Dezember 2004
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Schattenboxen und richtige Atmung

Von Zhong Jian

Die natürliche Atmung. Normalerweise wird die Atmung, egal, wie wir uns bewegen, von unserem Bewusstsein unabhängig gesteuert; sie passt sich quasi automatisch an die jeweilige Situation an. Aus diesem Grunde gibt es unter den Anhängern des Schattenboxens eine Reihe von Leuten, die das natürliche, also das im Verlauf der Bewegungsabfolge von selbst entstehende Atmen für das beste halten. Wie sieht diese natürliche Atmung nun aus? Eine der Grundvoraussetzungen ist, dass sich der Geist während der Übungen auf den Bewegungsablauf konzentriert. (Natürlich wird man zunächst noch oft denken „Ich soll mich auf die Bewegungen und nicht auf die Atmung konzentrieren“ – und schon ist es passiert. Nach einer Zeit wird die Konzentration auf die Bewegungen aber rasch zur Gewohnheit.) die Atmung soll der Bewegung einfach und ungestärt folgen, denn zwingen kann man sich zum natürlichen Atmen ohnehin nicht.

Dennoch ist die natürliche Atmung, die wir meinen, nicht mit der alltäglichen Atmung identisch. Wenn wir sitzen oder z. B. Leistungssport treiben, atmen wir anders als beim Taijiquan (Schattenboxen). Das Geheimnis der natürlichen Atmung liegt darin, dass die Bewegungen des Schattenboxens locker, unverkrampft und leicht ausgeführt werden. In den Bewegungen, wenn wir sie richtig ausführen, liegt Ruhe, und diese Ruhe geht auf den Geist über. Der Zustand, der dann in unserem Geiste herrscht, ist ein Entspannungszustand, der dem Schlaf gleicht: Auch hier werden die Atemzüge länger und entspannter. Der Unterschied zum Schlaf liegt darin, dass beim Taijiquan und Taijijian die Stoffwechselfunktionen in keiner Weise herabgesetzt sind, sich das Großhirn jedoch trotzdem in einem Zustand relativer Ruhe befindet.

Diese Methode des Atmens ist die am weitesten verbreitete und auch die allgemein empfohlene. Besonders Anfänger sollten unbedingt auf sie zurückgreifen. Auch Alte, Schwache oder sonstwie medizinisch am Taijiquan Interessierte sollten sich ihrer bedienen.

Die natürliche Tiefatmung. Diese Art der Atmung verletzt die Grundregeln der natürlichen Atmung nicht, ergänzt sie aber durch die Tiefe des Atmens. Sie sollte jedoch erst Verwendung findet, wenn alle technischen Seiten des Schattenboxens vollständig beherrscht werden und „sitzen“. Dabei können Atmung und Bewegungsabfolge einander angepasst werden, was aber auf keinen Fall krampfhaft und erzwungen erfolgen soll.

Auch diese Atemtechnik ist ziemlich weit verbreitet. Sowohl bei einem normalen wie auch bei einem gehobenen Stand der Beherrschung des Schattenboxens findet sie Verwendung. Die Schattenboxer im mittleren und fortgeschrittenen Alter sollten darauf achten, kurz und leicht ein- und lang und kräftig ausatmen erlaubt es den Lungen, eine beträchtliche Menge Luft auszustoßen, was wiederum das Einströmen einer entsprechend großen Menge erleichtert. Die Lunge wird effektiver durchlüftet, was sich auf den Gemützszustand positiv auswirkt. Diese Atmungsweise verbessert zudem die Elastizität der Lungenflügel, was ihre Widerstandskraft stärkt. Deshalb sollten Leute über 35 zu dieser Technik greifen – vorausgesetzt, sie beherrschen ihr Taijiquan aus dem Effeff. Dass die Tiefatmung ab und zu in die natürliche Atmung übergeht, ist nicht weiter tragisch, sondern sogar anzuraten, wenn die Tiefatmung nicht mehr mit der Bewegungsfolge koordiniert ist.

Die „verkehrte“ Bauchatmung. Diese Art der unnatürlichen wirkenden Atmung wird ebenfalls von nicht wenigen Leuten empfohlen. Ihre Technik kehrt den normalen Verlauf des Atmens um. Beim langsamen und tiefen Einatmen wird der Bauch also sachte eingezogen, beim Ausatmen wird der Bauch nach außen gedrückt. Mit „Bauch“ ist hier der Bauch unterhalb des Nabels gemeint. Die medizinischen Untersuchungen zur Funktionsweise dieser Atemtechnik sind noch nicht abgeschlossen; die Bewegungen des Zwerchfells werden jedoch vom veränderten Bewegungsablauf nicht beeinträchtigt. Es scheint aber so zu sein, dass Zwerchfell und Bauchmuskulatur durch diese Technik gestärkt werden.

Diese Atemtechnik hat sich vor allem für diejenigen als günstig erwiesen, die an Krankheiten und Blessuren unterhalb der Gürtellinie leiden.

Wie sollte man sich nun für eine der drei Techniken entscheiden? Diese Wahl hängt sicher einmal von der eigenen körperlichen Beschaffenheit, von eventuellen Krankheiten und besonders davon ab, wie gut man das Schattenboxen schon beherrscht. Für alle drei Techniken gilt, dass man sie lernt, ohne sich ständig auf sie zu konzentrieren, denn die volle Aufmerksamkeit soll ja den Bewegungen gelten. Dieser Widerspruch sollte sich aber nach und nach lösen lassen. Am einfachsten ist er mit Hilfe der erstgenannten Technik zu überwinden, die wie wir meinen, für alle diejenigen, die mit dem vorliegenden Kurs gerade erst ihre ersten Schritte in das Reich des Schattenboxens gemacht haben, ohnehin höchst angeraten ist.

Wie ein-, wann ausatmen? Unabhängig von den verschiedenen Atemtechniken gibt es einige Grundregeln für das Ein- und Ausatmen. Im Großen und Ganzen gilt: Beim Aufrichten des Körpers, beim Anwinkeln der Arme und beim Anheben der Beine wird eingeatmet; und beim Niederhocken, Strecken der Arme (resp. Zustoßen oder Zugreifen), beim Setzen von Schritten und allen Bewegungen nach unten auf einen bestimmten Punkt zu wird ausgeatmet. Erläuterungen über diese sehr allgemeine Regel hinaus würden zu weit führen, denn es gibt zwar für alle Übungen auch bestimmte Atemregeln, die Kataloge füllen würden, die individuellen Voraussetzungen sind jedoch so unterschiedlich, dass die Folge des Ein- und Ausatmens ohnehin diesen persönlichen Bedingungen angeglichen werden muss. Es wird für Anfänger und Neulinge sicher besser sein, natürlich zu atmen (s. o.) und sich nicht aufs Atmen zu konzentrieren.

Aus „China im Aufbau“, Nr. 5, 1983
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