Ein
Bauer und seine Yangtse-Alligatoren
In
den 80er Jahren war in der Fachwelt im Ausland die Ansicht
verbreitet, in China gebe es keine wild lebenden Yangtse-Alligatoren
mehr, denn den Chinesen fehle ein Umweltbewusstsein, zudem
äßen sie noch gern Wild. Kurz vor der Jahrhundertwende
entsendete der WWF (World Wildlife Fund) einige Vertreter
nach China, um herauszufinden, ob es in China nicht doch noch
wild lebende Yangtse-Alligatoren gab. In einem Dorf im Kreis
Nanling, Provinz Anhui, trafen sie den Bauern Zhang Jinrong.
Dieser führte sie an einen Teich, pfiff laut, und daraufhin
tauchten 12 Yangtse-Alligatoren auf. Anschließend zeigte
Zhang den Experten aus dem Westen noch Brutstätten und
Eier der Yangtse-Alligatoren. Sie waren erstaunt und von der
Existenz der wild lebenden Yangtse-Alligatoren überzeugt.
Sie lobten die würdige Tat von Zhang Jinrong, der mit seiner
Frau seit 18 Jahren dieses seltene Tier schützt.
Der
Yangtse-Alligator ist ein Staatsschatz
Zhang Jinrong, 68 Jahre alt, ist
Analphabet. Dennoch hängt an der Wand seiner Wohnung
ein großes Plakat mit dem Wildtierschutzgesetz und Abbildungen
von Yangtse-Alligatoren. Fragt man ihn, was darauf steht,
sagt er, dass er außer „Yangzi’e“, der Bezeichnung für
den Yangtse-Alligator, kein weiteres Schriftzeichen kennt.
Aber er hat ein tiefes Verständnis vom Tierschutz. Mit
dem Tier, von den Einheimischen „Erddrache“ genannt, machte
Zhang Jinrong schon viel früher Bekanntschaft: Einmal sah
er, wie ein Alligator eine Gans von seinem Teich wegschnappte.
Im Jahr 1983 informierte das Forstamt der Kreisverwaltung
die Dorfbewohner über die Bedeutung des Schutzes der Yangtse-Alligatoren.
So erfuhr er, dass der Yangtse-Alligator einst Zeitgenosse
der Dinosaurier war und eine Art lebendes Fossil ist. Er gehört
zu den vom Staat geschützten Tieren ersten Ranges und ist
also ein Staatsschatz. Die Dinosaurier, sagte Zhang, sind
schon längst ausgestorben, nun müsse man dafür sorgen,
dass die Yangtse-Alligatoren nicht das gleiche Schicksal ereile.
Auf dieser Veranstaltung übernahm Zhang den Auftrag, die Alligatoren,
die in der Umgebung des Dorfs lebten, zu schützen.
Zum
Tierschutz baute er eine Hütte am Teich und arbeitete mit
Hilfe von anderen Dorfbewohnern konkrete Maßnahmen aus,
die im wahrsten Sinne des Wortes groß geschrieben und
an die Wohnhäuser im Dorf geklebt wurden. Sie beinhalten
die folgenden Punkte:
1.
Es ist verboten, Schädlingsbekämpfungsmittel und Chemikalien gegen
Schistosoma (den Bilharziose-Erreger) in die Teiche zu kippen.
2.
Es ist verboten, Fangnetze, Schleudern, Steine oder Dynamit gegen die Yangtse-Alligatoren
zu verwenden.
3.
Es ist verboten, zu angeln oder mit Netzen zu fischen.
Zhang Jinrong und seine Frau beobachteten
lange Zeit die Lebensgewohnheiten der Alligatoren und stellten
fest, dass sie mit Vorliebe frische Innereien von Hühnern
und Enten fressen. Um zu verhindern, dass die Alligatoren
weglaufen und in mit Pestiziden behandelte Teiche in der Umgebung
des Dorfs gelangen, sammelten sie jeden Tag frische Geflügelinnereien
und warfen sie in die Teiche. Zhang Jinrong ist der Ansicht,
dass der Tierschutz eine Sache der Gemeinschaft ist. Er schlug
deshalb dem Gemeinderat vor, einen Filmabend zu veranstalten,
bei dem er an die Dorfbewohner appellierte, zum Schutz der
Alligatoren beizutragen. So fand der Tierschutz immer mehr
Verständnis und Unterstützung bei den Dorfbewohnern.
Erddrache
Zhang als Familienmitglied
Seit mehr als 18 Jahren zeichnet
Zhang Jinrong für den Tierschutz verantwortlich. „Wenn ich
drei Tage lang meinen Enkelsohn nicht sehe, macht das mir
nichts aus; aber wenn ich drei Tage meine Erddrachen nicht
sehe, dann mache ich mir Sorgen.“ Denn die Gefahr der Vergiftung
besteht immer noch, wenn die Alligatoren in behandelte Gewässer
gelangen. So wirft das Ehepaar Zhang regelmäßig
Tierinnereien in die Teiche. Die Alligatoren kennen inzwischen
Zhangs Pfiff und tauchen auf, wenn er sie ruft. Zhang Jinrong
benannte den größten Alligator nach seinem Familiennamen,
er heißt nun „Erddrache Zhang“.
Einmal ist Erddrache Zhang weggelaufen.
Zhang Jinrong folgte seinen Spuren im dichten Gras, lief drei
Kilometer und fand ihn schließlich. Unterwegs warnte
Zhang die Dorfbewohner, auf ihre Kinder aufzupassen. Er ermahnte
die für die Bekämpfung von Schistosoma zuständigen
Arbeiter, keine Chemikalien ins Wasser zu leeren. Nachdem
er Erddrache Zhang gefunden hatte, legte er ihn in ein Netz,
setzte ihm einen Maulkorb auf, schulterte die fast 40 kg schwere
Echse und brachte sie nach Hause. Um abzuschätzen, ob
eine Umsiedlung der Alligatoren möglich wäre, wurde
Erddrache Zhang versuchsweise mit einer Markierung in einer
Schutzstation, die 40 km von Zhang Jinrongs Dorf entfernt
ist, freigelassen. Er schien sich gut einzuleben, doch nach
drei Jahren kehrte er unerwartet zurück. Zhang Jinrong sagt,
dass Erddrache Zhang „Heimweh“ hatte.
Ein
unbestechlicher Tierschützer
Die Alligatoren brauchen jeden Tag
zwei Kilogramm Nahrung. Das bildet eine große Belastung
für die Familie Zhang. Früher bekam Zhang Jinrong für seine
Tätigkeit eine jährliche Entschädigung von
30 Yuan, heute ist sie auf 480 Yuan gestiegen. Außerdem
bekommt er für seine Straßenwartungsarbeit jährlich
600 Yuan. Mit diesen Einnahmen kann sein finanzieller Bedarf
jedoch nicht gedeckt werden. Während des dreimonatigen
Winterschlafs bereitet sich Zhang auf die Fütterung der Alligatoren
vor. Er pachtet Teiche zur Züchtung von Fischen und kauft
mit dem Erlös die Nahrung für seine neuen Familienmitglieder.
Am Anfang waren seine Kinder dagegen. Nachdem der Provinzgouverneur
und Journalisten seine Schutzstation besucht hatten, änderten
sie ihre Meinung. Sie haben erkannt, dass ihre Eltern auch
eine gute Sache machen.
Einige Male lockte die Versuchung.
Eines Abends kam ein Händler zu ihm, bot 350 Yuan pro
Alligatorenei und versprach, 2000 Yuan als Anzahlung zu geben.
Zhang Jinrong lehnte entschieden ab. Dann stieg der Preis
auf 500, doch Zhang ließ sich noch immer nicht darauf
ein. Einige Zeit später wollte jemand einen 2,6 m langen
„Erddrachen“ kaufen, und zwar zum Preis von 100 Yuan pro cun
(1/3 Dezimeter), später sogar für das Zehnfache. Zhang
warnte den Händler, dass das Geschäft gesetzeswidrig
sei. Aus Zhangs Sicht haben sogar Tiere mehr Würde als solche
kaltblütigen Geschäftsleute.
Zhang Jinrong sagt: „Es macht mir
nichts aus, wenn es mir nicht gut geht. Wichtig ist aber,
dass ich meine Pflicht nicht vernachlässige. Wie könnte
ich es dem Staat gegenüber verantworten, wenn die Alligatoren
wegliefen und an Vergiftung stürben?“
Zhang Jinrong denkt an die Zukunft.
Er setzt seine Hoffnungen auf seinen achtjährigen Enkelsohn,
der inzwischen die Alligatoren lieb hat. Er soll später
eine „Universität für Tierkunde“ besuchen und wissenschaftliche
Kenntnisse erwerben, um auch andere Tierarten zu schützen.
„Wenn man zahlreiche Fähigkeiten
hat, dann soll man einen großen Beitrag leisten; wenn
man geringe Fähigkeiten hat, dann soll man einen kleinen
Beitrag leisten“, sagt der bescheidene Bauer Zhang Jinrong.
(Der vorliegende Text beruht u.
a. auf einem von Li Yanchun und Chen Xinping geschriebenen
Bericht in der Zeitschrift Qingnian Wenzhai, zusammengestellt von
Gao Zhuan)