Februar 2004
Ihre Position: Homepage >

Self-Made-Milliardär mit 32

Von Qiu Jianghong

Die Brille und der sanfte Ausdruck in seinem Gesicht lassen ihn aussehen wie den jungen Bill Gates. Ding Lei, der 32-jährige Gründer von Netease, wüsste nicht, dass er mit dem amerikanischen Dollar-Milliardär verwandt ist. Er steht auch nicht auf der Forbes-Liste der reichsten Menschen der Welt. Aber Ding ist, mit einem Vermögen von 7,5 Mrd. RMB, immerhin der reichste Mann auf dem chinesischen Festland.

Wie brachte er es in so jungen Jahren zu so viel?

Lebhafte Neugier

Ding Lei schloss 1993 sein Studium im Fach Mikrowellen-Kommunikation an der University of Electronic Science and Technology in Chengdu ab. Professor Feng, Rektor des Guoteng-Instituts für Software an der Universität und einst Dings Lehrer, sagt über ihn: „Ding Lei war nicht der beste Schüler in seiner Klasse, war aber wissbegierig und hatte breite Interessen.“

Professor Feng erinnert sich an Ding am ehesten wegen seiner Energie und Begeisterungsfähigkeit. Ding habe seine Zeit sorgfältig auf alle Veranstaltungen aufgeteilt und sich nicht nur auf sein Hauptfach konzentriert.

Während seines Studiums kam Ding in Berührung mit dem Konzept von Compuserve, dem ersten Online-Dienst auf dem Vorläufer des heutigen Internets. Ihm war gleich klar, dass die Idee ein riesiges Potential hatte, doch er verstand nicht alle Einzelheiten und er wusste auch nicht genau, wie sie funktionieren sollte. Aber mit dem Anlaufen des Internets nahm alles Gestalt an.

Als das Internet im Westen seine ersten Schritte tat, war es in China selbst für Computerwissenschaftler noch eine unbekannte Größe. Doch Ding war sich sicher, etwas Vorteilhaftes entdeckt zu haben, und sammelte alle erhältlichen Informationen darüber. Nach seinem Studienabschluss arbeitete er zwei Jahre in einem Telekommunikationsamt, wo er sich mit den Grundlagen der TCP/IP-Technologie vertraut machte. Gleichzeitig erweiterte er seine Internetkenntnisse in der Gewissheit, dass es zu einem riesigen Markt anwachsen würde.

„Ich gab meine Stelle schließlich auf und ging nach Guangzhou, um mich persönlich weiterzuentwickeln“, erzählt Ding Lei. „In meinen Augen war dies der erste Schritt dahin, mir Möglichkeiten zu schaffen, die mein Leben verändern können würden.“

Der erste mutige Schritt

Ein Adlerjunge wurde von seiner Mutter an die Spitze einer Klippe gebracht, und sie sagte zu ihm: „Du bist ein Adler, du kannst fliegen.“ Das Adlerjunge sagte: „Nein, das kann ich nicht, ich habe Angst.“ Seine Mutter schubste ihn hinunter. Das Junge strauchelte und fiel, breitete dann seine Flügel aus und siehe da – es flog.

Diese Anekdote erzählt Ding Lei seinen Angestellten immer wieder. Sie sollen sich bewusst sein, dass jeder über ein persönliches Potential verfügt, dieses aber durch Gewohnheiten und Umstände verborgen oder gar im Laufe der Zeit verloren gegangen sein kann.

In seinen ersten Jahren in Guangzhou besaß Ding Lei weder Geld, noch konnte er mit Unterstützung durch ein spezialisiertes Unternehmen rechnen. Anfangs arbeitete er mit seinen zwei Mitarbeitern in einem kleinen Büro und verdiente sein Brot mit dem Programmieren von Software. Nach zwei Jahren hatte er einen ersten Notgroschen zusammengespart.

1997, als noch immer kaum jemand in China etwas vom Internet wusste, ließ Ding Lei in Guangzhou die Firma Netease mit einem Kapital von 500 000 RMB eintragen. Mit einem Angebot aus kostenlosem E-Mail-Dienst und Speicherplatz für persönliche Internetseiten gewann das Unternehmen die Unterstützung von Millionen von Benutzern. Ein Jahr später, 1998, heimste Netease in einer Wertung der zehn besten Websites des Jahres, die vom China Internet Network Information Center herausgegeben wurde, vier Auszeichnungen ein.

Im April 1999 zog Ding Lei mit seiner kleinen Belegschaft nach Beijing und gründete Netease Beijing. In der Hauptstadt entwickelte sich das Unternehmen sehr rasch und verfügte bald über mehr als 100 Mitarbeiter. Am 30. Juni 2000 startete Netease an der NASDAQ mit 15,50 US-Dollar pro Aktie. Mit einem Anteil von 50% am Unternehmen stieg Ding Lei bald zum Star des chinesischen Internets auf und eroberte sich einen Platz auf der China-Liste von Forbes.

Nicht verzagen

„Das Leben ist wie eine Pralinenschachtel. Man weiß nie, was einen erwartet.“ Diese berühmte Zeile aus dem Film Forrest Gump beschreibt Ding Leis Erfahrung im Internetgeschäft sehr zutreffend.

2001, als sich Netease in einem anhaltenden Aufwärtstrend befand, entdeckte das Unternehmen interne Verbuchungsfehler. Obwohl sie sogleich behoben wurden, löste die Nachricht eine Vertrauenskrise aus.

Es folgte eine Untersuchung durch die NASDAQ, was die Zuversicht der Investoren gegenüber Netease stark beeinträchtigte. Der Kurs der Firma fiel im Sturzflug auf den absoluten Tiefpunkt von weniger als 1 US-Dollar pro Aktie, und Netease wurde angehalten, den Handel mit seinen Papieren auszusetzen.

Glücklicherweise nahm der Geschäftsgang des Unternehmens keinen Schaden. Im Gegenteil, mit neuen Diensten wie Online-Bildung, virtuellem Rendez-vous, Online-Spielen und dem Versenden von SMS, die sich großer Beliebtheit erfreuten, hielt das Wachstum seiner Benutzergemeinde an und übertraf alle Erwartungen.

Anders jedoch auf der NASDAQ: Die Achterbahnfahrt des Aktienkurses bescherte Ding Lei freudige Überraschungen, aber auch schlaflose Nächte. Nach Abschluss der Untersuchung durch die Börsenaufsicht wurde der Handel mit Netease-Aktien wieder freigegeben.

Dann machte sich Netease daran, einen ehrgeizigen Plan zu verwirklichen, um in die schwarzen Zahlen zu kommen: Das Internet-Werbegeschäft sollte gefestigt werden, während gleichzeitig die Online-Spiele und der Verkauf von SMS-Diensten verstärkt vorangetrieben werden sollten. Im Quartalsbericht für das zweite Vierteljahr 2002 konnte Netease verkünden, als erstes der chinesischen Internetportale einen Gewinn erzielt zu haben. Mit 38 000 RMB fiel er zwar bescheiden aus, war aber nichtsdestoweniger ein Meilenstein.

In der ersten Jahreshälfte 2003 legte sich eine riesige schwarze Wolke – SARS – über den größten Teil des Landes, doch für Netease leuchtete ein Silberstreifen am Horizont: die riesigen Einnahmen aus den SMS-Diensten. Der Kurs an der NASDAQ zeigte stetig nach oben und übertraf am 14. Oktober 2003 mit 70 US-Dollar den bisherigen Höchststand. Damit wuchs Ding Leis Vermögen auf über eine Milliarde US-Dollar, was ihn zum reichsten Mann auf dem chinesischen Festland machte.

Voraussicht bringt Vermögen

Die meisten Internetportale erzielen ihre Einnahmen aus der Werbung, doch ein Blick in den Geschäftsbericht von Netease zeigt, dass es schon länger andere Profitquellen angezapft hat. Der Bruttogewinn im dritten Quartal 2003 betrug 17,7 Mio. US-Dollar, wovon 7,6 Mio. oder 43% aus Mobilfunk- und anderen Diensten und 6,8 Mio. (38,4%) aus Online-Spielen stammten. Die Werbung trug nur 20% zu den Einnahmen bei. Verglichen mit dem gleichen Quartal 2002 stiegen die Einnahmen aus den Spielen um unglaubliche 366,8%.

Ding Lei hatte es seiner Voraussicht zu verdanken, dass er auf dem Online-Spielmarkt eine dominante Stellung erobern konnte. Bei einem Aufenthalt in den USA im Jahr 2000 war er über die Reife und den Umfang des amerikanischen Video-Spielmarkts überrascht. Er beschloss, das erste größere Unternehmen für Online-Spiele in China zu gründen, als sich die Konkurrenz, d. h. Sina, Sohu u. a., noch darauf konzentrierte, mehr Werbekunden zu gewinnen.

Die erste Aufgabe war, geeignete Spiele zu finden. Im März 2001 erwarb Netease Tianxia Technology, einen führenden Software-Hersteller. Darauf produzierte das Unternehmen das Spiel Die Reise nach dem Westen Online, das zum Ende desselben Jahres herausgebracht wurde. Seither ist Netease im mehrere Milliarden US-Dollar umfassenden Online-Spielmarkt von einem „Handlanger“ zu einem Hauptakteur aufgestiegen.

Ding Lei sieht die Zukunft der Online-Spiele in interaktiven Ausgaben, welche seiner Voraussage nach zur Regel werden werden. Er glaubt, dass sich der Spielemarkt in den nächsten drei bis fünf Jahren verzehnfachen wird, was auch verwandten Branchen zugute kommen wird.

An neuen Ideen fehlt es Ding Lei nicht. Noch brachte jede auch Gewinne ein. Solange er so weitermacht, sollte Bill Gates auf der Hut sein.

-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+--+-+-+-+--+-+-+--+-
Zurück