März 2004
Ihre Position: Homepage >

Nach rechts oder nach links?

Von Zhang Zhaohui

Am 20. Dezember 2003 wurde in der Galerie Left Bank, im Zhongguancun-Quartier am nordwestlichen Stadtrand von Beijing gelegen, eine Gruppenausstellung mit dem Titel „Der Linke Flügel“ eröffnet. Die Schau fand in zwei riesigen, noch unverkauften Hallen mit kahlen Betonwänden im obersten Stock des Geschäftsgebäudes „Left Bank“ (Linkes Ufer) statt. Zum Namen des Projekts bemerkte der Initiator und Sponsor Lin Jian, gleichzeitig Bauherr des Hochhauses: „Während sich die Welt nach rechts dreht, drehen wir nach links.“ Diese Ankündigung machte ihn und sein Immobilienprojekt auf dem boomenden, aber hart umkämpften Immobilienmarkt weit herum bekannt.

In den letzten drei Jahren wuchs der Immobilienmarkt in Beijing zum größten des Landes heran. Bemerkenswert ist, dass viele Bauherren gewillt sind, avantgardistische Projekte wie Performance-Kunst, Video- und andere Kunstinstallationen oder Tanzvorführungen zu unterstützen, um die Aufmerksamkeit der Medien zu gewinnen und sie so als indirekte Werbung einzusetzen. Für sie, wie auch für die gebildeten, aus gutem Hause stammenden Erfolgreichen der jüngeren Generation, steht die neuerdings anerkannte zeitgenössische Kunst für eine höhere Ästhetik. Mit ihr in Berührung zu kommen, ist für eine reife Person, die mit der Zeit geht, ein Muss. Dies erklärt, warum die Massenmedien so ausführlich über den Anlass berichteten und macht auch verständlich, warum ein Immobilienprojekt aus der Verbindung mit zeitgenössischer Kunst einen Imagegewinn verzeichnet. Genau diesen Überlegungen entspringt die Bereitschaft der Bauherren, als Sponsoren für solche Kunstveranstaltungen aufzutreten. Einige Immobilienunternehmer begnügen sich nicht mit dem Sponsoring einzelner Ausstellungen, sondern führen ihre eigenen Galerien, z. B. das East Art Center, Xray Art Center und Today’s Gallery. Diese Räume spielen eine wichtige Rolle darin, ein besseres gesellschaftliches Umfeld für die Kunst herzustellen. Die regelmäßigen Ausstellungen finden in der Öffentlichkeit und in den Medien ein wachsendes Interesse. Davon profitieren sowohl die Künstler als auch die Unternehmer.

Die Ausstellung „Der Linke Flügel“ war das neueste Ereignis dieser Art. Sie umfasst Werke von rund 30 Künstlern, von denen viele auf der nationalen, aber auch auf der internationalen Bühne sehr präsent sind, darunter Cao Fei, Fang Lijun, Gu Dexin, Song Dong, Sui Jianguo, Zhuang Hui, Du Zhenjun, Huang Yongping und Shen Shaomin. Sie leben in Beijing, Shanghai, Guangzhou – kurz, in den wichtigsten Städten Chinas, aber auch, im Falle des international bekannten Huang Yongping, in Metropolen wie Paris.

2003 ließ sich feststellen, dass sich viele chinesische Künstler vom Experimentieren mit abstrakteren Formen abwandten und stattdessen stärker dazu neigten, ihre Ansichten und Bedenken zu gesellschaftlichen Problemen wie der Umweltverschmutzung, den Wanderarbeitern oder der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich auszudrücken. Anstatt zynisch zu sein, nahmen sie eine realistische Sichtweise auf das gesellschaftliche Umfeld ein, die eher an der Situation im Inland orientiert als durch internationale Strömungen motiviert war. Viele Künstler kamen zu der Einsicht, dass es wichtiger wäre, zuerst einen Platz in ihrer Heimat zu finden und ihrer Kunst Kraft zu geben, indem sie sie im Lokalen und im Individuellen verankern, bevor sie nach internationalen Perspektiven Ausschau halten. Denn obwohl sich die zeitgenössische chinesische Kunst in der internationalen Kunstszene während bald eines Jahrzehntes beträchtlicher Beliebtheit erfreute, ist sie für die einfachen Chinesen noch immer unzugänglich. Und das offizielle Kunst-Establishment sträubt sich noch immer dagegen, sie als Teil des Mainstream zu akzeptieren. So war an der vor kurzem zu Ende gegangenen ersten Beijinger Biennale keine einzige Kunst-Installation und kein Video-Werk zu sehen.

Wie andere Ausstellungen zu zeitgenössischer Kunst präsentierte „Der Linke Flügel“ ein breites Spektrum von Kunstformen, das von Malerei über Installationen, Videokunst, Fotografie, Skulpturen, Collagen und Video-Installationen bis zu Performance-Kunst reichte, zeichnete sich aber aus durch den Umfang der Veranstaltung und die gesellschaftlichen Anliegen der Künstler. Diese gaben ihrer Sorge Ausdruck, wie die gewöhnlichen Leute in China mit den beispiellosen, dramatischen wirtschaftlichen und kulturellen Auswirkungen der Globalisierung umgehen.

Cao Fei, eine junge, talentierte Künstlerin, hat mit ihren Werken auf sich aufmerksam gemacht. Ihr neuestes Werk „Hip Hop“ zeigt unterschiedliche Menschen, die auf der Straße tanzen. Die Studenten, Bauarbeiter, Straßenhändler usw. wiederholen ihre Bewegungen zu monotoner Musik und wirken dabei ziellos, wie von einer unbeschreiblichen Kraft gesteuert – vielleicht dem Druck des Überleben-Müssens. Die Arbeit ist eine bildliche Metapher für die zwiespältigen psychologischen Reaktionen der unteren Schichten auf das blühende Stadtleben. Sie kommen in die Stadt auf der Suche nach einem besseren Leben, wo sie jedoch einer ungerechten Behandlung unterworfen sind.

„Chinesische Sauna“ von Xu Tan aus Guangzhou ist eine Verbindung von Installation und Performance. Er reproduzierte eine gewöhnliche Sauna und lud die Besucher ein, ein Dampfbad zu nehmen. Doch wer in den Raum aus durchsichtigem Glas eintrat, war für die Außenstehenden sichtbar. Die Sauna verwandelte sich so in ein Gewächshaus und die Sauna-Gäste wurden zu Live-Performern. Die Zuschauer dagegen wurden zu Voyeuren, wenn sie den Halbnackten im Innern zusahen. Dieses Werk schafft in einem bestimmten sozialen und körperlichen Kontext eine Spannung zwischen Sehen und Gesehen Werden, zwischen Privatem und Öffentlichem, zwischen Kunst und Leben.

Als gebürtiger Shanghaier war Shi Yong Zeuge der gewaltigen Veränderungen, die Chinas größte Stadt in den letzten zwei Jahrzehnten erlebte. Er hält unstillbare Begierde für die Triebfeder der Stadt, eine Sehnsucht, die zum Streben nach neuen Moden, nach einem Auto, nach einem luxuriösen Zuhause – kurz, nach einem komfortablen Leben antreibt. Begierde verändert den Alltag der Menschen, verändert die Städte, sogar Wirtschaft und Politik. Seine neueste Installation „Standpunkt“ besteht aus einem engen Raum aus Holz, in dessen Wände Messer aus durchsichtiger, dünner Plastikfolie eingelassen sind. Ein elektrischer Kompressor bläst die Messer in Intervallen auf, so dass sie mal horizontal aufgerichtet sind, mal schlapp herunterhängen. Zusammengefallen, sehen sie aus wie Kondome, in aufgeblasenem Zustand dagegen wie erigierte Penisse. Dieser erotische und provokative Entwurf stellt eine humorvolle Parabel des von Begierde erfüllten Stadtlebens.

Ins Auge sprangen bei der Eröffnung auch viele Performance-Akte. Song Dong ließ zehn als Hochhäuser verkleidete Akrobaten und Akrobatinnen auf Stelzen durch die Ausstellung staksen. Sun Yuan und Peng Yu bestellten mehrere professionelle Boxer, die sich zu dritt bekämpften, und verwandelten so den Ausstellungsraum in eine Sportstätte. Beachtung verdiente auch der Auftritt eines Chors, eine Kombination von Installation und Performance von Zhang Hui und Shi Qing.

Das bedeutendste Ereignis neben dem festlichen Wetteifern um Aufmerksamkeit war die Absage einer Installation von Huang Yongping. Sein Ausstellungsbeitrag hätte den Titel „Rechter Flügel“ getragen und war der dritte Teil seines Fledermaus-Projekts, deswegen auch Fledermaus-Projekt III genannt. Seine beiden früheren Fledermaus-Projekte waren große Nachbildungen von Teilen des US-amerikanischen Spionageflugzeugs EP-3 und sollten an den Zusammenstoß mit einem chinesischen Jagdflugzeug am 1. April 2001 über dem Südchinesischen Meer erinnern. Die amerikanische Maschine musste auf Hainan notlanden und durfte erst nach langwierigen Verhandlungen in die USA zurückkehren – in Stücke zerlegt und in Container verpackt. Ohne Zweifel war dies eine Schmach für die Supermacht.

Huang Yongping gestaltete „Fledermaus-Projekt I“, Nachbildungen des mittleren und des hinteren Teilstücks des Flugzeugs, für eine chinesisch-französische Skulpturenausstellung in Shenzhen im Dezember 2001. Wegen Befürchtungen, das Werk könnte die Beziehungen Frankreichs und Chinas mit den USA belasten, musste es kurz vor der Ausstellungseröffnung entfernt werden. „Fledermaus-Projekt II“ bestand aus Nachbildungen des mittleren und des vorderen Flugzeugteils sowie des linken Flügels der EP-3. Auch hier verhinderte Druck des Konsulats der USA und des chinesischen Kulturministeriums, dass das Werk im November 2002 an der ersten Triennale von Guangzhou gezeigt wurde.

„Fledermaus-Projekt III“, der rechte Flügel und das letzte Teilstück des Spionageflugzeugs, hätte am 30. Dezember 2003 im Hof des Gebäudekomplexes Left Bank mit einer Zeremonie enthüllt werden sollen. Doch Huang wurde benachrichtigt, dass sein Werk aufgrund eines „Sicherheitsproblems“ zu entfernen sei. Man kann Huang Yongping gut nachfühlen, wie frustrierend diese dritte Absage gewesen sein muss. Auf seiner Website gab er bekannt, der Slogan „Während sich die Welt nach rechts dreht, drehen wir nach links“ sei nichts anderes als ein Werbespruch, bloß hohle Rhethorik. „In Wahrheit“, fügte er hinzu, „laufen wir mit, wenn sich die Welt nach rechts dreht.“

Der Zwischenfall mit dem „Rechten Flügel“ verlieh der Ausstellung „Der Linke Flügel“ mehr Dramatik und deckte auf, wie delikat die Beziehung zwischen Kunst einerseits und Geschäft und Politik andererseits ist. In gewisser Hinsicht machte das Ereignis auch die wahre Stellung der zeitgenössischen Kunst in der Gesellschaft deutlich. Die Gemeinde der zeitgenössischen Kunst, die weitherum als Teil der neuen chinesischen Kultur bezeichnet wird, hat noch einen langen Weg vor sich auf der Suche nach ihren Wurzeln im gesellschaftlichen Umfeld.

-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+--+-+-+-+--+-+-+--+-
Zurück