Kriege
der Straßen
Von
unserer Mitarbeiterin Lu Rucai


Dieser
Tage sind die Beijinger Straßen Austragungsort einer permanenten Schlacht
zwischen Autos, Fahrrädern und Fußgängern. Autos kommen am schlechtesten
davon, weil nicht motorisierte Fahrzeuge von den Staus nicht betroffen sind. Die
Durchschnittsgeschwindigkeit von Kraftfahrzeugen im Stadtgebiet von Beijing, Shanghai
und Guangzhou ist 12 km/h, im Stadtzentrum nur 8-10 km/h, was verglichen mit 15
km/h, die man auf einem Fahrrad schafft, langsamer ist. Das Beijinger Verkehrsverwaltungsamt
berichtet, dass über 90% der hauptstädtischen Straßen ausgelastet oder
sogar überlastet sind. Während der Stoßzeiten sind die Straßen
voll – Stoßstange klebt an Stoßstange – und es gibt schon 65 Verstopfungspunkte
mit tagtäglichen Staus. Verkehrsstaus sind eine Quelle von öffentlichem
Stress und wenig Vertrauen in die Straßensicherheit.
Laut
der Beijinger Straßenverwaltung erreichte im März 2004 die Gesamtkilometerzahl
der Straßen in der Stadt 18 239 km. Hauptverkehrsstrecken der zweiten und
dritten Ringstraße haben beidseitig dreispurige Fahrbahnen ohne Ampeln und
auf der vierten Ringstraße findet man vier Spuren in beiden Richtungen.
Hauptverkehrsstraßen wie die Chang’an-Straße sind bis zu 50 m breit.
Nichtsdestotrotz bestehen die Verkehrsstaus trotz regelmäßiger Straßenverbesserungen
fort. Unvernünftige Planung und unwirksames Management der „Transport-Hardware“
sind offensichtliche Gründe für Straßenverstopfungen, aber die Straßenbenutzer
gelten auch als Schuldige. Das neue Straßenverkehrssicherheitsgesetz, das
am 1. Mai 2004 in Kraft getreten ist, erweiterte die Verantwortung für die Straßensicherheit
auf alle Verkehrsteilnehmer.
Schlacht
zwischen Mensch und Fahrzeug
1949
gab es 2 300 Kraftfahrzeuge in Beijing. Bis Februar 1997 war diese Zahl auf eine
Mio. angewachsen, während der folgenden sechseinhalb Jahre, bis 2003, verdoppelte
sich die Zahl und es wurden die zwei Mio. erreicht, die eigentlich für 2010 vorausgesagt
waren. Der Autobestand nimmt monatlich um 10 000 zu. Als auf der Straße
noch wenige Fahrzeuge waren, ließen diese den Fußgängern noch
den Vorrang. Das bedeutet, dass eine Straße für Kraftfahrzeuge gleich breit
wie die für nicht motorisierte Fahrzeuge und für Fußgänger sein konnte,
doch seitdem hat sich viel geändert. Die Straßen aller Kategorien wurden
verbreitert und Straßen für Kraftfahrzeuge sind nun die breitesten, doch
gibt es oft Konflikte zwischen Kraftfahrern und anderen Straßenbenutzern.
Kraftfahrer
denken sich nichts dabei, auf Fahrradwegen oder sogar Gehsteigen zu fahren, wenn
der Straßenverkehr zum Stillstand kommt. Das ruft Empörung und Beschwerden
hervor, wenn Fahrradfahrer dazu gezwungen werden, ihre Fahrräder durch die
Autos, die ihren Weg blockieren, zu schieben. Wang Shuying ist Verkehrspolizeihelferin
für die Baiyunguan-Grundschule. Ihre Aufgabe ist es, Autos anzuhalten, damit die
Kinder die Straße überqueren können, doch viele Autofahrer ignorieren
sie und bringen Frau Wang damit zur Weißglut. „Am meisten hasse ich die
Fahrer, die nicht einmal eine Minute warten können, sie verdienen es, Opfer
der Verkehrsunfälle, die sie verschulden, zu werden.“
Autofahrer
haben auch Geschichten zu erzählen. Nachdem er in Beijing einige Stunden
hinter dem Lenkrad verbracht hat, wird selbst der gesittetste und umsichtigste
Fahrer durch Verkehrsregeln missachtende Fußgänger zum fluchenden Irren.
Chen Xukai, ein Taxifahrer, der für das Beijing-Nord-Taxiunternehmen arbeitet,
bezeugt das: „Jedes Mal, wenn ich auf grünes Licht warte, stellen sich die Fahrradfahrer
und Fußgänger, die in die gleiche Richtung wollen, direkt vor mein
Auto und machen es dadurch für mich unmöglich, wegzufahren, wenn es Grün
wird. Meine Wut und meine Flüche lassen sie ungerührt.“
Das
neue Straßenverkehrssicherheitsgesetz besagt, dass Kraftfahrzeuge Fahrrädern
und Fußgängern Vorrang geben müssen. Autofahrer sind über diese Rangfolge
nicht glücklich. Li Gang, Fahrer einer Tourismusfirma in Beijing, sagt: „Es ist
total unlogisch, da der Mangel an Einschränkungen den Fußgängern
gegenüber die Verstopfungen noch verstärkt.“ Seine Aussage gibt die Stimmung
vieler Fahrer wieder. Der Schlüssel zu diesem Problem kann nur darin liegen, dass
sich sowohl Autofahrer als auch Fußgänger an die Verkehrsregeln halten.
Neulinge
und alte Hasen
Statistiken
des Beijinger Verkehrsverwaltungsamts zeigen, dass in den ersten acht Monaten
des Jahres 2003 138 000 neue Fahrer auf den Straßen erschienen. Die Rate
liegt nun bei etwa 20 000 Neulingen pro Monat, ein Gräuel für die erfahrenen
Fahrer und die breite Öffentlichkeit. Fahrtechnisch unerfahren, mit langsamen
Reflexen und mit der Straßensituation nicht vertraut, sind sie die Hauptschuldigen
an Verkehrsstaus. Laut dem Gesetz sollen Neulinge auf der rechten langsamen Spur
fahren, doch Xu Wenjie, der seinen Führerschein erst vor zwei Monaten erwarb,
bestätigt, dass sie trotzdem auf den Überholspuren fahren. „Diese Neulinge
fahren zu langsam und schlecht und sind normalerweise an Staus schuld. Sie wissen
oft nicht, wie ihr Auto funktioniert“, sagt Chen Dashan, ein Taxifahrer. Er erzählt
eine Geschichte von einer Fahrerin, die sein Taxi eines Abends angehalten und
ihr Auto verlassen hatte, um Hilfe zu holen, als sie den Schalter für die Scheinwerfer
nicht finden konnte.
Das
Straßenverkehrssicherheitsgesetz schreibt vor, dass neue Fahrer an ihrer
Heckscheibe einen Hinweis anbringen müssen, doch die wenigsten Neulinge halten
sich daran. Zhang Liang ist einer von vielen, die sich weigern, auf ihre Unerfahrenheit
hinzuweisen. Er gibt zu: „Ich besuchte einen 58-Stunden Trainingskurs in der Fahrschule,
wo die simulierten Straßensituationen viel einfacher und sicherer sind als
im realen Leben, doch ich verwende trotzdem nicht das ,Achtung, Fahranfänger‘-Schild.
Das ermutigt Fahrer dazu, ihre Hupen zu betätigen und das macht mich oder
andere in meiner Situation nervös und dadurch ist es noch wahrscheinlicher,
dass wir Chaos hervorrufen.“
Fahrschulen,
die wie am Fließband Verkehrssünder produzieren, wurden endlich zur Rechenschaft
gezogen, nachdem das Beijinger Verkehrsverwaltungsamt die Schuld denjenigen zuwies,
deren „Absolventen“ Verkehrsvergehen begingen. Wenn ein Fahrer mit weniger als
einem Jahr Erfahrung einen Verkehrsunfall herbeiführt, muss seine bzw. ihre Fahrschule
Rede und Antwort stehen. Das Verkehrsverwaltungsamt hat auch die Kontrolle der
Fahrschulen verstärkt, um den Fahrschülern das Erlangen eines Führerscheins
zu erschweren.
Regulieren
die Verkehrspolizei und ihre Helfer den Verkehr wirksam?
Die
Funktion der Verkehrspolizei ist es, Verkehrsstörungen, die durch den Faktor
Mensch ausgelöst wurden, zu reduzieren und dabei zu helfen, Ordnung auf der
Straße zu bewahren. Unglücklicherweise besteht zwischen den Polizisten und
den Straßenbenutzern eine Feindschaft. Die ersteren haben das Recht, die
dem Verkehrsgesetz zuwider Handelnden mit Geldstrafen zu belegen, aber es ist
manchmal unmöglich für sie, ihre Pflicht zu erfüllen. Wang, ein Polizist
vom Verkehrsverwaltungsamt des Bezirks Xicheng, gibt ein Beispiel: „Einmal ging
ein Mann bei Rot über die Straße. Gemäß dem neuen Gesetz hätte
ich ihn mit einer Geldstrafe von 50 Yuan belegen müssen. Bevor ich damit fertig
war, ihm das zu erklären, hatten sich Fußgänger angesammelt, die
sich beschwerten, wie unfair es wäre, einen Lohnempfänger zu bestrafen,
der kaum Geld hätte. Da die Verkehrssituation dadurch chaotisch wurde, musste
ich den Mann gehen lassen.“ Den meisten Leuten ist die Funktion von Verkehrsstrafen
noch nicht klar. Sie nehmen an, dass sie rein aus finanziellen Gründen verhängt
werden, nicht als Warnung. Die Beijinger Verkehrspolizei verwendet fotografische
Beweise für die Verfolgung von Vergehen auf der Straße, was auch versteckte
Aufnahmen beinhaltet. Das hat zu einer Welle von Beschwerden geführt, besonders
nach Verkündigung des neuen Gesetzes. Früher war die Strafe für das Überfahren
einer Kreuzung bei Rot 5 Yuan, doch nun liegt sie bei 200 Yuan. Die Verkehrspolizei
bekommt das meiste des öffentlichen Ärgers über diese gewaltige Erhöhung
ab. Dreistere Fahrer verhandeln über ihre Vergehen und viele Polizisten geben
zu, dass BMW- und Mercedes- Fahrer erfahrene und selbstsichere Feilscher sind.
„Obwohl nicht alle Fahrer die Mittel oder die Macht haben, über Verkehrsvergehen
zu feilschen, gibt es manche, die mit Sonderrechten ausgestattet sind, die sie
vor Strafe schützen“, sagt Chen Dashan, der sich als Taxifahrer ohne hilfreiche
Beziehungen über diese offensichtliche Ungerechtigkeit ärgert.
Liu
Qingxu, ein Verkehrshilfspolizist der Gongzhufen-Mannschaft, freut sich über die
Verbesserung der Ordnung auf den Straßen, die das neue Gesetz hervorgebracht
hat. „Autofahrer mit Geldstrafen zu belegen ist die wirksamste Art, sie dazu zu
bringen, sich ans Gesetz zu halten. Niemand nahm die Regelungen ernst, bis 200
Yuan Strafe für Parken in der zweiten Reihe und Überfahren einer Kreuzung
bei Rot eingeführt wurde. Die meisten Fahrer benehmen sich jetzt viel besser auf
der Straße.“ Trotzdem gibt es noch immer jene, die sich über das Gesetz
hinwegsetzen, sobald keine Verkehrspolizisten in Sicht sind.
Die
Einführung des neuen Straßenverkehrssicherheitsgesetzes zeigt klar Chinas
Entschlossenheit, das Verkehrsproblem zu lösen. Informationen zur Hebung
des Verkehrsbewusstseins und über die neuen Gesetze sind überall erhältlich.
Die Anhebung der Strafen und die aktive Anwendung der Verkehrsgesetze haben schon
eine große Verbesserung auf Beijings chaotischen Straßen gebracht.
Das ist eine weitere Vorbereitungsmaßnahme der Hauptstadt, die Straßen
für den massiven Einfall von Straßenbenutzern im Jahre 2008 zu glätten,
wenn sie in diesem Jahr die Olympischen Spiele veranstaltet.