Juni 2004
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Coole Kunden

Die Jugend Chinas als neuer Traummarkt

Von Mark Godfrey

(Irischer Journalist, der zur Zeit in Beijing lebt)

In Chinas derzeitig fürhrendem Kassenschlager, dem Film Lian Ai Zhong De Bao Bei (Baober in Love) findet Liu Zhi, der Hauptprotagonist, das moderne materialistische Leben langweilig. Während er auf das Mädchen wartet, in das er sich leidenschaftlich verlieben will, beichtet er diese Antipathie seiner Videokamera. Baober findet seine Videokassette und den Mann, den sie sucht. Baober und Liu wuchsen auf in einer durch Bagger und Kräne umgewandelten Stadt. Dieses gewaltige kulturelle Erdbeben erschütterte Baobers geistige Welt.

Diese die Moderne und das Konsumdenken betreffende Ernüchterung sondert Baober und Liu von ihresgleichen ab. Die meisten jungen urbanen Chinesen haben sich als enthusiastische Käufer und Konsumenten von Luxusartikeln herausgestellt. Besser ausgebildet, besser verdienend und großzügiger beim Konsumieren als ihre Eltern, werden die Teenager und Frühzwanziger von weltweiten Marketingmanagern angepeilt, die eifrig den riesigen und lukrativen Markt für ihre Marken bestimmen wollen. Sie haben guten Grund optimistisch zu sein: eine Umfrage der Marktforschungsagentur AC Nielsen ergab im Jahr 2001, dass die Ausgaben der Jugend Beijings im Alter von 10 bis 22 monatlich 1.4 Milliarden Yuan betragen. Teenager steuern zu dieser Gesamtgeldsumme 60 Prozent bei.

Einer neuesten Erhebung des Instituts für Soziologie der Universität Shandong zufolge sind seit 2001 die Ausgaben der Studenten für Essen und Kleidung um 20 Prozent auf heute 60 Prozent gefallen. Studenten geben mehr Geld aus für Handys Magazine, Computer, Kinokarten, Reisen und Sportausstattung. Viele Studenten haben Halbtagsjobs angenommen, um diese zusätzlichen Luxusgüter zu finanzieren. Haarfärbemittel, Kosmetika und modische Kleidung sind ein Muss für die bei der Erhebung befragten Studentinnen.

Akademiker und Kulturwissenschaftler wurden hinzugezogen, um herauszufinden, wofür Chinas junge Verbraucher am liebsten ihr Geld verwenden, was cool ist und was nicht. „Es ist großartig, zu wissen was cool ist, aber die Millionenfrage ist, wodurch etwas cool wird“, sagt Dr. Carl Rohde, Kulturanthropologe an der Universität Utrecht in Holland. Rohde arbeitet für die internationale PR-Firma Hill & Knowlton, um das Einkaufsverhalten von jungen Konsumenten in verschiedenen Ländern weltweit zu entschlüsseln. Ein Team von „Coolheitsjägern“ mischte sich unter seiner Leitung in Beijing und Shanghai unters Volk, um herauszufinden was „cool“ ist bei Chinas Stadtjugend.

Die ultimativ coolsten Dinge für chinesische Jugendliche sind - der Umfrage von Hill und Knowlton zufolge - Tangas, Extremsportarten, Tätowierungen und Piercings. Den Befragten zufolge symbolisieren Tangas sexuelle Freiheit, während Extremsportarten wie Klettern und Bungee Jumping einen gesunden alternativen Lebensstil und Abenteuer repräsentieren. Tätowierungen und Piercings andererseits „fordern Traditionen heraus und veranschaulichen die Betonung des Körpers“, lauten Antworten aus den Fragebögen.

„Stärke, Persönlichkeit und Unabhängigkeit“ sind die bevorzugten Worte der im Trend liegenden chinesischen Jugendlichen, mit denen sie sich selbst beschreiben und die Gründe, laut Rohde, warum sie spezifische Produkte kaufen. „Mit voller Kraft will man möglichst tüchtig erscheinen und sein physisches und psychisches Selbstbewusstsein stärken.“ Der Erfolg westlicher Marken in China hängt davon ab, wie sehr sie einen Anreiz für diese Konsumentenbedürfnisse schaffen können. „Die Marke Puma ist sehr in zur Zeit, weil sie einen zu mehr Individualität und dem Bewußtsein einer eigener Persönlichkeit befähigt.“ Chinesische Marken wie Li Nings Sportbekleidungslabel haben zwar ein gutes Vertriebsnetz, sind aber beim Marketing des Coolheitsfaktors nicht so erfolgreich.

Die internationale Kosmetikmarke Avon verdankt ihren Onlineverkauf über 125 Millionen US-Dollar letztes Jahr zum großen Teil jungen chinesischen Frauen. Die Firma startete vor kurzem die Produktreihe mit dem Namen UP2U (“It`s Up to You“), die speziell auf „trendige chinesische Teenager und junge Erwachsene“ abzielt“, lässt uns eine Sprecherin der Firma wissen.

„Jedes Kind der chinesischen Generation von Einzelkindern will einzigartig sein und jedes von diesen Kindern denkt, eine Berühmtheit sein zu müssen“, sagt Hung Huang, Herausgeber von Qingchun Yizu, der 2001 gegründeten chinesischen Ausgabe des amerikanischen Magazins Seventeen. Hung zielt in den 47 chinesischen Städten, in denen das Magazin verkauft wird, damit auf die 15 bis 22-jährigen ab. „Chinas Jugend nimmt auf sehr ähnliche Weise Marken wahr wie die in London, New York oder Paris. Was sie unterscheidet ist, dass sie sich als eigenständige Konsumentengruppe vernachlässigt fühlen.“

Als der Verfasser eine Gruppe unter 20-jähriger Studenten in Beijing befragte, gaben diese Nike als ihre Lieblingssportmarke an. Nike spendet Geld für die Errichtung von Sportplätzen an Mittelschulen. Aber die Firma hat genügend Konkurrenz: Adidas und Puma lagen in meiner Miniumfrage knapp hinter Nike. Um Werbung von multinationalen Kosmetik- und Sportbekleidungsfirmen zu ergattern, hat sich das populäre Magazin Urban in Shanghai angesiedelt, und ist voll von Werbungen der Marken Reebok, Nike, Puma und anderer internationaler Marken, die auf die reichen Schichten der chinesischen Jugendlichen abzielen.

„Diese Generation hasst Fälschungen ihrer Lieblingsmarken. Sie ist Marken gegenüber anspruchsvoller als die Generationen vor ihr.“ Emotionen spielen sich in der Generation hauptsächlich über das Handy ab. „Ich fühle mich ganz nackt, wenn ich ohne mein Handy auf die Strasse gehe“, antwortete eine der Befragten der Coolheitsumfrage. Die Massenpopularisierung von DVDs brachte einen großen Wandel mit sich und bereitete die chinesische Jugend auf westliche Einflüsse vor, meint Hung Huang. Das gilt auch für westliche Schnellimbisse und Kaffeeketten. „Starbucks ist „cool“ bei amerikanischen Jugendlichen, wird aber von europäischen Jugendlichen als etablierter Durschschnitt angesehen“, sagt Dr. Carl Rohde. „In Asien hingegen ist Starbucks auf dem besten Weg zur Coolheit.“

Eine der jungen Fachkräfte, die die Coolheitsjäger interviewten, die 24-jährige Ziping, meinte, dass ein kurzer, kantiger Haarschnitt, am besten vielfärbig, der modischste Haarstil der jungen Chinesinnen wäre. Hautpflege ist auch eine Voraussetzung für Raffinesse. Das sind gute Neuigkeiten für Corey Lindley, Präsidentin der Chinageschäfte des US-Kosmetikgiganten Nu Skin, die für dieses Jahr ein hundertprozentiges Umsatzwachstum für ihre Firma voraussagt. „Wir vermarkten zwei Produktreihen. Unsere Nu Skin Prestigeprodukte verkaufen wir um durchschnittlich 20 US-Dollar pro Stück. Wir verkaufen auch eine billligere Produktreihe, bei der ein Produkt etwa 5 US-Dollar kostet. Die besten Kunden von Nu Skin sind junge städtische Frauen zwischen 18 und 33“, sagt Lindley.

Eine Umfrage, die letzten Sommer von Banken in der östlichen Stadt Nanjing durchgeführt wurde, zeigte, dass 65% der Befragten bereit waren, Anschaffungen durch Bankkredite zu finanzieren. Der Nanjing-Zweig der Chinesischen Volksbank vergab in den ersten 5 Monaten des Jahres 2003 schon 22 Milliarden an Privatkrediten. Beinahe 70% der Kredite wurden in der Form von Hypotheken vergeben. Scharf darauf ihr, zukünftiges Gehalt schon im Voraus auszugeben, borgten die Jugendlichen Geld für Autos, Wohnungen, Haushaltsgeräte und ihre Ausbildung. Ein typisches Verhalten war, für die Wohnung 80.000 Yuan und 20.000 Yuan für ein Auto zu borgen. Nur 11 Prozent der Befragten mit höherer Bildung sagten, sie würden nie Geld für Wohnung und Auto ausleihen.

Die Ausdehnung der nach Coolheit strebenden Sozialgruppe der chinesischen Bevölkerung wird vom anhaltenden Wirtschaftserfolg und dem Urbanisierungsprozess in den ländlichen Gebieten abhängen, und auch vom erweiterten Zugang zu höherer Bildung. Wenn einer dieser Faktoren schwankt, ziehen Dr. Rohdes „Coolheitsjäger“ wohl weiter. Währenddessen, liebe Leser, schaut euch Baober in Love an, um eine Ahnung zu bekommen, warum manche junge Chinesen nicht lebende Zielscheiben für Marken und Coolheitsjäger sein wollen.

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