Februar 2004
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Das glückliche Leben eines Orangenbauern

Von Luo Yuanjun

Eines Tages im September stand Liu Fugui zeitig auf, um sich die frühe Mandarinenernte in Shimen, Provinz Hunan, anzusehen. Er stellte sich, die Zähne putzend, auf den Balkon und ließ seinen Blick mit einer Mischung aus Rührung und Erleichterung über die fruchtbeladenen Bäume schweifen.

Auf dem provisorischen Markt am Dorfeingang herrschte schon emsiges Treiben, als Liu um sechs Uhr morgens ankam. Das Feilschen war vorbei, und die Dorfbewohner wuchteten Mandarinenkörbe auf Waagen, um Gewicht und Preis zu bestimmen.

Liu fragte beiläufig nach dem Preis: 0,3 Yuan pro Pfund, teilte ihm ein Verkäufer mit. „Letztes Jahr waren es noch 0,4 Yuan“, brummte jemand missmutig. Doch Liu machte sich wenig Sorgen, denn seine Früchte sind nicht von der früh reifenden Sorte. Zu Mittag machte sich Liu ins Nachbardorf auf, wo auf dem Mandarinenmarkt genau so viel Betrieb war. Doch weil die Dorfbewohner Geld zusammengelegt hatten, um eine Sortiermaschine zu kaufen, die die Früchte nach Größe trennt, lag der Preis hier etwas höher – bei 0,4 Yuan.

In den letzten Jahren war der Preis auch schon tiefer. Der wahre Albtraum trat 1999 ein, als ein Pfund nur wenige Fen einbrachte (100 Fen = 1 Yuan). Lius Nachbar, Herr Wang, musste zusehen, wie ein ganzes Jahr Arbeit vernichtet wurde. In seinem Obstgarten verrotteten die Früchte. Verzweifelt und verärgert verkaufte Wang eine Lastwagenladung Mandarinen für magere 100 Yuan. Bis in die frühen 90er Jahre war das Geschäft mit den Zitrusfrüchten in Shimen immer gewinnbringend gewesen. Doch am Ende des Jahrzehnts gingen fast alle einheimischen Obstbauern dazu über, früh reifende Mandarinen anzubauen, was zu einem raschen Produktionsanstieg und dementsprechend zu einem Preiszerfall führte. Eine reiche Ernte bringt nicht nur Segen, war die bittere Erkenntnis.

Die Mandarinenplantagen in Shimen reichen über 600 Jahre zurück, in die Ming-Dynastie. Der Export der Früchte begann in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts und ist seither stetig gewachsen. Die jährlichen Bestellmengen aus dem Ausland fielen in den letzten Jahren nie unter 30 000 Tonnen. Laut Statistiken profitieren die meisten durch höhere Einkommen von der gesteigerten Produktivität – bis auf die nicht in Zusammenschlüssen organisierten Bauern. Sie können nicht für die Qualität ihrer Früchte garantieren, sind schlecht über die Marktlage informiert und außerdem mit der Preisabstufung nach Güteklassen nicht vertraut.

Der Weg zum Reichtum

In seinem Kreis gilt Liu Fugui als erfolgreicher Zitrusbauer. Sein Obstgarten stattete ihn mit den nötigen Geldmitteln aus, um seine beiden Söhne auf die Universität zu schicken. Er rettete ihm und seiner Frau sogar das Leben.

Als Liu 1980 beschloss, Zitrusfrüchte anzubauen, war er einer der ersten in seiner Nachbarschaft. Dank seines Arbeitseifers und seiner Lernbereitschaft gediehen seine Bäume gut. Seine erste Ernte brachte ihm mehr als 5000 Yuan ein, ein beachtlicher Betrag für jene Zeit. „Damals kostete eine Schale Nudeln gerade 5 Fen“, erinnert sich Liu mit sichtlichem Stolz.

Durch den anfänglichen Erfolg ermutigt, setzte Liu weitere Bäume in seinen wenigen Reisfeldern. Doch bald schreckte ihn die rasch wachsende Zahl der Mandarinenbauern auf, und er stieg auf den Anbau von Navel-Orangen um. Die Entscheidung erwies sich als weitsichtig. Da es seinerzeit in China erst wenige Orangenplantagen gab, lag der Preis bei 3 Yuan pro Pfund. Bis 2003 fiel er zwar auf rund 1 Yuan, lag aber immer noch höher als der für Mandarinen. Liu war zwar wegen der Preisverminderung etwas enttäuscht, doch in keiner Weise beängstigt. Er hatte mittlerweile ein beruhigendes Finanzpolster zusammengespart. „Ich kann mich über mein Leben als Bauer nicht beklagen“, sagt er. „Mehr verlange ich nicht.“

Lius Erfolg war beileibe kein Zufall – bevor er zum Obstbauern wurde, arbeitete er in einem Forstbetrieb. In seiner Arbeitseinstellung war er nie selbstgefällig, und er ist überzeugt, dass es nicht nur Schweiß braucht, um reich zu werden, sondern auch Einfallsreichtum. Über seine Stelle im Forstbetrieb hatte er Zugang zu Fachwissen über den Obstanbau, und so war das Anlegen einer Zitrusplantage nur der naheliegende nächste Schritt.

Als das Geschäft blühte, erkrankte Liu plötzlich an einem Darmgeschwür. Die Situation verschlimmerte sich, bis er in Lebensgefahr schwebte. Er verbrachte zwei Jahre im Spital, dann aber erholte er sich. Später erlitt auch seine Frau eine schwere Krankheit, was die Familie eine beträchtliche Geldsumme kostete. Im Rückblick sagt Liu, er habe es allein den Zitrusfrüchten zu verdanken, dass er damals nicht Konkurs machte.

In den letzten Jahren konnten nur wenige Bauern in seiner Gegend das Geld aufbringen, um ihren Kindern eine weiterführende Schulbildung zu finanzieren. Doch Liu ist sich über die Bedeutung des Wissens für seinen Obstanbau bewusst und schickte seine beiden Söhne auf die Hochschule. Heutzutage können sich die Dorfbewohner Schulbildung für ihre Kinder leisten, denn die Gewinne aus den Orangenplantagen haben sie aus der Not herausgeführt.

In die Welt hinauswachsen

Schon einen Monat vor der Ernte geben sich Orangen-Einkäufer aus dem ganzen Land bei Liu die Klinke in die Hand. Einer von ihnen ist Herr Huang aus der Provinz Fujian. Als Zwischenhändler, der große Supermärkte beliefert, kennt er sich im Binnen- und im internationalen Früchtemarkt aus. Früher verdiente er 200 000 Yuan pro Jahr, doch wegen des schärferen Wettbewerbs muss er heute froh sein, wenn es noch die Hälfte davon ist.

Huang zeigte sich erstaunt, dass Liu seine Produktion nicht ausgebaut hat, denn Orangen sind sehr gefragt. Herr Gao, in der Kreisverwaltung für die Landwirtschaft zuständig, erklärt Lius Widerwillen wie folgt: „Die tiefsitzende Kleinbauernmentalität in der örtlichen Landwirtschaft verhindert die Entwicklung größerer Produktionsstrukturen und verschafft den Einkäufern die Möglichkeit, durch individuelle Verhandlungen die Preise zu drücken. Das wiederum wirkt sich auf die Einkommen der Bauern aus.“ Die Vorteile großflächigen Anbaus sieht man auf einer naheliegenden Obstfarm. Als ihre eigene Produktion nicht ganz ausreichte, um die Bestellmengen zu erfüllen, musste sie in letzter Minute zusätzliche Mandarinen in der Nachbarschaft einkaufen, und bot 0,2 Yuan mehr als der Durchschnittspreis auf dem Markt.

Laut Herrn Zhang, dem Geschäftsführer der Gartenfarm Xiuping, erzielen die örtlichen Obstgärten einen Ertrag von 2000–3000 kg pro mu (1 mu = 1/15 ha), während er in seinem Betrieb bei 4000–5000 kg liegt. Die Farm hat Mühe, mit ihren Aufträgen Schritt zu halten, und sie erzielt immer einen guten Preis. Herr Tan, der für die Farm arbeitet, baut auf sieben mu früh reifende Mandarinen an und verdient damit im Schnitt 50 000 Yuan pro Jahr.

Um die Orangen aus Shimen in der ganzen Welt bekannt zu machen, führte der Kreis bereits drei Orangenfeste durch, um Käufer aus dem Ausland anzuwerben. Wie im WTO-Beitrittsvertrag festgehalten, wird China 2004 die Einfuhrbeschränkungen auf US-amerikanische Orangen aufheben und so die chinesischen Früchte einem harten Wettbewerb aussetzen. Doch vorausgesetzt, dass der Anbau großflächig organisiert wird, sollten chinesische Orangen mit ihrem Preisvorteil – sie kosten 47% weniger als der internationale Durchschnitt – leicht zu einem vorteilhaften Bereich der chinesischen Landwirtschaft werden.

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