Mai 2003
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Tourismus

China wie auf alten Tuschebildern
Die Guangdong-Küche
Der Potala
China wie auf alten Tuschebildern

Dr. Rolf Zimmermann

Haben Sie eine Vorstellung von einer „typisch chinesischen Landschaft“?

Wenn man den Malern chinesischer Rollbilder glauben darf, dann ist das die Gegend um Guilin mit ihren zuckerhutförmigen grünüberzogenen Karstbergen. Und den schönsten Eindruck davon hat man bei einer Fahrt mit einem kleinen Boot oder einem etwas größeren Schiff auf dem Li-Fluss.

Für Chinesen „übertreffen Guilins Berge und Flüsse alle anderen Schönheiten der Welt“, und die runden Karsthügel gelten in blumenreicher Sprache als „schön wie Lotusblüten“ oder wie „jadegleiche Bambussprossen“. Daher überrascht es nicht, dass Guilin für Chinesen das Reiseziel Nummer eins ist und dass auch die meisten ausländischen Touristen auf ihren China-Rundreisen in Guilin Station machen. Insgesamt zählten die Schiffe und Boote im Jahr 2002 über acht Millionen Fahrgäste. (Zum Vergleich: das Schloss Neuschwanstein oder die Insel Mainau hatten jeweils etwas mehr als eine Million Besucher.)

Schon der Flug nach Guilin ist eine Sehenswürdigkeit. Vor der Landung schweben wir über breite Reisterrassen in allen Grüntönen. Dazwischen verlaufen moderne Autobahnen, und man sieht die Großbaustellen weiterer Straßen, denn nicht alle Touristen kommen mit dem Flugzeug. Vor dem Flugha­fen­gebäude leuchten uns Palmen mit roten und gelben Wedeln entgegen, sie sind aus Metall.

Heute ist es für eine Boots­fahrt auf dem Li-Fluss zu spät, denn die Schiffe starten nur morgens zwi­schen 9 und 10 Uhr. So besuchen wir zuerst eine der anderen Sehenswürdigkeiten von Gui­­lin, die Schilfrohr­flöten-Höhle. Vorbei an zig Kiosken und Postkarten­verkäufern ge­­langen wir zum Eingang der Höhle, wo früher einmal Schilfrohr wuchs, aus dem man Flöten herstellte. Die Höhle selbst diente für viele Jahrhunderte der einhei­mi­schen Bevölkerung als Fluchtburg in Kriegs­zeiten. Heute führen gepflasterte Wege und Treppen hindurch, und die prächtigen Stalagmiten und Stalaktiten sind in allen Regenbogenfarben angestrahlt.

Je nach ihrer Form haben sie malerische Namen wie „Ge­müsegarten“, „Drachen­pa­­gode“, „Moskitonetz“, „Was­­serfall“, „Löwenkopf“ usw. Der größte Raum in der weit verzweigten Höhle ist der „Kristallpalast“, in den über tausend Personen pas­sen. An einem Ende verjüngt er sich zum „Drachenpalast“, der sich in einem kleinen Teich spiegelt. Für uns West­ler hat der Drachen­palast allerdings mehr Ähn­lichkeit mit der Wolkenkrat­zer-Silhouette einer Großstadt.

Auch Guilin ist heute nicht mehr das verschlafene Nest aus der Beschreibung vieler Reiseführer, sondern eine moderne Großstadt mit mehr als einer Million Ein­wohnern. Und durch den Tou­rismus ist Guilin keine arme Stadt. Alle Sehens­wür­digkeiten werden gut vermarktet und für fast je­den Park und jedes Stück Land­schaft muss man sepa­raten Eintritt bezahlen.

Das Wahrzeichen von Guilin ist der Elefantenrüssel-Berg. Er ähnelt dem Kopf eines Ele­fanten, der seinen Rüssel tief in den Li-Fluss eintaucht. In ei­nem flachen Seitenarm des Flusses kann man sich auf kleinen Booten umherfahren lassen und dabei den Fischern auf ihren Bambus­flößen zusehen.

Am nächsten Morgen reiht sich unser Bus in die Kolonne der anderen Busse ein und bringt uns zu einer der beiden Anlegestellen. Denn jetzt im Herbst ist der Wasserstand des Li-Flusses innerhalb der Stadt für die Ausflugsschiffe zu niedrig. So fahren wir bei schönem Wetter knapp 30 Kilometer flussabwärts nach Zhujiang. Dort ist der Einstiegsplatz für ausländische Touristen mit entsprechend höheren Fahrpreisen. Bis zur Endstation in Yangshuo werden wir fast sechzig Kilometer zurücklegen und über vier Stunden unterwegs sein. Bei höherem Wasserpegel kann man bereits im Stadtgebiet starten und ist dann etwa sechs Stunden unterwegs.

„Das Boot gleitet zwischen Bambushainen dahin, über­holt manchmal einen Kor­mo­ranfischer und versetzt den Besucher in ein China, in dem die Zeit stehen ge­blieben ist.“ So steht es in einem zwanzig Jahre alten Reiseführer, und so habe ich den Li-Fluss damals auch erlebt, aller­dings bei schlechtem Wet­ter. Es gab zu dieser Zeit nur wenige Schiffe und kaum westliche Touristen.

Inzwischen hat sich die Einwohnerzahl von Guilin mehr als verdoppelt. Und um jährlich acht Millionen Touristen den Li-Fluss erleben zu las­sen, hat man nun 260 Schiffe und 600 Zubringerbusse.

Heu­­te an einem schö­nen Herbsttag mit erwarteten Tem­pe­­raturen von fast drei­ßig Grad sind wohl auch alle unter­wegs. Wie in einer LKW-Kolonne auf der Autobahn fahren die Boote dicht hintereinander flussabwärts. Bei dem niedrigen Wasserstand ist die Fahrrinne sehr schmal, und Gegenverkehr wäre nicht möglich. Deswegen fahren alle Boote zu dieser Tageszeit mit Touristen beladen den Fluss hinunter und erst am Nachmittag gegen die Strömung leer zurück.

Der Fluss windet sich durch die Karsthügel, und nach je­der Biegung ändert sich die Landschaft. Fast alle Mit­rei­senden sind auf dem Ober­deck im Freien und be­wun­dern die Szenerie. Über­all laufen Videokameras und es werden mehr Fotos gemacht als an anderen Tagen einer China-Rund­reise. Die nahen Berge sind klar, die in größerer Ent­fernung ver­schwim­men im Dunst. Aber das ist nun ein­mal so an ei­nem warmen Tag über einer Fluss­landschaft.

Auf unserem Schiff sind Touristen zahlreicher Nationen. Man kann daher Rufe des Erstaunens in unterschiedlichen Sprachen hören und die Worte von Reiseleitern, die die Namen einzelner Berge er­läutern. Wir kommen am „Fledermausberg“ vorbei, wo man mit viel gutem Willen auf einer glatten Felswand die Umrisse von zwei fliegenden Fledermäusen erkennen kann. Der Wangfu-Felsen gleicht einer Frau, die ihr Baby auf dem Arm trägt, und dazu gibt es auch eine passende Geschichte. Gegenüber der Mündung eines kleinen Nebenflusses sieht man den Eingang zur „Kronenhöhle“. Dann folgt eine ge­waltige Felswand mit dem „Neun-Pferde-Gemäl­de“, wo wir große Schwierigkeiten haben, die Pferde zu er­kennen. Einfacher ist es, den Namen für den „Fünf-­Finger-Berg“ zu verstehen.

Inzwischen wurde auf offener Flamme auf dem Heck un­seres Schiffes gekocht und ge­braten, denn bald ist Mit­tagszeit. Es gibt die „Vier Köst­­lichkeiten des Li-Flus­ses“, nämlich Gerichte mit Fisch, Shrimps, Krebsen und Gans. Dazu natürlich Reis und grünen Tee. Bei uns ist im Pauschalpreis noch ein Glas Bier eingeschlossen, und gegen separate Bezah­lung kann man auch Reis­schnaps mit in der Flasche eingelegter Schlange probie­ren. Ein solches Mittagessen kostet (ohne den teuren Schlangenschnaps) etwa zwei Euro, das ist für uns billig.

Weiter flussabwärts öffnet sich die Landschaft. Einfache Bau­ern­häuser stehen am Ufer und Wasserbüffel baden im Fluss. An einigen Stellen wird auch gefischt. Die Fischer sitzen mit Angeln auf ihren Bambus­flö­ßen. Diese sind ganz flach, nur ihre Enden sind hoch­ge­bogen, damit nicht jede kleine Welle überschwappt. Manche haben auch ihren Kormoran dabei. Mit denen wird aller­dings meist nur nachts gefischt.

Die Kormorane werden als Jungvögel gezähmt und zum Fischfang mitgenommen. Dabei wird ihnen mit einer Schnur der Hals so verengt, dass sie keine größeren Fische schlucken können. Wenn der Kormoran einen großen Fisch fängt, zieht ihn der Fischer an der Schnur zurück zum Floß und nimmt den Fisch aus dem Schnabel. Nach mehreren zum Floß gebrachten großen Fischen bekommt der Kormoran ein paar Fischstücke zur Belohnung, klein genug, so dass er sie schlucken kann. So wird dem Vogel beigebracht, seinem Herrn große Fische abzuliefern, und das macht er dann bis zu fünfzehn Jahre lang.

Am frühen Nachmittag erreichen wir die Anlegestelle in Yangshuo. Dieser Ort hat sich von einem verschlafenen Dorf zu einer netten Touristenstadt entwickelt. Klei­ne luftige Elektrobusse bringen uns durch die modernen Einkaufsstraßen zum Parkplatz unseres großen Busses. Entlang zahlreicher Reisfelder fahren wir zurück nach Guilin. Natürlich gibt es unterwegs noch ein paar Stopps, um den Reisbauern bei der Ernte zuzusehen und Fotos von Reisfeldern und den be­rühmten asiatischen „BMW“ zu machen, den „Bauern mit Wasserbüffel“.

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