Shanghai
–
die Weltstadt des Ostens
Von
Inesa Pleskacheuskaya


Können Sie sich an die Anfangsszene
von „Indiana Jones und der Tempel des Todes“ erinnern? Durch
Männer in Anzügen, die an ihren Weingläsern nippen
und Zigarren rauchen, wird das „Shanghai im Jahre 1935“ porträtiert.
Das Shanghai dieser Ära ist in der Tat legendär;
es beschwört Bilder von schlanken Mädchen mit pechschwarzen
Dauerwellen und Rosenknospenmündern, Opiumhöhlen und
opulenten Banketten herauf.
Vor
siebzig Jahren duftete diese Modehauptstadt nach französischem
Wein und Kaffee. Sie war eine Stadt, in der Spieler Vermögen
in einer Nacht gewannen und wieder verloren, eine Stadt der
Opiumraucher, Gigolos, Millionäre, Missionare und Kriminellen.
Sie war der Geburtsort der „Revolution“ – „die Kulturrevolution“
(1966-1976) begann hier – eine Stadt, die zum Rhythmus der
Gewehrschüsse tanzte.
Wussten Sie, dass in Shanghai der Ort ist, an dem zum
ersten Mal Sowjetischer Jazz gespielt wurde? Hier begann die
berühmte Oleg Lundstrem Band.
Als
ich das erste Mal nach Shanghai kam, kam mir alles bekannt
vor, als ob ich es in einem anderen Leben gesehen hätte.
Jeder, der die Geschichte Shanghais kennt, versteht dieses
Déjà-vu-Erlebnis,
da die Architektur Shanghais ihre Wurzeln in Kiev, Paris und
London hat. Sie war immerhin eine westliche Erfindung. Als
die Briten 1842 nach dem ersten Opiumkrieg ihre erste Konzession
in Shanghai errichteten, war sie eine kleine unscheinbare
Stadt. Die Franzosen kamen 1847 und 16 Jahre später (1863)
wurde die erste internationale Niederlassung gegründet. 1895
wurde die Stadt in verschiedene Zonen unterteilt, die nach
den geltenden Gesetzen der entsprechenden Länder und
nicht nach dem lokalen Gesetz regiert wurden.
In
der Mitte des 19. Jahrhunderts lebten nur 50.000 Menschen
in Shanghai, aber bis 1900 war die Bevölkerung auf eine
Million angewachsen. In den legendären 30er Jahren lebten
60.000 Ausländer ständig in Shanghai, dem größten
asiatischen Hafen. Die Stadt wurde reich durch den Opium-,
Seiden- und Teehandel und war auch bekannt für ihre mächtigen
Banken und ihre Bordelle.
Wußten Sie, dass der Name einer der heute einflussreichsten
Banken, HCBC, Hong Kong and Shanghai Banking Corporation
heißt? Ihr ursprüngliches Gebäude am Bund ist eines
der schönsten in der Stadt (heute findet man darin wieder
eine Bank). Zu Shanghais besten Zeiten machten die britischen
Investitionen alleine 400.000 Pfund aus – eine unglaublich
große Summe für jene Zeit.
Wie wär es mit einem historischen Paradoxon: das
dekadente Shanghai war Geburtsort der Kommunistischen Partei
Chinas, die das Land 1949 von Sünde und Kolonisation befreien
sollte. Seitdem ist sie das gesellschaftliche und wirtschaftliche
Barometer der Nation.
Shanghai
hat auch starke russische Wurzeln und Verbindungen. Sie ist
die einzige asiatische Stadt mit einem Denkmal für Pushkin,
den russichen Nationaldichter. Alexander Vertinsky, eine Kultfigur
der russischen Kunstkreise besaß in den 30er und 40er
Jahren einen Club hier.
Tausende Russen flüchteten nach Shanghai vor der Oktoberrevolution
1917 und in den 1930er Jahren lebten hier mehr als 20.000
Russen. Sie publizierten Zeitungen wie Shanghaiskaya Zarya,
Rubezh and Slovo, bauten Kathedralen und Kirchen
und gründeten sogar eine Ballettschule und ein Theater. 1947
verschwand der russische Bezirk und seine Einwohner kehrten
entweder in die damalige Sowjetunion zurück oder zogen weiter
auf die Philippinen, in die USA oder in andere Länder.
Der Französische Bezirk ist noch immer sehr belebt.
Heutzutage leben hier hauptsächlich chinesische Fachkräfte
mit kosmopolitischer Neigung. Straßen wie Huaihai, Ximing
und Huashan waren alle Teile der internationalen Niederlassungen
im 19. Jhdt. Heute bilden sie ein Gebiet, das für seine Läden,
seine westliche Küche (angemessen bis teuer) und seine wunderbar
erhaltenen Villen berühmt ist. Wenn sie Lust auf Kiev oder
London verspüren, während sie noch in China sind, spazieren
sie doch durch die Huaihai und ihre benachbarten Straßen
und genießen sie den europäischen Flair. Oder setzen
sie sich einfach in ein Straßenkaffeehaus und nippen
sie an ihrem Kaffee.
Aber Shanghai ist vor allem eine chinesische Stadt, in
der man alle Traditionen und Sitten dieses großartigen
Landes beobachten kann. Die engen Starßenlabyrinthe
der alten chinesischen Stadtteile sind gesäumt von fein
geschnitzten Häusern, alten Tempeln und Läden, die
Fächer, feine Vasen und alles, was das Herz begehrt,
verkaufen. Vegessen sie nicht das wunderschöne Yu Yuan
Teehaus mit dem dazugehörenden Park. Die enge Zickzack-Brücke
– ein Design, das böse Geister abwehren soll – verbindet
den künstlichen See mit dem Teehaus. Dort wird die Teezeremonie,
ein teures Vergnügen, abgehalten. Heutzutage zahlt man einen
hohen Preis für Tradition.
Kein Besuch Shanghais ist vollständig, ohne einen
großen Einkauf getätigt zu haben. Das kleinste
Souvenir und das neueste TV-System können hier durch
Feilschen erworben werden. Das Mekka der Einkaufsenthusiasten
ist Nanjing Lu, auch die Goldene Meile genannt. Shanghai lässt
Beijing, die Stadt, die ich als Einkaufsparadies kannte, weit
hinter sich.
Es wird Sie überraschen, dass das Pudong Gebiet, ein
Gebiet von 330 km2, vor 12 Jahren noch ein größerer
Gemüsegarten war. Heute ist es voll von sich auftürmenden
Wolkenkratzern. Pudong ist eine Sonderwirtschaftszone – das
chinesische Äquivalent zu Manhattan in New York City.
Betrachtet man es von Jenseits des Huangpu-Flusses, wirkt
es mit den Wolkenkratzern noch beeindruckender als der New
Yorker Stadtteil.
Das Grand Hyatt – das höchste Hotel der Welt – finden
wir auch an diesem Ort. Von seiner 9-Wolken-Bar im 87. Stock
sieht man aus der Vogelperspektive auf die Stadt. Ein weiteres
Muss ist der Fernsehturm, der mit 468 m Höhe der größte
seiner Art in Asien ist und der drittgrößte weltweit.
Außer den Senderäumen findet man dort noch ein
drehendes Teehaus, Restaurants, Läden, ein Hotel und
das exzellente Geschichtsmuseum Shanghais.
Anfang des 20. Jhdts. war Shanghai die sich am schnellsten
entwickelnde Stadt der Welt. Diese Reputation nimmt Shnghai
mit in das nächste Jahrtausend. Pudong hat alleine Investitionen
von 37 Milliarden US-Dollar angezogen. Seitdem China im Dezember
2001 der WTO beigetreten ist, ließen sich mehr als 100
internationale Firmen in Shanghai nieder und die Anzahl ist
im Steigen begriffen.
Es gibt tausende Gründe Shanghai zu lieben und keine
einzige Ausrede nicht hinzufahren.