Juni 2004
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Untergrundregisseure tauchen auf

Von Tang Yuankai

 

 

Die chinesische Zensur erlaubt vor kurzem die öffentliche Vorführung eines international anerkannten Films, der vor vier Jahren in Beijing gedreht wurde.

Obwohl er 2001 den Silbernen Bären und den Preis des Berlinale Talent Campus am 51. Internationalen Filmfestival Berlin gewann, war die öffentliche Vorführung des Filmes Beijing Bicycle in China bis vor kurzem verboten. Warum? Weil sein Regisseur, Wang Xiaoshuai, die Genehmigung des Filmbüros des Ministeriums für Radio, Film und Fernsehen nicht eingeholt hatte, bevor er seinen Film beim Festival zeigte. Darüber hinaus wurde ihm für ein Jahr das Drehen verboten und so wurde er zum Untergrundregisseur.

Wangs Beijing Bicycle wurde im April 2000 gedreht und ist eine Geschichte der Angst zeitgenössischer Jugendlicher, die durch zwei gleichaltrige Jungen, die von unterschiedlichen Familienhintergründen stammen, ausgedrückt wird. Einer ist ein 17-jähriger Waidiren (Ortsansässiger einer anderen Gegend außerhalb der Stadt), der auf Arbeitssuche nach Beijing kommt. Nach vielen Absagen bekommt er letztendlich einen Job als Fahrradbote mit der Auflage, dass er sein Arbeitsfahrzeug von der Firma in Monatsraten, die von seinem Lohn abgezogen werden, kauft. An dem Tag, an dem er zum offiziellen Besitzer des Fahrrads wird, wird es gestohlen. Nach langer ergebnisloser Suche erblickt er sein Fahrrad, das von einem Schuljungen seines Alters gefahren wird und entscheidet sich, es zurückzustehlen. Zu diesem Zeitpunkt sieht sein städtischer Zeitgenosse, der das Fahrrad am Schwarzmarkt erstanden hat, das Rad schon als seinen untrennbaren Besitz an. Nach Anfangsreibereien arrangieren sich die beiden…

Die Investoren von Beijing Bicycle bewarben den Film international und er wurde für die Berlinale nominiert. Wang Xiaoshuai hatte keine Zeit, seinen Film bei der verpflichtenden und langwierigen Zulassungsprozedur einzureichen, laut derer Filme, die bei Filmfestivals und Filmschauen im Ausland gezeigt werden, vom Ministerium für Radio, Film und Fernsehen zugelassen werden müssen.

Wang sagt, dass er keine andere Wahl hatte, als diese Prozedur zu umgehen, da er sonst das Festvial versäumt hätte.

Wang Xiaoshuai ist Absolvent der Beijinger Filmakademie (1989). Die meisten seiner Filme wurden nicht zur öffentlichen Vorführung zugelassen wegen der „gravierenden Verletzungen der relevanten Bestimmungen“. Sein Erstlingswerk, der unabhängige Film The Days, wurde von BBC als einer der weltweit 100 besten Filme auserwählt; So Close to Paradise war im Wettbewerb für Cannes` Goldene Palme und Drifters wurde in der Kategorie Un Certain Regard am Cannes Filmfestival und in der Kategorie „Zeitgenössicher Weltfilm“ am Toronto Filmfestival gezeigt. Obwohl diese Erfolge Wang mehr Budget für seine Filme garantierten, kann er sich in China ohne Zugang zum heimischen Massenpublikum keinen Namen als Regisseur machen

Wangs Gefühl der Entwurzelung als sogenannter Untergrundfilmemacher und seine Sehnsucht, ins Sonnenlicht der Anerkennung aufzutauchen, findet man in seinen Filmen widergespiegelt. Drifters handelt von einem Mann aus einem kleinen südchinesischen Dorf, der nach vielen Jahren mit seinem Sohn nach China zurückkehrt, nachdem er als blinder Passagier auf einem Schiff nach Amerika gefahren war. Der Film drückt Wangs Gefühle des Herumtreibens aus, das bis zum Leben im Vakuum führt.

Er erklärt: „Lange Zeit fühlte ich mich wie ein unsichtbarer Beobachter. Es schien, als ob ich immr ein sozialer Außenseiter wäre, egal wo ich lebte.“

Viele interpretieren die Aufhebung des Verbots von Wangs Filmen als historisches Ereignis in der Entwicklung des chinesischen Films. Beijing Bicycle ist der erste Untergrundfilm, der legitimiert wurde nach der Einführung der Reformen durch das Ministerium für Radio, Film und Fernsehen. Er signalisiert das Auftauchen von mehr kontroversen und aus dem Rahmen fallenden Filmen in China. Ein Beispiel ist ein Film, der von Chinas kommerziell erfolgreichstem Regisseur, Feng Xiaogang, vorgelegt wurde. Als er 2002 zum ersten Mal seinen Film Tian Xia Wu Zei (No Thieves At All) dem Ministerium vorlegte, wurde er mit der Begründung abgelehnt, dass „ein Dieb ein unpassender Filmprotagonist“ sei. Feng hat nun die Zustimmung für den Dreh seines Films bekommen.

In den Übergansgbestimmmungen für die Zulassung von Filmschaffen, Vertrieb und Vorführung, veröffentlicht am 1. Dezember 2003, wurde die relevante Bestimmung folgendermaßen abgeändert: „Filmproduktionseinheiten werden dazu ermutigt, an Filmfestivals (oder Filmschauen) im Ausland teilzunehmen. Die vorgeschlagenen Teilnehmer sollen sich eine Zulassung für öffentliche Aufführung verschaffen und den Film vor der öffentlichen Aufführung beim Ministerium für Radio, Film und Fernsehen registrieren lassen.“ Der entscheidende Unterschied liegt in der Formulierung „registrieren lassen“, die früher „... das Ansuchen muss genehmigt sein“ hieß.

Das heißt, dass Wang und seine „Untergrundkollegen“ die Drehgenehmigung bekommen können, indem sie eine aus 1000 Schriftzeichen bestehende Inhaltsangabe beim Ministerium für Radio, Film und Fernsehen einreichen, die diese dann bei sich registriert. Nach dem Dreh und dem Ende der Postproduktion können die Regisseure eine Erlaubnis für die öffentliche Vorführung erhalten, nachdem der Film die Zensurprozedur durchlaufen hat. Das ist ein eindeutiger Abschied von den strengen und langwierigen Prozeduren der Vergangenheit, die verlangten, dass man das ganze Drehbuch einem arbeitsaufwendigen Prozess der Darlegung, des Neuverfassens und des Wiederversuchens unterwarf.

Am 13. November 2003 hielt das Filmbüro eine Konferenz an der Beijinger Filmakademie ab, an denen die Untergrundregisseure Wang Xiaoshuai und Jia Zhangke gemeinsam mit dem Direktor des Filmbüros Tong Gang und dem Vizedirektor Zhang Pimin teilnahmen. Die Konferenz stellt einen Wendepunkt dar, was die Einstellung den sogenannten Untergrundregisseuren gegenüber angeht, denn sie werden nun als neues Blut für die chinesische Filmindustrie, das gelenkt und genährt werden muss, willkommen geheißen und nicht wie Abweichler behandelt, deren Kreativität im Keim erstickt werden muss.

Jia Zhangke meint: „Dieser Sinneswandel auf Seiten der Behörden zeigt, dass Filmemachern mehr Respekt dargebracht wird, dass dem kreativen Filmschaffen mehr Wichtigkeit zugesprochen und dass die Industrialisierung von Film beschleunigt wird.“ Jia ist dabei, den Film World zu drehen, der zum Teil vom staatlichen Fimstudio Shanghai finanziert wird und der erste seiner Filme ist, dem die öffentliche Vorführung in chinesischen Kinos erlaubt wurde.

Jia hoffte schon beim Planungsstadium seines Films Platform, mit dem Shanghaier Filmstudio zusammenzuarbeiten, aber daraus wurde nichts. Nun hat sich sein Wunsch erfüllt. Jia sagt: „Das Shanghaier Filmstudio ist ein aktiver und flexibler Partner, also keine steife Organisation. Am wichtigsten aber ist, dass die Mitarbeiter dort meine Einstellung zu Film mögen, was mir kreativen Raum schafft.“ Er denkt nicht, dass der Wandel seines Publikums - von einem Untergrund- zu einem Massenpublikum - seinen Stil und die Thematik seines Films beeinflussen wird. Doch sagt er: „Der einzige Unterschied ist, dass der Film einer großen Öffentlichkeit gezeigt werden kann, was wichtig ist für die Investoren.“

Wang denkt genauso: „Ein Untergrundfilm ist nicht notwendigerweise düster und trübselig. Beijing Bicycle ist im Großen und Ganzen ein leichter Film, aber mit traurigem Beiklang.“

Obwohl Wang wieder im Sonnenschein wandelt, ist er nicht sehr optimistisch hinsichtlich der öffentlichen Aufführung seiner früheren Filme. Er sagt deprimiert: „Es gibt wenige Programmkinos oder kleine Salons in China und es ist unmöglich meine früheren Filme breit herauszubringen. Ich sehe das Prolem in der chinesischen restriktiven Filmlandschaft, deren unzulänglichen Kanäle für den Filmverleih und deren Mangel an Kunstfilmkinos es für meine Filme unmöglich macht, eine Anhängerschaft zu finden.“ Wang findet, dass es unabdingbar ist für China, ein Klassifikationssystem zu veröffentlichen. „Nur durch Klassifikation kann eine zutreffende Marktorientierung stattfinden, durch die das Publikum und die Filme geschützt werden können. Das wäre bei weitem besser für die chinesische Filmindustrie als alle internationalen Preise.“

Er fühlt sich ermutigt durch das angekündigte Vorhaben der Behörden, ein Klassifikationssystem einzuführen. Wu Ke, Vizedirektor des Fimbüros, sagt, dass man dabei ist, politische Richtlinien zur Klassifikation von Filmen zu entwerfen. Wu sagt: „Sind diese einmal verkündet, werden sie einen Meilenstein in der 100-jährigen Geschichte des chinesischen Films verkörpern.“

 

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