Februar 2004
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Sechsspurig über das Ostchinesische Meer

Uschi Nagy berichtet aus Ningbo

China ist heute ein Land mit vielen Baustellen. Am berühmtesten ist sicher der Staudamm im Jangtse Fluss. Dabei gibt es in China noch andere spektakuläre Bauvorhaben, wie zum Beispiel Brücken über das Meer. Die längste Überseebrücke Chinas entsteht zurzeit in der Umgebung Ningbos. Die Bauarbeiten haben im Juni 2003 begonnen.

Stolz präsentiert der Ingenieur Gan Weizhong das zukünftige Prestigeobjekt der Region, die „Hangzhou Bay“-Brücke. Eine S-förmig geschwungene, futuristisch anmutende Straße über dem Meer soll die beiden Ufer der Meeresbucht bei Hangzhou miteinander verbinden. Wenn alles nach Plan läuft, wird damit im Jahr 2008 eine direkte Verbindung zwischen dem Umland von Ningbo und Shanghai bestehen.

Neun Jahre Arbeit stecken in dem Entwurf, viel Zeit haben der Ingenieur und seine Kollegen dafür im Labor verbracht. In mehr als 120 Projekten wurde an der Technik der Brücke geforscht. 700 Experten aus der ganzen Welt waren daran beteiligt.

Nicht dass Mammutprojekte in China etwas Ungewöhnliches wären. Hier handelt es sich jedoch um die längste Brücke Asiens, die auf dem Meer gebaut wird. „Diese Brücke ist besonders bedeutend, da sie auf dem weltweit kompliziertesten Seegebiet gebaut wird; mit einer der drei stärksten Strömungen der Welt, Taifunen und einer schwierigen Zusammensetzung des Meeresbodens“, erklärt Yong Wang, Direktor der Leitungsstelle der „Hangzhou Bay“-Brücke.

Einzigartig ist auch die im Meer errichtete 10 000 Quadratmeter große Plattform, in der Mitte der Brücke. Sie dient zur Zeit als Konstruktionsbasis und soll später eine Touristenattraktion werden. Geplant ist eine Raststätte besonderer Art, denn zum Beine vertreten kann man eine Rundfahrt auf dem Meer machen oder einen 51 Meter hohen Aussichtsturm besteigen. Und da man schon einmal dabei ist, Rekorde zu brechen, werden in diese Brücke die neuesten technischen Errungenschaften eingebaut. Die Straße über dem Meer wird digital gesteuert und überwacht. Bei ihrer Fertigstellung bekommen die Ningboer Brückenbauer tatkräftige Hilfe aus Aachen. Prof. Michael Raupach von der Technischen Hochschule Aachen (RWTH) hilft zum Beispiel bei der Ausarbeitung des Überwachungssystems der Brücke, der sogenannten Korrosionsüberwachung. Per E-Mail und Telefon stehen auch Prof. Alois Boes und Prof. Hans Paschmann von der Fachhochschule Aachen den chinesischen Kollegen mit ihrem Expertenrat zur Seite.

Das Prestigeobjekt „Überseebrücke“ wird als bedeutender Wirtschaftsimpuls betrachtet. Der stellvertretende Direktor des Projekts Ting Liu sieht in der „Hangzhou Bay“-Brücke eine große Chance für die wirtschaftliche Entwicklung der Provinz Zhejiang. Die Verbesserung der Infrastruktur spielt dabei eine entscheidende Rolle. Durch die Brücke wird die Fahrstrecke nach Shanghai um 120 Kilometer verkürzt und beträgt damit nur noch 179 Kilometer. Dies verringert die bisher mindestens vierstündige Fahrzeit von Ningbo nach Shanghai um mindestens eine Stunde. Dadurch wird die kritische Verkehrslage auf der ständig überlasteten Autobahn von Ningbo nach Shanghai entschärft.

Der Bau der Brücke ist aber nur ein Teil des weitläufigen Programms zur Förderung der Industrie in der Provinz Zhejiang. Das Straßennetz auf beiden Seiten des Ufers wird durch Autobahnen und Fernstraßen in die umliegenden Provinzen erweitert. So werden auch kleinere Städte der Region in ein modernes Transportnetz eingebunden. Gleichzeitig wird der Industriegürtel an der Bucht von Hangzhou ausgebaut, damit das „goldene Wirtschaftsdreieck“ im Raum zwischen Ningbo, Hangzhou und Shanghai wirtschaftlich noch stärker zusammenwächst.

Durch die gute Anbindung könnte die Stadt Ningbo als Produktions- und Investitionsort an Bedeutung gewinnen, denn hier ist der Bodenpreis im Vergleich zu Shanghai günstiger. Die Investoren versprechen sich außerdem von der Brücke, dass Ningbos Tiefseehafen in Shanghais internationalen Schiffverkehr eingebunden und als Containerhafen stärker genutzt wird. Langfristig soll Ningbo damit zum wirtschaftlichen Zentrum des Südens der Provinz Zhejiang werden. Überseebrücken scheinen in China in Mode zu kommen. Mehr als 13 „Meeresstraßen“ sind hier in Bau, drei davon allein in der Provinz Zhejiang. Schließlich wird die noch nicht fertig gestellte „Hangzhou Bay“-Brücke schon jetzt als überlastet angesehen.

Gan Weizhong schätzt, dass das Brückenbaufieber noch 20 weitere Jahre anhält. Auf Chinesisch drückt er es so aus: „Die Bauunternehmen haben noch 20 Jahre viel zu essen.“

Zahlen und Fakten zur „Hangzhou Bay“-Brücke

Länge: 36 km

Breite: 33 Meter (sechs Fahrspuren à 3,75 Meter, 2 Meter breiter Grünstreifen in der Mitte und Notfallspuren)

Schifffahrtsrinnen:

·             Südliche Rinne für 3000-t-Schiffe

·             Nördliche Rinne für 30 000-t-Schiffe

Baukosten: 11,8 Milliarden RMB (etwa 1,14 Milliarden €)

Zahl der Arbeiter: momentan ca. 3 000

Erwartetes Verkehrsaufkommen (Fahrzeuge/Jahr):

2009: 52 000

2015: 80 000

2027: 96 000

Brückengebühr: 55 RMB (ca. 5.32 €) für Hin- und Rückfahrt

Geplante Lebensdauer der Brücke: 100 Jahre

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