Vergrabener
Glanz
Von Li Rui


Am 19. Januar 2003, gegen vier Uhr nachmittags,
gruben einige Bauern außerhalb eines Dorfes in der Provinz
Shaanxi im Westen Chinas an einer 10 m hohen Lehmwand. Sie bemerkten,
dass ihre Hackenschläge einen seltsamen Widerhall in der
Erde hervorriefen. Noch bevor sie herausfinden konnten, was
los war, legte ein Bauer mit seiner Breithacke eine Kammer frei.
27 Bronzegegenstände, die 3000 Jahre lang unter der Erde
gelegen hatten, traten ans Tageslicht.
Shaanxi ist die Provinz, wo sich die Terrakottafiguren
befinden. Daher waren die Bauern über ihre Entdeckung nicht
besonders überrascht. Sie bewachten die Fundstelle und informierten
sofort die Archäologen. Bald war der Name des Dorfes Yangjia
wieder in aller Munde. Schon vorher waren in diesem Dorf drei
Kammern mit Bronzegegenständen und ein Bronzeglockenspiel
freigelegt worden. Diese vier Kammern liegen höchstens
200 m voneinander entfernt.
Das Rätsel der 27 Bronzegegenstände
zog die Aufmerksamkeit der besten Experten für Bronzewarenforschung
aus dem ganzen Land auf sich.
Die Kammer im Dorf Yangjia ist nach der Dongjia-Kammer
im Kreis Qishan, die im Jahr 1975 ausgegraben wurde, und der
Zhuangbai-Kammer Nr. 1 im Kreis Fufeng, die 1976 freigelegt
wurde, die wichtigste Entdeckung für die Erforschung der Bronzewaren
aus der Westlichen Zhou-Dynastie (ca. 11. Jahrhundert v. u.
Z. – 770 v. u. Z.). Sie liefert nützliche Gegenstände zur
Erforschung der Geschichte der Westlichen Zhou-Dynastie und
des exakten Ursprungs der chinesischen Geschichte.
Wert der Bronzegegenstände
„Ich habe in der Nacht kaum geschlafen...“
„Ich bin elektrisiert! Das ist wirklich eine
großartige Entdeckung!“
„Man kann ihren Wert gar nicht hoch genug
einschätzen. Sowohl der kulturelle Wert als auch die gesellschaftliche
Bedeutung werden im In- und Ausland für eine Sensation sorgen“,
sagt Li Xueqin, Leiter des Periodisierungsprojekts der Xia-,
der Shang- und der Zhou-Dynastie und Leiter des Forschungsinstituts
für Geistes- und Kulturwissenschaften der Qinghua-Universität.
China zählt zu den vier alten Zivilisationen
der Welt. In Büchern und Dokumenten aus alter Zeit können
wir stolz über unsere Geschichte lesen: Die chinesische Zivilisation
begann mit Fuxi, dem Ahnherrn des chinesischen Volkes und erreichte
ihre erste Blüte unter dem Gelben Kaiser. Ihm folgten Yao, Shun
und Yu. Aber sie lebten in der „überlieferten Zeit“.
Die Xia-, die Shang- und die Zhou-Dynastie
waren die Blütezeit der alten chinesischen Zivilisation. Bedauerlicherweise
lassen sie sich nicht genau datieren.
Für die Zivilisationen im alten Griechenland
und in Ägypten erzielten westliche Wissenschaftler nach
100-jähriger harter Arbeit bemerkenswerte Ergebnisse. Das
Alter der alten Kulturen in Ägypten wird mit über 6000
Jahre angegeben.
Was ist nun mit der chinesischen Geschichte?
Die früheste exakte Datierung für das chinesische Altertum ist
das Jahr 841 v. u. Z. Daher hat das Periodisierungsprojekt der
Xia-, der Shang- und der Zhou-Dynastie zum Ziel, für diese historischen
Zeitabschnitte eine chronologische Tabelle auf wissenschaftlicher
Basis aufzustellen und somit eine solide Grundlage für die Erforschung
des Ursprungs und der Entwicklung der altchinesischen Zivilisation
zu schaffen.
Eine Gruppe von Wissenschaftlern hat vor kurzem
unter Leitung von Li einen vorläufigen Bericht verfasst,
der die Amtszeiten der Könige der Westlichen Zhou-Dynastie
anordnet. Die Diskussion zu diesem Bericht fängt im In-
und Ausland erst an. Die im Dorf Yangjia ausgegrabenen Bronzegegenstände
werden das Ergebnis des Berichts verifizieren.
In all diesen 27 Bronzegegenständen sind
Inschriften zu lesen. Eine Bronzeschale enthält sogar mehr
als 350 chinesische Schriftzeichen. Damit hat die Schale die
längste Inschrift aller seit 1949 ausgegrabenen Bronzen.
Außerdem haben weitere 12 Bronzegegenstände Inschriften
durchschnittlich etwa als 300 chinesischen Schriftzeichen, die
bis auf den letzten alle 11 Könige der Westlichen Zhou-Dynastie
erwähnen und verschiedene Angaben zu diesem Geschichtsabschnitt
machen. Die Inschriften sind nach Lis Meinung inhaltlich reichhaltig.
Die Inschriften in zwei Bronzegegenständen
halten deutlich die Jahre, Monate, Tage und Mondphasen sowie
die Gussjahre fest. Im alten China wurde zum Datieren eines
Bronzegegenstands nur das Regierungsjahr eines bestimmten Königs
angegeben, ohne seinen Namen zu nennen. Aber die Form, die Verzierungen
und der Stil der Schriftzeichen können als Maßstab
zur Identifizierung des Gussjahres dienen.
Wem gehörten die Bronzegegenstände?
Im alten China herrschte eine strenge Ständeordnung.
Viele Historiker und Ritenforscher sind der Meinung, dass nur
die Zhou-Könige Kochgefäße (Ding) mit
neun Beinen und Speisebehälter (Gui) mit acht Henkeln
verwenden durften. Für die Lehensfürsten waren Kochgefäße
mit sieben Beinen und Speisebehälter mit sechs Henkeln
bestimmt, und so weiter die Hierarchiestufen hinunter. Ungewöhnlich
ist, dass es unter diesen Ausgrabungsgegenständen nur Ding
gibt, insgesamt 12. Davon haben 10 Ding die gleiche Form
und sind gleich verziert. Sie unterscheiden sich lediglich in
der Größe. Das größte ist 58 cm hoch mit
einem Durchmesser von 45 cm. Der Besitzer dieser Ding
war ein Adliger der Westlichen Zhou-Dynastie. Die Frage ist:
Warum besaß er so viele Ding?
In historischen Aufzeichnungen aus dem chinesischen
Altertum wird die Familie Shan erwähnt. Laut Li Xueqin
gehörte sie zu den wichtigsten Adelsgeschlechtern der Westlichen
Zhou-Dynastie. Aber der Ursprung des Familiennamens blieb tausende
Jahre lang ein Rätsel. In Akademikerkreisen war man lange
Zeit der Meinung, dass Shan Zhen, der jüngste Sohn des Zhou-Königs
Cheng, der Ahnherr der Familie wäre. Doch diese Annahme
hat sich als falsch erwiesen. In einer der neu ausgegrabenen
Bronzeschalen ist zu lesen, dass der erste geadelte Shan ein
hoher Beamter unter den Königen Wen und Wu der Westlichen
Zhou-Dynastie war.
Könnte es dann sein, dass es zwei
Familien Shan gibt?
Nach den Inschriften gehörte der Besitzer
der Bronzegegenstände zur achten Generation der Familie
Shan. Er war zuerst ein Forstbeamter, wurde später aber
Offizier und vom Zhou-König Xuan belehnt. In den Inschriften
sind die Errungenschaften des Herrscherhauses von König
Wen bis König Xiao sowie die Belehnungen und Belohnungen
der Familie Shan dokumentiert.
Bereits in den früher im Dorf Yangjia ausgegrabenen
Bronzenwaren fand man Aufzeichnungen über die Familie Shan.
Experten nehmen an, dass die Lehen der Familie Shan das Dorf
Yangjia zum Zentrum hatten. Wenn vor 3000 Jahren so eine einflussreiche
Familie in dieser Gegend lebte, wo sind dann ihre Höfe
und Friedhöfe geblieben? Könnte es noch weitere, bisher
unentdeckte Bronzegegenstände geben? Archäologen werden
das Dorf systematisch untersuchen und Ausgrabungen vornehmen.
Mit weiteren Funden wird sich der verbliebene Nebel über der
Geschichte der Westlichen Zhou-Dynastie lichten.
Warum waren die Bronzegegenstände
in einer Kammer versteckt?
Wohin man in der Stadt Baoji, Provinz Shaanxi,
auch blickt, man sieht heute nur eintönigen Lößboden.
Vor 3000 Jahren standen hier noch das Landgut und der Jagdpark
der Adligen, wo es lebhaft zu und her ging. Die fein verzierten
Bronzegegenstände mit den herrlichen Formen waren ein Zeichen
der Adligen und stellten den Höhepunkt der Metallkunst
dar. Mit dem Vordringen der Barbaren flohen die Adligen am Ende
der Westlichen Zhou-Dynastie in alle Richtungen und der Zhou-König
verlegte notgedrungen seinen Sitz in eine weiter östlich
gelegene Stadt. Vermutlich wurden die Bronzegegenstände,
die die Adligen auf ihrer Flucht nicht mitnehmen konnten, vorübergehend
in Kammern versteckt. Aber ihre Besitzer konnten nie zurückkehren,
und so blieben die Bronzegegenstände 3000 Jahre lang unter
der Erde versteckt.
Es wurden schon viele Bronzegegenstände
gefunden, die in Kammern versteckt waren. Doch dieser Fund war
ganz anders. Die Kammer in Yangjia ist ein höhlenartiges
Versteck. Früher entdeckten Kammern merkte man sofort an, dass
sie in Eile ausgegraben worden waren, denn die Bronzegegenstände
lagen unordentlich durcheinander. Diesmal wurde zuerst eine
Grube ausgehoben und daneben eine Höhle angelegt. Es gibt
sogar zwei aus Erde gestampfte Stufen und Spuren von Holzpfeilern.
Die Bronzegegenstände lagen schön geordnet im Innern.
Das sind Beweise dafür, dass der Keller planmäßig
gebaut wurde. Wenn dem wirklich so sein sollte, worin liegt
denn der Grund dafür?
Auf den Wänden der Kammer sind Brandspuren
erkennbar. Bei der Ausgrabung wurde auch verbrannte Erde entdeckt.
Das lässt vermuten, dass die Kammer einst in Brand gesteckt
wurde. Aber warum?
Um die 27 Bronzegegenstände ranken sich
noch viele Rätsel. Weitere Forschungsarbeit wird nötig
sein, um sie zu lüften.