Erinnerungen
auf Porzellan
Von
Uschi Nagy

Shanghaier
Porzellankünstlerin schafft Kunst für den Alltag. Mit ungewöhnlichen
Ideen belebt die 31jährige den chinesischen Porzellanmarkt.
Keramik und Porzellan gehören in unseren
Haushalten zum festen Inventar, doch nur wenige kennen ihren
Entstehungsort, China. Hier wurde schon im 3. Jahrhundert die
Porzellankunst erfunden und in die ganze Welt exportiert. In
den letzten Jahrzehnten hat China jedoch auf dem internationalen
Porzellanmarkt sein Ansehen verloren, denn es gibt nur wenige
zeitgenössische Künstler.
Einige chinesische Künstler widmen sich
heute der vernachlässigten Porzellankunst. Wang Haichen
ist eine von ihnen. Sie hat vor zwei Monaten einen kleinen Porzellanladen
im Zentrum Shanghais eröffnet. Unter ihren Kunden sind
viele Ausländer, vor allem Deutsche.
In
ihrem kleinen Laden „Blue Shanghai White“, nicht weit von Shanghais
Prachtstraße, dem Bund, verkauft Wang Haichen Porzellan
und Möbel aus altem Holz. Einrichtungsgegenstände
für den Alltag? Nicht nur das.
Wang
Haichen ist Porzellankünstlerin. Aus alltäglichen Gegenständen
macht sie Kunst. Traditionelle chinesische Möbel hat sie
mit Porzellanplatten verziert. Die Tassen sind nicht rund sondern
oval, die Teller haben einen kleinen Knick. Mit feinem Pinselstrich
hat sie auf das Porzellan chinesische Landschaften oder eigenwillige
Muster aus Strichen und Punkten gemalt. Dabei verwendet sie
die traditionellen Farben blau und weiß, die schon zur
Kaiserzeit im 14. Jahrhundert beliebt waren. Die 31-jährige
Chinesin ist eine ambitionierte Künstlerin. Durch dem Laden
möchte sie ihre Kunst auch in den Alltag bringen: „Ich
möchte Objekte herstellen, die Leute im Alltag gebrauchen
können und kaufen werden. Dazu bietet sich Keramik an.
Außerdem mache ich immer mehr Installationen, mit denen
ich meine Gedanken, aber auch meine Vorstellungen zur Keramik
zum Ausdruck bringen kann.“ Haichens Installationen lassen viel
Raum zur Interpretation. So zum Beispiel ein klassischer Hocker
aus Porzellan, der auf der Sitzfläche Stacheln hat oder
zwei Meter große Porzellanblöcke, die Hochhäusern
ähneln. Bei der Betrachtung ihrer Werke wird eines schnell
deutlich: Wang Haichen verbindet traditionelle Formen
und Muster mit modernen Elementen. So auch bei ihrer neuesten
Arbeit: Porzellangeschirr mit Bildern von Shanghais alten Arbeiterhäusern
aus der Kolonialzeit im Shikumen-Stil. Dafür hat sie den Pinsel
gegen den Computer ausgetauscht, mit dem sie Fotos der Shikumen-Häuser
auf das Porzellan projiziert. Damit setzt sie der sich im Abriss
befindenden Altstadt Shanghais ein Denkmal.
Ihr
Interesse an der chinesischen Kultur und Geschichte hat sich
erst in den letzten Jahren entwickelt. Während ihrer Ausbildung
an der Kunstschule lehnte sie alles ab, was mit Traditionen
zu tun hatte. Wang Haichen erinnert sich zurück: „In den 80ern
kamen im Zuge der Öffnung des Landes auch westliche Kultur
und Kunstkonzepte ins Land. Das war sehr interessant und wir
hatten deshalb keine Zeit, darüber nachzudenken, was ursprünglich
chinesische Kunst war.“ Erst als die Künstlerin ins Ausland
reiste, begann sie, sich auf das kulturelle Erbe zu besinnen.
Heute möchte sie auf der Grundlage ihrer Wurzeln etwas
Modernes schaffen.
Die
gebürtige Shanghaierin kommt aus einer Künstlerfamilie und hat
sich seit ihrem 15. Lebensjahr auf Kunst spezialisiert. In den
90er Jahren studierte sie an der Akademie für Kunst und Design
in Peking und entschied sich bald für die Arbeit mit Porzellan.
Seitdem hat sie sich für die Anerkennung von Keramik als Kunstform
eingesetzt. Sie organisierte Ausstellungen in Peking und Shanghai
und gab das erste Magazin über zeitgenössische Keramik
mit heraus. Anerkennung für ihre Kunst erntete sie bisher jedoch
vor allem im Ausland. Bei der letzten Ausstellung von zeitgenössischen
Künstlern in Shanghai konnte sie zehn verschiedene Länder
für moderne Porzellankunst aus China begeistern. Zur Zeit sind
ihre Installationen auf Rundreise durch Museen in Europa und
Amerika. Dieses Jahr nimmt Wang Haichen an Workshops in den
Niederlanden und den USA teil.
Nur
wenige chinesische Künstler sind so erfolgreich. Denn neben
der traditionellen Kalligraphie und Malerei hat die Porzellankunst
in China einen schweren Stand, sagt die 31- jährige: „Chinesen
interessieren sich mehr für Antiquitäten aus Porzellan.
Zeitgenössische Werke schauen sie sich allenfalls an und
fragen: Was macht man damit? Das hängt damit zusammen,
dass es seit langer Zeit in China keine großen Porzellanfabriken
mehr gibt. So ist das Design immer noch gleich wie in den 50er
Jahren. Es gibt einen großen Markt, aber niemand bearbeitet
ihn.“
Ein
Grund dafür liegt in der Materie selbst. Denn zum Herstellen
und Verarbeiten von Porzellan braucht man viele verschiedene
Materialien und ein großes Studio. Wang Haichen reist
für größere Projekte mehrmals im Jahr in die rund
400km entfernte Porzellanstadt Jingdezhen. Der Ort steht für
die Jahrhunderte alte Tradition der Porzellankunst. Und an die
möchte Wang Haichen anknüpfen. Sie will etwas Neues schaffen,
das zum modernen China passt.