Ein
Jahrzehnt der Veränderungen
Von
Qiu Jianghong


Redaktionelle
Anmerkung: Zu Chinas riesiger Bevölkerung von 1,3 Milliarden zählen
800 Mio. Bauern. Im Jahr 1978, als China seine Politik der Reform und Öffnung
gerade erst begonnen hatte, lebten 250 Mio. Bauern in erdrückender Armut. Seither
arbeitet die chinesische Regierung beständig an der Linderung ihrer Not,
wobei beträchtliche Erfolge erzielt wurden. Die Gebirgsregion Yimeng im südlichen
Teil der Provinz Shandong war vormals eine der ärmsten Regionen Chinas. Vor
zehn Jahren besuchten Li Xia und Yu Xiangjun, Reporter von China Heute, Li Pisheng
und seine Familie im Dorf Nanbaode in dieser Region (siehe „Down at the Farm in
Shandong“, Ausgabe Juni 1994). Vor kurzem haben die Reporter Qiu Jianghong und
Dong Ning Familie Li erneut besucht und nahmen die Leser mit, um ihr heutiges
Leben zu sehen.
„Ein
typischer ländlicher Innenhof. Am Tor sind rote Schilder mit Glück verheißenden
Sprüchen in schwarzen Schriftzeichen angebracht, am Türsturz hängen bunte
Scherenschnitte. Ein paar Hühner und ein Hund laufen umher, während Angora-Kaninchen
friedlich in einem Stall schlafen.“ So wurde Li Pishengs friedliches, gerade erst
der Armut entwachsenes Zuhause 1994 von einem Reporter beschrieben. Zehn Jahre
später hat der selbe Reporter Familie Li erneut besucht, und fand ein noch
schöneres Bild vor.
Es war die Zeit der Weizenernte.
Auf den meisten Feldern in Ostchina werden Mähdrescher eingesetzt, doch in
Nanbaode beschränkt sich die Mechanisierung auf den Drusch, als Antrieb dienen
Traktoren. Die Topographie dieser gebirgigen Gegend ist für die mechanisierte
Bewirtschaftung nicht geeignet. Es wurden Gewächshäuser gebaut, und
weite Flächen wurden in Obstplantagen umgewandelt. Die verbliebenen Flächen
mit Weizenanbau sind klein und lassen daher nur Ernte in Handarbeit zu, was auch
von Li Pisheng und seiner Familie praktiziert wird.
Das
Dorf Nanbaode im Kreis Mengyin ist malerisch an einem Hang der Gebirgsregion Yimeng
gelegen. Es wird umrahmt von Bergen, nebenan verläuft der Wen-Fluss. Dieser
reizvolle Anblick täuscht über die Armut hinweg, die seine Einwohner erfahren
haben. Ein wichtiger Aspekt der Reform- und Öffnungspolitik der 80er Jahre
war das System der vertragsgebundenen Verantwortlichkeit auf Basis der Haushalte,
das den Bauern Anreize zur Überwindung der Armut gab. Bis in die frühen 90er
Jahre war der Lebensstandard der Familie Li über adäquate Kleidung und Ernährung
dank eines Fernsehers und eines Kassettenrekorders zu einem reicheren Leben angestiegen.
Zu dieser Zeit war die Armutsgrenze vom Ministerium für Zivile Angelegenheiten
bei einem Jahreseinkommen von 400 Yuan angesetzt, und das Pro-Kopf-Einkommen betrug
1000 Yuan. Landwirtschaftliche Produktion war die Haupteinnahmequelle und stellte
keine verlässliche Grundlage dar, weshalb es kaum frei verfügbares Einkommen
gab, und damit wenig Möglichkeit zu weiteren Verbesserungen.
Li
Pisheng steht bei Tagesanbruch auf und kommt für gewöhnlich vor seinen Dorfgenossen
an der Sandgrube am Westufer des Wen an. Li ist ein 65-jähriger von resoluter
Gesundheit. Die Dorfbewohner machten die Sandgrube vor acht Jahren mit gemeinsamen
Investitionen auf, und Li wurde zum Direktor gewählt. Der Wen-Fluss ist für
Nanbaode Lebensader und Quelle von Wohlstand. Er fließt durch hügelige,
kalksteinreiche Gebiete und trägt große Mengen an hochwertigem gelbem
Sand heran, der von der boomenden chinesischen Bauwirtschaft dringend benötigt
wird.
Die
Sandgrube ist ein lebhaftes Geschäft. Sie bietet Arbeit für 30 Arbeiter und
20 Fahrer und hat derzeit drei automatisierte Sandbagger. Die Grube bringt im
Jahr mehr als 100 000 Yuan ein – keine geringe Summe für die Bewohner eines Bergdorfs,
die gerade erst der Armut entwachsen sind. Statt die Gewinne aufzuteilen, nutzen
die Dorfbewohner diese, um weitere Unternehmen zu gründen. Seit 1996 wurde im
Dorf eine Anzahl von Unternehmen der Textilverarbeitung, Stickerei, Tierzucht
und Bauwirtschaft gegründet. Obgleich von geringem Umfang, haben diese gute Gewinne
erwirtschaftet. Stickereien und andere ortstypische Handarbeiten werden ins Ausland
verkauft. Diese Unternehmen bieten den Dorfbewohnern ein beträchtliches Zusatzeinkommen,
da sie am Ende jedes Jahres eine Dividende bekommen. 2003 überschritt das Pro-Kopf-Einkommen
2500 Yuan.
Li
Pisheng hat einen Sohn, Li Zhenxue, im Alter von 39, dessen Ausbildung nach der
Unterstufe der Mittelschule endete. Er, seine Frau und zwei Töchter leben
in einem 100-qm-Haus in der Nähe. Er betreibt einen kleinen Laden im Innenhof,
hat ein Gewächshaus und eine einige Mu (1 Mu = 1/15 ha) große Obstpflanzung.
Li Zhenxue geht jeden Morgen um sechs hinaus ins Gewächshaus, um Gemüse und
Früchte zu ernten, und bringt sie mit dem Motorrad in die Kreisstadt, um zu verkaufen
und einen Vorrat an anderen Gütern anzulegen. Die übrige Zeit verbringt er mit
Feldarbeit oder arbeitet mit seiner Frau im Laden.
Lis
Frau Xia Yongrong ist heiter und arbeitsam. Zusätzlich zur Tätigkeit
im Haushalt gehört die Arbeit im Laden zu ihren tagtäglichen Aufgaben.
Die
20 000 Yuan netto, die Laden, Obstplantage und Gewächshaus einbringen, ermöglichen
Li und Xia ein komfortables Leben, obgleich diejenigen, die nach Süden oder zum
Handel in die Städte gegangen sind, weit mehr verdienen. Li hat überlegt,
ob er den Kreis verlassen soll, um sein Glück zu suchen, aber da er die Schulgelder
seiner beiden Kinder zahlen muss, ist ein festes Einkommen wichtig. Gegenwärtig
ist ihr Lebensstandard auf mittlerem Niveau, aber er ist dennoch frustriert. „Was
mir am meisten fehlt, ist Information und Technologie,“ ärgert er sich. Die
Nachfrage am Markt ändert sich ständig, beeinflusst die Anbausorten
und damit die Pflanztechnik. Um Schritt zu halten, hat Li vor einigen Jahren ein
Mobiltelefon gekauft und plant nun, einen Computer zu kaufen und sich Informationen
aus dem Internet zu verschaffen.
Wang Xianghong macht sich
ans Kochen, sobald Li Pisheng zum Mittagessen heimkommt. Hier heißt das
üblicherweise: Ein Pfannkuchen. Die Pfannkuchen werden aus Getreide- oder Hirsemehl
hergestellt und auf einer Vorrichtung gebacken, die einem umgedrehten Wok mit
rundem Boden ähnelt. Vor zehn Jahren, als der Pfannkuchen Grundnahrungsmittel
war, zeigte die Art seiner Zubereitung den Lebensstandard des Bauern an. Ein Pfannkuchen
mit Frühlingszwiebeln war damals ein seltenes Mahl, heutzutage gibt es jedoch
eine ganze Palette von Grundnahrungsmitteln. Die Bauern müssen sich entscheiden,
ob sie Reis, Brötchen, Nudeln oder Jiaozi essen möchten, und für gewöhnlich
kann auch mit einem Becher Bier oder Wein angestoßen werden.
Li
schaut die Mittagsnachrichten, während er isst. Der alte Schwarzweißfernseher
wurde durch einen farbigen mit Breitbild ersetzt. Ihr Haushalt unterscheidet sich
wenig von einem in der Stadt.
Die ältere von Li Zhenxues
beiden Töchtern, Yujie, ist 18 und in der zweiten Klasse der Oberstufe der
Mittelschule. Die jüngere, Lili, 16, geht in die dritte Klasse der Unterstufe
der Mittelschule. Beide sind gesund und voller Energie. Ihr Ernährungsstand
ist weit besser als der ihrer Eltern in deren Jugend.
Li
Pishengs Eltern sind hoch in den 70ern, kommen aber noch allen zurecht. Seine
beiden Schwestern, Li Zhenjuan und Li Mei, haben beide geheiratet. Um ihr Leben
voll zu genießen, möchten sie beide nicht mehr als ein Kind. Sie kommen
oft zu Besuch zurück und feiern ein Wiedersehen mit der Familie.
Li
Pishengs Frau mag es, an Sommernachmittagen unter dem chinesischen Talgbaum zu
sitzen und sich Luft zuzufächeln, während sie Wassermelone isst und
mit ihren Nachbarinnen plaudert. Sie sprechen über die Ernte und die örtlichen
Gerüchte, und auch über ihre Träume, mit ihren Kindern und Enkelkindern große
Städte besichtigen zu gehen.