März 2002
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Sonderberichte

Menschen, über die man spricht

 

Das abenteuerliche Leben eines Chinesen aus Berlin

Die Biographie des deutschen Chinesen Han Sen gehört zu den ganz ungewöhnlichen Lebensgeschichten, die das abgelaufene Jahrhundert geschrieben hat.

Als Sohn chinesischer Eltern 1925 in Berlin geboren, fühlt sich der Junge bald als waschechter Berliner. Dass seine Spielkameraden Schlitzaugen machen und "Drei Chinesen mit dem Kontrabass" singen, wenn er kommt, stört ihn wenig. Vater und Mutter, beide überzeugte Kommunisten, sind als Studenten nach Berlin gekommen. Der Machtergreifung Hitlers folgt die Flucht in die Schweiz, wo Han Sen in einer privaten Internatsschule Freundschaften schließt, die sich bis heute bewähren. Doch dann passiert der große Bruch: 15 Jahre alt ist er, als er mit seinem Vater und dessen neuer Frau nach China reisen muß, in das Land seiner Ahnen, das Land, das ihm völlig fremd ist, dessen Sprache er nicht einmal spricht. Wie soll er da verstehen, wenn der Vater sagt: "Du bist nun mal Chinese, du mußt China lieben, das ist deine Heimat." Er ist doch Berliner!

Das Heimweh nach Deutschland, nach Berlin, wird ihn in den folgenden 15 Jahren in China, wo er u.a. Zhou Enlai als Übersetzer dient, und später in der Ukraine, seiner neuen und bleibenden Heimat, nie mehr verlassen.

"Endlich wieder zu Hause" ist das Kapitel überschrieben, in dem er einen Besuch in Berlin - fast ein halbes Jahrhundert nach der Flucht 1933 - und spätere Reisen zu Freunden in Bayern und in der Schweiz schildert. "Und ganz allmählich überkam mich eine feierliche Ruhe, ein Gefühl tiefer Dankbarkeit und großer Freude bei dem Gedanken, dass meine Odyssee zu Ende und mit meiner Reise in die Vergangenheit mein Traum in Erfüllung gegangen war." So endet das Buch. Es zu schreiben, mußte Han Sen von Freunden förmlich bedrängt werden.

Gerd Ruge, der das Nachwort schrieb, war schon von einer kurzen Zusammenfassung dieser aufregend-ungewöhnlichen Lebensgeschichte fasziniert. "Was ich später im fertigen Manuskript las, war so spannend, wie ich es erhofft hatte." Dabei war selbst für einen ausgewiesenen China-Kenner wie Ruge manches neu. "Wie er sich durch die Fronten des Bürgerkriegs in China geschlagen hat und wie er das Leben der kommunistischen Führer in Yan'an, dem Hinterlandstützpunkt Maos, schildert, hatte ich so noch nie gelesen."

Han Sen lebt seit 1955 in der ukrainischen Stadt Charkow. Ihm ist ein außerordentlich interessantes, in seinen Innenansichten aus China und der einstigen Sowjetunion aufschlußreiches und in der Beschreibung seiner Gefühle für die alte Heimat und für alte Freunde sehr anrührendes Buch gelungen.

Han Sen: "Ein Chinese mit dem Kontrabass", 334 Seiten, Claassen Verlag

Atze Schmidt

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