Nach
rechts oder nach links?
Von Zhang Zhaohui
Am 20.
Dezember 2003 wurde in der Galerie Left Bank, im Zhongguancun-Quartier
am nordwestlichen Stadtrand von Beijing gelegen, eine Gruppenausstellung
mit dem Titel „Der Linke Flügel“ eröffnet. Die Schau
fand in zwei riesigen, noch unverkauften Hallen mit kahlen
Betonwänden im obersten Stock des Geschäftsgebäudes
„Left Bank“ (Linkes Ufer) statt. Zum Namen des Projekts bemerkte
der Initiator und Sponsor Lin Jian, gleichzeitig Bauherr des
Hochhauses: „Während sich die Welt nach rechts dreht,
drehen wir nach links.“ Diese Ankündigung machte ihn und sein
Immobilienprojekt auf dem boomenden, aber hart umkämpften
Immobilienmarkt weit herum bekannt.
In den
letzten drei Jahren wuchs der Immobilienmarkt in Beijing zum
größten des Landes heran. Bemerkenswert ist, dass
viele Bauherren gewillt sind, avantgardistische Projekte wie
Performance-Kunst, Video- und andere Kunstinstallationen oder
Tanzvorführungen zu unterstützen, um die Aufmerksamkeit der
Medien zu gewinnen und sie so als indirekte Werbung einzusetzen.
Für sie, wie auch für die gebildeten, aus gutem Hause stammenden
Erfolgreichen der jüngeren Generation, steht die neuerdings
anerkannte zeitgenössische Kunst für eine höhere
Ästhetik. Mit ihr in Berührung zu kommen, ist für eine
reife Person, die mit der Zeit geht, ein Muss. Dies erklärt,
warum die Massenmedien so ausführlich über den Anlass berichteten
und macht auch verständlich, warum ein Immobilienprojekt
aus der Verbindung mit zeitgenössischer Kunst einen Imagegewinn
verzeichnet. Genau diesen Überlegungen entspringt die
Bereitschaft der Bauherren, als Sponsoren für solche Kunstveranstaltungen
aufzutreten. Einige Immobilienunternehmer begnügen sich nicht
mit dem Sponsoring einzelner Ausstellungen, sondern führen
ihre eigenen Galerien, z. B. das East Art Center, Xray Art
Center und Today’s Gallery. Diese Räume spielen eine
wichtige Rolle darin, ein besseres gesellschaftliches Umfeld
für die Kunst herzustellen. Die regelmäßigen Ausstellungen
finden in der Öffentlichkeit und in den Medien ein wachsendes
Interesse. Davon profitieren sowohl die Künstler als auch
die Unternehmer.
Die Ausstellung
„Der Linke Flügel“ war das neueste Ereignis dieser Art. Sie
umfasst Werke von rund 30 Künstlern, von denen viele auf der
nationalen, aber auch auf der internationalen Bühne sehr präsent
sind, darunter Cao Fei, Fang Lijun, Gu Dexin, Song Dong, Sui
Jianguo, Zhuang Hui, Du Zhenjun, Huang Yongping und Shen Shaomin.
Sie leben in Beijing, Shanghai, Guangzhou – kurz, in den wichtigsten
Städten Chinas, aber auch, im Falle des international
bekannten Huang Yongping, in Metropolen wie Paris.
2003
ließ sich feststellen, dass sich viele chinesische Künstler
vom Experimentieren mit abstrakteren Formen abwandten und
stattdessen stärker dazu neigten, ihre Ansichten und
Bedenken zu gesellschaftlichen Problemen wie der Umweltverschmutzung,
den Wanderarbeitern oder der wachsenden Kluft zwischen Arm
und Reich auszudrücken. Anstatt zynisch zu sein, nahmen sie
eine realistische Sichtweise auf das gesellschaftliche Umfeld
ein, die eher an der Situation im Inland orientiert als durch
internationale Strömungen motiviert war. Viele Künstler
kamen zu der Einsicht, dass es wichtiger wäre, zuerst
einen Platz in ihrer Heimat zu finden und ihrer Kunst Kraft
zu geben, indem sie sie im Lokalen und im Individuellen verankern,
bevor sie nach internationalen Perspektiven Ausschau halten.
Denn obwohl sich die zeitgenössische chinesische Kunst
in der internationalen Kunstszene während bald eines
Jahrzehntes beträchtlicher Beliebtheit erfreute, ist
sie für die einfachen Chinesen noch immer unzugänglich.
Und das offizielle Kunst-Establishment sträubt sich noch
immer dagegen, sie als Teil des Mainstream zu akzeptieren.
So war an der vor kurzem zu Ende gegangenen ersten Beijinger
Biennale keine einzige Kunst-Installation und kein Video-Werk
zu sehen.
Wie andere
Ausstellungen zu zeitgenössischer Kunst präsentierte
„Der Linke Flügel“ ein breites Spektrum von Kunstformen, das
von Malerei über Installationen, Videokunst, Fotografie, Skulpturen,
Collagen und Video-Installationen bis zu Performance-Kunst
reichte, zeichnete sich aber aus durch den Umfang der Veranstaltung
und die gesellschaftlichen Anliegen der Künstler. Diese gaben
ihrer Sorge Ausdruck, wie die gewöhnlichen Leute in China
mit den beispiellosen, dramatischen wirtschaftlichen und kulturellen
Auswirkungen der Globalisierung umgehen.
Cao Fei,
eine junge, talentierte Künstlerin, hat mit ihren Werken auf
sich aufmerksam gemacht. Ihr neuestes Werk „Hip Hop“ zeigt
unterschiedliche Menschen, die auf der Straße tanzen.
Die Studenten, Bauarbeiter, Straßenhändler usw.
wiederholen ihre Bewegungen zu monotoner Musik und wirken
dabei ziellos, wie von einer unbeschreiblichen Kraft gesteuert
– vielleicht dem Druck des Überleben-Müssens. Die Arbeit
ist eine bildliche Metapher für die zwiespältigen psychologischen
Reaktionen der unteren Schichten auf das blühende Stadtleben.
Sie kommen in die Stadt auf der Suche nach einem besseren
Leben, wo sie jedoch einer ungerechten Behandlung unterworfen
sind.
„Chinesische
Sauna“ von Xu Tan aus Guangzhou ist eine Verbindung von Installation
und Performance. Er reproduzierte eine gewöhnliche Sauna
und lud die Besucher ein, ein Dampfbad zu nehmen. Doch wer
in den Raum aus durchsichtigem Glas eintrat, war für die Außenstehenden
sichtbar. Die Sauna verwandelte sich so in ein Gewächshaus
und die Sauna-Gäste wurden zu Live-Performern. Die Zuschauer
dagegen wurden zu Voyeuren, wenn sie den Halbnackten im Innern
zusahen. Dieses Werk schafft in einem bestimmten sozialen
und körperlichen Kontext eine Spannung zwischen Sehen
und Gesehen Werden, zwischen Privatem und Öffentlichem,
zwischen Kunst und Leben.
Als gebürtiger
Shanghaier war Shi Yong Zeuge der gewaltigen Veränderungen,
die Chinas größte Stadt in den letzten zwei Jahrzehnten
erlebte. Er hält unstillbare Begierde für die Triebfeder
der Stadt, eine Sehnsucht, die zum Streben nach neuen Moden,
nach einem Auto, nach einem luxuriösen Zuhause – kurz,
nach einem komfortablen Leben antreibt. Begierde verändert
den Alltag der Menschen, verändert die Städte, sogar
Wirtschaft und Politik. Seine neueste Installation „Standpunkt“
besteht aus einem engen Raum aus Holz, in dessen Wände
Messer aus durchsichtiger, dünner Plastikfolie eingelassen
sind. Ein elektrischer Kompressor bläst die Messer in
Intervallen auf, so dass sie mal horizontal aufgerichtet sind,
mal schlapp herunterhängen. Zusammengefallen, sehen sie
aus wie Kondome, in aufgeblasenem Zustand dagegen wie erigierte
Penisse. Dieser erotische und provokative Entwurf stellt eine
humorvolle Parabel des von Begierde erfüllten Stadtlebens.
Ins Auge
sprangen bei der Eröffnung auch viele Performance-Akte.
Song Dong ließ zehn als Hochhäuser verkleidete
Akrobaten und Akrobatinnen auf Stelzen durch die Ausstellung
staksen. Sun Yuan und Peng Yu bestellten mehrere professionelle
Boxer, die sich zu dritt bekämpften, und verwandelten
so den Ausstellungsraum in eine Sportstätte. Beachtung
verdiente auch der Auftritt eines Chors, eine Kombination
von Installation und Performance von Zhang Hui und Shi Qing.
Das bedeutendste
Ereignis neben dem festlichen Wetteifern um Aufmerksamkeit
war die Absage einer Installation von Huang Yongping. Sein
Ausstellungsbeitrag hätte den Titel „Rechter Flügel“
getragen und war der dritte Teil seines Fledermaus-Projekts,
deswegen auch Fledermaus-Projekt III genannt. Seine beiden
früheren Fledermaus-Projekte waren große Nachbildungen
von Teilen des US-amerikanischen Spionageflugzeugs EP-3 und
sollten an den Zusammenstoß mit einem chinesischen Jagdflugzeug
am 1. April 2001 über dem Südchinesischen Meer erinnern. Die
amerikanische Maschine musste auf Hainan notlanden und durfte
erst nach langwierigen Verhandlungen in die USA zurückkehren
– in Stücke zerlegt und in Container verpackt. Ohne Zweifel
war dies eine Schmach für die Supermacht.
Huang
Yongping gestaltete „Fledermaus-Projekt I“, Nachbildungen
des mittleren und des hinteren Teilstücks des Flugzeugs, für
eine chinesisch-französische Skulpturenausstellung in
Shenzhen im Dezember 2001. Wegen Befürchtungen, das Werk könnte
die Beziehungen Frankreichs und Chinas mit den USA belasten,
musste es kurz vor der Ausstellungseröffnung entfernt
werden. „Fledermaus-Projekt II“ bestand aus Nachbildungen
des mittleren und des vorderen Flugzeugteils sowie des linken
Flügels der EP-3. Auch hier verhinderte Druck des Konsulats
der USA und des chinesischen Kulturministeriums, dass das
Werk im November 2002 an der ersten Triennale von Guangzhou
gezeigt wurde.
„Fledermaus-Projekt
III“, der rechte Flügel und das letzte Teilstück des Spionageflugzeugs,
hätte am 30. Dezember 2003 im Hof des Gebäudekomplexes
Left Bank mit einer Zeremonie enthüllt werden sollen. Doch
Huang wurde benachrichtigt, dass sein Werk aufgrund eines
„Sicherheitsproblems“ zu entfernen sei. Man kann Huang Yongping
gut nachfühlen, wie frustrierend diese dritte Absage gewesen
sein muss. Auf seiner Website gab er bekannt, der Slogan „Während
sich die Welt nach rechts dreht, drehen wir nach links“ sei
nichts anderes als ein Werbespruch, bloß hohle Rhethorik.
„In Wahrheit“, fügte er hinzu, „laufen wir mit, wenn sich
die Welt nach rechts dreht.“
Der Zwischenfall
mit dem „Rechten Flügel“ verlieh der Ausstellung „Der Linke
Flügel“ mehr Dramatik und deckte auf, wie delikat die Beziehung
zwischen Kunst einerseits und Geschäft und Politik andererseits
ist. In gewisser Hinsicht machte das Ereignis auch die wahre
Stellung der zeitgenössischen Kunst in der Gesellschaft
deutlich. Die Gemeinde der zeitgenössischen Kunst, die
weitherum als Teil der neuen chinesischen Kultur bezeichnet
wird, hat noch einen langen Weg vor sich auf der Suche nach
ihren Wurzeln im gesellschaftlichen Umfeld.