigt mir deutlich, wie rasant sich die
Öffnung Chinas in Richtung Westen in den letzten Jahren
bereits vollzogen hat. Auch der vermutete Smog erwartet mich
nicht, sondern strahlender Sonnenschein und angenehme Luft.
Doch das sollte sich bereits am nächsten Morgen ändern.
Der ureigene Geruch dieser Stadt hat sich schnell wiederhergestellt
und die Gebäude verschwinden in einem wohlbekannten,
dichten Nebel. Glücklicherweise beginnt aber nicht jeder Tag
so diesig und ich erfreue mich an den sich häufenden
Sonnentagen, die den Verdruss der weniger schönen Tage
überdecken.
In den ersten Wochen finde ich mich erneut
als staunendes Kind wieder, welches in einer fremden Welt
weder Geruch oder Essen, noch Sprache oder Verhaltensweisen
kennt. Beijing stürzt in Form von Erlebnissen auf mich ein,
zieht mich in seinen Bann und hält mich für Tage gefangen.
Wieder ist alles neu und fremd, doch ungleich größer
und mächtiger. Die Faszination für das, was binnen kürzester
Zeit geschaffen wurde, überdeckt das Staunen über alles Fremde
und für micht oft noch Unerklärbare dieser Stadt. Ich
fühle mich ein bisschen wie die Hauptfigur Kao Tai im Roman
„Briefe in die chinesische Vergangenheit“ von Herbert Rosendorfer,
nur umgekehrt.
Ich stehe einer neuen fremden Welt gegenüber.
Überall werden in rasender Geschwindigkeit neue Hochhäuser
gebaut und ganze Armenviertel in Staub und Asche gelegt. Eines
der wenigen sichtbaren Überbleibsel vergangener Tage
sind die dicken, armeegrünen Wintermäntel vieler Wachleute,
doch der Großteil der Chinesen, die dieser Stadt ein
Gesicht geben, folgt westlichen Modetrends. Ähnlich ist
es den Millionen von Fahrrädern ergangen, die in dieser
Anzahl aus dem Stadtbild verschwunden sind und den Blechlawinen
weichen mussten, die sich täglich über die Highways schieben.
Hatte man damals noch Angst, hier Fahrrad zu fahren, so ist
es heute kaum möglich für einen Nichtchinesen, in Beijing
Auto zu fahren. Weiterhin fällt auf, dass auch die vielen
kleinen, traditionellen Stadtviertel oftmals neuen, im Vergleich
protzigen, Hochhäusern weichen mussten, die heute das
neue Stadtbild prägen. Es sind ganze Banken- und Botschaftsviertel
entstanden, die kaum mehr dem traditionellen Beijing ähneln.
Das Gefühl, sich in der Hauptstadt Chinas
zu befinden, ist heute nicht mehr zwingend. Wenn ich in der
Bar auf dem Unicampus abends etwas trinken gehe, treffe ich
so viele verschiedene Nationen wie kaum sonst auf der Welt.
Die Bar könnte sich gleichfalls in Berlin, New York oder
London befinden. Der Ort wird auf einmal nebensächlich
und der erste Eindruck einer Weltgesellschaft setzt sich fest.
Auffällig erscheint mir auch, dass
ich nicht bei jeder Gelegenheit das Objekt fotografischer
Begierde bin, so wie damals. Meine blonden Haare waren für
die meisten Chinesen aus der Provinz viel spannender als die
Chinesische Mauer oder die Verbotene Stadt. Heute kann ich
mich ganz frei überall bewegen, ohne ständig als Fotomodell
zu posieren.
Eine Veränderung ist auch in der Informationsbranche
erkennbar, wo der gehobene Informationsstand vieler Chinesen
sowie die Freischaltung von manchen zuvor verbotenen Internetseiten
positiv auffallen. Die Modernisierung macht sich jedoch auch
in der Kommunikationsbranche bemerkbar. Es gibt in der Stadt
kaum mehr Chinesen ohne Handy, welches von den Jugendlichen
vorzugsweise um den Hals getragen wird. Das wäre vor
einigen Jahren kaum denkbar gewesen. Gleichzeitig wächst
jedoch die Kluft zwischen Arm und Reich immer deutlicher und
macht sich im Stadtbild bemerkbar.
So fügen sich viele kleine Modernisierungen
wie ein Puzzle zusammen und ergeben ein riesiges Bild, in
dessen Vordergrund der Fortschritt steht. Das Alte verliert
an Wert und nur Weniges wird, wenn es sich als Touristenattraktion
eignet, erhalten. Alles andere muss dem Drang nach Weiterentwicklung
weichen und auf seinen Ruinen werden die nächsten Hochhäuser
gebaut.
Bei meinem ersten Besuch wirkte Beijing
noch viel traditioneller und abgeschlossener von der Welt
als heute. Eine weitreichende Öffnung mit tiefgreifenden
Veränderungen, nicht nur auf materieller Basis, ist deutlich
erkennbar, und als Boomtown kann Beijing Shanghai längst
das Wasser reichen. Doch nicht alle modernisierungsbedingten
Veränderungen sind positiv zu bewerten und die chinesische
Regierung muss aufpassen, dass die im Zuge der Modernisierung
wachsende Arbeitslosigkeit die Kluft zwischen Arm und Reich
nicht unüberwindbar macht.
Abschließend stelle ich fest, dass
sich eine unglaubliche Veränderung in dem mir bekannten
Beijing vollzogen hat und weiter anhält. Wohin sie noch
führen wird, ist kaum vorherzusagen, und doch geht eine starke
Faszination von ihr aus. Mir erscheint die Stadt als eine
sich ständig wandelnde Masse, die sich in rasender Geschwindigkeit
in Richtung Modernisierung fortbewegt.
