Die
Erschließung Nordostchinas bringt der Welt Chancen
Von
Li Wuzhou und Luo Yuanjun


Strategie
für die Erschließung Nordostchinas
Der
Freigesetzte Zhang Tiejun aus der Stadt Anshan in der Provinz
Liaoning wohnt nahe an der Eisenbahn. In seiner Kindheit
sah er täglich Züge voll von Getreide, Kohle, Rohöl,
Nutzholz, Eisen und Stahl sowie Kraftfahrzeugen, die von
hier in den Süden Chinas fuhren. Als Wiege der chinesischen
Industrie lieferte der Nordosten Chinas ununterbrochen Energie
und Ausrüstung und leistete große Beiträge für
den Aufbau Chinas.
Aber heute sieht man im Nordosten
Chinas – eines der frühesten Industriegebiete des Landes
und einst das wichtigste – immer mehr Zeichen von Verfall.
Eine große Anzahl von Fabriken ist stillgelegt, und
auf deren Gelände ist nur noch Sicherheitspersonal
im Dienst. Statistische Angaben zeigen, dass das Bruttoinlandsprodukt
der Provinz Liaoning in den ersten Jahren nach der Einführung
der Reform- und Öffnungspolitik doppelt so hoch war
wie das der Provinz Guangdong, heute aber ist es umgekehrt.
Wie Millionen andere Entlassene in Nordostchina hat Zhang
Tiejun seinen Stolz verloren.
Der Nordostteil Chinas umfasst
die Provinzen Liaoning, Jilin und Heilongjiang und zählt
107 Mio. Einwohner. Das entspricht fast der Bevölkerungszahl
Großbritanniens und Frankreichs zusammen. Im Vergleich
zu anderen Gebieten Chinas sind die Industriearbeiter in
Nordostchina viel besser qualifiziert. Wenn der Einkommensunterschied
zwischen dem Nordosten und den anderen Landesteilen immer
größer würde, verstieße dies nicht nur
gegen die Fairness, sondern bedrohte wegen der hohen Arbeitslosigkeit
auch die Stabilität der Gesellschaft.
Angesichts dieser Situation
erklärte die chinesische Zentralregierung im vorigen
Jahr die Belebung Nordostchinas zur „wichtigsten und dringendsten
Aufgabe“ im neuen Jahrhundert, d. h. die traditionelle Industriebasis
Nordostchinas soll zu einer wichtigen Produktionsbasis für
industrielle Ausrüstungen umgestaltet werden.
Diese wichtige Maßnahme
erregte auf der ganzen Welt große Aufmerksamkeit,
ganz so wie die Gründung der Sonderwirtschaftszonen im Jahr
1980, die Öffnung der Küstenstädte im Jahr 1984,
die Einrichtung der Wirtschaftszonen in den Küstengebieten
im Jahr 1985, die Einrichtung und Öffnung der Neuen
Zone Pudong in Shanghai im Jahr 1990 und die Große
Erschließung Westchinas.
Analysten sind der Meinung,
dass das Ziel der Belebung Nordostchinas oberflächlich
darin liege, den Entwicklungsrückstand Nordostchinas zu
anderen Gebieten auszugleichen. Tatsächlich aber soll
damit die industrielle Struktur des Landes reguliert werden.
Nach
der Einführung der Reform- und Öffnungspolitik legte
die chinesische Regierung großen Wert auf die Entwicklung
der Leichtindustrie, um die Warenknappheit zu beheben. Dadurch
entstanden zwei wichtige Produktionsbasen, eine im Yangtse-
und eine im Perlfluss-Delta. Dank der Vorzugsbedingungen,
die die chinesische Regierung den ausländischen Investoren
einräumte, erreichte das Volumen der ausländischen
Investitionen in China im Jahr 2002 den höchsten Wert
weltweit. In der gleichen Zeit aber verschlechterte sich
die Grundlage der chinesischen Produktionsindustrie. Viele
benötigte Maschinen mussten importiert werden. Allein
im Jahr 2002 gab China mehr als 70 Mrd. US-Dollar für den
Import von Maschinen aus. Das überstieg bei weitem die eingeführten
Investitionen und verhinderte, dass sich China den Herausforderungen
einer im Zeichen der Globalisierung immer stärkeren
Konkurrenz zwischen den Ländern stellen konnte.
Die
Politik der Belebung Nordostchinas zeigt, dass sich die
politischen Entscheidungsträger der Wichtigkeit der
Schwerindustrie für die Entwicklung Chinas bewusst sind.
Sie wünschen, dass der Nordosten nach dem Perlfluss-Delta,
dem Yangtse-Delta sowie Beijing und Tianjin zur vierten
großen Wirtschaftszone Chinas wird.
Andere Analysten weisen darauf
hin, dass die Belebung des Nordostens mit anderen Maßnahmen
zur Förderung des wirtschaftlichen Aufschwungs in der
jüngsten Vergangenheit im Einklang steht. So braucht China
die Methoden des Westens nicht zu wiederholen, dessen industrieller
Aufstieg auf der Plünderung der natürlichen Ressourcen anderer
Länder beruhte, sondern wird sich darauf beschränken,
die inländische Nachfrage anzukurbeln.
Die chinesische Regierung
hat beschlossen, 61 Mrd. Yuan in die Belebung Nordostchinas
zu investieren. Das reicht aber für das gesamte Gebiet der
traditionellen Industriebasis bei weitem nicht aus. Deshalb
will die chinesische Regierung großen Wert auf die
Einfuhr ausländischen Kapitals legen.
Gute
Gelegenheiten für internationales Kapital
Chancen sind oft so, dass
Partner gegenseitig profitieren. Bei der Suche nach einem
Weg für die Weiterentwicklung hat sich der Nordostteil Chinas
zum Ziel gesetzt, die traditionellen Industrien durch fortschrittliche
neue Technologien zu erneuern. Das bringt großen internationalen
Unternehmen der Produktionsindustrie zweifellos Chancen.
Ausländische Investoren, die ihr Kapital in Nordostchina
anlegen, können nicht nur mit der Unterstützung der
chinesischen Regierung rechnen, sondern auch mit der Dankbarkeit
des chinesischen Volks.
Nun ist die beste Zeit für
Investitionen in Nordostchina. Noriyoshi Ehara, der Leiter
der Beijinger Filiale einer japanischen Handelsfirma, hat
6 Jahre in der nordöstlichen Hafenstadt Dalian gelebt.
Er ist der Meinung, dass der Nordostteil Chinas reich an
natürlichen Ressourcen wie Erdöl und Kohle sei. Außerdem
verfüge er über eine gute industrielle Struktur und moderne
Produktionsanlagen. Insbesondere in der Chemie- und Schwerindustriebranche
gebe es eine solide Materialbasis. Das alles übe eine große
Anziehungskraft auf Investoren aus. Diese Ansicht ist für
viele Investoren repräsentativ.
Nordostchina hat in der günstigen
Verkehrslage einen weiteren Vorteil. Es gibt ein gut ausgebautes
Straßennetz, und Eisenbahn und Schiffsverkehr sind
auf hohem Stand. Bis jetzt haben viele ausländische
Firmen ihre Produktionsstätten im Yangtse- und im Perlfluss-Delta
gegründet. Aber der Verkehr dort staut sich sehr oft. Dieses
Problem besteht in Nordostchina nicht. „Leider ist das vielen
ausländischen Firmen, einschließlich japanischen,
noch nicht bewusst“, sagt Noriyoshi Ehara.
Professor Song Donglin, Vizedirektor
des Wirtschaftsinstituts der Universität Jilin, hält
nicht nur die solide industrielle Grundlage Nordostchinas
für einen Vorteil, sondern auch seine unmittelbare Nachbarschaft
zu Russland und der Mongolei. „Südkorea und Japan liegen
ebenfalls in der Nähe. Diese geographische Lage ist
sehr günstig für den Handel zwischen Nordostchina und seinen
Nachbarländern“, meint Song. Außerdem sei das
Gebiet reich an natürlichen Ressourcen. Der Erdölausstoß
mache 40% des ganzen Landes aus, und auch die Kohlevorräte
seien sehr groß. Es gebe hier kein Problem bei der
Energieversorgung. „Im Vergleich zu anderen Landesteilen
sollten die Investoren in Nordostchina höhere Profite
erzielen können“, ist Song überzeugt.
Die Qualität der Arbeitskräfte
ist ein wichtiger Faktor für eine langfristige starke Konkurrenzfähigkeit.
In Nordostchina gibt es eine große Menge an hoch qualifizierten
Facharbeitern. In den letzten Jahren war der Mangel an Facharbeitern
ein großes Hindernis für die Entwicklung des Yangtse-Deltas.
Beispielsweise entgehen der Stadt Haining in der Provinz
Zhejiang, die als „Heimat des Pelzmantels“ landesweit bekannt
ist, wegen Facharbeitermangels jeden Tag Bestellungen im
Wert von 1 Mio. US-Dollar. Im Gegensatz dazu wurde eine
Menge von hoch qualifizierten Facharbeitern in Nordostchina
wegen der Optimierung der industriellen Struktur freigesetzt.
Manche von ihnen haben eine neue Stelle im Yangtse-Delta
gefunden. Wenn sich die Industriearbeiter, die heute von
der Regierung als Belastung betrachtet werden, effizient
mit dem Kapital verbinden, werden sie ihre Überlegenheit
ausspielen können.
Xu Chuanchen, der Leiter
des Forschungszentrums für staatliche Wirtschaft Chinas
an der Universität Jilin, sagt: „China heißt
ausländische Investoren willkommen und ermutigt sie,
an der Reform und Umgestaltung der staatlichen Betriebe
in Nordostchina mitzuwirken. Der beste Weg für sie, an der
Erschließung dieses Gebietes teilzunehmen, ist, direkt
in traditionelle Betriebe zu investieren oder sie aufzukaufen.“
Im Juli 2003 hat eine singapurische Firma Hualin Rubber,
den einst größten Reifenhersteller Chinas, erfolgreich
übernommen. Es war das erste Mal, dass eine ausländische
Firma dem Staat Aktienanteile abkaufte, nachdem die chinesische
Regierung entsprechende Beschränkungen aufgehoben hatte.
Wenn die Betriebe der traditionellen
Industrie in Nordostchina geeignete Technologie einführen
und das nötige Kapital erhalten, werden sie ihre Vitalität
voll entfalten. Die Eisen- und Stahlhütte Anshan ist ein
gutes Beispiel dafür. In der Vergangenheit hatte sie große
Schwierigkeiten in der Entwicklung. Mit günstigen Regierungskrediten
importierte sie die modernsten Produktionsanlagen und ist
heute unter den Eisen- und Stahlbetrieben Chinas führend.
Die von ihr hergestellten Schiffsplatten werden von den
fünf größten Schiffswerften der Welt verwendet.
Die
Eisen- und Stahlhütte Anshan hat außerdem mit der
deutschen Firma Thyssen Krupp ein Joint Venture für die
Herstellung von verzinktem Stahlblech gegründet. Daraus
haben beide Seiten viel Nutzen gezogen. Der chinesische
Partner konnte ausgereifte deutsche Produktionstechnik einsetzen,
während der deutsche Partner in China Fabriken errichtet
hat und in den asiatischen Markt vordringen konnte. Sun
Yu, stellvertretender Generalmanager des chinesischen Joint-Venture-Partners,
sagt, dass das Stahlblech des chinesisch-deutschen Unternehmens
unter vielen ausländischen Firmen wie Volkswagen und
General Motors Corp. in Shanghai, Citröen in Wuhan
und BMW in Shenyang Abnehmer finden und von ihnen geschätzt
wird.
„Ausländisches Kapital
anzuwerben ist nicht nur unser Wunschdenken“, gab Bo Xilai,
ehemaliger Gouverneur der Provinz Liaoning und jetzt Chinas
Handelsminister, Anfang dieses Jahres auf einer Pressekonferenz
in Beijing bekannt, die er mit seinen Amtskollegen der beiden
anderen Provinzen Nordostchinas abhielt. Mit der Verbesserung
des Investitionsklimas steigt die Anziehungskraft von Chinas
Nordosten, insbesondere der Provinz Liaoning, auf ausländische
Investoren. Vor dem Jahr 2000 lagen die tatsächlich
getätigten ausländischen Investitionen in Liaoning
bei 2,2 Mrd US-Dollar pro Jahr. 2003 erreichten sie über
5 Mrd. US-Dollar. Allein in der Stadt Dalian haben sich
mehr als 8700 Firmen mit ausländischem Kapitalanteil
niedergelassen.
Einige Experten sind voller
Zuversicht, dass der Nordosten Chinas in den kommenden bis
20 Jahren zu einem der wichtigsten Schwerindustriegebiete
der Welt aufsteigen wird, wenn die chinesische Regierung
die Strategie für die Erschließung Nordostchinas beharrlich
umsetzt. Auf den, der die Gelegenheit beim Schopf packt,
wartet eine schöne Zukunft.