September 2004
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Adam Schall, Jesuit und Mandarin

Von Li Lanqin

In einem Wohnviertel im Nordwesten Beijings, einem Gebiet, das früher „Palisaden des Herzogs von Teng“ genannt wurde, findet sich hinter dem Gebäude der Stadtparteischule in einem ruhigen, grasüberwachsenen Garten eine Gräberstätte, umgeben von grauen Mauern, beschattet von alten und üppigen Bäumen. Hier liegen die Gräber einiger Missionare, die im 16. und 17. Jahrhundert nach China kamen, um hier ihre Lehre zu verbreiten. Im Norden des Friedhofs fallen drei große Grabsteine ins Auge, dahinter drei steinerne Särge. Auf dem linken dieser Grabsteine ist folgendes zu lesen: „Grabmal des hohen Beamten Tang, Lehrer der Societas Jesu“. Eine weitere Erläuterung folgt: „Herr Tang, dessen (tabuisierter) Vorname auf Ruowang lautete, auch Dao Wei genannt, aus dem Lande Germanien am westlichen Ozean“. Tang Ruowang ist der Name, den Adam Schall von Bell, ein kölnischer Jesuit, in China angenommen hatte. Tang klingt ähnlich wie Adam, für chinesische Ohren jedenfalls, und Ruowang kommt dem Klang von Johann nahe. Adam Schall ist eine der augenfälligsten Persönlichkeiten in der Geschichte des Verkehrs des historischen China mit dem Westen.

In den Orient!

Schall, 1592 in einer Kölner Adligenfamilie geboren, ging 1608 nach dem Abschluss des Dreikronengymnasiums auf Empfehlung Ferdinands von Bayern an das Germanikum in Rom, die damals wohl beste katholische Bildungsanstalt für den deutschen Adel. 1611 wurde er bei den Jesuiten aufgenommen. An seine früheren philosophischen Studien schlossen sich nun für vier Jahre mathematische, astronomische und theologische Forschungen an. Das Interesse des jungen Adam wurde – ähnlich wie bei vielen seiner Mitstudenten – von Matteo Ricci auf sich gezogen, der die Gunst des chinesischen Kaisers für sich hatte gewinnen können und im damaligen Beijing sehr erfolgreich tätig war. Als 1614 der Missionar Nicolas Trigault an den Vatikan zurückkehrte, weckten dessen Bericht und seine Bitte an den jungen Scholaren, ihn doch als sein Gehilfe ins Reich der Mitte zu begleiten, in Schall den Wunsch, seiner Berufung, die er in sich spürte, nachzugeben und als Missionar nach China zu gehen. 1616 richtete er eine Bitte an die Generalversammlung der SJ, ihn nach Indien oder China zu entsenden. Am Ende jenes Jahres fanden sich auf seinen Schreibheften bereits die Worte „Geht bald nach China“.

Lange, beschwerliche Reise

1618 schiffte sich Schall von Lissabon aus nach Goa ein, das er nach zehn Wochen und dem Verlust einiger Ordensbrüder, die an einer Seuche gestorben waren, auch erreichte. Von Goa aus reiste er weiter nach Makao. Dort blieb er bis 1622, da die Lage nach dem Ableben Riccis eine frühere Einreise nicht zuließ. Über Guangzhou, Ganjiang, Hangzhou und andere Orte erreichte er schließlich die Hauptstadt der Ming, wo er zunächst Chinesisch lernte; nach einigen Jahren wurde er zur Verbreitung der Lehre nach Xi’an versetzt. Auch dort beschäftigte er sich weiter mit der Astronomie und beobachtete die Phänomene am Sternenhimmel Chinas. In jener Zeit in Beijing und Xi’an verfasste er seine ersten beiden Bücher über Mond- und Sonnenfinsternisse.

Zu jener Zeit hatte Xu Guangqi, berühmter Gelehrter, Minister im Ritenamt und Christ, bereits öfter in Eingaben nach einer Reform des Kalenders verlangt. Das damalige Kalendersystem hatte sich als fehlerhaft erwiesen, für viele Rituale wurden aber genaue astronomische Voraussagen benötigt. Der Kaiser Chong Zhen akzeptierte schließlich die Ratschläge Xus und etablierte ein „Kalenderamt“. Beschäftigt mit der Arbeit an einem neuen Kalender wurden schließlich einige Spezialisten, darunter einige Missionaren. 1630 wurde auch Adam Schall, auf den man nicht mehr verzichten konnte, nach Beijing bestellt.

Verbreitung westlicher Lehren

Schall war ein frommer Katholik. Er war in den Orient gekommen, um seine Religion zu verbreiten. Zugleich erwarb er sich große weltliche Verdienste, indem er wissenschaftliche und technische Kenntnisse mit nach China brachte.

Einmal ins Kalenderamt bestellt, widmete Schall fortan seine ganze Zeit der Ausarbeitung eines korrekten Kalenders. Einfach war seine Arbeit nicht: In China war der alte Kalender schon seit geraumen Zeiten in Gebrauch, und gegen die Verwendung des auf dem Gregorianischen Kalender beruhenden Rechensystems gab es Widerstände. Aber durch seinen Fleiß und seine genauen Berechnungen gewann Adam Schall das Vertrauen des Hofes und seiner Kollegen. So sagte er z. B. 1723 und 1724 eine Sonnenfinsternis voraus, genauer als nach den bisher bekannten Verfahren, was ihm den Respekt und die Bewunderung der Fachwelt einbrachte. Auf der Grundlage der astronomischen Unterlagen, die Adam Schall aus Europa mitgebracht hatte, erstellten er und die chinesischen Scholaren unter Xu Guangqi (Paul Hsü) einen neuen Kalender, der 1634 fertiggestellt war: das „Chong-Zhen-Kalendarium“.

Schall hatte aber nicht nur neue Mathematik und neue astronomische Betrachtungsweisen mit sich gebracht. Er baute nach und nach eine Reihe von astronomischen Instrumenten, Sonnenuhren, Teleskopen und Armillarsphären, um nur einige zu nennen.

Als die Ming, von Aufständischen und im Norden von den Mandschus bedroht, in immer größere Bedrängnis gerieten, wandten sie sich mit der Bitte an Schall, Kanonen nach portugiesischem Vorbild für sie zu gießen. In den folgenden zwei Jahren entstanden mehr als 40 der „rotgewandeten Schießrohre“, ohne der Dynastie allerdings noch von Nutzen zu sein.

Daneben befasste sich der Kölner Jesuit mit Übersetzungen und dem Abfassen von Büchern. So entstand eine Reihe über die europäische Metallurgie, die unter der Ägide und mit der Unterstützung Li Tianjings, des Nachfolgers Xu Guangqis, von Schall ins Chinesische übersetzt wurde. Dieses für die chinesische Metallurgie so wichtige Buch wurde um 1640 fertiggestellt. Zusammen mit anderen Autoren verfasste er ein Werk über die Natur, insbesondere über Zoologie und Botanik. Die Beschreibungen der inneren Organe, des Blutes und ihrer Funktionen erregten die Aufmerksamkeit der chinesischen Mediziner schon damals und auch im weiteren Prozess der Adaption einiger Elemente der westlichen Medizin. Ein weiteres Buch befasste sich mit dem Entwurf, dem Bau und der Verwendung von Kanonen. „Die Theorie des Fernglases“ beschrieb die Prinzipien, die Herstellung, den Gebrauch und den Schutz von Linsen und Objektiven, dazu weiteres Wissen über optische Gesetze. Weitere gut dreißig Bücher beschäftigten sich mit anderen Themen, nicht zuletzt der Astronomie und ihren Sonderphänomenen.

Für seine Verdienste bekam Adam Schall von Bell vom unter der Regierungsdevise Chong Zhen („Erhabene Gunst“) angetretenen Kaiser der Ming eine Ehrentafel mit der Aufschrift „Gepriesener Meister der Lehre des Himmels“ verliehen.

Tang Ruowang war ein polyglotter Deutscher. Er sprach sowohl das Chinesisch der Gelehrten als auch die einfache Sprache der Leute von der Straße, auf die er auch in seinen Predigten zurückgriff. Auch die Idiome anderer Länder waren ihm geläufig. Als einmal holländische Gesandte an den Hof des chinesischen Kaisers kamen, wurde der bärtige Missionar gebeten, sich als Dolmetscher zur Verfügung zu stellen. Seine großartigen Leistungen sind von seinem Fleiß, seinem Forscherdrang und seinem Eifer nicht zu trennen.

Adam Schall wird „Mafa“

Auch während des Dynastiewechsels blieb Schall in Chinas Hauptstadt, um fortan den Herrschern der Qing zu dienen. Als seine Berechnung einer Sonnenfinsternis sich im ersten Jahr des neuen Mandschu-Herrschers als vollständig richtig erwiesen, war ihm die Bewunderung der Menschen inner- und außerhalb der Palastmauern sicher. Er überarbeitete noch einmal den von ihm erstellten Kalender, den die Ming als zu öffentlichem Gebrauch bestimmt zu proklamieren nicht mehr die Zeit gehabt hatten, kürzte und verbesserte ihn und überreichte ihn unter dem neuen Namen „Neues westliches Kalendarium“ dem Hof. In Würdigung seiner offensichtlichen Verdienste um die chinesische Astronomie und die Kalenderreform wurde ihm der Titel des Präsidenten des Kaiserlichen Astronomischen Amtes verliehen. Ein Jahr später führte die Dynastie den neuen Kalender offiziell ein. Er wurde bis 1911 beibehalten.

Schall kam bald in den Genuss besonderer Privilegien. Er konnte nach seinem Belieben Throneingaben zu jeder Naturphänomene betreffenden Frage machen, überdies durfte er dem jungen Kaiser Shun Zhi höchstpersönlich alle Probleme von Mond- und Sonnenfinsternissen und der Bewegung der Fixsterne erläutern. Schall gewann die besondere Gunst dieses Kaisers, der ihn mit dem mandschurischen Ehrennamen „Mafa“ bedachte, „ehrwürdiger Ahn“. Nach und nach erhielt Schall weitere Belohnungen und Adelstitel, 1653 z. B. die Ehrenbezeichnung „Alle Geheimnisse durchdringender Meister“, zusammen mit einem Stück Land. Verbunden mit seinen neuen Titeln waren zumeist auch neue und ehrenvolle Aufgaben. Vom Mandarin der Klasse drei, verbunden mit dem Titel des kaiserlichen Kanzleipräsidenten, stieg Schall schließlich zum Mandarin erster Klasse und damit zu einem der höchsten Würdenträger auf.

Unglücklicher Lebensabend

Die Erfolge Schalls und der gute Ruf, den er am Hofe und beim Volke genoss, trugen ihm auch den Hass und die Missgunst anderer ein. Schall wurde verleumdet, das Lob seiner Taten wurde unterdrückt.

Innerhalb seiner Kirche genoss er alles Vertrauen seiner Mitjesuiten und der chinesischen Freunde des Katholizismus, die ihn unterstützten. Trotzdem erlitt der Kölner Jesuit im Alter ein unglückliches und unverdientes Schicksal.

Im Jahr 1644 traf ihn eine schwerere Paralyse, so dass er kaum noch gehen und sprechen, geschweige denn arbeiten konnte. Gerade in jenem Jahr aber beschuldigte eine konservative Beamtenclique unter der Führung Yang Guangxians Schall, er plane eine Verschwörung, verwirre das Volk und stelle fehlerhafte astronomische Berechnungen an. Auch Ferdinand Verbiest und andere Jesuiten waren angeklagt. Schall wurde die Mandarinwürde aberkannt, die Wohnungen der Jesuiten wurden wieder und wieder durchsucht, sie selbst wurden in schweren Ketten dem Gericht vorgeführt und schließlich ins Gefängnis geworfen. Nach einer „Revision“ wurde Schalls Strafe in schweren Hausarrest umgewandelt. 1666 starb Adam Johann Schall von Bell im Alter von 75 Jahren.

Nachdem Kaiser Kang Xi, den sein Vater noch mit dem Rat Schalls zu seinem Nachfolger bestimmt hatte, den Drachenthron bestiegen hatte, trat Ferdinand Verbiest, Freund und Schüler Schalls, dessen Nachfolge als oberster Astronom an. Yang Guangxian wurde entlassen. Noch am Ende desselben Jahres 1669 verfasste Kang Xi selbst eine posthume Grabesrede für Adam Schall, in der er den Forscher einen „aufrechten und pflichterfüllten Beamten, der seiner Aufgabe bis zum letzten Atemzug treu blieb“, der „eigens vom Kaiser rehabilitiert“ wurde, nannte. Kang Xi sandte eine Sonderdelegation an das Grab des deutschen Jesuiten. Der Beschluss des Kaisers wurde in das Grabmal Schalls eingemeißelt, auf dem er noch heute deutlich zu lesen steht.

Aus „China im Aufbau“, Nr. 6, 1984

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