Sechsspurig
über das Ostchinesische Meer
Uschi
Nagy berichtet aus Ningbo

China ist
heute ein Land mit vielen Baustellen. Am berühmtesten ist sicher
der Staudamm im Jangtse Fluss. Dabei gibt es in China noch andere
spektakuläre Bauvorhaben, wie zum Beispiel Brücken über
das Meer. Die längste Überseebrücke Chinas entsteht
zurzeit in der Umgebung Ningbos. Die Bauarbeiten haben im Juni
2003 begonnen.
Stolz
präsentiert der Ingenieur Gan Weizhong das zukünftige Prestigeobjekt
der Region, die „Hangzhou Bay“-Brücke. Eine S-förmig geschwungene,
futuristisch anmutende Straße über dem Meer soll die beiden
Ufer der Meeresbucht bei Hangzhou miteinander verbinden. Wenn
alles nach Plan läuft, wird damit im Jahr 2008 eine direkte
Verbindung zwischen dem Umland von Ningbo und Shanghai bestehen.
Neun Jahre
Arbeit stecken in dem Entwurf, viel Zeit haben der Ingenieur
und seine Kollegen dafür im Labor verbracht. In mehr als 120
Projekten wurde an der Technik der Brücke geforscht. 700 Experten
aus der ganzen Welt waren daran beteiligt.
Nicht dass
Mammutprojekte in China etwas Ungewöhnliches wären.
Hier handelt es sich jedoch um die längste Brücke Asiens,
die auf dem Meer gebaut wird. „Diese Brücke ist besonders bedeutend,
da sie auf dem weltweit kompliziertesten Seegebiet gebaut wird;
mit einer der drei stärksten Strömungen der Welt,
Taifunen und einer schwierigen Zusammensetzung des Meeresbodens“,
erklärt Yong Wang, Direktor der Leitungsstelle der „Hangzhou
Bay“-Brücke.
Einzigartig
ist auch die im Meer errichtete 10 000 Quadratmeter große
Plattform, in der Mitte der Brücke. Sie dient zur Zeit als Konstruktionsbasis
und soll später eine Touristenattraktion werden. Geplant
ist eine Raststätte besonderer Art, denn zum Beine vertreten
kann man eine Rundfahrt auf dem Meer machen oder einen 51 Meter
hohen Aussichtsturm besteigen. Und da man schon einmal dabei
ist, Rekorde zu brechen, werden in diese Brücke die neuesten
technischen Errungenschaften eingebaut. Die Straße über
dem Meer wird digital gesteuert und überwacht. Bei ihrer Fertigstellung
bekommen die Ningboer Brückenbauer tatkräftige Hilfe aus
Aachen. Prof. Michael Raupach von der Technischen Hochschule
Aachen (RWTH) hilft zum Beispiel bei der Ausarbeitung des Überwachungssystems
der Brücke, der sogenannten Korrosionsüberwachung. Per E-Mail
und Telefon stehen auch Prof. Alois Boes und Prof. Hans Paschmann
von der Fachhochschule Aachen den chinesischen Kollegen mit
ihrem Expertenrat zur Seite.
Das Prestigeobjekt
„Überseebrücke“ wird als bedeutender Wirtschaftsimpuls
betrachtet. Der stellvertretende Direktor des Projekts Ting
Liu sieht in der „Hangzhou Bay“-Brücke eine große Chance
für die wirtschaftliche Entwicklung der Provinz Zhejiang. Die
Verbesserung der Infrastruktur spielt dabei eine entscheidende
Rolle. Durch die Brücke wird die Fahrstrecke nach Shanghai um
120 Kilometer verkürzt und beträgt damit nur noch 179 Kilometer.
Dies verringert die bisher mindestens vierstündige Fahrzeit
von Ningbo nach Shanghai um mindestens eine Stunde. Dadurch
wird die kritische Verkehrslage auf der ständig überlasteten
Autobahn von Ningbo nach Shanghai entschärft.
Der Bau
der Brücke ist aber nur ein Teil des weitläufigen Programms
zur Förderung der Industrie in der Provinz Zhejiang. Das
Straßennetz auf beiden Seiten des Ufers wird durch Autobahnen
und Fernstraßen in die umliegenden Provinzen erweitert.
So werden auch kleinere Städte der Region in ein modernes
Transportnetz eingebunden. Gleichzeitig wird der Industriegürtel
an der Bucht von Hangzhou ausgebaut, damit das „goldene Wirtschaftsdreieck“
im Raum zwischen Ningbo, Hangzhou und Shanghai wirtschaftlich
noch stärker zusammenwächst.
Durch die
gute Anbindung könnte die Stadt Ningbo als Produktions-
und Investitionsort an Bedeutung gewinnen, denn hier ist der
Bodenpreis im Vergleich zu Shanghai günstiger. Die Investoren
versprechen sich außerdem von der Brücke, dass Ningbos
Tiefseehafen in Shanghais internationalen Schiffverkehr eingebunden
und als Containerhafen stärker genutzt wird. Langfristig
soll Ningbo damit zum wirtschaftlichen Zentrum des Südens der
Provinz Zhejiang werden. Überseebrücken scheinen in China
in Mode zu kommen. Mehr als 13 „Meeresstraßen“ sind hier
in Bau, drei davon allein in der Provinz Zhejiang. Schließlich
wird die noch nicht fertig gestellte „Hangzhou Bay“-Brücke schon
jetzt als überlastet angesehen.
Gan Weizhong
schätzt, dass das Brückenbaufieber noch 20 weitere Jahre
anhält. Auf Chinesisch drückt er es so aus: „Die Bauunternehmen
haben noch 20 Jahre viel zu essen.“
Zahlen
und Fakten zur „Hangzhou Bay“-Brücke
Länge:
36 km
Breite:
33 Meter (sechs Fahrspuren à 3,75 Meter, 2 Meter breiter Grünstreifen
in der Mitte und Notfallspuren)
Schifffahrtsrinnen:
·
Südliche
Rinne für 3000-t-Schiffe
·
Nördliche
Rinne für 30 000-t-Schiffe
Baukosten:
11,8 Milliarden RMB (etwa 1,14 Milliarden €)
Zahl der
Arbeiter: momentan ca. 3 000
Erwartetes
Verkehrsaufkommen (Fahrzeuge/Jahr):
2009: 52
000
2015: 80
000
2027: 96
000
Brückengebühr:
55 RMB (ca. 5.32 €) für Hin- und Rückfahrt
Geplante
Lebensdauer der Brücke: 100 Jahre