Ein
Land, zwei Tore
-
Von Hong Kong nach Shenzhen
Von
Mitarbeiter Luo Yuanjun


Heute
bezeichnen die Hong Konger Arbeit und Leben im Landesinneren
als „Hineingehen“ und das Auswandern als „Hinausgehen“.
Das Erstere ist in.
Vor
der Rückkehr Hong Kongs nach China am 1. Juli 1997 säumten
Wachhäuschen mit Grenzsoldaten die Grenze zwischen
Hong Kong und Shenzhen. Seit 1997 sind die Grenzkontrollen
gelockert. Der illegale Grenzverkehr ist minimiert und Reisen
ins Landesinnere wurde flexibler. Die Wachhäuschen
sind immer noch vorhanden, doch Überwachungskameras
übernahmen die Arbeit der Grenzsoldaten und so sind nur
noch wenige Häuschen besetzt.
Shenzhen
und Hong Kong sind eng miteinander verbunden. „In unserem
Dorf hat beinahe jeder Haushalt Verwandte in Hong Kong“,
sagt Yang Xiaobo, eine Einwohnerin der Stadt Longhua in
Shenzhen. „Vor Ende Oktober 1980 hatte jeder, der die Grenze
überschritt und Verwandte in Hong Kong hatte, das Recht
auf eine legale Aufenthaltsgenehmigung.“
Heute bezeichnen die Hong
Konger Arbeit und Leben im Landesinneren als „Hineingehen“
und das Auswandern als „Hinausgehen“. Das Erstere ist in.
Statistiken zeigen, dass mindestens 300 000 Einwohner Hong
Kongs im Landesinneren arbeiten und wohnen, und wenn die
zwischen Hong Kong und dem Festland pendelnden Einwohner
der Sonderverwaltungszone mitgerechnet werden, dann steigt
diese Zahl noch auf 500.000 an. Mehr als 85 Prozent der
Hong Konger Einwohner, die im Landesinneren arbeiten, konzentrieren
sich auf einige wenige Städte in der Provinz Guangdong,
vor allem auf Shenzhen und Dongguan.
Geh
nach Shenzhen und werde reich
Tang
Ping, der als Bäcker in Hong Kong arbeitet, sagt: „Mein
Monatsgehalt in Hong Kong ist über 10.000 HK-Dollar, doch
Freunde in Shenzhen sagten mir, dass die Löhne dort
beinahe gleich hoch seien und jährlich stiegen.“ Nach
einer Umfrage des Hong Konger statistischen Büros verdienen
80 Prozent der Hong Konger, die im Landesinneren arbeiten,
monatlich mehr als 10.000 Yuan und 20 Prozent sogar 30.000
Yuan. Das ergibt ein Durchschnittsgehalt von 15.000 Yuan
– ganze 5.000 Yuan mehr als in Hong Kong. Ungefähr
20 Prozent der Befragten sind optimistisch, was ihre Karriereausssichten
am Festland angeht. Xu Baorong, Forscher an der Hong
Kong Human Resources Management Association meint: „Die
Zahl der Hong Konger, die am Festland arbeiten wird mit
Sicherheit zunehmen.“
In
den frühen 90er Jahren wuchs die Menge der Direktinvestitionen
in China rapide. Für manche ausländische Firmen war
es praktisch, erfahrenes Managementpersonal von Taiwan und
Hong Kong auf das chinesische Festland zu „verpflanzen“.
„Z.B. konnte jemand mit einem Jahresgehalt von 500.000 Yuan
in Hong Kong mindestens 700.000 Yuan auf dem Festland verdienen.
Sie waren in den besten Hotels untergebracht, bekamen mehr
Gehalt plus einer 15-20-prozentigen Zulage und langem Urlaub“,
erinnert sich Zhuang Lei, ein hochrangiger Betriebsmanager,
der schon über zehn Jahre für ausländische Firmen in
Shenzhen gearbeitet hat.
Die
Rückkehr Hong Kongs nach China veränderte all das und
private Festlandunternehmen übernahmen die Strategie, Profis
aus Übersee aufzunehmen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit
zu steigern. Zhuang Lei meint dazu: „Damals wurde die 15-20-prozentige
Zulage für die Hong Konger, die in transnationalen Unternehmen
arbeiteten, gestrichen und ihre Gehälter wurden an
die im Landesinneren angeglichen.“.
Anfang
2002 wurde die Arbeit nördlich der Grenze zum heißen
Thema in den Hong Konger Medien, als die „Maßnahmen
zur engeren wirtschaftlichen Partnerschaft“ (CEPA: Close
Economic Partnership Arrangements) unterzeichnet wurden.
Transnationale Unternehmen mit Sitz in Hong Kong begannen
entweder ihre Aktivitäten auf das Landesinnere auszuweiten
oder direkt dort zu investieren. Da es keine Gehaltsunterschiede
mehr gab zwischen dem Festland und Hong Kong, machte es
für Hong Konger Sinn, Stellen außerhalb der Sonderverwaltungszone
anzunehmen.
Die
Hong Kongerin Zhang Yu ging nach dem Studienabschluss nach
Shenzhen, um an einer Mittelschule zu unterrichten. Ihre
Eltern reisen geschäftlich viel zwischen Hong Kong
und Shenzhen und einige ihrer Freunde und Verwandten arbeiten
auch hier. Obwohl ihr Gehalt weniger als 10.000 beträgt,
ist sie zufrieden. „Ich glaube, dass mein Gehalt in Shenzhen
ein wenig niedriger ist als in Hong Kong, aber die Lebenskosten
hier sind auch nicht so hoch. Das gleicht sich wieder aus.
Wie auch immer, ich mag meinen Job.“ Zhang Yu fährt
in den Winter- und Sommerferien oft zurück nach Hong Kong,
um ihre Freunde und Verwandten zu besuchen.
Vor
einem Jahr kam Ma Ning von Hong Kong nach Shenzhen, um als
Makler für eine Wertpapierfirma zu arbeiten. Er meint: „Es
ist angenehm, in Shenzhen zu arbeiten und ich möchte
gerne für längere Zeit bleiben.“ Statistiken zeigen,
dass die Anzahl der registrierten Angestellten in Shenzhen
aus Hong Kong, Makau und Taiwan seit 1993 jährlich
steigt und nun bei 41.500 liegt. Letztes Jahr genehmigte
das Arbeitsamt die Anstellung von 6.000 Hong Kongern, Makauern
und Taiwanern. Der Großteil davon war hochrangiges
Management- und Technologiepersonal von ausländischen
Unternehmen.
Shenzhens
lokale und ausländisch finanzierten Unternehmen wollen
Hong Konger Technologie und Fachwissen einführen. Industriebetriebe
wie die ZTE-Gesellschaft (Zhongxing-Gesellschaft für Telekommunikation)
und einige Finanzinstitutionen waren bei einer Pressekonferenz
in Kanton zugegen, die von bekannten Festlandunternehmen
finanziert wurde, um Hong Konger Fachleute anzulocken.
Hong
Kongs Ansehen als globales Finanzzentrum mit einer hohen
Dichte hervorragender Management- und Technologiefachleute
führt dazu, dass die von dort stammenden Talente bei Shenzhener
Unternehmen sehr gefragt sind. Hong Kongs Finanz-, Dienstleistungs-
und Kommunikationsfachleute sind sehr erfahren, was Unternehmensführung
und Standardisierung nach internationalen Normen angeht.
Laut eines Vertreters der ZTE-Gesellchaft war China nach
dem WTO-Beitritt mit Arbeitskräfteknappheit konfrontiert,
die nur durch Hong Kongs Reserve von gut qualifizierten
Arbeitskräften wettgemacht werden konnte.
Yang
Xiaobo aus der Stadt Longhua sagt: „Die Konkurrenz am Arbeitsmarkt
in Hong Kong ist sehr stark und die Gehälter sind nicht
so hoch. Deshalb ist es eine sehr realistische Alternative,
im Landesinneren zu arbeiten. Eine große Anzahl von
Hong Konger Einwohnern sucht aktiv Arbeit am Festland, was
in gewissem Ausmaß den Druck auf den Hong Konger Arbeitsmarkt
verringert.“
Geh
nach Shenzhen und konsumiere
Hong
Konger Einwohner, die gutes Geld in Shenzhen verdienen,
geben es auch gerne vor Ort aus. Grund und Boden in Shenzhen
zu kaufen war anfangs eine Art von Investition. Im Zuge
der Verbesserungen des politischen und wirtschaftlichen
Umfelds am Festland, entschieden sich jedoch immer mehr
Hong Konger in Hong Kong zu arbeiten und in Shenzhen zu
wohnen.
Yang Xiaobo kann viel über
den Erwerb von Grund und Boden in Shenzhen erzählen.
Seine Tante kaufte ein 70qm-Haus in Hong Kong zum Preis
von 3 Millionen Yuan, da sie aber eine große Familie
hat, ist es zu eng geworden. Dazu sagt Yang Xiaobo: „Wenn
ich auf Geschäftsreise nach Hong Kong gehe, übernachte
ich selten bei meinen Verwandten, weil sie nur über einen
sehr beschränkten Wohnraum verfügen. In Shenzhen kannst
du für 3 Millionen Yuan ein sehr geräumiges Haus kaufen.
Obwohl die Hauspreise in Hong Kong in den letzten Jahren
um die Hälfte gefallen sind, sind sie noch immer viel
höher als in Shenzhen.“
Yang
Xiaobo erinnert sich an seine erste Reise nach Hong Kong:
„Meine Freunde in Hong Kong behandelten mich sehr zuvorkommend,
aber die Konsumkosten sind unwahrscheinlich hoch. Heutzutage
kommen viele meiner Hong Konger Freunde am Wochenende nach
Shenzhen, weil die Konsumkosten so viel niedriger sind als
in Hong Kong.“
Die
Nähe Shenzhens zu Hong Kong macht es zur ersten Wahl
für Einkäufe vieler Hong Konger. Universitätsprofessor
Li sagt: „Ein maßgeschneiderter westlicher Anzug kostet
in Shenzhen nur 700 HK-Dollar. Meine ganze Familie kauft
nun Maßkonfektion in Shenzhen, weil sie billig und
elegant ist. So spart man viel Geld.“
Geh
nach Shenzhen und heirate
Ein
Grund, warum so viele qualifizierte junge Männer nach
Shenzhen gehen, ist, dass sie dort einfacher eine Frau finden
können. In Hong Kong ist die Geschlechterrelation zu
gunsten von Männern ungleich verteilt, doch in Shenzhen
ist das Gegenteil der Fall. Ma Ning behauptet: „In Hong
Kong sind mehr Männer als Frauen, aber in Shenzhen
ist das Verhältnis Männer zu Frauen 3:7. Hong
Konger Männer mit ihrem Ruf von wirtschaflticher Substanz
und Geschäftssinn sind sehr gefragte Ehepartner.“
Wegen
der beschränkten Einwanderungsquoten Hong Kongs ist
es nicht einfach für Ehefrauen vom Festland, die Hong Konger
Aufenthaltsgenehmigungen zu bekommen. Ende 2002 machte das
Büro für öffentliche Sicherheit in Guangdong bekannt,
dass wegen der großen Anzahl von Guangdong/Hong Kong
Ehepaaren, die wegen der Arbeit des Ehepartner in Hong Kong
gezwungenermaßen getrennt leben, es keine Enschränkung
für einen Besuch des Ehepartner in Hong Kong gibt.
Hong
Konger Einwohner, die in Shenzhen leben, haben keine Bedenken,
über zwei Domizile zu verfügen. Zwei Jahre nachdem er anfing,
in Shenzhen zu arbeiten, traf Zhang Yu Yuan Zhi, einen Chinesischlehrer
an einer anderen Mittelschule. Das Paar verliebte sich sofort
und heiratete. Yuan Zhi sagt: „ Das Leben in Shenzhen ist
ganz und gar gleichwertig wie das in Hong Kong. In Shenzhen
können wir uns ein 100qm-Haus leisten, was in Honkong
unmöglich wäre.“
Zur
Schule pendeln
Manche
der Hong Konger Kinder, die in Shenzhen zur Schule gehen,
fahren jedes Wochenende nach Hause nach Hong Kong, um Nachhilfe
zu nehmen und Verwandte zu besuchen. Sie sehen Shenzhen
als ihre zweite Heimat an. Zhang Xiaobo sagt: „In Shenzhen
kann man gutes Geld verdienen, Waren sind billiger und man
findet einfacher eine Frau zum Heiraten. Diese günstige
Kombination führt immer mehr Hong Konger nach Shenzhen.“
Die Implementierung der CEPA bietet lukrative Möglichkeiten
für Hong Konger Unternehmen, die sich nach Shenzhen ausdehnen
wollen.
Wei
Dazhi, geschäftsführender Direktor des Instituts für
Industriewirtschaft der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften
der Universität Shenzhen, sieht seinen geplanten Entwurf
einer engeren Beziehung zwischen Hong Kong und Shenzhen
so: „Shenzhen und Hong Kong sollten gemeinsame Dienstleistungen
und Warenhandel betreiben. Es sollte auch einen wirksamen
Fluss von Produktionselementen, geben, die die Warenzirkulation,
Arbeitskräfte, Finanzmittel und Dienstleistungen fördern,
ähnlich wie in der Europäischen Union vor der
Einführung des Euro. Integration, wie sie in einem gemeinsamen
Markt praktiziert wird, ist die beste Lösung für Shenzhen
und Honkong.“