September 2004
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Kriege der Straßen

Von unserer Mitarbeiterin Lu Rucai

Dieser Tage sind die Beijinger Straßen Austragungsort einer permanenten Schlacht zwischen Autos, Fahrrädern und Fußgängern. Autos kommen am schlechtesten davon, weil nicht motorisierte Fahrzeuge von den Staus nicht betroffen sind. Die Durchschnittsgeschwindigkeit von Kraftfahrzeugen im Stadtgebiet von Beijing, Shanghai und Guangzhou ist 12 km/h, im Stadtzentrum nur 8-10 km/h, was verglichen mit 15 km/h, die man auf einem Fahrrad schafft, langsamer ist. Das Beijinger Verkehrsverwaltungsamt berichtet, dass über 90% der hauptstädtischen Straßen ausgelastet oder sogar überlastet sind. Während der Stoßzeiten sind die Straßen voll – Stoßstange klebt an Stoßstange – und es gibt schon 65 Verstopfungspunkte mit tagtäglichen Staus. Verkehrsstaus sind eine Quelle von öffentlichem Stress und wenig Vertrauen in die Straßensicherheit.

Laut der Beijinger Straßenverwaltung erreichte im März 2004 die Gesamtkilometerzahl der Straßen in der Stadt 18 239 km. Hauptverkehrsstrecken der zweiten und dritten Ringstraße haben beidseitig dreispurige Fahrbahnen ohne Ampeln und auf der vierten Ringstraße findet man vier Spuren in beiden Richtungen. Hauptverkehrsstraßen wie die Chang’an-Straße sind bis zu 50 m breit. Nichtsdestotrotz bestehen die Verkehrsstaus trotz regelmäßiger Straßenverbesserungen fort. Unvernünftige Planung und unwirksames Management der „Transport-Hardware“ sind offensichtliche Gründe für Straßenverstopfungen, aber die Straßenbenutzer gelten auch als Schuldige. Das neue Straßenverkehrssicherheitsgesetz, das am 1. Mai 2004 in Kraft getreten ist, erweiterte die Verantwortung für die Straßensicherheit auf alle Verkehrsteilnehmer.

Schlacht zwischen Mensch und Fahrzeug

1949 gab es 2 300 Kraftfahrzeuge in Beijing. Bis Februar 1997 war diese Zahl auf eine Mio. angewachsen, während der folgenden sechseinhalb Jahre, bis 2003, verdoppelte sich die Zahl und es wurden die zwei Mio. erreicht, die eigentlich für 2010 vorausgesagt waren. Der Autobestand nimmt monatlich um 10 000 zu. Als auf der Straße noch wenige Fahrzeuge waren, ließen diese den Fußgängern noch den Vorrang. Das bedeutet, dass eine Straße für Kraftfahrzeuge gleich breit wie die für nicht motorisierte Fahrzeuge und für Fußgänger sein konnte, doch seitdem hat sich viel geändert. Die Straßen aller Kategorien wurden verbreitert und Straßen für Kraftfahrzeuge sind nun die breitesten, doch gibt es oft Konflikte zwischen Kraftfahrern und anderen Straßenbenutzern.

Kraftfahrer denken sich nichts dabei, auf Fahrradwegen oder sogar Gehsteigen zu fahren, wenn der Straßenverkehr zum Stillstand kommt. Das ruft Empörung und Beschwerden hervor, wenn Fahrradfahrer dazu gezwungen werden, ihre Fahrräder durch die Autos, die ihren Weg blockieren, zu schieben. Wang Shuying ist Verkehrspolizeihelferin für die Baiyunguan-Grundschule. Ihre Aufgabe ist es, Autos anzuhalten, damit die Kinder die Straße überqueren können, doch viele Autofahrer ignorieren sie und bringen Frau Wang damit zur Weißglut. „Am meisten hasse ich die Fahrer, die nicht einmal eine Minute warten können, sie verdienen es, Opfer der Verkehrsunfälle, die sie verschulden, zu werden.“

Autofahrer haben auch Geschichten zu erzählen. Nachdem er in Beijing einige Stunden hinter dem Lenkrad verbracht hat, wird selbst der gesittetste und umsichtigste Fahrer durch Verkehrsregeln missachtende Fußgänger zum fluchenden Irren. Chen Xukai, ein Taxifahrer, der für das Beijing-Nord-Taxiunternehmen arbeitet, bezeugt das: „Jedes Mal, wenn ich auf grünes Licht warte, stellen sich die Fahrradfahrer und Fußgänger, die in die gleiche Richtung wollen, direkt vor mein Auto und machen es dadurch für mich unmöglich, wegzufahren, wenn es Grün wird. Meine Wut und meine Flüche lassen sie ungerührt.“

Das neue Straßenverkehrssicherheitsgesetz besagt, dass Kraftfahrzeuge Fahrrädern und Fußgängern Vorrang geben müssen. Autofahrer sind über diese Rangfolge nicht glücklich. Li Gang, Fahrer einer Tourismusfirma in Beijing, sagt: „Es ist total unlogisch, da der Mangel an Einschränkungen den Fußgängern gegenüber die Verstopfungen noch verstärkt.“ Seine Aussage gibt die Stimmung vieler Fahrer wieder. Der Schlüssel zu diesem Problem kann nur darin liegen, dass sich sowohl Autofahrer als auch Fußgänger an die Verkehrsregeln halten.

Neulinge und alte Hasen

Statistiken des Beijinger Verkehrsverwaltungsamts zeigen, dass in den ersten acht Monaten des Jahres 2003 138 000 neue Fahrer auf den Straßen erschienen. Die Rate liegt nun bei etwa 20 000 Neulingen pro Monat, ein Gräuel für die erfahrenen Fahrer und die breite Öffentlichkeit. Fahrtechnisch unerfahren, mit langsamen Reflexen und mit der Straßensituation nicht vertraut, sind sie die Hauptschuldigen an Verkehrsstaus. Laut dem Gesetz sollen Neulinge auf der rechten langsamen Spur fahren, doch Xu Wenjie, der seinen Führerschein erst vor zwei Monaten erwarb, bestätigt, dass sie trotzdem auf den Überholspuren fahren. „Diese Neulinge fahren zu langsam und schlecht und sind normalerweise an Staus schuld. Sie wissen oft nicht, wie ihr Auto funktioniert“, sagt Chen Dashan, ein Taxifahrer. Er erzählt eine Geschichte von einer Fahrerin, die sein Taxi eines Abends angehalten und ihr Auto verlassen hatte, um Hilfe zu holen, als sie den Schalter für die Scheinwerfer nicht finden konnte.

Das Straßenverkehrssicherheitsgesetz schreibt vor, dass neue Fahrer an ihrer Heckscheibe einen Hinweis anbringen müssen, doch die wenigsten Neulinge halten sich daran. Zhang Liang ist einer von vielen, die sich weigern, auf ihre Unerfahrenheit hinzuweisen. Er gibt zu: „Ich besuchte einen 58-Stunden Trainingskurs in der Fahrschule, wo die simulierten Straßensituationen viel einfacher und sicherer sind als im realen Leben, doch ich verwende trotzdem nicht das ,Achtung, Fahranfänger‘-Schild. Das ermutigt Fahrer dazu, ihre Hupen zu betätigen und das macht mich oder andere in meiner Situation nervös und dadurch ist es noch wahrscheinlicher, dass wir Chaos hervorrufen.“

Fahrschulen, die wie am Fließband Verkehrssünder produzieren, wurden endlich zur Rechenschaft gezogen, nachdem das Beijinger Verkehrsverwaltungsamt die Schuld denjenigen zuwies, deren „Absolventen“ Verkehrsvergehen begingen. Wenn ein Fahrer mit weniger als einem Jahr Erfahrung einen Verkehrsunfall herbeiführt, muss seine bzw. ihre Fahrschule Rede und Antwort stehen. Das Verkehrsverwaltungsamt hat auch die Kontrolle der Fahrschulen verstärkt, um den Fahrschülern das Erlangen eines Führerscheins zu erschweren.

Regulieren die Verkehrspolizei und ihre Helfer den Verkehr wirksam?

Die Funktion der Verkehrspolizei ist es, Verkehrsstörungen, die durch den Faktor Mensch ausgelöst wurden, zu reduzieren und dabei zu helfen, Ordnung auf der Straße zu bewahren. Unglücklicherweise besteht zwischen den Polizisten und den Straßenbenutzern eine Feindschaft. Die ersteren haben das Recht, die dem Verkehrsgesetz zuwider Handelnden mit Geldstrafen zu belegen, aber es ist manchmal unmöglich für sie, ihre Pflicht zu erfüllen. Wang, ein Polizist vom Verkehrsverwaltungsamt des Bezirks Xicheng, gibt ein Beispiel: „Einmal ging ein Mann bei Rot über die Straße. Gemäß dem neuen Gesetz hätte ich ihn mit einer Geldstrafe von 50 Yuan belegen müssen. Bevor ich damit fertig war, ihm das zu erklären, hatten sich Fußgänger angesammelt, die sich beschwerten, wie unfair es wäre, einen Lohnempfänger zu bestrafen, der kaum Geld hätte. Da die Verkehrssituation dadurch chaotisch wurde, musste ich den Mann gehen lassen.“ Den meisten Leuten ist die Funktion von Verkehrsstrafen noch nicht klar. Sie nehmen an, dass sie rein aus finanziellen Gründen verhängt werden, nicht als Warnung. Die Beijinger Verkehrspolizei verwendet fotografische Beweise für die Verfolgung von Vergehen auf der Straße, was auch versteckte Aufnahmen beinhaltet. Das hat zu einer Welle von Beschwerden geführt, besonders nach Verkündigung des neuen Gesetzes. Früher war die Strafe für das Überfahren einer Kreuzung bei Rot 5 Yuan, doch nun liegt sie bei 200 Yuan. Die Verkehrspolizei bekommt das meiste des öffentlichen Ärgers über diese gewaltige Erhöhung ab. Dreistere Fahrer verhandeln über ihre Vergehen und viele Polizisten geben zu, dass BMW- und Mercedes- Fahrer erfahrene und selbstsichere Feilscher sind. „Obwohl nicht alle Fahrer die Mittel oder die Macht haben, über Verkehrsvergehen zu feilschen, gibt es manche, die mit Sonderrechten ausgestattet sind, die sie vor Strafe schützen“, sagt Chen Dashan, der sich als Taxifahrer ohne hilfreiche Beziehungen über diese offensichtliche Ungerechtigkeit ärgert.

Liu Qingxu, ein Verkehrshilfspolizist der Gongzhufen-Mannschaft, freut sich über die Verbesserung der Ordnung auf den Straßen, die das neue Gesetz hervorgebracht hat. „Autofahrer mit Geldstrafen zu belegen ist die wirksamste Art, sie dazu zu bringen, sich ans Gesetz zu halten. Niemand nahm die Regelungen ernst, bis 200 Yuan Strafe für Parken in der zweiten Reihe und Überfahren einer Kreuzung bei Rot eingeführt wurde. Die meisten Fahrer benehmen sich jetzt viel besser auf der Straße.“ Trotzdem gibt es noch immer jene, die sich über das Gesetz hinwegsetzen, sobald keine Verkehrspolizisten in Sicht sind.

Die Einführung des neuen Straßenverkehrssicherheitsgesetzes zeigt klar Chinas Entschlossenheit, das Verkehrsproblem zu lösen. Informationen zur Hebung des Verkehrsbewusstseins und über die neuen Gesetze sind überall erhältlich. Die Anhebung der Strafen und die aktive Anwendung der Verkehrsgesetze haben schon eine große Verbesserung auf Beijings chaotischen Straßen gebracht. Das ist eine weitere Vorbereitungsmaßnahme der Hauptstadt, die Straßen für den massiven Einfall von Straßenbenutzern im Jahre 2008 zu glätten, wenn sie in diesem Jahr die Olympischen Spiele veranstaltet.

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