Juni 2004
Ihre Position: Homepage >

Shanghai

– die Weltstadt des Ostens

Von Inesa Pleskacheuskaya

Können Sie sich an die Anfangsszene von „Indiana Jones und der Tempel des Todes“ erinnern? Durch Männer in Anzügen, die an ihren Weingläsern nippen und Zigarren rauchen, wird das „Shanghai im Jahre 1935“ porträtiert. Das Shanghai dieser Ära ist in der Tat legendär; es beschwört Bilder von schlanken Mädchen mit pechschwarzen Dauerwellen und Rosenknospenmündern, Opiumhöhlen und opulenten Banketten herauf.

Vor siebzig Jahren duftete diese Modehauptstadt nach französischem Wein und Kaffee. Sie war eine Stadt, in der Spieler Vermögen in einer Nacht gewannen und wieder verloren, eine Stadt der Opiumraucher, Gigolos, Millionäre, Missionare und Kriminellen. Sie war der Geburtsort der „Revolution“ – „die Kulturrevolution“ (1966-1976) begann hier – eine Stadt, die zum Rhythmus der Gewehrschüsse tanzte.

Wussten Sie, dass in Shanghai der Ort ist, an dem zum ersten Mal Sowjetischer Jazz gespielt wurde? Hier begann die berühmte Oleg Lundstrem Band.

Als ich das erste Mal nach Shanghai kam, kam mir alles bekannt vor, als ob ich es in einem anderen Leben gesehen hätte. Jeder, der die Geschichte Shanghais kennt, versteht dieses Déjà-vu-Erlebnis, da die Architektur Shanghais ihre Wurzeln in Kiev, Paris und London hat. Sie war immerhin eine westliche Erfindung. Als die Briten 1842 nach dem ersten Opiumkrieg ihre erste Konzession in Shanghai errichteten, war sie eine kleine unscheinbare Stadt. Die Franzosen kamen 1847 und 16 Jahre später (1863) wurde die erste internationale Niederlassung gegründet. 1895 wurde die Stadt in verschiedene Zonen unterteilt, die nach den geltenden Gesetzen der entsprechenden Länder und nicht nach dem lokalen Gesetz regiert wurden. 

In der Mitte des 19. Jahrhunderts lebten nur 50.000 Menschen in Shanghai, aber bis 1900 war die Bevölkerung auf eine Million angewachsen. In den legendären 30er Jahren lebten 60.000 Ausländer ständig in Shanghai, dem größten asiatischen Hafen. Die Stadt wurde reich durch den Opium-, Seiden- und Teehandel und war auch bekannt für ihre mächtigen Banken und ihre Bordelle.

Wußten Sie, dass der Name einer der heute einflussreichsten Banken, HCBC, Hong Kong and Shanghai Banking Corporation heißt? Ihr ursprüngliches Gebäude am Bund ist eines der schönsten in der Stadt (heute findet man darin wieder eine Bank). Zu Shanghais besten Zeiten machten die britischen Investitionen alleine 400.000 Pfund aus – eine unglaublich große Summe für jene Zeit.

Wie wär es mit einem historischen Paradoxon: das dekadente Shanghai war Geburtsort der Kommunistischen Partei Chinas, die das Land 1949 von Sünde und Kolonisation befreien sollte. Seitdem ist sie das gesellschaftliche und wirtschaftliche Barometer der Nation.

Shanghai hat auch starke russische Wurzeln und Verbindungen. Sie ist die einzige asiatische Stadt mit einem Denkmal für Pushkin, den russichen Nationaldichter. Alexander Vertinsky, eine Kultfigur der russischen Kunstkreise besaß in den 30er und 40er Jahren einen Club hier.

Tausende Russen flüchteten nach Shanghai vor der Oktoberrevolution 1917 und in den 1930er Jahren lebten hier mehr als 20.000 Russen. Sie publizierten Zeitungen wie Shanghaiskaya Zarya, Rubezh and Slovo, bauten Kathedralen und Kirchen und gründeten sogar eine Ballettschule und ein Theater. 1947 verschwand der russische Bezirk und seine Einwohner kehrten entweder in die damalige Sowjetunion zurück oder zogen weiter auf die Philippinen, in die USA oder in andere Länder.

Der Französische Bezirk ist noch immer sehr belebt. Heutzutage leben hier hauptsächlich chinesische Fachkräfte mit kosmopolitischer Neigung. Straßen wie Huaihai, Ximing und Huashan waren alle Teile der internationalen Niederlassungen im 19. Jhdt. Heute bilden sie ein Gebiet, das für seine Läden, seine westliche Küche (angemessen bis teuer) und seine wunderbar erhaltenen Villen berühmt ist. Wenn sie Lust auf Kiev oder London verspüren, während sie noch in China sind, spazieren sie doch durch die Huaihai und ihre benachbarten Straßen und genießen sie den europäischen Flair. Oder setzen sie sich einfach in ein Straßenkaffeehaus und nippen sie an ihrem Kaffee.

Aber Shanghai ist vor allem eine chinesische Stadt, in der man alle Traditionen und Sitten dieses großartigen Landes beobachten kann. Die engen Starßenlabyrinthe der alten chinesischen Stadtteile sind gesäumt von fein geschnitzten Häusern, alten Tempeln und Läden, die Fächer, feine Vasen und alles, was das Herz begehrt, verkaufen. Vegessen sie nicht das wunderschöne Yu Yuan Teehaus mit dem dazugehörenden Park. Die enge Zickzack-Brücke – ein Design, das böse Geister abwehren soll – verbindet den künstlichen See mit dem Teehaus. Dort wird die Teezeremonie, ein teures Vergnügen, abgehalten. Heutzutage zahlt man einen hohen Preis für Tradition.

Kein Besuch Shanghais ist vollständig, ohne einen großen Einkauf getätigt zu haben. Das kleinste Souvenir und das neueste TV-System können hier durch Feilschen erworben werden. Das Mekka der Einkaufsenthusiasten ist Nanjing Lu, auch die Goldene Meile genannt. Shanghai lässt Beijing, die Stadt, die ich als Einkaufsparadies kannte, weit hinter sich.

Es wird Sie überraschen, dass das Pudong Gebiet, ein Gebiet von 330 km2, vor 12 Jahren noch ein größerer Gemüsegarten war. Heute ist es voll von sich auftürmenden Wolkenkratzern. Pudong ist eine Sonderwirtschaftszone – das chinesische Äquivalent zu Manhattan in New York City. Betrachtet man es von Jenseits des Huangpu-Flusses, wirkt es mit den Wolkenkratzern noch beeindruckender als der New Yorker Stadtteil.

Das Grand Hyatt – das höchste Hotel der Welt – finden wir auch an diesem Ort. Von seiner 9-Wolken-Bar im 87. Stock sieht man aus der Vogelperspektive auf die Stadt. Ein weiteres Muss ist der Fernsehturm, der mit 468 m Höhe der größte seiner Art in Asien ist und der drittgrößte weltweit. Außer den Senderäumen findet man dort noch ein drehendes Teehaus, Restaurants, Läden, ein Hotel und das exzellente Geschichtsmuseum Shanghais.

Anfang des 20. Jhdts. war Shanghai die sich am schnellsten entwickelnde Stadt der Welt. Diese Reputation nimmt Shnghai mit in das nächste Jahrtausend. Pudong hat alleine Investitionen von 37 Milliarden US-Dollar angezogen. Seitdem China im Dezember 2001 der WTO beigetreten ist, ließen sich mehr als 100 internationale Firmen in Shanghai nieder und die Anzahl ist im Steigen begriffen.

Es gibt tausende Gründe Shanghai zu lieben und keine einzige Ausrede nicht hinzufahren.

-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+--+-+-+-+--+-+-+--+-
Zurück