Rückblick
auf die Entwicklung der chinesischen Privatwirtschaft in den
letzten 20 Jahren
Von Wu
Yan



Die Entwicklung der Privatwirtschaft ist ein
wichtiger Aspekt der chinesischen Wirtschaftsreform und hat
in den vergangenen 20 Jahren die chinesische Wirtschaft und
Gesellschaft verändert. Dennoch sind die Privatbetriebe
den anderen Wirtschaftsformen im Wettbewerb noch immer nicht
gleichgestellt, obwohl ihre Stellung seit 1982 durch drei Verfassungsrevisionen
erheblich verbessert wurde. Die Privatwirtschaft birgt Probleme
in sich, die ihre Entwicklung behindern. Nach Chinas Beitritt
zur WTO ist das Eis für die Entwicklung der Privatwirtschaft
gebrochen, in China gibt es nahezu unbegrenzte Arbeitskraftressourcen
und ausreichend Kapital. Dies macht deutlich, dass die Privatwirtschaft
große Entwicklungschancen hat.
Die Entwicklung der Privatwirtschaft und
ihre Schwierigkeiten
Nach
der Kulturrevolution (1966 – 1976) entstanden Privatbetriebe
zuerst auf dem Land, und zwar als Folge einer großen Anzahl
von Arbeitslosen und mangelhafter Versorgung. Die Einführung
des Systems der vertragsverbundenen Verantwortlichkeit auf der
Basis der Haushalte führte zur Zunahme der Spareinlagen auf
dem Land. Dieses Geld floss in nicht-landwirtschaftliche Produktionsbetriebe,
welche die erste Komponente der Privatwirtschaft bildeten. Diese
expandierten später in die Städte, wo sie Druck auf
die staatlichen Unternehmen ausübten und günstige Bedingungen
für die Reformen schufen. Anfang der 80er Jahre wurden die politischen
Rahmenbedingungen im Zusammenhang mit der Wirtschaftsreform
lockerer, was sich güngstig auf die Entwicklung der Privatwirtschaft
auswirkte. Bis 1999 wurden mindestens 13% des Bruttoinlandsprodukts
(BIP) durch die Privatwirtschaft erwirtschaftet, in der 83 Mio.
Menschen beschäftigt waren. Damit wurde die Privatwirtschaft
nach der Landwirtschaft zum Wirtschaftssektor mit den zweitmeisten
Beschäftigten. Das Bruttosozialprodukt der Privatwirtschaft
(Privathändler und Privatbetriebe) stieg von 137,8 Mrd.
Yuan im Jahr 1989 auf 1,6083 Billionen Yuan im Jahr 1999, inflationsbereinigt
betrug die jährliche Wachstumsrate somit 28%. Aus Statistiken
geht überdies hervor, dass die Entwicklung der Privatwirtschaft
in engem Zusammenhang mit einem wachsenden Durchschnittseinkommen
steht, doch geht die Bedeutung der Privatwirtschaft für die
chinesische Wirtschaft weit über die Zahlen hinaus.
Früher
bewegte sich die Privatwirtschaft in einem rechtsfreien Raum.
Erst im Zug der Reformen und der Öffnung hat man die Einstellung
zur Privatwirtschaft geändert. Durch die Revision der Verfassung
in den Jahren 1982, 1988 und 1999 wurde eine gesetzliche Grundlage
für Privatwirtschaft geschaffen. Obwohl die staatlichen
Unternehmen sowohl in Bezug auf den Produktionswert als auch
auf die Zahl der Beschäftigten nicht mehr die Hauptrolle
spielen, kann die Privatwirtschaft nicht den Hauptteil der Volkswirtschaft
bilden, denn ihr wird keine gleichberechtigte Teilnahme am Wettbewerb
gewährleistet. Das ist die größte Schwierigkeit
für die Entwicklung der Privatunternehmen. Vor 1988 konnten
Privatunternehmen nur als Privathändler registriert werden.
Die Haftung eines Privatunternehmens war nicht begrenzt und
es durfte nicht über acht Personen beschäftigen. Erst nach
1998 wurden diese Beschränkungen aufgehoben. Aber ein Privatunternehmen
ist bei der Bodennutzung, der Lizenzvergabe, den Steuern, der
Kontrolle durch Industrie- und Handelsbehörden und der
Vergabe von Krediten, sogar bei Gerichtsfällen immer noch
Benachteiligungen ausgesetzt, so dass seine Geschäftsführung
mit Schwierigkeiten konfrontiert ist.
Die
größte Schwierigkeit für die Privatunternehmen besteht
in der Anziehung von Investitionen und der Aufnahme von Darlehen.
Die Privatunternehmen machen nur 1-2 % der an den chinesischen
Börsen notierten Firmen aus. Es ist ihnen deshalb kaum
möglich, auf dem Aktienmarkt Kapital aufzunehmen. Die vier
großen Geschäftsbanken stehen nur den staatlichen
Unternehmen zur Verfügung, nicht aber den Unternehmen, die das
Kapital effizienter einsetzen. Aus dem Jahresbericht der Volksbank
geht hervor, dass weniger als 1% der Unternehmenskredite an
die Privatwirtschaft (hauptsächlich an Privathändler
und Privatunternehmen) vergeben wurde. Es ist offensichtlich,
dass diese Geldmenge als zirkulierendes Kapital viel zu gering
ist. Privatunternehmer müssen das Kapital selbst aufbringen
oder von Verwandten und Freunden borgen. Wegen hoher Verluste
bei staatlichen Unternehmen und fauler Kredite sind die Banken
vorsichtiger geworden, was die Vergabe von Krediten an Privatunternehmen
zusätzlich erschwerte. Außerdem werden bei der Planung
der Sozialversicherung eher die staatlichen Unternehmen berücksichtigt,
während für die Privatunternehmen der soziale Schutz oft
unzureichend ist, so dass die Mobilität der Arbeitskräfte
zwischen privaten Unternehmen behindert wird.
Außerdem
sind die meisten Privatunternehmen Familien- oder Sippenbetriebe.
Eine Untersuchung in 1947 Privatunternehmen, die die Akademie
der Sozialwissenschaften und der Allchinesische Verband privater
Unternehmer 1997 in 250 Städten in 21 Provinzen durchführten,
ergab, dass sich über die Hälfte der Ehepartner der Unternehmensbesitzer
und 20% ihrer erwachsenen Nachkommen an der Arbeit in den Unternehmen
beteiligten. 26% der Eigentümer waren zugleich auch Geschäftsführer,
17% beschäftigten eine verwandte Person als Geschäftsführer,
und 5% der Geschäftsführer stammten aus dem selben Ort.
Diejenigen Geschäftsführer, die in keiner besonderen Beziehung
zum Inhaber standen, machten weniger als die Hälfte der
Geschäftsführer aus. Fast 50% der Unternehmer trugen die
Verantwortung für wichtige Entscheidungen selbst, und weniger
als 15% der Unternehmensbesitzer überließen sie dem Vorstand.
Nicht einmal 1% der Privatunternehmer überträgt die Unternehmenslizenz
an die angestellten Geschäftsführer. Dies wirkt sich hindernd
auf die Entwicklung der Betriebe aus.
In
den Privatunternehmen werden die Interessen der Arbeiter oft
ignoriert, insbesondere dann, wenn sie vom Land kommen. Sie
machen oft Überstunden oder bekommen ihren Lohn nicht rechtzeitig.
Ihre Unterkunft, die medizinische Versorgung und die Arbeitsbedingungen
sind mangelhaft. Sie haben keine Kranken- und Rentenversicherung.
Außerdem kommt es oft zu Konflikten zwischen Arbeitnehmern
und Arbeitgebern. Eine Statistik aus Shanghai zeigt, dass Konflikte
in Privatunternehmen erheblich schneller als in Kollektiv- und
Staatsbetrieben zugenommen haben. Im dritten Quartal 2000 gab
es 375 Rechtsfälle, die Konflikte zwischen Arbeitgebern
und Arbeitnehmern betrafen, das waren 92% mehr als im Vorjahr.
Die andauernden Konflikte zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern
vermehren die Kosten der Unternehmen und wirken sich negativ
auf ihre Entwicklung aus. Heute sind in den Privatunternehmen
zahlreiche vom Land kommende und von ihrer früheren Arbeitsstelle
entfernte Arbeiter beschäftigt. Da es schwierig ist, eine
Stelle zu finden, müssen sie die schlechten Arbeitsbedingungen
notgedrungen hinnehmen.
In über 80% der Privatunternehmen sind die
Arbeitnehmer nicht gewerkschaftlich organisiert, wodurch ihre
Interessen nicht abgesichert sind. Es mangelt an Kommunikationswegen
zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern, was für beide Seiten
nicht gut ist.
Probleme in der Entwicklung der Privatwirtschaft
Nach
gängiger Meinung werden sich nach Chinas Beitritt zur WTO
die Regeln des Marktes herausbilden. Die Bestimmungen der WTO
werden ohne Zweifel eine positive Wirkung auf die Privatwirtschaft
haben. Manche bi- und multilaterale Vereinbarungen betreffen
unmittelbar die Privatunternehmen. Beispielsweise ist in den
durch Verhandlungen erzielten Vereinbarungen zwischen China
und den USA vorgesehen, dass ein bestimmter Prozentsatz des
Getreideimports in China von Privatunternehmen abgewickelt werden
muss. Die Staatliche Planungskommission hat bereits verkündet,
dass alle Branchen, die nach außen geöffnet wurden,
auch nach innen offen sein werden. Dadurch erhalten die Privatunternehmen
mehr Chancen. Nach dem WTO-Beitritt werden die Zolltarife gesenkt,
was große Veränderungen in der inländischen
Wirtschaftsstruktur dadurch herbeiführen wird, dass bisherige
Monopolindustrienbranchen und kapitalintensive Branchen heftige
Konkurrenz erhalten. Die meisten Privatunternehmen sind hingegen
in arbeitsintensiven Branchen tätig, deshalb bringt ihnen
der WTO-Beitritt mehr Vor- als Nachteile.
Die Reform der staatlichen Unternehmen gilt
als eines der am dringendsten zu lösenden Probleme, und
bisher wurde noch kein Ausweg gefunden. In der Tat stehen die
Perspektiven für die Reform der staatlichen Unternehmen in engem
Zusammenhang mit der Entwicklung der Privatwirtschaft. Das liegt
vor allem daran, dass die Reform der staatlichen Unternehmen
zwangsläufig dazu führt, dass eine große Anzahl von
Beschäftigten entlassen wird, und der einzige Ort, wo sie
wieder Arbeit finden können, sind die Privatbetriebe. Wenn
man die Reform der staatlichen Unternehmen erfolgreich vorantreiben
will, dann muss man die Entwicklung der Privatbetriebe beschleunigen.
Das ist eine unbestreitbare Tatsache.
Das Gelingen der Reform der staatlichen Unternehmen
wird sich daran messen lassen, ob sie effizient und konkurrenzfähig
werden. Sie müssen in der Lage sein, mit den Privatunternehmen
zu konkurrieren. Wenn man die Sache in einem größeren
Zusammenhang betrachtet, wirken die staatlichen Unternehmen
und die Privatbetriebe komplementär. Zwischen ihnen soll
ein intensiver Austausch in Bezug auf Personal - insbesondere
Führungspersonal - Kapital und Informationen stattfinden. Die
Betriebsabläufe und die Geschäftsführung sind in den
staatlichen und den Privatunternehmen im Grunde ähnlich.
Wenn sich aber die staatlichen Unternehmen und die Privatunternehmen
immer auf ihren eigenen Gleisen bewegen würden, es zwischen
ihnen somit keinen Austausch und keine Kommunikation gäbe,
dann würden die Staatsbetriebe nie den geforderten Grad an Effizienz
erreichen. Dies wäre ganz besonders dann der Fall, wenn
sich die staatlichen Unternehmen nicht am Wettbewerb beteiligen
und sich stattdessen nur auf die staatliche Begünstigungspolitik
stützen würden.
Der Westen Chinas verfügt über reiche Bodenschätze
und Naturressourcen, es gibt dort außerdem einen großen
Markt. Jetzt hat die Zentralregierung die Strategie zur Erschließung
des Westens aufgestellt und eine Reihe entsprechender Begünstigungen
erlassen. Inländische und ausländische Unternehmen
wollen sich denn auch im Westen ansiedeln. Die Chinesische Entwicklungsbank
wird innerhalb einiger Jahre 400 Mrd. Yuan in den Aufbau der
Infrastruktur wie Autobahnen, Eisenbahn, Flughäfen, Ölfelder
und Elektrizitäts- und Telekommunikationsanlagen investieren.
Das wird zweifelsohne die Entwicklung der Wirtschaft im Westen
fördern und zugleich der Privatwirtschaft viele Chancen
bringen.
Entwicklungsperspektive der Privatwirtschaft
Für die Entwicklung der Privatwirtschaft in
China gibt es einen großen Spielraum. Der Erfolg der Wirtschaftsreform
in China ist u. a. auf ein Doppelgleis-System zurückzuführen,
d. h. neben der früheren Planwirtschaft gibt es auch eine Marktwirtschaft.
Nach 1993 wurde die Planwirtschaft allmählich in die Marktwirtschaft
eingegliedert. Verzerrungen im Preissystem wurden allmählich
korrigiert, und es entstand eine Wettbewerbssituation. Gerade
hier zeigen sich die Probleme der staatlichen Unternehmen, insbesondere
ihre geringe Effizienz. Zahlreiche staatliche Unternehmen arbeiten
mit Verlust. Wenn die Entwicklung der Privatbetriebe im Hinblick
darauf gefördert würde, könnten viele aus staatlichen
Unternehmen entlassene Arbeitskräfte untergebracht werden,
und damit würde auch die Reform der staatlichen Unternehmen
erleichtert.
Nach Schätzungen gibt es unter der Agrarbevölkerung
von 900 Mio. 200 Mio. überschüssige Arbeitskräfte. Im Prozeß
der Industrialisierung in China werden etwa 500 Mio. Bauern
in die Städte abwandern. Deshalb wird es der Privatwirtschaft
nicht an Arbeitskräften mangeln. Das Problem liegt im Mangel
an hoch qualifizierten Facharbeitern. In den letzten Jahren
wurde ihr Lohn erheblich erhöht, weil der Bedarf schnell
gestiegen ist und das Angebot im Gegensatz dazu nicht mithalten
konnte. Der Lohn der einfachen Arbeitskräfte ist nicht
gestiegen. Deshalb liegt das Problem, was die Arbeitskräfte
betrifft, nicht in der Zahl der einfachen Abeitskräfte,
sondern bei den hoch qualifizierten Fachkräften. Es kann
nur durch die schnelle Ausbildung von Facharbeitern gelöst
werden. Darüber hinaus müssen Fachleute im Ausland angeworben
werden. In den letzten Jahren sind immer mehr im Ausland ausgebildete
Chinesen zurückgekehrt. Auch manche Experten aus Hongkong werden
in Regierungsämtern eingesetzt.
Normalerweise ist die hohe Zahl von Arbeitslosen
in Entwicklungsländern auf den Mangel an Kapital zurückzuführen.
Aber in China bleiben über zwei Billionen Yuan an Spareinlagen
in den Banken ungenutzt und die Gesamtspareinlagen machen in
China fast 40% des Bruttoinlandsprodukts aus. Wenn diese Geldsumme
als Investitionskapital genutzt würde, könnten damit, ausgehend
davon, dass für jeden Beschäftigten in einem Privatbetrieb
im Durchschnitt 50 000 Yuan als registriertes Kapital nötig
sind, 40 Mio. Menschen beschäftigt werden. Wenn man
von der Annahme ausgeht, dass ein Selbständiger 5000 Yuan
als Startkapital braucht, dann könnte das Zehnfache an
Arbeitsplätzen geschaffen werden. Daraus wird ersichtlich,
dass das Kapital keine Einschränkung für die Anzahl der
Beschäftigten darstellt. Die Frage ist nun, wie die Spareinlagen
in Investitionskapital umgewandelt werden können, also
Geldmittel aus dem Sparbuch der Familie in die Hand des Unternehmers
verlegt werden. Das ist eine bisher noch nicht gelöste,
schwerwiegende Frage in China.
Faire rechtliche Rahmenbedingungen sind nicht
nur für die gesellschaftliche Sicherheit und den gesellschaftlichen
Frieden, sondern auch für die wirtschaftliche Entwicklung erforderlich.
Unternehmen brauchen rechtlichen Schutz, Verträge müssen
eingehalten werden. Verstöße gegen die Verträge
sollen bestraft werden. Nach dem WTO-Beitritt wird die Durchsetzung
des Gesetzes kontrolliert. Das wirkt sich positiv auf die Verbesserung
der rechtlichen Rahmenbedingungen Chinas aus, und seine Verwaltung
wird ebenfalls allmählich auf den demokratischen und rechtlichen
Weg gebracht.