September 2004
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Ein Jahrzehnt der Veränderungen

Von Qiu Jianghong

Redaktionelle Anmerkung: Zu Chinas riesiger Bevölkerung von 1,3 Milliarden zählen 800 Mio. Bauern. Im Jahr 1978, als China seine Politik der Reform und Öffnung gerade erst begonnen hatte, lebten 250 Mio. Bauern in erdrückender Armut. Seither arbeitet die chinesische Regierung beständig an der Linderung ihrer Not, wobei beträchtliche Erfolge erzielt wurden. Die Gebirgsregion Yimeng im südlichen Teil der Provinz Shandong war vormals eine der ärmsten Regionen Chinas. Vor zehn Jahren besuchten Li Xia und Yu Xiangjun, Reporter von China Heute, Li Pisheng und seine Familie im Dorf Nanbaode in dieser Region (siehe „Down at the Farm in Shandong“, Ausgabe Juni 1994). Vor kurzem haben die Reporter Qiu Jianghong und Dong Ning Familie Li erneut besucht und nahmen die Leser mit, um ihr heutiges Leben zu sehen.

„Ein typischer ländlicher Innenhof. Am Tor sind rote Schilder mit Glück verheißenden Sprüchen in schwarzen Schriftzeichen angebracht, am Türsturz hängen bunte Scherenschnitte. Ein paar Hühner und ein Hund laufen umher, während Angora-Kaninchen friedlich in einem Stall schlafen.“ So wurde Li Pishengs friedliches, gerade erst der Armut entwachsenes Zuhause 1994 von einem Reporter beschrieben. Zehn Jahre später hat der selbe Reporter Familie Li erneut besucht, und fand ein noch schöneres Bild vor.

Es war die Zeit der Weizenernte. Auf den meisten Feldern in Ostchina werden Mähdrescher eingesetzt, doch in Nanbaode beschränkt sich die Mechanisierung auf den Drusch, als Antrieb dienen Traktoren. Die Topographie dieser gebirgigen Gegend ist für die mechanisierte Bewirtschaftung nicht geeignet. Es wurden Gewächshäuser gebaut, und weite Flächen wurden in Obstplantagen umgewandelt. Die verbliebenen Flächen mit Weizenanbau sind klein und lassen daher nur Ernte in Handarbeit zu, was auch von Li Pisheng und seiner Familie praktiziert wird.

Das Dorf Nanbaode im Kreis Mengyin ist malerisch an einem Hang der Gebirgsregion Yimeng gelegen. Es wird umrahmt von Bergen, nebenan verläuft der Wen-Fluss. Dieser reizvolle Anblick täuscht über die Armut hinweg, die seine Einwohner erfahren haben. Ein wichtiger Aspekt der Reform- und Öffnungspolitik der 80er Jahre war das System der vertragsgebundenen Verantwortlichkeit auf Basis der Haushalte, das den Bauern Anreize zur Überwindung der Armut gab. Bis in die frühen 90er Jahre war der Lebensstandard der Familie Li über adäquate Kleidung und Ernährung dank eines Fernsehers und eines Kassettenrekorders zu einem reicheren Leben angestiegen. Zu dieser Zeit war die Armutsgrenze vom Ministerium für Zivile Angelegenheiten bei einem Jahreseinkommen von 400 Yuan angesetzt, und das Pro-Kopf-Einkommen betrug 1000 Yuan. Landwirtschaftliche Produktion war die Haupteinnahmequelle und stellte keine verlässliche Grundlage dar, weshalb es kaum frei verfügbares Einkommen gab, und damit wenig Möglichkeit zu weiteren Verbesserungen.

Li Pisheng steht bei Tagesanbruch auf und kommt für gewöhnlich vor seinen Dorfgenossen an der Sandgrube am Westufer des Wen an. Li ist ein 65-jähriger von resoluter Gesundheit. Die Dorfbewohner machten die Sandgrube vor acht Jahren mit gemeinsamen Investitionen auf, und Li wurde zum Direktor gewählt. Der Wen-Fluss ist für Nanbaode Lebensader und Quelle von Wohlstand. Er fließt durch hügelige, kalksteinreiche Gebiete und trägt große Mengen an hochwertigem gelbem Sand heran, der von der boomenden chinesischen Bauwirtschaft dringend benötigt wird.

Die Sandgrube ist ein lebhaftes Geschäft. Sie bietet Arbeit für 30 Arbeiter und 20 Fahrer und hat derzeit drei automatisierte Sandbagger. Die Grube bringt im Jahr mehr als 100 000 Yuan ein – keine geringe Summe für die Bewohner eines Bergdorfs, die gerade erst der Armut entwachsen sind. Statt die Gewinne aufzuteilen, nutzen die Dorfbewohner diese, um weitere Unternehmen zu gründen. Seit 1996 wurde im Dorf eine Anzahl von Unternehmen der Textilverarbeitung, Stickerei, Tierzucht und Bauwirtschaft gegründet. Obgleich von geringem Umfang, haben diese gute Gewinne erwirtschaftet. Stickereien und andere ortstypische Handarbeiten werden ins Ausland verkauft. Diese Unternehmen bieten den Dorfbewohnern ein beträchtliches Zusatzeinkommen, da sie am Ende jedes Jahres eine Dividende bekommen. 2003 überschritt das Pro-Kopf-Einkommen 2500 Yuan.

Li Pisheng hat einen Sohn, Li Zhenxue, im Alter von 39, dessen Ausbildung nach der Unterstufe der Mittelschule endete. Er, seine Frau und zwei Töchter leben in einem 100-qm-Haus in der Nähe. Er betreibt einen kleinen Laden im Innenhof, hat ein Gewächshaus und eine einige Mu (1 Mu = 1/15 ha) große Obstpflanzung. Li Zhenxue geht jeden Morgen um sechs hinaus ins Gewächshaus, um Gemüse und Früchte zu ernten, und bringt sie mit dem Motorrad in die Kreisstadt, um zu verkaufen und einen Vorrat an anderen Gütern anzulegen. Die übrige Zeit verbringt er mit Feldarbeit oder arbeitet mit seiner Frau im Laden.

Lis Frau Xia Yongrong ist heiter und arbeitsam. Zusätzlich zur Tätigkeit im Haushalt gehört die Arbeit im Laden zu ihren tagtäglichen Aufgaben.

Die 20 000 Yuan netto, die Laden, Obstplantage und Gewächshaus einbringen, ermöglichen Li und Xia ein komfortables Leben, obgleich diejenigen, die nach Süden oder zum Handel in die Städte gegangen sind, weit mehr verdienen. Li hat überlegt, ob er den Kreis verlassen soll, um sein Glück zu suchen, aber da er die Schulgelder seiner beiden Kinder zahlen muss, ist ein festes Einkommen wichtig. Gegenwärtig ist ihr Lebensstandard auf mittlerem Niveau, aber er ist dennoch frustriert. „Was mir am meisten fehlt, ist Information und Technologie,“ ärgert er sich. Die Nachfrage am Markt ändert sich ständig, beeinflusst die Anbausorten und damit die Pflanztechnik. Um Schritt zu halten, hat Li vor einigen Jahren ein Mobiltelefon gekauft und plant nun, einen Computer zu kaufen und sich Informationen aus dem Internet zu verschaffen.

Wang Xianghong macht sich ans Kochen, sobald Li Pisheng zum Mittagessen heimkommt. Hier heißt das üblicherweise: Ein Pfannkuchen. Die Pfannkuchen werden aus Getreide- oder Hirsemehl hergestellt und auf einer Vorrichtung gebacken, die einem umgedrehten Wok mit rundem Boden ähnelt. Vor zehn Jahren, als der Pfannkuchen Grundnahrungsmittel war, zeigte die Art seiner Zubereitung den Lebensstandard des Bauern an. Ein Pfannkuchen mit Frühlingszwiebeln war damals ein seltenes Mahl, heutzutage gibt es jedoch eine ganze Palette von Grundnahrungsmitteln. Die Bauern müssen sich entscheiden, ob sie Reis, Brötchen, Nudeln oder Jiaozi essen möchten, und für gewöhnlich kann auch mit einem Becher Bier oder Wein angestoßen werden.

Li schaut die Mittagsnachrichten, während er isst. Der alte Schwarzweißfernseher wurde durch einen farbigen mit Breitbild ersetzt. Ihr Haushalt unterscheidet sich wenig von einem in der Stadt.

Die ältere von Li Zhenxues beiden Töchtern, Yujie, ist 18 und in der zweiten Klasse der Oberstufe der Mittelschule. Die jüngere, Lili, 16, geht in die dritte Klasse der Unterstufe der Mittelschule. Beide sind gesund und voller Energie. Ihr Ernährungsstand ist weit besser als der ihrer Eltern in deren Jugend.

Li Pishengs Eltern sind hoch in den 70ern, kommen aber noch allen zurecht. Seine beiden Schwestern, Li Zhenjuan und Li Mei, haben beide geheiratet. Um ihr Leben voll zu genießen, möchten sie beide nicht mehr als ein Kind. Sie kommen oft zu Besuch zurück und feiern ein Wiedersehen mit der Familie.

Li Pishengs Frau mag es, an Sommernachmittagen unter dem chinesischen Talgbaum zu sitzen und sich Luft zuzufächeln, während sie Wassermelone isst und mit ihren Nachbarinnen plaudert. Sie sprechen über die Ernte und die örtlichen Gerüchte, und auch über ihre Träume, mit ihren Kindern und Enkelkindern große Städte besichtigen zu gehen.

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