Februar 2003
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Kultur und Kunst

Tänze aus der Tang-Dynastie
Liu Hongkuan und sein Bild „Über das Leben auf der Achse des alten Beijing“
Beethoven und China
Miniaturgarten- und Topfpflanzenkultur in China
Wandmalereien aus der Tang-Dynastie

Beethoven und China

Von Liao Naixiong

Kein Musiker aus dem Abendland genießt so hohe Verehrung in China wie Ludwig van Beethoven. Diese hohe Verehrung, die sich früh zeigte und weit ausdehnte, ist unvergleichlich. In den zwanziger Jahren erlebte die „Pastorale“ ihre glanzvolle erste Aufführung in Beijing, und zwar von einem kleineren chinesischen Orchester von Format vorgetragen. Es handelte sich um das Orchester des Instituts für Musikerziehung an der Beijing-Universität (Peking-Universität), in dem auch die später berühmt gewordenen Komponisten Xiao Yumei und Xie Xinghai als Violinisten mitwirkten. Die erste chinesische Übersetzung der Beethoven-Biographie von Romain Rolland erblickte auch in den zwanziger Jahren das Licht der Welt. Damals wurden in China die Broschüren über Beethoven und seine „Mondschein“-Sonate, über die „Eroica“ und andere Sinfonien des Meisters viel gelesen Durch die Abhandlungen des erfolgreichen Musikwissenschaftlers Wang Guangqi, der sich lange Jahre in Deutschland fachlich weiterbildete, machten die Chinesen mit Beethoven nähere Bekanntschaft. Mit einem farbigen Portrait Beethovens als Titelblatt wurde die Zeitschrift Nr. 1 des Shanghaier Konservatoriums, des ersten Konservatoriums in China, im Jahre 1930 herausgegeben. Dies alles geschah in China vor mehr als einem halben Jahrhundert, als die europäische eben hier ihren Eingang gefunden hatte.

Nach der Befreiung 1949 nahm die Beethoven-Pflege bei uns einen neuen Aufschwung. Im Musikleben des Neuen China spielte Beethoven eine bedeutende Rolle. Unter seinem Einfluss wurde die Sinfonie dem chinesischen Volk vorgestellt und in China verbreitet. Die chinesischen Musiker begannen eigene Sinfonien zu komponieren. Im Jahr 1959 hatten das Chinesische Zentrale Philharmonische Orchester und das Chinesische Zentral-Rundfunk-Orchester gemeinsam zum ersten Mal „Die 9. Sinfonie“ von Beethoven, die als ein unvergängliches Meisterwerk den Höhepunkt der europäischen klassischen Musik kennzeichnet, aufgeführt. Die Musiker, die an dieser Aufführung teilgenommen hatten, waren damals durchschnittlich nur 24 Jahre alt. In der Information der Xinhua-Nachrichtenagentur hieß es: Die Beijinger Musik-Kreise meinten, „da sei eine Feier für die chinesischen Musiker gewesen, die weltberühmte 9. Sinfonie in Beijing aufzuführen.“ Die weitreichende Bekanntschaft und das tiefe Beliebsein Beethovens sind kein Zufall. Es lässt darauf schließen, dass der Geist von Beethoven und seiner Musik im Herzen breiter Schichten des chinesischen Volkes starken Widerhall gefunden hat. Seit der Bewegung des 4. Mai 1919 befand sich das chinesische Volk im hartnäckigen Kampf gegen alle reaktionären Mächte. „Eclat triomphal“, wie der Komponist der französischen Revolution Gossec die Begeisterung des die Bastille stürmenden französischen Volkes nannte, lodert auch im Geist und in der Musik Beethovens auf und flößt dem chinesischen Volk immer wieder Mut sowie Trost ein. Kampfwille und Siegesgewissheit sind die Grundelemente des Lebenswerkes von Beethoven. Die gesellschaftlichen Fesseln, die Unterdrückung durch reaktionäre Herrschaft und die Aggression der fremden Mächte waren Beethoven in der Seele zuwider. Seiner Musik wohnen jene Kräfte inne, um im Geist alle diese Fesseln zu bezwingen. Gerade dadurch haben die Chinesen ein fühlendes Herz für Beethovens Musik und verehren ihn an der Spitze der abendländischen Komponisten. Dem chinesischen Volk bereitet die Tonkunst Beethovens tiefe Begeisterung, unendliche Freude und einen hohen Genuss der Schönheit seiner Klangwelt.

Eben aus diesen Gründen wurde Beethoven von der Viererbande als ein Beispielgebender heftig angegriffen. Von Anbeginn der Kulturrevolution an verbot sie unter der radikalsten „linken“ Losung alle ausländische klassische Musik. Sie versuchte, mit den historischen Traditionen der menschlichen Kultur zu brechen und alle kulturellen Errungenschaften der Vergangenheit zu leugnen. Die Musik Beethovens musste natürlich ausnahmslos darunter leiden. So verlor sich Beethovens Name langjährig im öffentlichen Leben Chinas. Fremd wurde er vielen jungen Chinesen, aber in Wirklichkeit ist er noch von Millionen tief im Herzen bewahrt worden. Die Töne konnte man verbieten, aber Beethovens Geist glühte und strahlte auch ohne hörbare Musik weiter fort. Im Jahre 1973 organisierte die Viererbande eine sogenannte Kritikwelle an der non-programmatischen Musik des Westens. Eigenwillig, anti-historisch und grob wie nie wurde Beethovens Werk und Person verfälscht und geächtet. Die Viererbande verweigerte, den Hinweis des Ministerpräsidenten Zhou Enlai zu befolgen, nach dem Beethovens „Schicksals“-Sinfonie vor dem damaligen Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland Walter Scheel währende seines Besuches in China aufgeführt werden sollte. Um eine Attacke gegen den Ministerpräsidenten Zhou Enlai zu reiten, übte sie vorsätzlich nörgelnde Kritik an dieser „Schicksal“-Sinfonie als Ausdruck des Fatalismus - welch krasse Unkenntnis, welch listiger Streich!

Mit dem Sturz der Viererbande wurde auch Beethoven bei uns wieder rehabilitiert. Seine Werke stehen von neuem in den chinesischen Konzertprogrammen, auch denen des Rundfunks. Die Partituren der Sinfonien, Ouvertüren und eine neue Ausgabe der Klaviersonaten Beethovens werden wieder herausgegeben. Eine Sondernummer von Übersetzungen über Beethoven wird neu verlegt, darin befinden sich viele neue Aufsätze. In der Zeitschrift „Die Musik des Volks“ kann man heute wissenschaftliche Abhandlungen über Beethoven, seine Klavierwerke und die Neunte Sinfonie u.a. lesen. Das alles war vor einigen Jahren undenkbar, denn damals wurde jede fachliche und sachliche Bewertung von Beethoven und irgend einem bedeutenden abendländischen Komponisten als Ausdruck des „Auslandskultes“ und als Tat „Volksvergiftung“ betrachtet, bemängelt und kritisiert. Jetzt werden Beethovens Sinfonien Nr. 3, 5, 6, 7 und viele andere Werke bei uns oft von chinesischen oder ausländischen Orchestern interpretiert und haben stets stürmischen Beifall geerntet. So hat in Beijing das Berliner Philharmonische Orchester unter Herbert von Karajan dem berühmten Dirigenten der Bundesrepublik Deutschland, Anfang November 1979 Beethovens Symphonien Nr. 4 und Nr. 7, zusammen mit dem chinesischen Zentralen Philharmonischen Orchester, glanzvoll aufgeführt. Ferner wurde im Beijinger Musikherbst 1978 unter Leitung des ebenfalls weltbekannten japanischen Dirigenten Ozawa, ein Bewunderer Karajans, Beethovens „Neunte“ vor Tausenden begeisterter Zuhörer wieder aufgeführt. Heute ist Beethovens Name auch der jungen Generation Chinas nicht mehr fremd. Beethovens Werke werden wieder als unerlässlicher Lehrstoff in den Konservatorien durchgenommen. Von vielen Werken Beethovens werden neue Ausgaben herausgebracht. In chinesischen Zeitungen werden Berichte über Beethovens Person und seine Werke veröffentlicht. Schon im Jahre 1959 wurde die neunte Sinfonie Beethovens, der Gipfel seines Lebenswerkes, zum ersten Mal in China aufgeführt. In neuer Pracht wird Beethoven geehrt und geliebt. Die chinesische Kulturrevolution von mehr als fünftausend Jahren bewährt sich auch im chinesischen Volk von heute. Es ist seine heilige Pflicht, diese seine eigenen Kultur zu pflegen und fortzusetzen, aber auch das Kulturerbe anderer Nationen hoch zu schätzen. Um unsere neue Nationale Musik zu schaffen, müssen wir auch viel von der ausländischen Musik lernen. Die Symphonik und Dramatik der Tonkunst Beethovens, die Dialektik und Logik seiner Tonsprache, die Welt seines Ausdrucks und das Meer seiner Harmonie sind auch für uns aufschlussreich.

„Unzählige welke Blätter fallen ab, aber unendlich reihen sich Welle an Welle im Changjiang-Fluss (Yangtse)“. Mit diesem Zweizeiler charakterisierte der große Dichter Du Fu aus der Tang-Dynastie das Gesetz vom Lauf der Dinge. Alle überlebten Mächte welken ab, aber Fortschritt, heroischer Humanismus und Zivilisation der Menschheit bleiben. Die Kunst Beethovens gehört nicht nur den Deutschen, sondern der Menschheit, der ganzen Welt. Der brausende Strom seiner Töne gleicht eben dem Changjiang-Fluss. Unerschöpflich fließt und strahlt er aus wie die Freude und Freundschaft, die in der neunten Sinfonie besungen werden. Nicht nur Feuer schlägt Beethovens Musik aus dem Geist der Menschen, sondern auch eine goldene Brücke der ewigen Freundschaft zwischen dem chinesischen und dem deutschen Volk.

(Aus „China im Aufbau“, Nr. 1, 1980)

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