"Der Tau senkt
sich herab, die Geister sind schon betrunken"
Über die Opferzeremonien im
Alten China
Martin Kern, Sinologe und Verfasser mehrerer
Bücher, ist der Meinung, die Opferrituale des Alten China seien
von der Literatur bisher sträflich vernachlässigt worden.
Um die beklagte Lücke zu füllen, hat er jahrelang an Universitäten
in Peking, Tokio, Washington und Los Angeles sowie an deutschen
Universitäten nachgeforscht und Kollegen befragt. Die Dankadressen
in seinem Buch "Die Hymnen der chinesischen Staatsopfer"
richten sich an namhafte Kapazitäten der Sinologie.
In
der Tat ist in China die Kommunikation mit Natur- und Ahnengeistern
noch heute verbreitete Praxis. Schriftliche Mitteilungen und Scheine
sogenannten Totengeldes werden verbrannt, um mit dem Rauch die Bitten
an die Geister sowie den Geldwert aufsteigen zu lassen, "wohl
die älteste Form dieser Art von Kommunikation", so Kern.
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, wie
man sich heute erklärt, weshalb die alten Chinesen in den für
Opferzeremonien verwendeten Speise- und Trinkgefäßen
die Inschriften im unsichtbaren Inneren anbrachten, bei Glocken
aber außen: Wo hier die Mitteilungen an die Geister mit den
Dämpfen und Düften der Opfergaben emporstiegen, wurden
sie dort mit den Klängen fortgetragen
Die Arbeit Martin Kerns, die von der Pholosophischen
Fakultät der Universität Köln als Dissertation angenommen
wurde, öffnet uns den Blick in eine Zeit, in der im Verständnis
der Chinesen ein reger Austausch zwischen der diesseitigen und einer
jenseitigen Welt stattgefunden hat. Den verstorbenen Ahnen wurden
regelmäßig Opfergaben dargebracht, diverse Götter
wurden zu bestimmten Anlässen reich bewirtet, eine Vielzahl
von Geistern wurde zu Festmahlen eingeladen. So heißt es zum
Beispiel in einer Hymne, die man vor ca. 2200 Jahren bei Opferzeremonien
sang:
"Die glückverheißenden Kelche
sind zu Reihen formiert.
Mögen die Geister
ihr Bankett genießen."
Dass von dem eingeschenkten Wein und Schnaps und
von den aufgetischten Gerichten hinterher nichts fehlen würde,
war natürlich auch den Menschen von damals klar. Getränke
und Speisen wurden nach Beendigung des Rituals wieder eingesammelt,
auf dass sich die Lebenden daran laben mochten. Dennoch hatten,
so glaubte man jedenfalls, auch die Geister ihren Spaß. So
heißt es in einer weiteren Hymne:
"Der Tau senkt sich herab,
die Geister sind schon betrunken.
Sie haben nun genossen,
und schon bescheren sie uns
Glück und Segen."
Martin Kern: "Die Hymnen
der chinesischen Staatsopfer", Band 19 der Reihe Sinologica
Coloniensia (Ostasiatische Beiträge der Universität zu
Köln), Franz Steiner Verlag, 340 Seiten, DM 119.-
Von Atze Schmidt
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