Juni 2002
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Sonderberichte

Ein Bauer und seine Yangtse-Alligatoren

In den 80er Jahren war in der Fachwelt im Ausland die Ansicht verbreitet, in China gebe es keine wild lebenden Yangtse-Alligatoren mehr, denn den Chinesen fehle ein Umweltbewusstsein, zudem äßen sie noch gern Wild. Kurz vor der Jahrhundertwende entsendete der WWF (World Wildlife Fund) einige Vertreter nach China, um herauszufinden, ob es in China nicht doch noch wild lebende Yangtse-Alligatoren gab. In einem Dorf im Kreis Nanling, Provinz Anhui, trafen sie den Bauern Zhang Jinrong. Dieser führte sie an einen Teich, pfiff laut, und daraufhin tauchten 12 Yangtse-Alligatoren auf. Anschließend zeigte Zhang den Experten aus dem Westen noch Brutstätten und Eier der Yangtse-Alligatoren. Sie waren erstaunt und von der Existenz der wild lebenden Yangtse-Alligatoren überzeugt. Sie lobten die würdige Tat von Zhang Jinrong, der mit seiner Frau seit 18 Jahren dieses seltene Tier schützt.

 

Der Yangtse-Alligator ist ein Staatsschatz

Zhang Jinrong, 68 Jahre alt, ist Analphabet. Dennoch hängt an der Wand seiner Wohnung ein großes Plakat mit dem Wildtierschutzgesetz und Abbildungen von Yangtse-Alligatoren. Fragt man ihn, was darauf steht, sagt er, dass er außer „Yangzi’e“, der Bezeichnung für den Yangtse-Alligator, kein weiteres Schriftzeichen kennt. Aber er hat ein tiefes Verständnis vom Tierschutz. Mit dem Tier, von den Einheimischen „Erddrache“ genannt, machte Zhang Jinrong schon viel früher Bekanntschaft: Einmal sah er, wie ein Alligator eine Gans von seinem Teich wegschnappte. Im Jahr 1983 informierte das Forstamt der Kreisverwaltung die Dorfbewohner über die Bedeutung des Schutzes der Yangtse-Alligatoren. So erfuhr er, dass der Yangtse-Alligator einst Zeitgenosse der Dinosaurier war und eine Art lebendes Fossil ist. Er gehört zu den vom Staat geschützten Tieren ersten Ranges und ist also ein Staatsschatz. Die Dinosaurier, sagte Zhang, sind schon längst ausgestorben, nun müsse man dafür sorgen, dass die Yangtse-Alligatoren nicht das gleiche Schicksal ereile. Auf dieser Veranstaltung übernahm Zhang den Auftrag, die Alligatoren, die in der Umgebung des Dorfs lebten, zu schützen.

Zum Tierschutz baute er eine Hütte am Teich und arbeitete mit Hilfe von anderen Dorfbewohnern konkrete Maßnahmen aus, die im wahrsten Sinne des Wortes groß geschrieben und an die Wohnhäuser im Dorf geklebt wurden. Sie beinhalten die folgenden Punkte:

1.  Es ist verboten, Schädlingsbekämpfungsmittel und Chemikalien gegen Schistosoma (den Bilharziose-Erreger) in die Teiche zu kippen.

2.  Es ist verboten, Fangnetze, Schleudern, Steine oder Dynamit gegen die Yangtse-Alligatoren zu verwenden.

3.  Es ist verboten, zu angeln oder mit Netzen zu fischen.

Zhang Jinrong und seine Frau beobachteten lange Zeit die Lebensgewohnheiten der Alligatoren und stellten fest, dass sie mit Vorliebe frische Innereien von Hühnern und Enten fressen. Um zu verhindern, dass die Alligatoren weglaufen und in mit Pestiziden behandelte Teiche in der Umgebung des Dorfs gelangen, sammelten sie jeden Tag frische Geflügelinnereien und warfen sie in die Teiche. Zhang Jinrong ist der Ansicht, dass der Tierschutz eine Sache der Gemeinschaft ist. Er schlug deshalb dem Gemeinderat vor, einen Filmabend zu veranstalten, bei dem er an die Dorfbewohner appellierte, zum Schutz der Alligatoren beizutragen. So fand der Tierschutz immer mehr Verständnis und Unterstützung bei den Dorfbewohnern.  

 

Erddrache Zhang als Familienmitglied

Seit mehr als 18 Jahren zeichnet Zhang Jinrong für den Tierschutz verantwortlich. „Wenn ich drei Tage lang meinen Enkelsohn nicht sehe, macht das mir nichts aus; aber wenn ich drei Tage meine Erddrachen nicht sehe, dann mache ich mir Sorgen.“ Denn die Gefahr der Vergiftung besteht immer noch, wenn die Alligatoren in behandelte Gewässer gelangen. So wirft das Ehepaar Zhang regelmäßig Tierinnereien in die Teiche. Die Alligatoren kennen inzwischen Zhangs Pfiff und tauchen auf, wenn er sie ruft. Zhang Jinrong benannte den größten Alligator nach seinem Familiennamen, er heißt nun „Erddrache Zhang“.

Einmal ist Erddrache Zhang weggelaufen. Zhang Jinrong folgte seinen Spuren im dichten Gras, lief drei Kilometer und fand ihn schließlich. Unterwegs warnte Zhang die Dorfbewohner, auf ihre Kinder aufzupassen. Er ermahnte die für die Bekämpfung von Schistosoma zuständigen Arbeiter, keine Chemikalien ins Wasser zu leeren. Nachdem er Erddrache Zhang gefunden hatte, legte er ihn in ein Netz, setzte ihm einen Maulkorb auf, schulterte die fast 40 kg schwere Echse und brachte sie nach Hause. Um abzuschätzen, ob eine Umsiedlung der Alligatoren möglich wäre, wurde Erddrache Zhang versuchsweise mit einer Markierung in einer Schutzstation, die 40 km von Zhang Jinrongs Dorf entfernt ist, freigelassen. Er schien sich gut einzuleben, doch nach drei Jahren kehrte er unerwartet zurück. Zhang Jinrong sagt, dass Erddrache Zhang „Heimweh“ hatte.

 

Ein unbestechlicher Tierschützer

Die Alligatoren brauchen jeden Tag zwei Kilogramm Nahrung. Das bildet eine große Belastung für die Familie Zhang. Früher bekam Zhang Jinrong für seine Tätigkeit eine jährliche Entschädigung von 30 Yuan, heute ist sie auf 480 Yuan gestiegen. Außerdem bekommt er für seine Straßenwartungsarbeit jährlich 600 Yuan. Mit diesen Einnahmen kann sein finanzieller Bedarf jedoch nicht gedeckt werden. Während des dreimonatigen Winterschlafs bereitet sich Zhang auf die Fütterung der Alligatoren vor. Er pachtet Teiche zur Züchtung von Fischen und kauft mit dem Erlös die Nahrung für seine neuen Familienmitglieder. Am Anfang waren seine Kinder dagegen. Nachdem der Provinzgouverneur und Journalisten seine Schutzstation besucht hatten, änderten sie ihre Meinung. Sie haben erkannt, dass ihre Eltern auch eine gute Sache machen.

Einige Male lockte die Versuchung. Eines Abends kam ein Händler zu ihm, bot 350 Yuan pro Alligatorenei und versprach, 2000 Yuan als Anzahlung zu geben. Zhang Jinrong lehnte entschieden ab. Dann stieg der Preis auf 500, doch Zhang ließ sich noch immer nicht darauf ein. Einige Zeit später wollte jemand einen 2,6 m langen „Erddrachen“ kaufen, und zwar zum Preis von 100 Yuan pro cun (1/3 Dezimeter), später sogar für das Zehnfache. Zhang warnte den Händler, dass das Geschäft gesetzeswidrig sei. Aus Zhangs Sicht haben sogar Tiere mehr Würde als solche kaltblütigen Geschäftsleute.

Zhang Jinrong sagt: „Es macht mir nichts aus, wenn es mir nicht gut geht. Wichtig ist aber, dass ich meine Pflicht nicht vernachlässige. Wie könnte ich es dem Staat gegenüber verantworten, wenn die Alligatoren wegliefen und an Vergiftung stürben?“

Zhang Jinrong denkt an die Zukunft. Er setzt seine Hoffnungen auf seinen achtjährigen Enkelsohn, der inzwischen die Alligatoren lieb hat. Er soll später eine „Universität für Tierkunde“ besuchen und wissenschaftliche Kenntnisse erwerben, um auch andere Tierarten zu schützen.

„Wenn man zahlreiche Fähigkeiten hat, dann soll man einen großen Beitrag leisten; wenn man geringe Fähigkeiten hat, dann soll man einen kleinen Beitrag leisten“, sagt der bescheidene Bauer Zhang Jinrong.

(Der vorliegende Text beruht u. a. auf einem von Li Yanchun und Chen Xinping geschriebenen Bericht in der Zeitschrift Qingnian Wenzhai, zusammengestellt von Gao Zhuan)

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