Heiße
Tasse, heißer Trend
Kaffee
ist in Chinas Mittelschicht zum unverzichtbaren Kennzeichen
für Kultiviertheit geworden. Zwar füllt erst ein kleiner Prozentsatz
der Chinesen ihre Tassen mit Kaffee statt Tee, doch lassen
sich jedes Jahr Millionen bekehren, um zu zeigen, dass sie
es zu etwas gebracht haben. Kaffeehausketten breiten sich
schnell über China aus, und Kaffeehersteller aus der ganzen
Welt machen sich Marktanteile streitig, um von diesem Trend
zu profitieren.
Auf
Kaffeetrinkern in China lasten große Erwartungen. Kaffee
ist das neueste Gut, das internationale Unternehmen und einheimische
Joint Ventures den chinesischen Konsumenten schmackhaft machen
wollen. Auf den weltweiten Rohstoffmärkten bringt nur
Öl mehr Geld ein, doch die Kaffee-Anbauer mussten in
letzter Zeit Gewinneinbußen hinnehmen, da Produktionsüberschüsse
die Preise auf ein Rekordtief drückten. An die Kaffeegenießer
in Beijing wurden die Preisesenkungen aber nicht weitergegeben
– im Gegenteil, in vielen Cafés der Stadt wurde das Getränk
sogar teurer.
Nur
wenigen ist bekannt, dass in China Kaffee angebaut wird. Dass
dem so ist, sollte angesichts des milden Klimas in den südlichen
und östlichen Teilen dieses riesigen Landes allerdings
nicht erstaunen. Das benachbarte Vietnam ist hinter Brasilien
zum zweitgrößten Kaffeeproduzenten der Welt aufgestiegen,
und viele Stimmen werfen dem Land vor, die internationalen
Märkte zu überschwemmen und so den Preiszerfall herbeigeführt
zu haben. Die meisten Kaffeeplantagen in China liegen in der
Provinz Yunnan, an der Grenze zu Vietnam.
Die
erste Kaffeerösterei auf chinesischem Boden wurde 1935
in Shanghai eröffnet, doch die Chinesen mussten sich
bis zur Mitte der 80er Jahre gedulden, ehe sie in den Genuss
von löslichem Kaffee kamen. Eingeführt wurde er vom Lebensmittelgiganten
Kraft Foods mit seiner Marke Maxwell House. Mittlerweile hat
Maxwell House sein Monopol eingebüßt und musste die
Vorrangstellung auf dem chinesischen Markt Nestlé überlassen,
das die Marke Nescafé herstellt. Beide Multis beziehen Kaffee
aus Yunnan.
2002
brachten die Kaffeeverkäufe in China über 90 Mio. US-Dollar
ein, doch der Anteil des Landes am Weltverbrauch betrug gerade
einmal ein Prozent. Dennoch haben die Kaffeehändler allen
Grund zum Optimismus: Der Absatz wächst um 50–100% jährlich.
In
einem Land, das das Teetrinken zur Kunst verfeinerte, wird
es nicht einfach sein, die Leute zum Kaffeetrinken zu bewegen.
Doch die chinesische Jugend und die städtische Mittelschicht
sind bereits auf den Geschmack gekommen. Laut China Market
Database (CMDB) trinken v. a. Leute mit höherer Bildung
Kaffee. Fast 36% der chinesischen Kaffeetrinker haben einen
Universitätsabschluss, während nur 8% derjenigen
mit Primarschulbildung zu den Genießern dieses Getränks
gehören. Auf einer Mittelschule in der südchinesischen
Provinz Fujian ist es schon üblich, dass die Schüler Päckchen
mit Instantkaffee von zu Hause mitbringen. Löslicher
Kaffee wird in China zumeist als trinkfertige Mischung mit
Zucker und Milchpulver angeboten. Die praktische Verpackung
und der süße Geschmack fanden bei den Jugendlichen in
Fujian Anklang – sie trinken durchschnittlich eine Tasse Instantkaffee
pro Tag. In den Kaffeegenuss eingeführt wurden diese Kinder
auf Café-Besuchen mit ihren Eltern, der ersten Gruppe von
Angestellten in Großunternehmen.
Über
Generationen hinweg war Fujians Nachbarprovinz Guangdong offener
für westlichen Einfluss als die meisten anderen Landesteile.
Heute können Kaffeeliebhaber in Shenzhen, der wirtschaftlichen
Triebfeder der Provinz, aus über einem Dutzend gehobener Cafés
wählen. Hier hat auch die weniger bekannte Kette Kosmo
aus dem benachbarten Hong Kong den Wettstreit mit Starbucks
aufgenommen. Das Unternehmen verkauft sich als gesundheitsbewusstes
Kaffeehaus, das auch Fruchtsäfte und bekömmliche
Imbisse anbietet, doch beim Kaffeeangebot und bei den Preisen
ähnelt es dem großen Rivalen aus den USA sehr.
Starbucks
hat bis jetzt erst eine Filiale in der Millionenstadt eröffnet,
plant jedoch, seine Präsenz auszubauen. Er will jedoch
nichts überstürzen und hofft so, seinen Erfolg in Beijing
und Shanghai wiederholen zu können. Tiger Li, der Standortverantwortliche
bei Starbucks, erklärt die überwältigende Beliebtheit
der in Seattle beheimateten Kette in China mit der Atmosphäre,
die die Kunden in den Filialen vorfinden, und den klug gewählten
Standorten ihrer Cafés. „Starbucks bietet ein unverwechselbares
Erlebnis“, ist Li überzeugt. „Viele haben versucht, uns nachzuahmen,
doch keinem ist dies gelungen. Wir konzentrieren uns auf die
wohlhabenderen Büroviertel, Einkaufszentren und berühmte Sehenswürdigkeiten.“
Zurzeit
kommen auf die über 14 Mio. Einwohner in Beijing 40 Starbucks-Filialen.
In Seattle, das knapp zwei Mio. Einwohner zählt, betreibt
das Unternehmen dagegen über 400 Cafés. „Von der Bevölkerungszahl
her gesehen erscheint der Beijinger Markt groß, doch
wenn wir ausrechnen, wieviele Tassen Kaffee die Beijinger
täglich trinken, dann ist der Markt kleiner als in Seattle“,
sagt Li.
Das größte
Hindernis für ein Anwachsen der Kaffeetrinkergemeinde in Beijing
sind die Preise. Die meisten Beijinger können es sich
einfach nicht leisten, 12 Yuan für einen Kaffee auszugeben
– so viel kostet die billigste Sorte bei Starbucks. „Ich gehe
höchstens einmal im Monat zu Starbucks“, sagt die Mittelschullehrerin
Chen Yuanyuan. „Das Ambiente dort ist wirklich einmalig, doch
ich bin das Kaffeetrinken nicht sehr gewohnt und ich finde
die Preise zu hoch.“ Für den Durchschnittsbürger eher erschwinglich
sind vielleicht die Fast-food-Ketten, die in der Regel auch
Kaffee auf ihrer Speisekarte stehen haben. McDonald’s und
KFC führen Nescafé, aber auch Subway, Yoshinoya und einheimische
Ketten wie Dicos und Chinese Burger’s Home bieten Kaffee zu
günstigen Preisen an. Die Qualität jedoch schwankt erheblich,
sowohl zwischen den Konkurrenten als auch von Filiale zu Filiale.
Erfreulicheres
gibt es aus einer Reihe von unabhängigen Cafés zu berichten,
die sich an verschiedenen Orten in der Hauptstadt angesiedelt
haben. In der Nähe der „Duftenden Berge“ (Xiang Shan),
einem beliebten Naherholungsgebiet im Nordwesten Beijings,
entstand „Sculpting in Time“, wo Kaffee in einer Lesezimmerumgebung
serviert wird. Der Erfolg bewog die Besitzer, zwei Ableger
zu eröffnen. Unweit des Barviertels am Houhai findet
man „There“, wo bequeme Sessel und Bücherregale voller englischsprachiger
Literatur dazu einladen, eine Tasse guten Kaffees zu genießen.
Es wird
erwartet, dass noch mehr Cafés und Kaffeehausketten die chinesischen
Städte bevölkern werden. Die brasilianischen Kaffee-Produzenten
haben sich bereits vorgenommen, an die Vietnamesen verlorenes
Terrain zurückzuerobern, indem sie direkt an die chinesischen
Konsumenten verkaufen. Die Brazilian Green Coffee Exporters
Association will eng mit dem Landwirtschaftsministerium zusammenspannen,
um sich einen Platz auf dem chinesischen Markt zu sichern,
der in Zukunft von zentraler Bedeutung sein könnte. Bei
den Kaffeehäusern haben auch taiwanesische und japanische
Unternehmen Fuß auf dem chinesischen Festland gefasst.
Mit der
Verbreitung von Kaffeezubehör in den chinesischen Haushalten
gehört ein wachsendes Angebot an Kaffeeprodukten zum
Sortiment in den Supermärkten. In den größten
chinesischen Städten führen gehobenere Warenhäuser
schon Kaffeekannen und sogar italienische Kaffeemaschinen.
Laut
Lu Lian, Professor für Westliche Kultur an der Fudan-Universität
in Shanghai, haben sich die Chinesen ein rudimentäres
Wissen über Kaffee angeeignet, und für viele ist er zu einem
Bestandteil des Alltags geworden. In einer von der Guangzhou
Daily im Jahr 2002 durchgeführten Umfrage gaben
24% der 41–50-Jährigen und 18% der 20–30-Jährigen
an, oft Kaffee zu trinken. Im Wettstreit um diesen Kundenkreis
könnte es eng werden, es sei denn, mehr Chinesen finden
Geschmack an dem Getränk.
Ergebnisse
einer Umfrage des chinesischen Internetportals Sohu.com: Gründe,
um Kaffee zu trinken
Wirkt anregend
|
Sich an der Kaffeehaus-Atmosphäre erfreuen
|
Ein Gefühl des Luxus genießen
|
Jemanden kennen lernen
|
Laut Statistiken ist der Kaffeekonsum in China eng mit
dem Bildungsstand und dem Einkommen verknüpft
Bildung
|
Anteil der Kaffeetrinker (%)
|
Monatseinkommen (Yuan)
|
Anteil der Kaffeetrinker (%)
|
Primarschule
|
8,1
|
|
|
Untere Mittelschule
|
27,7
|
Unter 1999
|
7,9
|
Obere Mittelschule
|
24,2
|
|
|
Berufsfachschule
|
27,8
|
|
|
Zwei- oder dreijährige Hochschulbildung
|
32,5
|
Über 8000
|
42,5
|
Universitätsabschluss oder höher
|
35,8
|
|
|
Mark
Godfrey ist Journalist und stammt aus Irland. Gegenwärtig
ist er in China stationiert.