März 2004
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Die Yungang-Grotten

Von Wen Tianshen

In diesem Frühjahr, als die Blumen schon in voller Blüte standen, fuhren wir von Datong, Provinz Shanxi, ins nahe gelegene Yungang, um die dort befindlichen berühmten buddhistischen Felsengrotten zu besichtigen. Schon beim Näherkommen fielen uns die vielen Höhlen verschiedener Größe ins Auge. Sie erstrecken sich auf einer Länge von einem Kilometer den verworfenen Südhang des Wuzhoushan entlang. In den 53 wichtigsten Höhlen befinden sich insgesamt etwa 51 000 lebendig gestaltete Buddha- und Bodhisattwa-Statuen, Plastiken fliegender Feen und Reliefs, die religiöse Geschichten darstellen. Täglich kommen viele chinesische und ausländische Touristen hierher.

Die Yungang-Grotten entstanden vor 1500 Jahren zur Zeit der Nördlichen Wei-Dynastie (385–534). Damals war Pingcheng (heute: Datong) die Hauptstadt dieser Dynastie. Der Buddhismus hatte sich schon in China verbreitet. Mehrere zehntausend Handwerker verschiedener Nationalitäten kamen auf Befehl des Kaisers zum Wuzhoushan, um die Grotten aus dem Fels zu meißeln. Selbst bei schneidener Kälte und sengender Hitze mußten sie arbeiten. Ihr gigantisches Werk und ihre bildhauerische Kunstfertigkeit sind Ausdruck des Genies unserer Ahnen. Mit ihren Skulpturen, die zu den besten ihrer Art in China zählen, stellen die Yungang-Grotten eine in der ganzen Welt berühmte „Schatzkammer der Steinschneidekunst“ dar.

Mir wurde gesagt, daß ein Teil der wertvollen Plastiken noch Risse gehabt hatte, als der französische Staatspräsident Georges Pompidou in Begleitung des verstorbenen Premiers Zhou Enlai hierher zur Besichtigung gekommen war. Jetzt sind die Ausbesserungsarbeiten bereits abgeschlossen. Einer neuen Technologie ist es zu verdanken, daß die beschädigten Steinfiguren nun vollkommen frei von Rissen sind.

Als ich die fünfte Höhle betrat, sah ich eine 17 m hohe und 15,3 m breite sitzende Buddha-Statue: Ihre Füße sind 4,6 m lang und ihre Mittelfinger länger als der größte Korbballspieler – 2,3 m groß. Eine weitere 13 m hohe Buddha-Statue, die im Freien steht, ist so imposant, daß viele chinesische und ausländische Touristen sie photographieren. Die großen Augen, die hohe Nase, die dünnen Lippen, das volle Gesicht sowie die breiten und kräftigen Schultern charakterisieren diese Buddha-Statue als ein hervorragendes Werk der Bildhauer im Altertum. Überdies ist erwähnenswert, daß etwa tausend bloß zwei cm hohe Buddha-Figürchen in die Kutte einer großen Buddha-Statue eingelassen sind. Diese winzigen Statuetten, deren Gesichter von der langjährigen Verwitterung schon ziemlich angegriffen sind, sind alle verschieden voneinander gestaltet. Dort, wohin ein Tourist mit dem Finger zeigte, sah ich eine Himmelskrieger-Statue mit fünf Köpfen und sechs Armen in reitender Haltung auf einer Pfauenfigur. An seinem lebhaften Ausdruck lassen sich Kraft, Mut und Treue ablesen.

Die Schakjamuni-Höhle, die bedeutendste Höhle in Yungang, ist 16 m hoch. Die meisten Skulpturen und Reliefs, die in zwei Reihen übereinander in die Wände der Grotte gemeißelt sind, sind im typischen Stil der religiösen Kunst ihrer Zeit ausgeführt. Unterhalb der Nischen, in denen Buddha- und Bodhisattwa-Statuen stehen, befinden sich Reliefs über die Jugend Schakjamunis. Dargestellt ist, wie er seine frühen Jahre im Palast des Vaters verbrachte und dann eines Nachts auf einem Pferde reitend seine Heimat verließ, um in der Fremde Erlösung zu suchen.

Mir fiel auf, daß einigen Buddha-Statuen die Köpfe fehlten und manche Nischen sogar gänzlich leer waren. Korrupte chinesische Beamte und Imperialisten hatten hier einst, so wurde mir erzählt, geplündert.

Die imposante „Schatzkammer der Steinschneidekunst“ in Yungang liefert wertvolle Unterlagen für das Studium der Politik, Wirtschaft, Kunst und Religion in alten Zeiten. Ein Maler aus Shanghai, den ich in Yungang traf, war von den prächtigen Buddha-Statuen und Reliefs von fliegenden Feen und verschiedenartigen Pavillons so fasziniert, daß er sie voller Eifer nachmalte. Er zeigte mir, daß Buddha-Statuen, die einander völlig zu gleichen scheinen, in Wirklichkeit doch verschieden sind. Besonders erwähnenswert sind die in die Wände eingelassenen Steinfiguren von sechs Schönheiten und einer fliegenden Frauen-Musikkapelle. Manche Gestalten halten eine Querflöte in der Hand, andere blasen eine Längsflöte, wieder andere spielen auf der Pipa (einem lautenähnlichen Zupfinstrument mit vier Saiten). Auch sie sind wunderschöne Zeugnisse hoher Kunst. Die Reliefs sind nicht nur für Maler und Archäologen, die die darstellende Kunst des Buddhismus erforschen, sehr wertvoll, sondern stellen auch eine bedeutende Quelle für das Studium der Musik in alten Zeiten dar.

Die in Steine geschnittenen Inschriften sind heute wichtige Texte zum Studium der Geschichte der Bildhauerkunst in Yungang. Die Steinsäulen, achteckig oder in Form einer fünfstufigen Pagode, und die Steindächer tragen ebenfalls sehr zur Erforschung der Geschichte der chinesischen Architektur bei.

Das Yunganger Denkmalamt setzte nicht nur Schutzmaßnahmen gegen Feuchtigkeit, Wind und Regen, sondern ließ auch gepflasterte Wege anlegen. Außerdem wurden Kiefern und Zypressen angepflanzt sowie Pavillons, Balustraden und Wandelgänge gebaut.

Aus „China im Aufbau“, Nr. 9, 1982

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