Schattenboxen
und richtige Atmung
Von
Zhong Jian
Die
natürliche Atmung.
Normalerweise wird die Atmung, egal, wie wir uns bewegen,
von unserem Bewusstsein unabhängig gesteuert; sie passt sich
quasi automatisch an die jeweilige Situation an. Aus diesem
Grunde gibt es unter den Anhängern des Schattenboxens eine
Reihe von Leuten, die das natürliche, also das im Verlauf
der Bewegungsabfolge von selbst entstehende Atmen für das
beste halten. Wie sieht diese natürliche Atmung nun aus? Eine
der Grundvoraussetzungen ist, dass sich der Geist während
der Übungen auf den Bewegungsablauf konzentriert. (Natürlich
wird man zunächst noch oft denken „Ich soll mich auf die Bewegungen
und nicht auf die Atmung konzentrieren“ – und schon ist es
passiert. Nach einer Zeit wird die Konzentration auf die Bewegungen
aber rasch zur Gewohnheit.) die Atmung soll der Bewegung einfach
und ungestärt folgen, denn zwingen kann man sich zum natürlichen
Atmen ohnehin nicht.
Dennoch
ist die natürliche Atmung, die wir meinen, nicht mit der alltäglichen
Atmung identisch. Wenn wir sitzen oder z. B. Leistungssport
treiben, atmen wir anders als beim Taijiquan (Schattenboxen).
Das Geheimnis der natürlichen Atmung liegt darin, dass die
Bewegungen des Schattenboxens locker, unverkrampft und leicht
ausgeführt werden. In den Bewegungen, wenn wir sie richtig
ausführen, liegt Ruhe, und diese Ruhe geht auf den Geist über.
Der Zustand, der dann in unserem Geiste herrscht, ist ein
Entspannungszustand, der dem Schlaf gleicht: Auch hier werden
die Atemzüge länger und entspannter. Der Unterschied zum Schlaf
liegt darin, dass beim Taijiquan und Taijijian die Stoffwechselfunktionen
in keiner Weise herabgesetzt sind, sich das Großhirn jedoch
trotzdem in einem Zustand relativer Ruhe befindet.
Diese
Methode des Atmens ist die am weitesten verbreitete und auch
die allgemein empfohlene. Besonders Anfänger sollten unbedingt
auf sie zurückgreifen. Auch Alte, Schwache oder sonstwie medizinisch
am Taijiquan Interessierte sollten sich ihrer bedienen.
Die
natürliche Tiefatmung. Diese Art der Atmung verletzt die Grundregeln der natürlichen Atmung nicht,
ergänzt sie aber durch die Tiefe des Atmens. Sie sollte jedoch
erst Verwendung findet, wenn alle technischen Seiten des Schattenboxens
vollständig beherrscht werden und „sitzen“. Dabei können Atmung
und Bewegungsabfolge einander angepasst werden, was aber auf
keinen Fall krampfhaft und erzwungen erfolgen soll.
Auch
diese Atemtechnik ist ziemlich weit verbreitet. Sowohl bei
einem normalen wie auch bei einem gehobenen Stand der Beherrschung
des Schattenboxens findet sie Verwendung. Die Schattenboxer
im mittleren und fortgeschrittenen Alter sollten darauf achten,
kurz und leicht ein- und lang und kräftig ausatmen erlaubt
es den Lungen, eine beträchtliche Menge Luft auszustoßen,
was wiederum das Einströmen einer entsprechend großen Menge
erleichtert. Die Lunge wird effektiver durchlüftet, was sich
auf den Gemützszustand positiv auswirkt. Diese Atmungsweise
verbessert zudem die Elastizität der Lungenflügel, was ihre
Widerstandskraft stärkt. Deshalb sollten Leute über 35 zu
dieser Technik greifen – vorausgesetzt, sie beherrschen ihr
Taijiquan aus dem Effeff. Dass die Tiefatmung ab und zu in
die natürliche Atmung übergeht, ist nicht weiter tragisch,
sondern sogar anzuraten, wenn die Tiefatmung nicht mehr mit
der Bewegungsfolge koordiniert ist.
Die
„verkehrte“ Bauchatmung. Diese Art
der unnatürlichen wirkenden Atmung wird ebenfalls von nicht
wenigen Leuten empfohlen. Ihre Technik kehrt den normalen
Verlauf des Atmens um. Beim langsamen und tiefen Einatmen
wird der Bauch also sachte eingezogen, beim Ausatmen wird
der Bauch nach außen gedrückt. Mit „Bauch“ ist hier der Bauch
unterhalb des Nabels gemeint. Die medizinischen Untersuchungen
zur Funktionsweise dieser Atemtechnik sind noch nicht abgeschlossen;
die Bewegungen des Zwerchfells werden jedoch vom veränderten
Bewegungsablauf nicht beeinträchtigt. Es scheint aber so zu
sein, dass Zwerchfell und Bauchmuskulatur durch diese Technik
gestärkt werden.
Diese
Atemtechnik hat sich vor allem für diejenigen als günstig
erwiesen, die an Krankheiten und Blessuren unterhalb der Gürtellinie
leiden.
Wie sollte
man sich nun für eine der drei Techniken entscheiden? Diese
Wahl hängt sicher einmal von der eigenen körperlichen Beschaffenheit,
von eventuellen Krankheiten und besonders davon ab, wie gut
man das Schattenboxen schon beherrscht. Für alle drei Techniken
gilt, dass man sie lernt, ohne sich ständig auf sie zu konzentrieren,
denn die volle Aufmerksamkeit soll ja den Bewegungen gelten.
Dieser Widerspruch sollte sich aber nach und nach lösen lassen.
Am einfachsten ist er mit Hilfe der erstgenannten Technik
zu überwinden, die wie wir meinen, für alle diejenigen, die
mit dem vorliegenden Kurs gerade erst ihre ersten Schritte
in das Reich des Schattenboxens gemacht haben, ohnehin höchst
angeraten ist.
Wie
ein-, wann ausatmen? Unabhängig von den verschiedenen Atemtechniken gibt es einige Grundregeln
für das Ein- und Ausatmen. Im Großen und Ganzen gilt: Beim
Aufrichten des Körpers, beim Anwinkeln der Arme und beim Anheben
der Beine wird eingeatmet; und beim Niederhocken, Strecken
der Arme (resp. Zustoßen oder Zugreifen), beim Setzen von
Schritten und allen Bewegungen nach unten auf einen bestimmten
Punkt zu wird ausgeatmet. Erläuterungen über diese sehr allgemeine
Regel hinaus würden zu weit führen, denn es gibt zwar für
alle Übungen auch bestimmte Atemregeln, die Kataloge füllen
würden, die individuellen Voraussetzungen sind jedoch so unterschiedlich,
dass die Folge des Ein- und Ausatmens ohnehin diesen persönlichen
Bedingungen angeglichen werden muss. Es wird für Anfänger
und Neulinge sicher besser sein, natürlich zu atmen (s. o.)
und sich nicht aufs Atmen zu konzentrieren.
Aus „China im Aufbau“, Nr.
5, 1983