Adam
Schall, Jesuit und Mandarin
Von
Li Lanqin
In
einem Wohnviertel im Nordwesten Beijings, einem Gebiet, das früher „Palisaden
des Herzogs von Teng“ genannt wurde, findet sich hinter dem Gebäude der Stadtparteischule
in einem ruhigen, grasüberwachsenen Garten eine Gräberstätte, umgeben
von grauen Mauern, beschattet von alten und üppigen Bäumen. Hier liegen die
Gräber einiger Missionare, die im 16. und 17. Jahrhundert nach China kamen,
um hier ihre Lehre zu verbreiten. Im Norden des Friedhofs fallen drei große
Grabsteine ins Auge, dahinter drei steinerne Särge. Auf dem linken dieser
Grabsteine ist folgendes zu lesen: „Grabmal des hohen Beamten Tang, Lehrer der
Societas Jesu“. Eine weitere Erläuterung folgt: „Herr Tang, dessen (tabuisierter)
Vorname auf Ruowang lautete, auch Dao Wei genannt, aus dem Lande Germanien am
westlichen Ozean“. Tang Ruowang ist der Name, den Adam Schall von Bell, ein kölnischer
Jesuit, in China angenommen hatte. Tang klingt ähnlich wie Adam, für chinesische
Ohren jedenfalls, und Ruowang kommt dem Klang von Johann nahe. Adam Schall ist
eine der augenfälligsten Persönlichkeiten in der Geschichte des Verkehrs
des historischen China mit dem Westen.
In
den Orient!
Schall,
1592 in einer Kölner Adligenfamilie geboren, ging 1608 nach dem Abschluss
des Dreikronengymnasiums auf Empfehlung Ferdinands von Bayern an das Germanikum
in Rom, die damals wohl beste katholische Bildungsanstalt für den deutschen Adel.
1611 wurde er bei den Jesuiten aufgenommen. An seine früheren philosophischen
Studien schlossen sich nun für vier Jahre mathematische, astronomische und theologische
Forschungen an. Das Interesse des jungen Adam wurde – ähnlich wie bei vielen
seiner Mitstudenten – von Matteo Ricci auf sich gezogen, der die Gunst des chinesischen
Kaisers für sich hatte gewinnen können und im damaligen Beijing sehr erfolgreich
tätig war. Als 1614 der Missionar Nicolas Trigault an den Vatikan zurückkehrte,
weckten dessen Bericht und seine Bitte an den jungen Scholaren, ihn doch als sein
Gehilfe ins Reich der Mitte zu begleiten, in Schall den Wunsch, seiner Berufung,
die er in sich spürte, nachzugeben und als Missionar nach China zu gehen. 1616
richtete er eine Bitte an die Generalversammlung der SJ, ihn nach Indien oder
China zu entsenden. Am Ende jenes Jahres fanden sich auf seinen Schreibheften
bereits die Worte „Geht bald nach China“.
Lange,
beschwerliche Reise
1618
schiffte sich Schall von Lissabon aus nach Goa ein, das er nach zehn Wochen und
dem Verlust einiger Ordensbrüder, die an einer Seuche gestorben waren, auch erreichte.
Von Goa aus reiste er weiter nach Makao. Dort blieb er bis 1622, da die Lage nach
dem Ableben Riccis eine frühere Einreise nicht zuließ. Über Guangzhou,
Ganjiang, Hangzhou und andere Orte erreichte er schließlich die Hauptstadt
der Ming, wo er zunächst Chinesisch lernte; nach einigen Jahren wurde er
zur Verbreitung der Lehre nach Xi’an versetzt. Auch dort beschäftigte er
sich weiter mit der Astronomie und beobachtete die Phänomene am Sternenhimmel
Chinas. In jener Zeit in Beijing und Xi’an verfasste er seine ersten beiden Bücher
über Mond- und Sonnenfinsternisse.
Zu
jener Zeit hatte Xu Guangqi, berühmter Gelehrter, Minister im Ritenamt und Christ,
bereits öfter in Eingaben nach einer Reform des Kalenders verlangt. Das damalige
Kalendersystem hatte sich als fehlerhaft erwiesen, für viele Rituale wurden aber
genaue astronomische Voraussagen benötigt. Der Kaiser Chong Zhen akzeptierte
schließlich die Ratschläge Xus und etablierte ein „Kalenderamt“. Beschäftigt
mit der Arbeit an einem neuen Kalender wurden schließlich einige Spezialisten,
darunter einige Missionaren. 1630 wurde auch Adam Schall, auf den man nicht mehr
verzichten konnte, nach Beijing bestellt.
Verbreitung
westlicher Lehren
Schall
war ein frommer Katholik. Er war in den Orient gekommen, um seine Religion zu
verbreiten. Zugleich erwarb er sich große weltliche Verdienste, indem er
wissenschaftliche und technische Kenntnisse mit nach China brachte.
Einmal
ins Kalenderamt bestellt, widmete Schall fortan seine ganze Zeit der Ausarbeitung
eines korrekten Kalenders. Einfach war seine Arbeit nicht: In China war der alte
Kalender schon seit geraumen Zeiten in Gebrauch, und gegen die Verwendung des
auf dem Gregorianischen Kalender beruhenden Rechensystems gab es Widerstände.
Aber durch seinen Fleiß und seine genauen Berechnungen gewann Adam Schall
das Vertrauen des Hofes und seiner Kollegen. So sagte er z. B. 1723 und 1724 eine
Sonnenfinsternis voraus, genauer als nach den bisher bekannten Verfahren, was
ihm den Respekt und die Bewunderung der Fachwelt einbrachte. Auf der Grundlage
der astronomischen Unterlagen, die Adam Schall aus Europa mitgebracht hatte, erstellten
er und die chinesischen Scholaren unter Xu Guangqi (Paul Hsü) einen neuen Kalender,
der 1634 fertiggestellt war: das „Chong-Zhen-Kalendarium“.
Schall
hatte aber nicht nur neue Mathematik und neue astronomische Betrachtungsweisen
mit sich gebracht. Er baute nach und nach eine Reihe von astronomischen Instrumenten,
Sonnenuhren, Teleskopen und Armillarsphären, um nur einige zu nennen.
Als
die Ming, von Aufständischen und im Norden von den Mandschus bedroht, in
immer größere Bedrängnis gerieten, wandten sie sich mit der Bitte
an Schall, Kanonen nach portugiesischem Vorbild für sie zu gießen. In den
folgenden zwei Jahren entstanden mehr als 40 der „rotgewandeten Schießrohre“,
ohne der Dynastie allerdings noch von Nutzen zu sein.
Daneben
befasste sich der Kölner Jesuit mit Übersetzungen und dem Abfassen von
Büchern. So entstand eine Reihe über die europäische Metallurgie, die unter
der Ägide und mit der Unterstützung Li Tianjings, des Nachfolgers Xu Guangqis,
von Schall ins Chinesische übersetzt wurde. Dieses für die chinesische Metallurgie
so wichtige Buch wurde um 1640 fertiggestellt. Zusammen mit anderen Autoren verfasste
er ein Werk über die Natur, insbesondere über Zoologie und Botanik. Die Beschreibungen
der inneren Organe, des Blutes und ihrer Funktionen erregten die Aufmerksamkeit
der chinesischen Mediziner schon damals und auch im weiteren Prozess der Adaption
einiger Elemente der westlichen Medizin. Ein weiteres Buch befasste sich mit dem
Entwurf, dem Bau und der Verwendung von Kanonen. „Die Theorie des Fernglases“
beschrieb die Prinzipien, die Herstellung, den Gebrauch und den Schutz von Linsen
und Objektiven, dazu weiteres Wissen über optische Gesetze. Weitere gut dreißig
Bücher beschäftigten sich mit anderen Themen, nicht zuletzt der Astronomie
und ihren Sonderphänomenen.
Für
seine Verdienste bekam Adam Schall von Bell vom unter der Regierungsdevise Chong
Zhen („Erhabene Gunst“) angetretenen Kaiser der Ming eine Ehrentafel mit der Aufschrift
„Gepriesener Meister der Lehre des Himmels“ verliehen.
Tang
Ruowang war ein polyglotter Deutscher. Er sprach sowohl das Chinesisch der Gelehrten
als auch die einfache Sprache der Leute von der Straße, auf die er auch
in seinen Predigten zurückgriff. Auch die Idiome anderer Länder waren ihm
geläufig. Als einmal holländische Gesandte an den Hof des chinesischen
Kaisers kamen, wurde der bärtige Missionar gebeten, sich als Dolmetscher
zur Verfügung zu stellen. Seine großartigen Leistungen sind von seinem Fleiß,
seinem Forscherdrang und seinem Eifer nicht zu trennen.
Adam
Schall wird „Mafa“
Auch
während des Dynastiewechsels blieb Schall in Chinas Hauptstadt, um fortan
den Herrschern der Qing zu dienen. Als seine Berechnung einer Sonnenfinsternis
sich im ersten Jahr des neuen Mandschu-Herrschers als vollständig richtig
erwiesen, war ihm die Bewunderung der Menschen inner- und außerhalb der
Palastmauern sicher. Er überarbeitete noch einmal den von ihm erstellten Kalender,
den die Ming als zu öffentlichem Gebrauch bestimmt zu proklamieren nicht
mehr die Zeit gehabt hatten, kürzte und verbesserte ihn und überreichte ihn unter
dem neuen Namen „Neues westliches Kalendarium“ dem Hof. In Würdigung seiner offensichtlichen
Verdienste um die chinesische Astronomie und die Kalenderreform wurde ihm der
Titel des Präsidenten des Kaiserlichen Astronomischen Amtes verliehen. Ein
Jahr später führte die Dynastie den neuen Kalender offiziell ein. Er wurde
bis 1911 beibehalten.
Schall
kam bald in den Genuss besonderer Privilegien. Er konnte nach seinem Belieben
Throneingaben zu jeder Naturphänomene betreffenden Frage machen, überdies
durfte er dem jungen Kaiser Shun Zhi höchstpersönlich alle Probleme
von Mond- und Sonnenfinsternissen und der Bewegung der Fixsterne erläutern.
Schall gewann die besondere Gunst dieses Kaisers, der ihn mit dem mandschurischen
Ehrennamen „Mafa“ bedachte, „ehrwürdiger Ahn“. Nach und nach erhielt Schall weitere
Belohnungen und Adelstitel, 1653 z. B. die Ehrenbezeichnung „Alle Geheimnisse
durchdringender Meister“, zusammen mit einem Stück Land. Verbunden mit seinen
neuen Titeln waren zumeist auch neue und ehrenvolle Aufgaben. Vom Mandarin der
Klasse drei, verbunden mit dem Titel des kaiserlichen Kanzleipräsidenten,
stieg Schall schließlich zum Mandarin erster Klasse und damit zu einem der
höchsten Würdenträger auf.
Unglücklicher
Lebensabend
Die Erfolge
Schalls und der gute Ruf, den er am Hofe und beim Volke genoss, trugen ihm auch
den Hass und die Missgunst anderer ein. Schall wurde verleumdet, das Lob seiner
Taten wurde unterdrückt.
Innerhalb
seiner Kirche genoss er alles Vertrauen seiner Mitjesuiten und der chinesischen
Freunde des Katholizismus, die ihn unterstützten. Trotzdem erlitt der Kölner
Jesuit im Alter ein unglückliches und unverdientes Schicksal.
Im
Jahr 1644 traf ihn eine schwerere Paralyse, so dass er kaum noch gehen und sprechen,
geschweige denn arbeiten konnte. Gerade in jenem Jahr aber beschuldigte eine konservative
Beamtenclique unter der Führung Yang Guangxians Schall, er plane eine Verschwörung,
verwirre das Volk und stelle fehlerhafte astronomische Berechnungen an. Auch Ferdinand
Verbiest und andere Jesuiten waren angeklagt. Schall wurde die Mandarinwürde aberkannt,
die Wohnungen der Jesuiten wurden wieder und wieder durchsucht, sie selbst wurden
in schweren Ketten dem Gericht vorgeführt und schließlich ins Gefängnis
geworfen. Nach einer „Revision“ wurde Schalls Strafe in schweren Hausarrest umgewandelt.
1666 starb Adam Johann Schall von Bell im Alter von 75 Jahren.
Nachdem
Kaiser Kang Xi, den sein Vater noch mit dem Rat Schalls zu seinem Nachfolger bestimmt
hatte, den Drachenthron bestiegen hatte, trat Ferdinand Verbiest, Freund und Schüler
Schalls, dessen Nachfolge als oberster Astronom an. Yang Guangxian wurde entlassen.
Noch am Ende desselben Jahres 1669 verfasste Kang Xi selbst eine posthume Grabesrede
für Adam Schall, in der er den Forscher einen „aufrechten und pflichterfüllten
Beamten, der seiner Aufgabe bis zum letzten Atemzug treu blieb“, der „eigens vom
Kaiser rehabilitiert“ wurde, nannte. Kang Xi sandte eine Sonderdelegation an das
Grab des deutschen Jesuiten. Der Beschluss des Kaisers wurde in das Grabmal Schalls
eingemeißelt, auf dem er noch heute deutlich zu lesen steht.
Aus
„China im Aufbau“, Nr. 6, 1984