Das
glückliche Leben eines Orangenbauern
Von
Luo Yuanjun


Eines
Tages im September stand Liu Fugui zeitig auf, um sich die
frühe Mandarinenernte in Shimen, Provinz Hunan, anzusehen.
Er stellte sich, die Zähne putzend, auf den Balkon und
ließ seinen Blick mit einer Mischung aus Rührung und
Erleichterung über die fruchtbeladenen Bäume schweifen.
Auf dem
provisorischen Markt am Dorfeingang herrschte schon emsiges
Treiben, als Liu um sechs Uhr morgens ankam. Das Feilschen
war vorbei, und die Dorfbewohner wuchteten Mandarinenkörbe
auf Waagen, um Gewicht und Preis zu bestimmen.
Liu
fragte beiläufig nach dem Preis: 0,3 Yuan pro Pfund,
teilte ihm ein Verkäufer mit. „Letztes Jahr waren es
noch 0,4 Yuan“, brummte jemand missmutig. Doch Liu machte
sich wenig Sorgen, denn seine Früchte sind nicht von der früh
reifenden Sorte. Zu Mittag machte sich Liu ins Nachbardorf
auf, wo auf dem Mandarinenmarkt genau so viel Betrieb war.
Doch weil die Dorfbewohner Geld zusammengelegt hatten, um
eine Sortiermaschine zu kaufen, die die Früchte nach Größe
trennt, lag der Preis hier etwas höher – bei 0,4 Yuan.
In den
letzten Jahren war der Preis auch schon tiefer. Der wahre
Albtraum trat 1999 ein, als ein Pfund nur wenige Fen einbrachte
(100 Fen = 1 Yuan). Lius Nachbar, Herr Wang, musste zusehen,
wie ein ganzes Jahr Arbeit vernichtet wurde. In seinem Obstgarten
verrotteten die Früchte. Verzweifelt und verärgert verkaufte
Wang eine Lastwagenladung Mandarinen für magere 100 Yuan.
Bis in die frühen 90er Jahre war das Geschäft mit den
Zitrusfrüchten in Shimen immer gewinnbringend gewesen. Doch
am Ende des Jahrzehnts gingen fast alle einheimischen Obstbauern
dazu über, früh reifende Mandarinen anzubauen, was zu einem
raschen Produktionsanstieg und dementsprechend zu einem Preiszerfall
führte. Eine reiche Ernte bringt nicht nur Segen, war die
bittere Erkenntnis.
Die
Mandarinenplantagen in Shimen reichen über 600 Jahre zurück,
in die Ming-Dynastie. Der Export der Früchte begann in den
60er Jahren des letzten Jahrhunderts und ist seither stetig
gewachsen. Die jährlichen Bestellmengen aus dem Ausland
fielen in den letzten Jahren nie unter 30 000 Tonnen. Laut
Statistiken profitieren die meisten durch höhere Einkommen
von der gesteigerten Produktivität – bis auf die nicht
in Zusammenschlüssen organisierten Bauern. Sie können
nicht für die Qualität ihrer Früchte garantieren, sind
schlecht über die Marktlage informiert und außerdem
mit der Preisabstufung nach Güteklassen nicht vertraut.
Der Weg zum Reichtum
In seinem
Kreis gilt Liu Fugui als erfolgreicher Zitrusbauer. Sein Obstgarten
stattete ihn mit den nötigen Geldmitteln aus, um seine
beiden Söhne auf die Universität zu schicken. Er
rettete ihm und seiner Frau sogar das Leben.
Als
Liu 1980 beschloss, Zitrusfrüchte anzubauen, war er einer
der ersten in seiner Nachbarschaft. Dank seines Arbeitseifers
und seiner Lernbereitschaft gediehen seine Bäume gut.
Seine erste Ernte brachte ihm mehr als 5000 Yuan ein, ein
beachtlicher Betrag für jene Zeit. „Damals kostete eine Schale
Nudeln gerade 5 Fen“, erinnert sich Liu mit sichtlichem Stolz.
Durch
den anfänglichen Erfolg ermutigt, setzte Liu weitere
Bäume in seinen wenigen Reisfeldern. Doch bald schreckte
ihn die rasch wachsende Zahl der Mandarinenbauern auf, und
er stieg auf den Anbau von Navel-Orangen um. Die Entscheidung
erwies sich als weitsichtig. Da es seinerzeit in China erst
wenige Orangenplantagen gab, lag der Preis bei 3 Yuan pro
Pfund. Bis 2003 fiel er zwar auf rund 1 Yuan, lag aber immer
noch höher als der für Mandarinen. Liu war zwar wegen
der Preisverminderung etwas enttäuscht, doch in keiner
Weise beängstigt. Er hatte mittlerweile ein beruhigendes
Finanzpolster zusammengespart. „Ich kann mich über mein Leben
als Bauer nicht beklagen“, sagt er. „Mehr verlange ich nicht.“
Lius
Erfolg war beileibe kein Zufall – bevor er zum Obstbauern
wurde, arbeitete er in einem Forstbetrieb. In seiner Arbeitseinstellung
war er nie selbstgefällig, und er ist überzeugt, dass
es nicht nur Schweiß braucht, um reich zu werden, sondern
auch Einfallsreichtum. Über seine Stelle im Forstbetrieb
hatte er Zugang zu Fachwissen über den Obstanbau, und so war
das Anlegen einer Zitrusplantage nur der naheliegende nächste
Schritt.
Als das
Geschäft blühte, erkrankte Liu plötzlich an einem
Darmgeschwür. Die Situation verschlimmerte sich, bis er in
Lebensgefahr schwebte. Er verbrachte zwei Jahre im Spital,
dann aber erholte er sich. Später erlitt auch seine Frau
eine schwere Krankheit, was die Familie eine beträchtliche
Geldsumme kostete. Im Rückblick sagt Liu, er habe es allein
den Zitrusfrüchten zu verdanken, dass er damals nicht Konkurs
machte.
In den
letzten Jahren konnten nur wenige Bauern in seiner Gegend
das Geld aufbringen, um ihren Kindern eine weiterführende
Schulbildung zu finanzieren. Doch Liu ist sich über die Bedeutung
des Wissens für seinen Obstanbau bewusst und schickte seine
beiden Söhne auf die Hochschule. Heutzutage können
sich die Dorfbewohner Schulbildung für ihre Kinder leisten,
denn die Gewinne aus den Orangenplantagen haben sie aus der
Not herausgeführt.
In die Welt hinauswachsen
Schon
einen Monat vor der Ernte geben sich Orangen-Einkäufer
aus dem ganzen Land bei Liu die Klinke in die Hand. Einer
von ihnen ist Herr Huang aus der Provinz Fujian. Als Zwischenhändler,
der große Supermärkte beliefert, kennt er sich
im Binnen- und im internationalen Früchtemarkt aus. Früher
verdiente er 200 000 Yuan pro Jahr, doch wegen des schärferen
Wettbewerbs muss er heute froh sein, wenn es noch die Hälfte
davon ist.
Huang
zeigte sich erstaunt, dass Liu seine Produktion nicht ausgebaut
hat, denn Orangen sind sehr gefragt. Herr Gao, in der Kreisverwaltung
für die Landwirtschaft zuständig, erklärt Lius Widerwillen
wie folgt: „Die tiefsitzende Kleinbauernmentalität in
der örtlichen Landwirtschaft verhindert die Entwicklung
größerer Produktionsstrukturen und verschafft den
Einkäufern die Möglichkeit, durch individuelle Verhandlungen
die Preise zu drücken. Das wiederum wirkt sich auf die Einkommen
der Bauern aus.“ Die Vorteile großflächigen Anbaus
sieht man auf einer naheliegenden Obstfarm. Als ihre eigene
Produktion nicht ganz ausreichte, um die Bestellmengen zu
erfüllen, musste sie in letzter Minute zusätzliche Mandarinen
in der Nachbarschaft einkaufen, und bot 0,2 Yuan mehr als
der Durchschnittspreis auf dem Markt.
Laut
Herrn Zhang, dem Geschäftsführer der Gartenfarm Xiuping,
erzielen die örtlichen Obstgärten einen Ertrag von
2000–3000 kg pro mu (1 mu = 1/15 ha), während
er in seinem Betrieb bei 4000–5000 kg liegt. Die Farm hat
Mühe, mit ihren Aufträgen Schritt zu halten, und sie
erzielt immer einen guten Preis. Herr Tan, der für die Farm
arbeitet, baut auf sieben mu früh reifende Mandarinen
an und verdient damit im Schnitt 50 000 Yuan pro Jahr.
Um die
Orangen aus Shimen in der ganzen Welt bekannt zu machen, führte
der Kreis bereits drei Orangenfeste durch, um Käufer
aus dem Ausland anzuwerben. Wie im WTO-Beitrittsvertrag festgehalten,
wird China 2004 die Einfuhrbeschränkungen auf US-amerikanische
Orangen aufheben und so die chinesischen Früchte einem harten
Wettbewerb aussetzen. Doch vorausgesetzt, dass der Anbau großflächig
organisiert wird, sollten chinesische Orangen mit ihrem Preisvorteil
– sie kosten 47% weniger als der internationale Durchschnitt
– leicht zu einem vorteilhaften Bereich der chinesischen Landwirtschaft
werden.