Mai 2003
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Kultur und Kunst

Vergrabener Glanz
Der Pujiu-Tempel und Notre Dame de Paris

Vergrabener Glanz

Von Li Rui

Am 19. Januar 2003, gegen vier Uhr nachmittags, gruben einige Bauern außerhalb eines Dorfes in der Provinz Shaanxi im Westen Chinas an einer 10 m hohen Lehmwand. Sie bemerkten, dass ihre Hackenschläge einen seltsamen Widerhall in der Erde hervorriefen. Noch bevor sie herausfinden konnten, was los war, legte ein Bauer mit seiner Breithacke eine Kammer frei. 27 Bronzegegenstände, die 3000 Jahre lang unter der Erde gelegen hatten, traten ans Tageslicht.

Shaanxi ist die Provinz, wo sich die Terrakottafiguren befinden. Daher waren die Bauern über ihre Entdeckung nicht besonders überrascht. Sie bewachten die Fundstelle und informierten sofort die Archäologen. Bald war der Name des Dorfes Yangjia wieder in aller Munde. Schon vorher waren in diesem Dorf drei Kammern mit Bronzegegenständen und ein Bronzeglockenspiel freigelegt worden. Diese vier Kammern liegen höchstens 200 m voneinander entfernt.

Das Rätsel der 27 Bronzegegenstände zog die Aufmerksamkeit der besten Experten für Bronzewarenforschung aus dem ganzen Land auf sich.

Die Kammer im Dorf Yangjia ist nach der Dongjia-Kammer im Kreis Qishan, die im Jahr 1975 ausgegraben wurde, und der Zhuangbai-Kammer Nr. 1 im Kreis Fufeng, die 1976 freigelegt wurde, die wichtigste Entdeckung für die Erforschung der Bronzewaren aus der Westlichen Zhou-Dynastie (ca. 11. Jahrhundert v. u. Z. – 770 v. u. Z.). Sie liefert nützliche Gegenstände zur Erforschung der Geschichte der Westlichen Zhou-Dynastie und des exakten Ursprungs der chinesischen Geschichte.

Wert der Bronzegegenstände

„Ich habe in der Nacht kaum geschlafen...“

„Ich bin elektrisiert! Das ist wirklich eine großartige Entdeckung!“

„Man kann ihren Wert gar nicht hoch genug einschätzen. Sowohl der kulturelle Wert als auch die gesellschaftliche Bedeutung werden im In- und Ausland für eine Sensation sorgen“, sagt Li Xueqin, Leiter des Periodisierungsprojekts der Xia-, der Shang- und der Zhou-Dynastie und Leiter des Forschungsinstituts für Geistes- und Kulturwissenschaften der Qinghua-Universität.

China zählt zu den vier alten Zivilisationen der Welt. In Büchern und Dokumenten aus alter Zeit können wir stolz über unsere Geschichte lesen: Die chinesische Zivilisation begann mit Fuxi, dem Ahnherrn des chinesischen Volkes und erreichte ihre erste Blüte unter dem Gelben Kaiser. Ihm folgten Yao, Shun und Yu. Aber sie lebten in der „überlieferten Zeit“.

Die Xia-, die Shang- und die Zhou-Dynastie waren die Blütezeit der alten chinesischen Zivilisation. Bedauerlicherweise lassen sie sich nicht genau datieren.

Für die Zivilisationen im alten Griechenland und in Ägypten erzielten westliche Wissenschaftler nach 100-jähriger harter Arbeit bemerkenswerte Ergebnisse. Das Alter der alten Kulturen in Ägypten wird mit über 6000 Jahre angegeben.

Was ist nun mit der chinesischen Geschichte? Die früheste exakte Datierung für das chinesische Altertum ist das Jahr 841 v. u. Z. Daher hat das Periodisierungsprojekt der Xia-, der Shang- und der Zhou-Dynastie zum Ziel, für diese historischen Zeitabschnitte eine chronologische Tabelle auf wissenschaftlicher Basis aufzustellen und somit eine solide Grundlage für die Erforschung des Ursprungs und der Entwicklung der altchinesischen Zivilisation zu schaffen.

Eine Gruppe von Wissenschaftlern hat vor kurzem unter Leitung von Li einen vorläufigen Bericht verfasst, der die Amtszeiten der Könige der Westlichen Zhou-Dynastie anordnet. Die Diskussion zu diesem Bericht fängt im In- und Ausland erst an. Die im Dorf Yangjia ausgegrabenen Bronzegegenstände werden das Ergebnis des Berichts verifizieren.

In all diesen 27 Bronzegegenständen sind Inschriften zu lesen. Eine Bronzeschale enthält sogar mehr als 350 chinesische Schriftzeichen. Damit hat die Schale die längste Inschrift aller seit 1949 ausgegrabenen Bronzen. Außerdem haben weitere 12 Bronzegegenstände Inschriften durchschnittlich etwa als 300 chinesischen Schriftzeichen, die bis auf den letzten alle 11 Könige der Westlichen Zhou-Dynastie erwähnen und verschiedene Angaben zu diesem Geschichtsabschnitt machen. Die Inschriften sind nach Lis Meinung inhaltlich reichhaltig.

Die Inschriften in zwei Bronzegegenständen halten deutlich die Jahre, Monate, Tage und Mondphasen sowie die Gussjahre fest. Im alten China wurde zum Datieren eines Bronzegegenstands nur das Regierungsjahr eines bestimmten Königs angegeben, ohne seinen Namen zu nennen. Aber die Form, die Verzierungen und der Stil der Schriftzeichen können als Maßstab zur Identifizierung des Gussjahres dienen.

Wem gehörten die Bronzegegenstände?

Im alten China herrschte eine strenge Ständeordnung. Viele Historiker und Ritenforscher sind der Meinung, dass nur die Zhou-Könige Kochgefäße (Ding) mit neun Beinen und Speisebehälter (Gui) mit acht Henkeln verwenden durften. Für die Lehensfürsten waren Kochgefäße mit sieben Beinen und Speisebehälter mit sechs Henkeln bestimmt, und so weiter die Hierarchiestufen hinunter. Ungewöhnlich ist, dass es unter diesen Ausgrabungsgegenständen nur Ding gibt, insgesamt 12. Davon haben 10 Ding die gleiche Form und sind gleich verziert. Sie unterscheiden sich lediglich in der Größe. Das größte ist 58 cm hoch mit einem Durchmesser von 45 cm. Der Besitzer dieser Ding war ein Adliger der Westlichen Zhou-Dynastie. Die Frage ist: Warum besaß er so viele Ding?

In historischen Aufzeichnungen aus dem chinesischen Altertum wird die Familie Shan erwähnt. Laut Li Xueqin gehörte sie zu den wichtigsten Adelsgeschlechtern der Westlichen Zhou-Dynastie. Aber der Ursprung des Familiennamens blieb tausende Jahre lang ein Rätsel. In Akademikerkreisen war man lange Zeit der Meinung, dass Shan Zhen, der jüngste Sohn des Zhou-Königs Cheng, der Ahnherr der Familie wäre. Doch diese Annahme hat sich als falsch erwiesen. In einer der neu ausgegrabenen Bronzeschalen ist zu lesen, dass der erste geadelte Shan ein hoher Beamter unter den Königen Wen und Wu der Westlichen Zhou-Dynastie war.

Könnte es dann sein, dass es zwei Familien Shan gibt?

Nach den Inschriften gehörte der Besitzer der Bronzegegenstände zur achten Generation der Familie Shan. Er war zuerst ein Forstbeamter, wurde später aber Offizier und vom Zhou-König Xuan belehnt. In den Inschriften sind die Errungenschaften des Herrscherhauses von König Wen bis König Xiao sowie die Belehnungen und Belohnungen der Familie Shan dokumentiert.

Bereits in den früher im Dorf Yangjia ausgegrabenen Bronzenwaren fand man Aufzeichnungen über die Familie Shan. Experten nehmen an, dass die Lehen der Familie Shan das Dorf Yangjia zum Zentrum hatten. Wenn vor 3000 Jahren so eine einflussreiche Familie in dieser Gegend lebte, wo sind dann ihre Höfe und Friedhöfe geblieben? Könnte es noch weitere, bisher unentdeckte Bronzegegenstände geben? Archäologen werden das Dorf systematisch untersuchen und Ausgrabungen vornehmen. Mit weiteren Funden wird sich der verbliebene Nebel über der Geschichte der Westlichen Zhou-Dynastie lichten.

Warum waren die Bronzegegenstände in einer Kammer versteckt?

Wohin man in der Stadt Baoji, Provinz Shaanxi, auch blickt, man sieht heute nur eintönigen Lößboden. Vor 3000 Jahren standen hier noch das Landgut und der Jagdpark der Adligen, wo es lebhaft zu und her ging. Die fein verzierten Bronzegegenstände mit den herrlichen Formen waren ein Zeichen der Adligen und stellten den Höhepunkt der Metallkunst dar. Mit dem Vordringen der Barbaren flohen die Adligen am Ende der Westlichen Zhou-Dynastie in alle Richtungen und der Zhou-König verlegte notgedrungen seinen Sitz in eine weiter östlich gelegene Stadt. Vermutlich wurden die Bronzegegenstände, die die Adligen auf ihrer Flucht nicht mitnehmen konnten, vorübergehend in Kammern versteckt. Aber ihre Besitzer konnten nie zurückkehren, und so blieben die Bronzegegenstände 3000 Jahre lang unter der Erde versteckt.

Es wurden schon viele Bronzegegenstände gefunden, die in Kammern versteckt waren. Doch dieser Fund war ganz anders. Die Kammer in Yangjia ist ein höhlenartiges Versteck. Früher entdeckten Kammern merkte man sofort an, dass sie in Eile ausgegraben worden waren, denn die Bronzegegenstände lagen unordentlich durcheinander. Diesmal wurde zuerst eine Grube ausgehoben und daneben eine Höhle angelegt. Es gibt sogar zwei aus Erde gestampfte Stufen und Spuren von Holzpfeilern. Die Bronzegegenstände lagen schön geordnet im Innern. Das sind Beweise dafür, dass der Keller planmäßig gebaut wurde. Wenn dem wirklich so sein sollte, worin liegt denn der Grund dafür?

Auf den Wänden der Kammer sind Brandspuren erkennbar. Bei der Ausgrabung wurde auch verbrannte Erde entdeckt. Das lässt vermuten, dass die Kammer einst in Brand gesteckt wurde. Aber warum?

Um die 27 Bronzegegenstände ranken sich noch viele Rätsel. Weitere Forschungsarbeit wird nötig sein, um sie zu lüften.

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