Juni 2004
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Erinnerungen auf Porzellan

Von Uschi Nagy

Shanghaier Porzellankünstlerin schafft Kunst für den Alltag. Mit ungewöhnlichen Ideen belebt die 31jährige den chinesischen Porzellanmarkt.

Keramik und Porzellan gehören in unseren Haushalten zum festen Inventar, doch nur wenige kennen ihren Entstehungsort, China. Hier wurde schon im 3. Jahrhundert die Porzellankunst erfunden und in die ganze Welt exportiert. In den letzten Jahrzehnten hat China jedoch auf dem internationalen Porzellanmarkt sein Ansehen verloren, denn es gibt nur wenige zeitgenössische Künstler.

Einige chinesische Künstler widmen sich heute der vernachlässigten Porzellankunst. Wang Haichen ist eine von ihnen. Sie hat vor zwei Monaten einen kleinen Porzellanladen im Zentrum Shanghais eröffnet. Unter ihren Kunden sind viele Ausländer, vor allem Deutsche.

In ihrem kleinen Laden „Blue Shanghai White“, nicht weit von Shanghais Prachtstraße, dem Bund, verkauft Wang Haichen Porzellan und Möbel aus altem Holz. Einrichtungsgegenstände für den Alltag? Nicht nur das. 

Wang Haichen ist Porzellankünstlerin. Aus alltäglichen Gegenständen macht sie Kunst. Traditionelle chinesische Möbel hat sie mit Porzellanplatten verziert. Die Tassen sind nicht rund sondern oval, die Teller haben einen kleinen Knick. Mit feinem Pinselstrich hat sie auf das Porzellan chinesische Landschaften oder eigenwillige Muster aus Strichen und Punkten gemalt. Dabei verwendet sie die traditionellen Farben blau und weiß, die schon zur Kaiserzeit im 14. Jahrhundert beliebt waren. Die 31-jährige Chinesin ist eine ambitionierte Künstlerin. Durch dem Laden möchte sie ihre Kunst auch in den Alltag bringen: „Ich möchte Objekte herstellen, die Leute im Alltag gebrauchen können und kaufen werden. Dazu bietet sich Keramik an. Außerdem mache ich immer mehr Installationen, mit denen ich meine Gedanken, aber auch meine Vorstellungen zur Keramik zum Ausdruck bringen kann.“ Haichens Installationen lassen viel Raum zur Interpretation. So zum Beispiel ein klassischer Hocker aus Porzellan, der auf der Sitzfläche Stacheln hat oder zwei Meter große Porzellanblöcke, die Hochhäusern ähneln. Bei der Betrachtung ihrer Werke wird eines schnell deutlich: Wang Haichen verbindet  traditionelle Formen und Muster mit modernen Elementen. So auch bei ihrer neuesten Arbeit: Porzellangeschirr mit Bildern von Shanghais alten Arbeiterhäusern aus der Kolonialzeit im Shikumen-Stil. Dafür hat sie den Pinsel gegen den Computer ausgetauscht, mit dem sie Fotos der Shikumen-Häuser auf das Porzellan projiziert. Damit setzt sie der sich im Abriss befindenden Altstadt Shanghais ein Denkmal. 

Ihr Interesse an der chinesischen Kultur und Geschichte hat sich erst in den letzten Jahren entwickelt. Während ihrer Ausbildung an der Kunstschule lehnte sie alles ab, was mit Traditionen zu tun hatte. Wang Haichen erinnert sich zurück: „In den 80ern kamen im Zuge der Öffnung des Landes auch westliche Kultur und Kunstkonzepte ins Land. Das war sehr interessant und wir hatten deshalb keine Zeit, darüber nachzudenken, was ursprünglich chinesische Kunst war.“ Erst als die Künstlerin ins Ausland reiste, begann sie, sich auf das kulturelle Erbe zu besinnen. Heute möchte sie auf der Grundlage ihrer Wurzeln etwas Modernes schaffen.

Die gebürtige Shanghaierin kommt aus einer Künstlerfamilie und hat sich seit ihrem 15. Lebensjahr auf Kunst spezialisiert. In den 90er Jahren studierte sie an der Akademie für Kunst und Design in Peking und entschied sich bald für die Arbeit mit Porzellan. Seitdem hat sie sich für die Anerkennung von Keramik als Kunstform eingesetzt. Sie organisierte Ausstellungen in Peking und Shanghai und gab das erste Magazin über zeitgenössische Keramik mit heraus. Anerkennung für ihre Kunst erntete sie bisher jedoch vor allem im Ausland. Bei der letzten Ausstellung von zeitgenössischen Künstlern in Shanghai konnte sie zehn verschiedene Länder für moderne Porzellankunst aus China begeistern. Zur Zeit sind ihre Installationen auf Rundreise durch Museen in Europa und Amerika. Dieses Jahr nimmt Wang Haichen an Workshops in den Niederlanden und den USA teil.

Nur wenige chinesische Künstler sind so erfolgreich. Denn neben der traditionellen Kalligraphie und Malerei hat die Porzellankunst in China einen schweren Stand, sagt die 31- jährige: „Chinesen interessieren sich mehr für Antiquitäten aus Porzellan. Zeitgenössische Werke schauen sie sich allenfalls an und fragen: Was macht man damit? Das hängt damit zusammen, dass es seit langer Zeit in China keine großen Porzellanfabriken mehr gibt. So ist das Design immer noch gleich wie in den 50er Jahren. Es gibt einen großen Markt, aber niemand bearbeitet ihn.“

Ein Grund dafür liegt in der Materie selbst. Denn zum Herstellen und Verarbeiten von Porzellan braucht man viele verschiedene Materialien und ein großes Studio. Wang Haichen reist für größere Projekte mehrmals im Jahr in die rund 400km entfernte Porzellanstadt Jingdezhen. Der Ort steht für die Jahrhunderte alte Tradition der Porzellankunst. Und an die möchte Wang Haichen anknüpfen. Sie will etwas Neues schaffen, das zum modernen China passt. 

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