

Wohnhöfe
–
konfuzianisch oder was?
Von
Susan Trimble


Ich lehne am südlichen Fenster
und lass meinen Stolz schwellen
Ich sinne darüber nach, wie einfach es ist, mit wenig Raum zufrieden zu
sein
Jeden Tag lustwandle ich in meinem Garten...
Und umkreise meine einsame Kiefer, streichle sie.
Tao Yuanming, 4.
Jh.



Wenn
Sie das Wort „Wohnhof“ hören, stellen Sie sich dann vor,
sich in einem zu befinden?
Ein
Wohnhof ist ein von Wänden umschlossener Raum, ein Hof,
der von Gebäuden umgeben ist, eine eingeschlossene viereckige
Fläche. In China nennt man einen Wohnhof „Siheyuan“, was
soviel heißt wie ein Hof, der von vier Häusern umgeben
ist. Durch die ganze chinesische Geschichte hindurch war die
Siheyuan-Anlage das Grundmuster für Wohnhäuser, Paläste,
Tempel, Klöster, Familiengeschäfte und Regierungsämter.
Es gab einfache Wohnhöfe, aber auch Wohnhof-Villen.
Beijing
wurde, als es im 13. Jh. zur Hauptstadt aufstieg, entsprechend
der chinesischen Verehrung von Himmel und Erde als Schachbrett-Stadt
mit einer Mauer entworfen. Im Norden war das Zentrum der Welt,
und von dort blickte der Kaiser zu allen Zeiten nach Süden.
Die Verbotene Stadt wurde so angelegt, dass alle kaiserlichen
Hallen und Gemächer nach Süden gehen. Dementsprechend wurden
die Wohnhöfe der Stadt nach der gleichen Art gebaut.
Hier
stehe ich in einem Wohnhof. Die Sonne scheint auf mich herab.
Ich kann die Tageszeit daran ablesen, welche Seite meines Wohnhofs
ihren Schatten auf die Pflastersteine unter meinen Füßen
wirft. Ich kann am Morgen aufwachen und aus der Tür des Hausherrengemachs
heraustreten mit der Gewissheit, dass die Sonne mein Gesicht
wärmen wird. Ich kann meine Lebensmittel im Ostteil des
westlichen Hauses lagern mit der Gewissheit, dass dies immer
der kühlste Ort ist. Ich kann meine Schlafmatte nach Osten oder
nach Westen verschieben, dorthin, wo es am bequemsten ist. Ich
weiß, wo ich meine Blumen hinstellen soll und wo die Vögel
nisten werden. Woher weiß ich das alles? Mein Wohnhof
wurde nach dem Prinzip gebaut, die Sonneneinstrahlung zu maximieren
und gleichzeitig Schutz vor kalten Nordwinden zu bieten, wie
es die alten chinesischen Regeln für die Ausrichtung eines Hauses
vorschreiben.
Der
Wohnhof war ein äußerer Raum, geschützt vor dem Lärm
und Schmutz der Straße und auch vor Eindringlingen und
ungebetenen Gästen. Wohnhöfe brachten die totale Abgeschiedenheit.
Den Blick nach innen gewandt, behielten die Chinesen Familienangelegenheiten
innerhalb des Wohnhofs der Familie, schlossen hier Geschäfte
mit vertrauten Freunden ab und lebten ein abgeschirmtes Privatleben.
Trübgraue, unverzierte Fassaden verrieten wenig von der inneren
Pracht und dem Leben im Hof.
Folgen
Sie mir nun durch einen Wohnhof und sehen Sie sich diese liebliche
Art an, einen Wohnraum zu gestalten. Harmonisch, einfühlsam,
bequem und beruhigend – all dies sollte die Atmosphäre
sein, in der man ruht, isst und liebt. Und genau so ist die
Atmosphäre in einem Wohnhof.
Der
Eingang zum Wohnkomplex befand sich in der südwestlichen Ecke.
Bevor man in den Hof gelangte, stieß man auf eine „Schirmmauer“.
Diese Wand schützte die Privatsphäre im Innern, wenn das
große Haupttor offenstand, um Besucher hereinzulassen.
Um in den Hof zu gelangen, musste man an der Mauer nach links
wenden. Der Hof war die Privatwelt der Familie. Meistens standen
mindestens zwei Bäume im Hof, ein immergrüner und einer,
der Blüten oder gar Früchte trug. Im Hof gab es schöne
Steine oder Felsen und Wasser. Blumen standen darin und fast
immer auch ein großer steinerner Bottich, in dem rüschenflossige,
glupschäugige Goldfische faul vor sich hin schwammen. Zwitschernde
Vögel in einem Bambuskäfig, in einen duftenden, Schatten
spendenden Baum gehängt, rundeten das Bild ab.
In
der Regel wurde das Gebäude im Norden, das nach Süden lag,
das Herrenhaus genannt, weil es die beste Lage hatte – im Winter
am wärmsten, wenn die Sonne tief am Himmel hing, und im
Sommer am kühlsten, wenn die Sonne hoch stand und die Räume
im Schatten des Dachvorsprungs lagen. Dieser erlesene Standort
war deshalb dem Haushaltsvorstand oder den Familienältesten
vorbehalten. Die Häuser im Osten und Westen des Hofs, Seitengebäude
genannt, beherbergten gemäß der konfuzianischen Familienordnung
die Söhne und (unverheirateten) Töchter. Der konfuzianische
Kodex, auf der kosmischen Ordnung und der Hierarchie von über-
und untergeordneten menschlichen Beziehungen beruhend, stammt
etwa aus dem 5. Jh. v. Chr. und ist bis zum heutigen Tag ein
grundlegendes Element der chinesischen Familie und Gesellschaft
geblieben. „Jia“, das chinesische Zuhause, das sowohl die Familie
wie auch das Heim bezeichnet, gründet auf dem konfuzianischen
Kodex.
Das
südliche Gebäude, neben dem Hofeingang gelegen und nach
Norden ausgerichtet, war für die Diener und Kinder. Hier befanden
sich die Küche und der Waschraum. Bisweilen diente es auch als
Ort für die Erledigung äußerer Angelegenheiten, so
dass die anderen Gebäude tatsächlich rein private
Räumlichkeiten blieben.
Wohlhabende
Familien gaben sich nicht mit einem einfachen Wohnhof zufrieden
und fügten entlang der Nord-Süd-Achse einen zweiten oder gar
dritten hinzu, wodurch sich ein Hofkomplex bildete. Mit dem
Zuwachs der Familie wurden zusätzliche Höfe auch zu
beiden Seiten der Hauptachse angebaut. Wiederum siedelten die
Ältesten, wie es der konfuzianischen Ordnung entsprach,
im nördlichsten Wohnhof. Wer als Gast durch das Haupttor
im Südwesten schritt, nach Westen wendete und in den ersten
Hof eintrat, wurde von einem Diener aufgefordert, Platz zu nehmen,
während ein anderer die Ankunft des Besuchers meldete.
Der Gastgeber bereitete darauf den Empfang am angebrachten Ort
und in der korrekten Art vor. Jeder Hof war vom nächsten
durch einen zentralen Durchgang, zu beiden Seiten von einem
steinernen Löwen bewacht, getrennt. Die Gesamtgröße
der Hofanlage und das Ausmaß der Verzierung hing von Reichtum,
Status und Größe der Familie ab.
Falls
die Familie Tiere besaß, fügte sie einen Stallbereich
an. In Chinas Norden befand sich dieser in der Regel im Osten
des Haupthofs und bildete einen eigenen Hof innerhalb des Komplexes.
Sehr große Häuser oder Villen mit vielen Wohnhöfen
wurden ihrerseits von einer äußeren Umfassungsmauer
eingeschlossen. Innerhalb dieser Mauer lag der Familiengarten,
eine Weide, vielleicht gar ein Weiher, und Höfe in Höfen
in Höfen.
Ob
groß oder klein, ein Wohnhof bot ein sicheres und ruhiges
Lebensumfeld für die Familie.
Kehren
Sie nun zurück in meinen liebenswürdigen Hof. Setzen Sie sich
unter den blühenden Jujuben-Baum. Erlauben Sie mir, Ihnen Jasmintee
in einer Porzellantasse anzubieten. Hören Sie der Brise
zu, wie sie in der Kiefer flüstert...
Und so hab ich hier mein Zuhause errichtet
habe Zimmer erbaut, Teiche ausgehoben.
Hohe Weiden spiegeln sich auf ihrer Oberfläche,
und die Hecke duftender Stachelorangen;
verspielte Fische springen und peitschen das Wasser,
Lotosblüten recken und entfalten sich.
Bambushaine, dicht und schattig...
Pan
Yue
In
meinem Wohnhof kann ich mich „vom Netz des Staubs der Welt zurückziehen
in die Natur“. Nichts anderes kann ich von hier aus erblicken
als die Bergspitzen in der Ferne, die Wolken, die Sonne, den
Mond über dem ziegelgedeckten Dach meiner Hofgebäude. Der
kleine Raum in meinem Hof gehört mir allein. Hierher, an
meinen Platz, bringe ich meine geliebten Freunde, um zu verweilen
und dem Leben zuzulächeln.