Beethoven
und China
Von Liao Naixiong
Kein
Musiker aus dem Abendland genießt so hohe Verehrung
in China wie Ludwig van Beethoven. Diese hohe Verehrung, die
sich früh zeigte und weit ausdehnte, ist unvergleichlich.
In den zwanziger Jahren erlebte die „Pastorale“ ihre glanzvolle
erste Aufführung in Beijing, und zwar von einem kleineren
chinesischen Orchester von Format vorgetragen. Es handelte
sich um das Orchester des Instituts für Musikerziehung an
der Beijing-Universität (Peking-Universität), in
dem auch die später berühmt gewordenen Komponisten Xiao
Yumei und Xie Xinghai als Violinisten mitwirkten. Die erste
chinesische Übersetzung der Beethoven-Biographie von
Romain Rolland erblickte auch in den zwanziger Jahren das
Licht der Welt. Damals wurden in China die Broschüren über
Beethoven und seine „Mondschein“-Sonate, über die „Eroica“
und andere Sinfonien des Meisters viel gelesen Durch die Abhandlungen
des erfolgreichen Musikwissenschaftlers Wang Guangqi, der
sich lange Jahre in Deutschland fachlich weiterbildete, machten
die Chinesen mit Beethoven nähere Bekanntschaft. Mit
einem farbigen Portrait Beethovens als Titelblatt wurde die
Zeitschrift Nr. 1 des Shanghaier Konservatoriums, des ersten
Konservatoriums in China, im Jahre 1930 herausgegeben. Dies
alles geschah in China vor mehr als einem halben Jahrhundert,
als die europäische eben hier ihren Eingang gefunden
hatte.
Nach
der Befreiung 1949 nahm die Beethoven-Pflege bei uns einen
neuen Aufschwung. Im Musikleben des Neuen China spielte Beethoven
eine bedeutende Rolle. Unter seinem Einfluss wurde die Sinfonie
dem chinesischen Volk vorgestellt und in China verbreitet.
Die chinesischen Musiker begannen eigene Sinfonien zu komponieren.
Im Jahr 1959 hatten das Chinesische Zentrale Philharmonische
Orchester und das Chinesische Zentral-Rundfunk-Orchester gemeinsam
zum ersten Mal „Die 9. Sinfonie“ von Beethoven, die als ein
unvergängliches Meisterwerk den Höhepunkt der europäischen
klassischen Musik kennzeichnet, aufgeführt. Die Musiker, die
an dieser Aufführung teilgenommen hatten, waren damals durchschnittlich
nur 24 Jahre alt. In der Information der Xinhua-Nachrichtenagentur
hieß es: Die Beijinger Musik-Kreise meinten, „da sei
eine Feier für die chinesischen Musiker gewesen, die weltberühmte
9. Sinfonie in Beijing aufzuführen.“ Die weitreichende Bekanntschaft
und das tiefe Beliebsein Beethovens sind kein Zufall. Es lässt
darauf schließen, dass der Geist von Beethoven und seiner
Musik im Herzen breiter Schichten des chinesischen Volkes
starken Widerhall gefunden hat. Seit der Bewegung des 4. Mai
1919 befand sich das chinesische Volk im hartnäckigen
Kampf gegen alle reaktionären Mächte. „Eclat triomphal“,
wie der Komponist der französischen Revolution Gossec
die Begeisterung des die Bastille stürmenden französischen
Volkes nannte, lodert auch im Geist und in der Musik Beethovens
auf und flößt dem chinesischen Volk immer wieder
Mut sowie Trost ein. Kampfwille und Siegesgewissheit sind
die Grundelemente des Lebenswerkes von Beethoven. Die gesellschaftlichen
Fesseln, die Unterdrückung durch reaktionäre Herrschaft
und die Aggression der fremden Mächte waren Beethoven
in der Seele zuwider. Seiner Musik wohnen jene Kräfte
inne, um im Geist alle diese Fesseln zu bezwingen. Gerade
dadurch haben die Chinesen ein fühlendes Herz für Beethovens
Musik und verehren ihn an der Spitze der abendländischen
Komponisten. Dem chinesischen Volk bereitet die Tonkunst Beethovens
tiefe Begeisterung, unendliche Freude und einen hohen Genuss
der Schönheit seiner Klangwelt.
Eben aus diesen Gründen wurde Beethoven
von der Viererbande als ein Beispielgebender heftig angegriffen.
Von Anbeginn der Kulturrevolution an verbot sie unter der
radikalsten „linken“ Losung alle ausländische klassische
Musik. Sie versuchte, mit den historischen Traditionen der
menschlichen Kultur zu brechen und alle kulturellen Errungenschaften
der Vergangenheit zu leugnen. Die Musik Beethovens musste
natürlich ausnahmslos darunter leiden. So verlor sich Beethovens
Name langjährig im öffentlichen Leben Chinas. Fremd
wurde er vielen jungen Chinesen, aber in Wirklichkeit ist
er noch von Millionen tief im Herzen bewahrt worden. Die Töne
konnte man verbieten, aber Beethovens Geist glühte und strahlte
auch ohne hörbare Musik weiter fort. Im Jahre 1973 organisierte
die Viererbande eine sogenannte Kritikwelle an der non-programmatischen
Musik des Westens. Eigenwillig, anti-historisch und grob wie
nie wurde Beethovens Werk und Person verfälscht und geächtet.
Die Viererbande verweigerte, den Hinweis des Ministerpräsidenten
Zhou Enlai zu befolgen, nach dem Beethovens „Schicksals“-Sinfonie
vor dem damaligen Bundespräsidenten der Bundesrepublik
Deutschland Walter Scheel währende seines Besuches in
China aufgeführt werden sollte. Um eine Attacke gegen den
Ministerpräsidenten Zhou Enlai zu reiten, übte sie vorsätzlich
nörgelnde Kritik an dieser „Schicksal“-Sinfonie als Ausdruck
des Fatalismus - welch krasse Unkenntnis, welch listiger Streich!
Mit dem Sturz der Viererbande wurde auch
Beethoven bei uns wieder rehabilitiert. Seine Werke stehen
von neuem in den chinesischen Konzertprogrammen, auch denen
des Rundfunks. Die Partituren der Sinfonien, Ouvertüren und
eine neue Ausgabe der Klaviersonaten Beethovens werden wieder
herausgegeben. Eine Sondernummer von Übersetzungen über
Beethoven wird neu verlegt, darin befinden sich viele neue
Aufsätze. In der Zeitschrift „Die Musik des Volks“ kann
man heute wissenschaftliche Abhandlungen über Beethoven, seine
Klavierwerke und die Neunte Sinfonie u.a. lesen. Das alles
war vor einigen Jahren undenkbar, denn damals wurde jede fachliche
und sachliche Bewertung von Beethoven und irgend einem bedeutenden
abendländischen Komponisten als Ausdruck des „Auslandskultes“
und als Tat „Volksvergiftung“ betrachtet, bemängelt und
kritisiert. Jetzt werden Beethovens Sinfonien Nr. 3, 5, 6,
7 und viele andere Werke bei uns oft von chinesischen oder
ausländischen Orchestern interpretiert und haben stets
stürmischen Beifall geerntet. So hat in Beijing das Berliner
Philharmonische Orchester unter Herbert von Karajan dem berühmten
Dirigenten der Bundesrepublik Deutschland, Anfang November
1979 Beethovens Symphonien Nr. 4 und Nr. 7, zusammen mit dem
chinesischen Zentralen Philharmonischen Orchester, glanzvoll
aufgeführt. Ferner wurde im Beijinger Musikherbst 1978 unter
Leitung des ebenfalls weltbekannten japanischen Dirigenten
Ozawa, ein Bewunderer Karajans, Beethovens „Neunte“ vor Tausenden
begeisterter Zuhörer wieder aufgeführt. Heute ist Beethovens
Name auch der jungen Generation Chinas nicht mehr fremd. Beethovens
Werke werden wieder als unerlässlicher Lehrstoff in den
Konservatorien durchgenommen. Von vielen Werken Beethovens
werden neue Ausgaben herausgebracht. In chinesischen Zeitungen
werden Berichte über Beethovens Person und seine Werke veröffentlicht.
Schon im Jahre 1959 wurde die neunte Sinfonie Beethovens,
der Gipfel seines Lebenswerkes, zum ersten Mal in China aufgeführt.
In neuer Pracht wird Beethoven geehrt und geliebt. Die chinesische
Kulturrevolution von mehr als fünftausend Jahren bewährt
sich auch im chinesischen Volk von heute. Es ist seine heilige
Pflicht, diese seine eigenen Kultur zu pflegen und fortzusetzen,
aber auch das Kulturerbe anderer Nationen hoch zu schätzen.
Um unsere neue Nationale Musik zu schaffen, müssen wir auch
viel von der ausländischen Musik lernen. Die Symphonik
und Dramatik der Tonkunst Beethovens, die Dialektik und Logik
seiner Tonsprache, die Welt seines Ausdrucks und das Meer
seiner Harmonie sind auch für uns aufschlussreich.
„Unzählige welke Blätter fallen
ab, aber unendlich reihen sich Welle an Welle im Changjiang-Fluss
(Yangtse)“. Mit diesem Zweizeiler charakterisierte der große
Dichter Du Fu aus der Tang-Dynastie das Gesetz vom Lauf der
Dinge. Alle überlebten Mächte welken ab, aber Fortschritt,
heroischer Humanismus und Zivilisation der Menschheit bleiben.
Die Kunst Beethovens gehört nicht nur den Deutschen,
sondern der Menschheit, der ganzen Welt. Der brausende Strom
seiner Töne gleicht eben dem Changjiang-Fluss. Unerschöpflich
fließt und strahlt er aus wie die Freude und Freundschaft,
die in der neunten Sinfonie besungen werden. Nicht nur Feuer
schlägt Beethovens Musik aus dem Geist der Menschen,
sondern auch eine goldene Brücke der ewigen Freundschaft zwischen
dem chinesischen und dem deutschen Volk.
(Aus „China im Aufbau“, Nr.
1, 1980)