Juni 2004
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Ein Land, zwei Tore

- Von Hong Kong nach Shenzhen

Von Mitarbeiter Luo Yuanjun

Heute bezeichnen die Hong Konger Arbeit und Leben im Landesinneren als „Hineingehen“ und das Auswandern als „Hinausgehen“. Das Erstere ist in.

Vor der Rückkehr Hong Kongs nach China am 1. Juli 1997 säumten Wachhäuschen mit Grenzsoldaten die Grenze zwischen Hong Kong und Shenzhen. Seit 1997 sind die Grenzkontrollen gelockert. Der illegale Grenzverkehr ist minimiert und Reisen ins Landesinnere wurde flexibler. Die Wachhäuschen sind immer noch vorhanden, doch Überwachungskameras übernahmen die Arbeit der Grenzsoldaten und so sind nur noch wenige Häuschen besetzt.

Shenzhen und Hong Kong sind eng miteinander verbunden. „In unserem Dorf hat beinahe jeder Haushalt Verwandte in Hong Kong“, sagt Yang Xiaobo, eine Einwohnerin der Stadt Longhua in Shenzhen. „Vor Ende Oktober 1980 hatte jeder, der die Grenze überschritt und Verwandte in Hong Kong hatte, das Recht auf eine legale Aufenthaltsgenehmigung.“

Heute bezeichnen die Hong Konger Arbeit und Leben im Landesinneren als „Hineingehen“ und das Auswandern als „Hinausgehen“. Das Erstere ist in. Statistiken zeigen, dass mindestens 300 000 Einwohner Hong Kongs im Landesinneren arbeiten und wohnen, und wenn die zwischen Hong Kong und dem Festland pendelnden Einwohner der Sonderverwaltungszone mitgerechnet werden, dann steigt diese Zahl noch auf 500.000 an. Mehr als 85 Prozent der Hong Konger Einwohner, die im Landesinneren arbeiten, konzentrieren sich auf einige wenige Städte in der Provinz Guangdong, vor allem auf  Shenzhen und Dongguan.

Geh nach Shenzhen und werde reich

Tang Ping, der als Bäcker in Hong Kong arbeitet, sagt: „Mein Monatsgehalt in Hong Kong ist über 10.000 HK-Dollar, doch Freunde in Shenzhen sagten mir, dass die Löhne dort beinahe gleich hoch seien und jährlich stiegen.“ Nach einer Umfrage des Hong Konger statistischen Büros verdienen 80 Prozent der Hong Konger, die im Landesinneren arbeiten, monatlich mehr als 10.000 Yuan und 20 Prozent sogar 30.000 Yuan. Das ergibt ein Durchschnittsgehalt von 15.000 Yuan – ganze 5.000 Yuan mehr als in Hong Kong. Ungefähr 20 Prozent der Befragten sind optimistisch, was ihre Karriereausssichten am Festland angeht. Xu Baorong, Forscher an der Hong Kong Human Resources Management Association meint: „Die Zahl der Hong Konger, die am Festland arbeiten wird mit Sicherheit zunehmen.“

In den frühen 90er Jahren wuchs die Menge der Direktinvestitionen in China rapide. Für manche ausländische Firmen war es praktisch, erfahrenes Managementpersonal von Taiwan und Hong Kong auf das chinesische Festland zu „verpflanzen“. „Z.B. konnte jemand mit einem Jahresgehalt von 500.000 Yuan in Hong Kong mindestens 700.000 Yuan auf dem Festland verdienen. Sie waren in den besten Hotels untergebracht, bekamen mehr Gehalt plus einer 15-20-prozentigen Zulage und langem Urlaub“, erinnert sich Zhuang Lei, ein hochrangiger Betriebsmanager, der schon über zehn Jahre für ausländische Firmen in Shenzhen gearbeitet hat.

Die Rückkehr Hong Kongs nach China veränderte all das und private Festlandunternehmen übernahmen die Strategie, Profis aus Übersee aufzunehmen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Zhuang Lei meint dazu: „Damals wurde die 15-20-prozentige Zulage für die Hong Konger, die in transnationalen Unternehmen arbeiteten, gestrichen und ihre Gehälter wurden an die im Landesinneren angeglichen.“.

Anfang 2002 wurde die Arbeit nördlich der Grenze zum heißen Thema in den Hong Konger Medien, als die „Maßnahmen zur engeren wirtschaftlichen Partnerschaft“ (CEPA: Close Economic Partnership Arrangements) unterzeichnet wurden. Transnationale Unternehmen mit Sitz in Hong Kong begannen entweder ihre Aktivitäten auf das Landesinnere auszuweiten oder direkt dort zu investieren. Da es keine Gehaltsunterschiede mehr gab zwischen dem Festland und Hong Kong, machte es für Hong Konger Sinn, Stellen außerhalb der Sonderverwaltungszone anzunehmen.

Die Hong Kongerin Zhang Yu ging nach dem Studienabschluss nach Shenzhen, um an einer Mittelschule zu unterrichten. Ihre Eltern reisen geschäftlich viel zwischen Hong Kong und Shenzhen und einige ihrer Freunde und Verwandten arbeiten auch hier. Obwohl ihr Gehalt weniger als 10.000 beträgt, ist sie zufrieden. „Ich glaube, dass mein Gehalt in Shenzhen ein wenig niedriger ist als in Hong Kong, aber die Lebenskosten hier sind auch nicht so hoch. Das gleicht sich wieder aus. Wie auch immer, ich mag meinen Job.“ Zhang Yu fährt in den Winter- und Sommerferien oft zurück nach Hong Kong, um ihre Freunde und Verwandten zu besuchen.

Vor einem Jahr kam Ma Ning von Hong Kong nach Shenzhen, um als Makler für eine Wertpapierfirma zu arbeiten. Er meint: „Es ist angenehm, in Shenzhen zu arbeiten und ich möchte gerne für längere Zeit bleiben.“ Statistiken zeigen, dass die Anzahl der registrierten Angestellten in Shenzhen aus Hong Kong, Makau und Taiwan seit 1993 jährlich steigt und nun bei 41.500 liegt. Letztes Jahr genehmigte das Arbeitsamt die Anstellung von 6.000 Hong Kongern, Makauern und Taiwanern. Der Großteil davon war hochrangiges Management- und Technologiepersonal von ausländischen Unternehmen.

Shenzhens lokale und ausländisch finanzierten Unternehmen wollen Hong Konger Technologie und Fachwissen einführen. Industriebetriebe wie die ZTE-Gesellschaft (Zhongxing-Gesellschaft für Telekommunikation) und einige Finanzinstitutionen waren bei einer Pressekonferenz in Kanton zugegen, die von bekannten Festlandunternehmen finanziert wurde, um Hong Konger Fachleute anzulocken.

Hong Kongs Ansehen als globales Finanzzentrum mit einer hohen Dichte hervorragender Management- und Technologiefachleute führt dazu, dass die von dort stammenden Talente bei Shenzhener Unternehmen sehr gefragt sind. Hong Kongs Finanz-, Dienstleistungs- und Kommunikationsfachleute sind sehr erfahren, was Unternehmensführung und Standardisierung nach internationalen Normen angeht. Laut eines Vertreters der ZTE-Gesellchaft war China nach dem WTO-Beitritt mit Arbeitskräfteknappheit konfrontiert, die nur durch Hong Kongs Reserve von gut qualifizierten Arbeitskräften wettgemacht werden konnte.

Yang Xiaobo aus der Stadt Longhua sagt: „Die Konkurrenz am Arbeitsmarkt in Hong Kong ist sehr stark und die Gehälter sind nicht so hoch. Deshalb ist es eine sehr realistische Alternative, im Landesinneren zu arbeiten. Eine große Anzahl von Hong Konger Einwohnern sucht aktiv Arbeit am Festland, was in gewissem Ausmaß den Druck auf den Hong Konger Arbeitsmarkt verringert.“

Geh nach Shenzhen und konsumiere

Hong Konger Einwohner, die gutes Geld in Shenzhen verdienen, geben es auch gerne vor Ort aus. Grund und Boden in Shenzhen zu kaufen war anfangs eine Art von Investition. Im Zuge der Verbesserungen des politischen und wirtschaftlichen Umfelds am Festland, entschieden sich jedoch immer mehr Hong Konger in Hong Kong zu arbeiten und in Shenzhen zu wohnen.

Yang Xiaobo kann viel über den Erwerb von Grund und Boden in Shenzhen erzählen. Seine Tante kaufte ein 70qm-Haus in Hong Kong zum Preis von 3 Millionen Yuan, da sie aber eine große Familie hat, ist es zu eng geworden. Dazu sagt Yang Xiaobo: „Wenn ich auf Geschäftsreise nach Hong Kong gehe, übernachte ich selten bei meinen Verwandten, weil sie nur über einen sehr beschränkten Wohnraum verfügen. In Shenzhen kannst du für 3 Millionen Yuan ein sehr geräumiges Haus kaufen. Obwohl die Hauspreise in Hong Kong in den letzten Jahren um die Hälfte gefallen sind, sind sie noch immer viel höher als in Shenzhen.“ 

Yang Xiaobo erinnert sich an seine erste Reise nach Hong Kong: „Meine Freunde in Hong Kong behandelten mich sehr zuvorkommend, aber die Konsumkosten sind unwahrscheinlich hoch. Heutzutage kommen viele meiner Hong Konger Freunde am Wochenende nach Shenzhen, weil die Konsumkosten so viel niedriger sind als in Hong Kong.“

Die Nähe Shenzhens zu Hong Kong macht es zur ersten Wahl für Einkäufe vieler Hong Konger. Universitätsprofessor Li sagt: „Ein maßgeschneiderter westlicher Anzug kostet in Shenzhen nur 700 HK-Dollar. Meine ganze Familie kauft nun Maßkonfektion in Shenzhen, weil sie billig und elegant ist. So spart man viel Geld.“

Geh nach Shenzhen und heirate

Ein Grund, warum so viele qualifizierte junge Männer nach Shenzhen gehen, ist, dass sie dort einfacher eine Frau finden können. In Hong Kong ist die Geschlechterrelation zu gunsten von Männern ungleich verteilt, doch in Shenzhen ist das Gegenteil der Fall. Ma Ning behauptet: „In Hong Kong sind mehr Männer als Frauen, aber in Shenzhen ist das Verhältnis Männer zu Frauen 3:7. Hong Konger Männer mit ihrem Ruf von wirtschaflticher Substanz und Geschäftssinn sind sehr gefragte Ehepartner.“

Wegen der beschränkten Einwanderungsquoten Hong Kongs ist es nicht einfach für Ehefrauen vom Festland, die Hong Konger Aufenthaltsgenehmigungen zu bekommen. Ende 2002 machte das Büro für öffentliche Sicherheit in Guangdong bekannt, dass wegen der großen Anzahl von Guangdong/Hong Kong Ehepaaren, die wegen der Arbeit des Ehepartner in Hong Kong gezwungenermaßen getrennt leben, es keine Enschränkung für einen Besuch des Ehepartner in Hong Kong gibt.

Hong Konger Einwohner, die in Shenzhen leben, haben keine Bedenken, über zwei Domizile zu verfügen. Zwei Jahre nachdem er anfing, in Shenzhen zu arbeiten, traf Zhang Yu Yuan Zhi, einen Chinesischlehrer an einer anderen Mittelschule. Das Paar verliebte sich sofort und heiratete. Yuan Zhi sagt: „ Das Leben in Shenzhen ist ganz und gar gleichwertig wie das in Hong Kong. In Shenzhen können wir uns ein 100qm-Haus leisten, was in Honkong unmöglich wäre.“

Zur Schule pendeln

Manche der Hong Konger Kinder, die in Shenzhen zur Schule gehen, fahren jedes Wochenende nach Hause nach Hong Kong, um Nachhilfe zu nehmen und Verwandte zu besuchen. Sie sehen Shenzhen als ihre zweite Heimat an. Zhang Xiaobo sagt: „In Shenzhen kann man gutes Geld verdienen, Waren sind billiger und man findet einfacher eine Frau zum Heiraten. Diese günstige Kombination führt immer mehr Hong Konger nach Shenzhen.“ Die Implementierung der CEPA bietet lukrative Möglichkeiten für Hong Konger Unternehmen, die sich nach Shenzhen ausdehnen wollen.

Wei Dazhi, geschäftsführender Direktor des Instituts für Industriewirtschaft der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Universität Shenzhen, sieht seinen geplanten Entwurf einer engeren Beziehung zwischen Hong Kong und Shenzhen so: „Shenzhen und Hong Kong sollten gemeinsame Dienstleistungen und Warenhandel betreiben. Es sollte auch einen wirksamen Fluss von Produktionselementen, geben, die die Warenzirkulation, Arbeitskräfte, Finanzmittel und Dienstleistungen fördern, ähnlich wie in der Europäischen Union vor der Einführung des Euro. Integration, wie sie in einem gemeinsamen Markt praktiziert wird, ist die beste Lösung für Shenzhen und Honkong.“

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