Lu
Xun und die deutsche Graphik

Ein Hobby
des Schriftstellers Lu Xun (1881-1936) war die Graphik. Er
sammelte Graphiken, und seiner Initiative ist es auch zu verdanken,
dass der chinesische Holzschnitt eine wesentliche Entwicklung
durchmachte. Seit 1915 hatte Lu Xun sich auf das Sammeln alter
chinesischer graphischer Blätter verlegt. Später
empfahl er chinesischen Künstlern, sich mit der modernen europäischen
Graphik zu befassen.
Holzschneidekunst
Die
chinesische Holzschneidekunst hat eine über tausendjährige
Geschichte. Im 15. Jahrhundert hatte diese Kunst höchste
Perfektion erreicht und hatte auch in Europa Verbreitung gefunden.
Im 19. Jahrhundert verlor sie dann aber mit dem verstärkten
Aufkommen der Drucktechnik an Bedeutung.
Die von
Lu Xun geförderte moderne Graphik unterschied sich stark
von der traditionellen chinesischen Graphik. Man griff auf
Techniken aus Deutschland und anderen europäischen Ländern
zurück. Anfang der 30er Jahre suchte Lu Xun, Werke von Carl
Meffert und Käthe Kollwitz und anderer europäischer
Graphiker den chinesischen Künstlern nahezubringen, brachte
Bildbände heraus und arrangierte Ausstellungen.
Das war
die Zeit der Übergriffe des japanischen Imperialismus
auf China. Aber anstatt dagegen anzugehen, bekämpfte
die Kuomingtang-Regierung die von der KP Chinas angeführte
Widerstandsbewegung.
Das Volk
musste aufgerüttelt werden, damit es sich gegen die japanische
Aggression zusammenschloss, es galt, den Verrat der Kuomingtang-Regierung,
die Korruption in der Gesellschaft und die Unterdrückung der
Massen zu entlarven. Aber wie das Volk ansprechen? Die Drucktechnik
war rückständig, und zudem gab es viele Analphabeten.
Lu Xun meinte, dass der Holzschnitt eine gute Ergänzung,
eine einfache und direkte Form sei, um die Menschen außer
durch Gedrucktes aufzurufen. Weitere Vorteile des Holzschnittes
sind, dass er einfach und billig herzustellen ist, dass man
alles mit der Hand machen kann. Lu Xun kümmerte sich selbst
darum, dass der moderne Holzschnitt in China gefördert
wurde.
Zwischen
1929-1936 veröffentlichte er acht Bildbände mit
europäischer Graphik, darunter Illustrationen von Carl
Meffert zu dem Roman "Zement" vom sowjetischen Schriftsteller
F. W. Gladkow unter dem Titel "Illustrationen zu ,Zement'"
(Erstausgabe 1931) und ein Band mit Werken von Käthe
Kollwitz unter dem Titel "Werke von Käthe Kollwitz"
(Erstausgabe 1936).
Carl
Meffert
Lu
Xun hatte großes Interesse an der deutschen Graphik.
Er bat einen Freund in Berlin, für ihn die Bildgeschichte
"Deine Schwester" von Carl Meffert zu kaufen. Nachdem
der Roman "Zement" ins Chinesische übersetzt worden
war, hatte Lu Xun alles darangesetzt, um die Illustrationen
dazu zu bekommen. 1931 veröffentlichte er zehn davon
als Bilderserie. In dem Roman "Zement" wird der
Aufbau der Industrie in der Sowjetunion kurz nach der Oktoberrevolution
beschrieben. Lu Xun fand diesen Roman gut, und im Vorort zu
dem Bildband "Illustrationen zu ,Zement' schrieb er,
dass dieses Buch den Widerspruch zwischen den fortschrittlichen
Faktoren und den rückständigen beim Aufbau des Landes
widerspiegele, dass es Ziel des Autors gewesen sei, zu zeigen,
wie die Produktion wieder in Gang gebracht werden konnte,
aber gleichzeitig habe er auch verdeutlichen wollen, wie die
Menschen sich geändert hatten. Hand in Hand mit der Veränderung
der Fabriken änderte sich nämlich die Psyche der
Menschen.
Mit Carl
Meffert war Lu Xun nicht so vertraut. Im Vorort schrieb er:
"Über Meffert weiß ich zu wenig. Meines Wissens
ist er ein revolutionärer deutscher Künstler, der obwohl
erst 27 Jahre alt, schon acht Jahre lang im Gefängnis
war. Er hat sich vor allem auf Bildgeschichten revolutionären
Inhalts verlegt. Ich habe Werke, wie "Deine Schwester"
von ihm. Er hat Kummer und Elend der armen Leute zum Ausdruck
gebracht. Bei seinen "Illustrationen zu ,Zement' ist
schlichte Form mit künstlerischer Kraft gepaart, was offensichtlich
auch mit dem historischen Hintergrund des Romans zusammenhängt".
(Werke von Lu Xun, Bd. VII, S.789, chinesische Ausgabe).
In einem
Brief an chinesische Graphiker wies Lu Xun darauf hin, dass
er außer den "Illustrationen zu ,Zement' auch noch
die Serie in sieben Bildern "Deine Schwester" von
Carl Meffert habe. Diese Bilderserie sei zwei Jahre zuvor
ausgestellt gewesen. Käthe Kollwitz habe Meffert einmal
kritisiert, seine Holzschnitte seien zwar gut, würden aber
noch Mängel aufweisen. Der Kernpunkt der Kritik von Käthe
Kollwitz sei gewesen, dass er sich zu sehr von seiner Phantasie
leiten lassen, und dass seine Werke von der Praxis losgelöst
seien. Er denke, Käthe Kollwitz habe recht, aber dennoch
möchte er diese Graphiken reproduzieren lassen, denn
von der Technik her seien sie ausgezeichnet.
Käthe
Kollwitz
Lu Xun
war an den Holzschnitten von Käthe Kollwitz sehr interessiert.
Er ließ Werke von ihr in Deutschland für sich aufkaufen.
Um junge chinesische Graphiker über sie und ihre Werke informieren
zu können, versuchte er über ihre Laufbahn, ihr Schaffen
auf dem laufenden zu bleiben. Aus dem Tagebuch Lu Xuns wissen
wir, dass er im Besitz von zwölf Originalgraphiken von
Käthe Kollwitz sowie der Bildbände "Das Neue
Kollwitz-Werk" und "Das Käthe Kollwitz-Werk"
war. Im Juli 1936 wählte er aus diesen beiden Bänden
21 Bilder aus und veröffentlichte sie unter dem Titel
"Kollwitz-Bildband". Er schrieb auch das Vorwort
dafür. Damals war er krank, und obwohl es 40 Grad heiß
war, schrieb er Erklärungen zu jedem Bild. Drei Monate
später starb er.
Lu Xun
schätze Käthe Kollwitz sehr, er meinte: "Käthe
Kollwitz ist eine gute Künstlerin. Ein Beweis dafür ist auch,
dass sie von manchen gelobt, von manchen angegriffen und von
manchen verteidigt wird." Die Einschätzung Romain
Rollands fand er zutreffend. Diese hatte geäußert,
dass die Werke von Käthe Kollwitz wie Gedichte seien,
dass sie das Elend und die Trauer der armen Leute widerspiegelten.
Er meinte, dass diese charakterfeste Frau über tiefe, mütterliche
Gefühle verfüge und es verstünde, die Lage einzuschätzen.
Ihre Werke seien ein Zeugnis der schweigenden Opfer. Lu Xun
ergänzte: "Dieser Bildband mit Werken von Käthe
Kollwitz verdeutlicht uns, dass sie mütterliche Liebe zu allen
Unterdrückten und Verachteten empfindet, deren Trauer, Widerstand,
Zorn und Kampf versteht und sich damit identifiziert. Themen
ihrer Holzschnitte sind Kummer, Hunger, Obdachlosigkeit und
Tod, aber auch das Wehklagen, der Existenzkampf, der Zusammenschluss
und schließlich das Sicherheben des Volkes." (Werke
von Lu Xun: Bd, VI, S. 470, chinesische Ausgabe)
Unter
der Kuomintang-Regierung wurde die Kampagne "Moderner
Holzschnitt" unterdrückt und zugrunde gerichtet. Viele
Künstlerorganisationen wurden aufgelöst, die Kunstwerke
verbrannt. Da die kommunistische Bewegung und diese Kampagne
eng verknüpft waren, kam es sogar vor, dass Leute, die in
Besitz von Material und Gerät für das Herstellen von
Holzschnitten waren, zusammengeschlagen, verhaftet oder sogar
ermodert wurden.
Rou Shi,
ein Schüler und Freund von Lu Xun, und weitere fünf junge
Leute wurden im Januar 1931 auf Befehl der Kuomintang-Regierung
hingerichtet, weil sie fortschrittliche ausländische
Literatur in China verbreitet und großes Interesse am
Holzschnitt gezeigt hatten. Fortschrittliche Künstler auf
der ganzen Welt protestierten dagegen, darunter auch Käthe
Kollwitz.
Um des
Mordes an Rou Shi zu gedenken, ließ Lu Xun trotz des
Terrors der Kuomintang-Regierung das Bild "Opfer"
von Käthe Kollwitz, das zu dem Holzschnittzyklus "Krieg"
gehört, reproduzieren. Eine Mutter, die Augen vor Trauer
geschlossen, streckt ihr Kind weit von sich. Für Lu Xun war
dies ein Symbol für Rou Shis blinde Mutter, die ihr Kind für
die Revolution hingegeben hatte. Lu Xun setzte diese Graphik
bewusst ein, um die Kuomintang-Regierung zu entlarven. Er
schrieb dazu: "Das ist das Bündnis einer unterdrückten,
missachteten Mutter. Die Künstlerin Käthe Kollwitz muss
heute zwar schweigen, aber ihrer Werke fassen immer fester
Fuß in China, denn die Sprache der Kunst wird überall
auf der Welt verstanden." (Werke von Lu Xun, Bd. VI.
S. 530, chinesische Ausgabe)
Die
deutsche Graphik in China
Unter
dem Faschismus wurde Käthe Kollwitz mundtot gemacht,
aber die Kunst ist stärker als alle reaktionären
Kräfte. Die Graphiken von Meffert und Kollwitz beeinflussten
das chinesische Volk, das für Befreiung und Freiheit kämpfte.
Ihre Werke fanden bei der fortschrittlichen chinesischen Jugend
Anklang, insbesondere bei den jungen Künstlern. Lu Xun verstand
es nämlich, ihnen deutsche Holzschnitte mit fortschrittlichem
Inhalt nahezubringen und so ihre Schaffenskraft und Ausdrucksfähigkeit
zu stärken, so dass sie Werke schufen, die zu Befreiung
der Unterdrückten und Verachteten aufriefen. In Shanghai gab
es zu dieser Zeit viele Organisationen von Holzschneidekünstlern,
die von der Kuomintang-Regierung streng kontrolliert und schließlich
auch verboten wurden. Aber die Flucht von Holzschnitten riss
nicht ab. Der moderne chinesische Holzschnitt war in Inhalt
und Form von Meffert und Kollwitz stark beeinflusst. Deren
Werke sind aus der Entwicklungsgeschichte des chinesischen
Holzschnittes nicht wegzudenken.
(Aus Nr.
1 von „China heute“, 1979)