Mai 2003
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Die Wirtschaftskraft des ganzen Landes wird zur Lösung der Landwirtschaftsprobleme mobilisiert

Von Shen Honglei

Die Themen Landwirtschaft, Bauern und ländliche Gebiete – bekannt als sannong („drei Landprobleme“) – waren ein zentrales Anliegen des abgetretenen Ministerpräsidenten Zhu Rongji und sind es für seinen Nachfolger Wen Jiabao geblieben. Als Zhu Rongji vor zwei Jahren im goldenen Saal der Großen Halle des Volkes gefragt wurde, was ihn am meisten beschäftige, antwortete er ohne Zögern: „Wie das Einkommen der Bauern gesteigert werden kann.“ Vor kurzem beantwortete Wen Jiabao, wiederum auf einer Pressekonferenz im goldenen Saal, Fragen dazu, wo er die größten Probleme und Herausforderungen sehe. Er gab zur Antwort: „Zuoberst in der schleppenden Entwicklung der Landwirtschaft und dem schleichenden Anstieg der bäuerlichen Einkommen.“

Die Kluft zwischen Stadt und Land in China

Der auf dem 10. Nationalen Volkskongress (NVK) im März verlesene Tätigkeitsbericht der Regierung nannte die folgenden Zahlen: „Chinas BIP stieg zwischen 1997 und 2002 von 7400 Mrd. Yuan auf 10 200 Mrd. Yuan.“ Ausländische Wirtschaftsbeobachter könnten daraus schließen, dass die chinesische Wirtschaft alles in allem den sechsten Rang einnimmt. Für die Chinesen selber heißt dies, dass das Pro-Kopf-BIP rund 1000 US$ beträgt. Auf jeden Fall sagt man gemeinhin von einem Land, es habe ein gewisses Wohlstandsniveau erreicht, wenn das Pro-Kopf-BIP 1000 US$ übersteigt.

Den Begriff „Gesellschaft mit bescheidenem Wohlstand“ (xiaokang) kriegt man in China in diesen Tagen oft zu hören, und für manche ist er Wirklichkeit geworden. Er bedeutet, dass sie über einen Internet-Anschluss verfügen und gewisse Informationen mit dem Rest der Welt teilen können, eine geräumige und komfortable Wohnung besitzen und Zeit haben für geistige und kulturelle Beschäftigungen. Für die 28,2 Mio. Menschen aber, die noch immer in Armut leben – die meisten von ihnen Bauern – ist die Vorstellung einer Gesellschaft mit bescheidenem Wohlstand noch immer ein Traum.

Obwohl die letzte Regierung ländlichen Haushalten eine jährliche Einkommenssteigerung von 3,8% gewährte, hinkt der Lebensstandard der Mehrheit der Bauern noch immer weit hinter demjenigen der Städter zurück. Während sich Großstädte wie Beijing und Shanghai in Richtung einer wissensbasierten Wirtschaft bewegen und damit in die zweite Phase der Modernisierung eintreten, bleiben die meisten der westlichen und zentralen Landesgebiete unterentwickelt. Das regionale Wirtschaftsungleichgewicht steigt, ebenso wie das Ungleichgewicht zwischen Industrie- und abgelegenen Landwirtschaftsgebieten. Zwischen 1997 und 2001 erzielten in den blühenden Küstengebieten Ostchinas neun Provinzen bzw. regierungsunmittelbare Städte ein BIP-Wachstum von mehr als 9% pro Jahr. Im landwirtschaftlich geprägten Zentralchina dagegen waren es nur zwei Provinzen. Dies macht deutlich, welche Kluft sich zwischen den langsam wachsenden ländlichen Gebieten und den boomenden Großstädten aufgetan hat.

Die Bevölkerung von Taiwan, Hong Kong und Macao nicht mitgezählt, hat China eine ländliche Bevölkerung von 935 Mio. Das sind 73% der Gesamtbevölkerung des Festlands. Die Verstädterungsrate, Kreisstädte und kleine Städte eingeschlossen, liegt bei nur 37% – zehn Prozentpunkte unter dem Weltdurchschnitt und 40 Prozentpunkte unter dem Wert von Industrieländern. Chen Yiyu, NVK-Abgeordneter und Vizepräsident der Chinesischen Akademie der Wissenschaften, meint, dass die geringe Kaufkraft der Bauern die Landwirtschaft zum Flaschenhals für Chinas Wirtschaftsentwicklung mache. Er weist darauf hin, dass eine gesteigerte Industrieproduktion keinen Absatz finden wird, falls sich die Landwirtschaft nicht im selben Ausmaß entwickelt.

Abgesehen davon war China immer um eine Gesellschaft bemüht, in der Gleichstellung herrschte. Den Bauern zu einem besseren Einkommen und zu Wohlstand zu verhelfen ist nicht nur ein Mittel, um die Binnennachfrage zu steigern, sondern auch der Wunsch der ganzen chinesischen Nation. In einer Internet-Umfrage in Guangdong gaben 76% der Universitätsstudenten an, dass ihnen die Bauernprobleme am meisten Sorge bereiteten. Auf dem 10. NVK ergriffen zahlreiche Abgeordnete im Namen der Bauern das Wort, und in den Medien äußern sich oft Experten zu den „drei Landproblemen“.

Die Lösung: Industrie

„Die Lösung der ‚drei Landprobleme’ erfordert neben der Anstrengung der betroffenen Personen und Gebiete die Unterstützung einer entwickelten heimischen Industrie“, sagt Zhan Chunxin, NVK-Abgeordneter und Unternehmer. Die meisten Sektoren der Staatsbetriebe haben Verluste in Gewinne umgewandelt. Im Jahr 2002 erzielte die im Staatsbesitz befindliche Wirtschaft Gewinne in Höhe von 250 Mrd. Yuan – das beste Ergebnis aller Zeiten. Die Verjüngung der heimischen Industrie Chinas, insbesondere der Fertigung, liefert eine Garantie für die allseitige Verwirklichung einer Gesellschaft mit bescheidenem Wohlstand, die sowohl die ländliche Bevölkerung als auch die armen Stadtbewohner einschließt.

Xu Shaofang, ein NVK-Abgeordneter der Provinz Jiangxi und der Verwaltungsratsvorsitzende der Pingkuang-Gruppe, eroberte die Frontseiten und Fernsehbildschirme, nachdem er ein heruntergekommenes Bergbaugebiet aus der Abhängigkeit von der Kohleförderung gelöst und in ein neues Zeitalter der industriellen Blüte geführt hatte. Viele Industrieunternehmen schufen neue Arbeitsplätze für arbeitslose Städter und Bauern, die auf der Suche nach einem besseren Leben in die Städte strömen. Die Pingkuang-Gruppe bietet 170 000 entlassenen Kumpeln Arbeit.

In den letzten Jahren wurde das Land für die industrielle Entwicklung in den Städten knapp. Deshalb haben einige Unternehmen ihre Anlagen in ländlichen Gebieten errichtet, und das Aufkommen von Industrie hat die ländliche Entwicklung beschleunigt. Viele große Unternehmensgruppen tätigten hohe Investitionen in Chinas unterentwickeltem Westen und stiegen direkt in die Verarbeitung von Landwirtschaftsprodukten ein. Die Delong Group aus Beijing unternahm diesen Schritt 1994. Heute übersteigt ihr Absatz aus der landwirtschaftsbezogenen Produktion 4 Mrd. Yuan und macht ein Drittel ihres gesamten Produktionswerts aus. Die Gruppe investierte in eine Ketchup-Fabrik in Tunhe, im Autonomen Gebiet Xinjiang, die zur Zeit eine Jahresherstellungskapazität von 240 000 Tonnen hat. Dies sind nur 20 000 Tonnen weniger als Heinz, der größte Ketchup-Hersteller der Welt. Delong ist heute der größte Ketchup-Exporteur Chinas und beliefert Märkte in Europa und Nordamerika. Vom Projekt in Tunhe profitierten mindestens 100 000 Bauernfamilien.

Die Zahl der gegenwärtig in Städten werktätigen Bauern liegt bei rund 120 Mio. Wie sich erwiesen hat, tragen sie einen bedeutenden Teil dazu bei, ihre Dörfer aus der Armut herauszuführen. Etliche unter ihnen erwarben berufliche Fähigkeiten in den Städten und kehrten nach Hause zurück, um ein eigenes Geschäft aufzumachen. Diese Rückwanderung befähigte viele ländliche Gebiete zur Selbsthilfe. Dass die „drei Landprobleme“ in den ländlichen Gebieten Jiangsus und Zhejiangs kein Thema sind, kann auf den Zweiwegverkehr der Bauern zurückgeführt werden. Viele örtliche Kleinstadt- und Privatunternehmen werden von ehemaligen Bauern geführt.

Es ist eine weltweit gängige Praxis, die Entwicklung der Städte vor der Entwicklung der ländlichen Gebiete zu fördern. Mit einem Pro-Kopf-BIP von 1000 US$ ist in China die Marke erreicht, über der die Errungenschaften der Industrie in die Landwirtschaft zurückfließen und Stadt und Land auf einen gemeinsamen Entwicklungspfad einschwenken.

Technologische Lösung

China ist der größte Reisproduzent der Welt. Ein vom namhaften chinesischen Wissenschaftler Yuan Longping und seinen Assistenten entwickelter Hybridreis liefert einen mu-Ertrag von 500 kg (15 mu = 1 ha). Seine Verbreitung in China hat den durchschnittlichen mu-Ertrag auf 400 kg gesteigert. Yuan Longping glaubt, dass China seine riesige Bevölkerung mit der beschränkten landwirtschaftlichen Nutzfläche ernähren kann. Die UNO-Welternährungsorganisation FAO hat einen Plan entworfen, um Yuans Hybridreis rund um die Welt zu verbreiten.

Hightech und neue Technologien finden Eingang in die landwirtschaftliche Entwicklung. Es wird berichtet, dass der Anteil der Hightech-Industrie an der chinesischen Wirtschaft in den letzten zehn Jahren von 1% auf 15% gestiegen ist. Zur Zeit gibt es landesweit 405 Erschließungszonen für Hightech-Landwirtschaft und Schaufarmen für moderne Landwirtschaft. Biotechnologie und IT spielen eine wachsende Rolle für die Umwandlung der traditionellen Landwirtschaft in China.

Der chinesische Landwirtschaftsminister kündigte auf einer Pressekonferenz zum 10. NVK die Gründung regionaler landwirtschaftlicher Produktionsgürtel an. Die Regierung sieht die Festlegung von 35 vorteilhaften Gebieten für den Anbau von Weizen und Mais für besondere Zwecke, ölreichem Soja, Baumwolle, Raps, Zuckerrohr, Orangen und Äpfeln vor sowie für die Produktion von Milch, Rind- und Schaffleisch und Wasserprodukten. Die Milchverarbeitungsbetriebe Yili und Mengniu, beide in der Inneren Mongolei ansässig, sind in China führend und technisch auf einem hohen Stand. Ihr jährlicher Absatz erreicht 6 Mrd. bzw. 4 Mrd. Yuan. Um die Ressourcen der Inneren Mongolei besser zu nutzen und die Einkommen der örtlichen Bauern zu erhöhen, setzt die Hauptstadt Hohhot Hochtechnologie ein. In China entsteht eine wissensbasierte Landwirtschaft, die sich durch technologische Innovation auszeichnet.

Menschliche Unterstützung

Vor zwei Jahren gab Yang Yuxue seinen Posten in einem Zentralorgan in Beijing auf und meldete sich als Freiwilliger, um im Tongren-Bezirk der abgelegenen Provinz Guizhou als Parteisekretär zu arbeiten. „Die Touristen sehen in Guizhou die schöne Landschaft, aber zu Hause bei den einheimischen Bauern sah ich nur herzzerreißende Armut“, sagt Yang. „Ein Bauer sagte mir, dass er während eines ganzen Jahres keine Nacht durchgeschlafen habe, weil er sich seine Kuh, die einzige Einkommensquelle der Familie, ans Handgelenk band, aus Furcht, sie könnte gestohlen werden.“ Als Yang Yuxue die reichen Wasservorkommen der Gegend sah, leitete er die örtlichen Bauern in der Fischzucht an. Heute serviert man Lachs aus Tongren in vielen großen Restaurants im ganzen Land. Tongren verfügt auch über günstige Bedingungen für den Anbau von Heu, also führte Yang die örtlichen Bauern einmal mehr auf die Straße zur Marktwirtschaft und überredete sie zum Heuanbau und zur Viehzucht. Die Geldbeutel der Bauern füllten sich mit der Zeit erfreulich.

Bis heute haben sich über 200 000 Universitätsabgänger aus den Städten gemeldet, um freiwillig in einem von 17 von der Armut betroffenen Gebieten in Zentral- und Westchina, einschließlich Xinjiang und Tibet, zwei Jahre Dienst zu leisten. Sie sind in der Grundschulbildung oder im Gesundheitswesen tätig oder unterweisen Bauern in der Anwendung von Landwirtschaftstechniken. 207 Kreise profitieren von ihnen. Diese jungen Menschen bringen neue Ideen, neues Leben und Kreativität in die rückständigen Orte.

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