Inhalt von Oktober 2001
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"Der Tau senkt sich herab, die Geister sind schon betrunken"
Über die Opferzeremonien im Alten China


Martin Kern, Sinologe und Verfasser mehrerer Bücher, ist der Meinung, die Opferrituale des Alten China seien von der Literatur bisher sträflich vernachlässigt worden. Um die beklagte Lücke zu füllen, hat er jahrelang an Universitäten in Peking, Tokio, Washington und Los Angeles sowie an deutschen Universitäten nachgeforscht und Kollegen befragt. Die Dankadressen in seinem Buch "Die Hymnen der chinesischen Staatsopfer" richten sich an namhafte Kapazitäten der Sinologie.

In der Tat ist in China die Kommunikation mit Natur- und Ahnengeistern noch heute verbreitete Praxis. Schriftliche Mitteilungen und Scheine sogenannten Totengeldes werden verbrannt, um mit dem Rauch die Bitten an die Geister sowie den Geldwert aufsteigen zu lassen, "wohl die älteste Form dieser Art von Kommunikation", so Kern.

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, wie man sich heute erklärt, weshalb die alten Chinesen in den für Opferzeremonien verwendeten Speise- und Trinkgefäßen die Inschriften im unsichtbaren Inneren anbrachten, bei Glocken aber außen: Wo hier die Mitteilungen an die Geister mit den Dämpfen und Düften der Opfergaben emporstiegen, wurden sie dort mit den Klängen fortgetragen…

Die Arbeit Martin Kerns, die von der Pholosophischen Fakultät der Universität Köln als Dissertation angenommen wurde, öffnet uns den Blick in eine Zeit, in der im Verständnis der Chinesen ein reger Austausch zwischen der diesseitigen und einer jenseitigen Welt stattgefunden hat. Den verstorbenen Ahnen wurden regelmäßig Opfergaben dargebracht, diverse Götter wurden zu bestimmten Anlässen reich bewirtet, eine Vielzahl von Geistern wurde zu Festmahlen eingeladen. So heißt es zum Beispiel in einer Hymne, die man vor ca. 2200 Jahren bei Opferzeremonien sang:
"Die glückverheißenden Kelche
sind zu Reihen formiert.
Mögen die Geister
ihr Bankett genießen."

Dass von dem eingeschenkten Wein und Schnaps und von den aufgetischten Gerichten hinterher nichts fehlen würde, war natürlich auch den Menschen von damals klar. Getränke und Speisen wurden nach Beendigung des Rituals wieder eingesammelt, auf dass sich die Lebenden daran laben mochten. Dennoch hatten, so glaubte man jedenfalls, auch die Geister ihren Spaß. So heißt es in einer weiteren Hymne:
"Der Tau senkt sich herab,
die Geister sind schon betrunken.
Sie haben nun genossen,
und schon bescheren sie uns
Glück und Segen."

Martin Kern: "Die Hymnen der chinesischen Staatsopfer", Band 19 der Reihe Sinologica Coloniensia (Ostasiatische Beiträge der Universität zu Köln), Franz Steiner Verlag, 340 Seiten, DM 119.-


Von Atze Schmidt

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