Untergrundregisseure
tauchen auf
Von
Tang Yuankai
Die
chinesische Zensur erlaubt vor kurzem die öffentliche
Vorführung eines international anerkannten Films, der vor
vier Jahren in Beijing gedreht wurde.
Obwohl
er 2001 den Silbernen Bären und den Preis des Berlinale
Talent Campus am 51. Internationalen Filmfestival Berlin
gewann, war die öffentliche Vorführung des Filmes Beijing
Bicycle in China bis vor kurzem verboten. Warum? Weil
sein Regisseur, Wang Xiaoshuai, die Genehmigung des Filmbüros
des Ministeriums für Radio, Film und Fernsehen nicht eingeholt
hatte, bevor er seinen Film beim Festival zeigte. Darüber
hinaus wurde ihm für ein Jahr das Drehen verboten und so
wurde er zum Untergrundregisseur.
Wangs
Beijing Bicycle wurde im April 2000 gedreht und ist
eine Geschichte der Angst zeitgenössischer Jugendlicher,
die durch zwei gleichaltrige Jungen, die von unterschiedlichen
Familienhintergründen stammen, ausgedrückt wird. Einer ist
ein 17-jähriger Waidiren (Ortsansässiger
einer anderen Gegend außerhalb der Stadt), der auf
Arbeitssuche nach Beijing kommt. Nach vielen Absagen bekommt
er letztendlich einen Job als Fahrradbote mit der Auflage,
dass er sein Arbeitsfahrzeug von der Firma in Monatsraten,
die von seinem Lohn abgezogen werden, kauft. An dem Tag,
an dem er zum offiziellen Besitzer des Fahrrads wird, wird
es gestohlen. Nach langer ergebnisloser Suche erblickt er
sein Fahrrad, das von einem Schuljungen seines Alters gefahren
wird und entscheidet sich, es zurückzustehlen. Zu diesem
Zeitpunkt sieht sein städtischer Zeitgenosse, der das
Fahrrad am Schwarzmarkt erstanden hat, das Rad schon als
seinen untrennbaren Besitz an. Nach Anfangsreibereien arrangieren
sich die beiden…
Die
Investoren von Beijing Bicycle bewarben den Film
international und er wurde für die Berlinale nominiert.
Wang Xiaoshuai hatte keine Zeit, seinen Film bei der verpflichtenden
und langwierigen Zulassungsprozedur einzureichen, laut derer
Filme, die bei Filmfestivals und Filmschauen im Ausland
gezeigt werden, vom Ministerium für Radio, Film und Fernsehen
zugelassen werden müssen.
Wang
sagt, dass er keine andere Wahl hatte, als diese Prozedur
zu umgehen, da er sonst das Festvial versäumt hätte.
Wang
Xiaoshuai ist Absolvent der Beijinger Filmakademie (1989).
Die meisten seiner Filme wurden nicht zur öffentlichen
Vorführung zugelassen wegen der „gravierenden Verletzungen
der relevanten Bestimmungen“. Sein Erstlingswerk, der unabhängige
Film The Days, wurde von BBC als einer der weltweit
100 besten Filme auserwählt; So Close to Paradise
war im Wettbewerb für Cannes` Goldene Palme und Drifters
wurde in der Kategorie Un Certain Regard am Cannes Filmfestival
und in der Kategorie „Zeitgenössicher Weltfilm“ am
Toronto Filmfestival gezeigt. Obwohl diese Erfolge Wang
mehr Budget für seine Filme garantierten, kann er sich in
China ohne Zugang zum heimischen Massenpublikum keinen Namen
als Regisseur machen
Wangs
Gefühl der Entwurzelung als sogenannter Untergrundfilmemacher
und seine Sehnsucht, ins Sonnenlicht der Anerkennung aufzutauchen,
findet man in seinen Filmen widergespiegelt. Drifters
handelt von einem Mann aus einem kleinen südchinesischen
Dorf, der nach vielen Jahren mit seinem Sohn nach China
zurückkehrt, nachdem er als blinder Passagier auf einem
Schiff nach Amerika gefahren war. Der Film drückt Wangs
Gefühle des Herumtreibens aus, das bis zum Leben im Vakuum
führt.
Er
erklärt: „Lange Zeit fühlte ich mich wie ein unsichtbarer
Beobachter. Es schien, als ob ich immr ein sozialer Außenseiter
wäre, egal wo ich lebte.“
Viele
interpretieren die Aufhebung des Verbots von Wangs Filmen
als historisches Ereignis in der Entwicklung des chinesischen
Films. Beijing Bicycle ist der erste Untergrundfilm,
der legitimiert wurde nach der Einführung der Reformen durch
das Ministerium für Radio, Film und Fernsehen. Er signalisiert
das Auftauchen von mehr kontroversen und aus dem Rahmen
fallenden Filmen in China. Ein Beispiel ist ein Film, der
von Chinas kommerziell erfolgreichstem Regisseur, Feng Xiaogang,
vorgelegt wurde. Als er 2002 zum ersten Mal seinen Film
Tian Xia Wu Zei (No Thieves At All) dem Ministerium
vorlegte, wurde er mit der Begründung abgelehnt, dass „ein
Dieb ein unpassender Filmprotagonist“ sei. Feng hat nun
die Zustimmung für den Dreh seines Films bekommen.
In
den Übergansgbestimmmungen für die Zulassung von Filmschaffen,
Vertrieb und Vorführung, veröffentlicht am 1. Dezember
2003, wurde die relevante Bestimmung folgendermaßen
abgeändert: „Filmproduktionseinheiten werden dazu ermutigt,
an Filmfestivals (oder Filmschauen) im Ausland teilzunehmen.
Die vorgeschlagenen Teilnehmer sollen sich eine Zulassung
für öffentliche Aufführung verschaffen und den Film
vor der öffentlichen Aufführung beim Ministerium für
Radio, Film und Fernsehen registrieren lassen.“ Der entscheidende
Unterschied liegt in der Formulierung „registrieren lassen“,
die früher „... das Ansuchen muss genehmigt sein“ hieß.
Das
heißt, dass Wang und seine „Untergrundkollegen“ die
Drehgenehmigung bekommen können, indem sie eine aus
1000 Schriftzeichen bestehende Inhaltsangabe beim Ministerium
für Radio, Film und Fernsehen einreichen, die diese dann
bei sich registriert. Nach dem Dreh und dem Ende der Postproduktion
können die Regisseure eine Erlaubnis für die öffentliche
Vorführung erhalten, nachdem der Film die Zensurprozedur
durchlaufen hat. Das ist ein eindeutiger Abschied von den
strengen und langwierigen Prozeduren der Vergangenheit,
die verlangten, dass man das ganze Drehbuch einem arbeitsaufwendigen
Prozess der Darlegung, des Neuverfassens und des Wiederversuchens
unterwarf.
Am
13. November 2003 hielt das Filmbüro eine Konferenz an der
Beijinger Filmakademie ab, an denen die Untergrundregisseure
Wang Xiaoshuai und Jia Zhangke gemeinsam mit dem Direktor
des Filmbüros Tong Gang und dem Vizedirektor Zhang Pimin
teilnahmen. Die Konferenz stellt einen Wendepunkt dar, was
die Einstellung den sogenannten Untergrundregisseuren gegenüber
angeht, denn sie werden nun als neues Blut für die chinesische
Filmindustrie, das gelenkt und genährt werden muss,
willkommen geheißen und nicht wie Abweichler behandelt,
deren Kreativität im Keim erstickt werden muss.
Jia
Zhangke meint: „Dieser Sinneswandel auf Seiten der Behörden
zeigt, dass Filmemachern mehr Respekt dargebracht wird,
dass dem kreativen Filmschaffen mehr Wichtigkeit zugesprochen
und dass die Industrialisierung von Film beschleunigt wird.“
Jia ist dabei, den Film World zu drehen, der zum
Teil vom staatlichen Fimstudio Shanghai finanziert wird
und der erste seiner Filme ist, dem die öffentliche
Vorführung in chinesischen Kinos erlaubt wurde.
Jia
hoffte schon beim Planungsstadium seines Films Platform,
mit dem Shanghaier Filmstudio zusammenzuarbeiten, aber
daraus wurde nichts. Nun hat sich sein Wunsch erfüllt. Jia
sagt: „Das Shanghaier Filmstudio ist ein aktiver und flexibler
Partner, also keine steife Organisation. Am wichtigsten
aber ist, dass die Mitarbeiter dort meine Einstellung zu
Film mögen, was mir kreativen Raum schafft.“ Er denkt
nicht, dass der Wandel seines Publikums - von einem Untergrund-
zu einem Massenpublikum - seinen Stil und die Thematik seines
Films beeinflussen wird. Doch sagt er: „Der einzige Unterschied
ist, dass der Film einer großen Öffentlichkeit
gezeigt werden kann, was wichtig ist für die Investoren.“
Wang
denkt genauso: „Ein Untergrundfilm ist nicht notwendigerweise
düster und trübselig. Beijing Bicycle ist im Großen
und Ganzen ein leichter Film, aber mit traurigem Beiklang.“
Obwohl
Wang wieder im Sonnenschein wandelt, ist er nicht sehr optimistisch
hinsichtlich der öffentlichen Aufführung seiner früheren
Filme. Er sagt deprimiert: „Es gibt wenige Programmkinos
oder kleine Salons in China und es ist unmöglich meine
früheren Filme breit herauszubringen. Ich sehe das Prolem
in der chinesischen restriktiven Filmlandschaft, deren unzulänglichen
Kanäle für den Filmverleih und deren Mangel an Kunstfilmkinos
es für meine Filme unmöglich macht, eine Anhängerschaft
zu finden.“ Wang findet, dass es unabdingbar ist für China,
ein Klassifikationssystem zu veröffentlichen. „Nur
durch Klassifikation kann eine zutreffende Marktorientierung
stattfinden, durch die das Publikum und die Filme geschützt
werden können. Das wäre bei weitem besser für
die chinesische Filmindustrie als alle internationalen Preise.“
Er
fühlt sich ermutigt durch das angekündigte Vorhaben der
Behörden, ein Klassifikationssystem einzuführen. Wu
Ke, Vizedirektor des Fimbüros, sagt, dass man dabei ist,
politische Richtlinien zur Klassifikation von Filmen zu
entwerfen. Wu sagt: „Sind diese einmal verkündet, werden
sie einen Meilenstein in der 100-jährigen Geschichte
des chinesischen Films verkörpern.“