Das
abenteuerliche Leben eines Chinesen aus Berlin
Die Biographie des deutschen Chinesen Han
Sen gehört zu den ganz ungewöhnlichen Lebensgeschichten,
die das abgelaufene Jahrhundert geschrieben hat.
Als Sohn chinesischer Eltern 1925 in Berlin
geboren, fühlt sich der Junge bald als waschechter Berliner.
Dass seine Spielkameraden Schlitzaugen machen und "Drei
Chinesen mit dem Kontrabass" singen, wenn er kommt, stört
ihn wenig. Vater und Mutter, beide überzeugte Kommunisten,
sind als Studenten nach Berlin gekommen. Der Machtergreifung
Hitlers folgt die Flucht in die Schweiz, wo Han Sen in einer
privaten Internatsschule Freundschaften schließt, die
sich bis heute bewähren. Doch dann passiert der große
Bruch: 15 Jahre alt ist er, als er mit seinem Vater und dessen
neuer Frau nach China reisen muß, in das Land seiner
Ahnen, das Land, das ihm völlig fremd ist, dessen Sprache
er nicht einmal spricht. Wie soll er da verstehen, wenn der
Vater sagt: "Du bist nun mal Chinese, du mußt China
lieben, das ist deine Heimat." Er ist doch Berliner!
Das Heimweh nach Deutschland, nach Berlin,
wird ihn in den folgenden 15 Jahren in China, wo er u.a. Zhou
Enlai als Übersetzer dient, und später in der Ukraine,
seiner neuen und bleibenden Heimat, nie mehr verlassen.
"Endlich wieder zu Hause" ist
das Kapitel überschrieben, in dem er einen Besuch in Berlin
- fast ein halbes Jahrhundert nach der Flucht 1933 - und spätere
Reisen zu Freunden in Bayern und in der Schweiz schildert.
"Und ganz allmählich überkam mich eine feierliche
Ruhe, ein Gefühl tiefer Dankbarkeit und großer Freude
bei dem Gedanken, dass meine Odyssee zu Ende und mit meiner
Reise in die Vergangenheit mein Traum in Erfüllung gegangen
war." So endet das Buch. Es zu schreiben, mußte
Han Sen von Freunden förmlich bedrängt werden.
Gerd Ruge, der das Nachwort
schrieb, war schon von einer kurzen Zusammenfassung dieser
aufregend-ungewöhnlichen Lebensgeschichte fasziniert.
"Was ich später im fertigen Manuskript las, war
so spannend, wie ich es erhofft hatte." Dabei war selbst
für einen ausgewiesenen China-Kenner wie Ruge manches neu.
"Wie er sich durch die Fronten des Bürgerkriegs in China
geschlagen hat und wie er das Leben der kommunistischen Führer
in Yan'an, dem
Hinterlandstützpunkt Maos, schildert, hatte ich so noch nie
gelesen."
Han Sen lebt seit 1955 in der ukrainischen
Stadt Charkow. Ihm ist ein außerordentlich interessantes,
in seinen Innenansichten aus China und der einstigen Sowjetunion
aufschlußreiches und in der Beschreibung seiner Gefühle
für die alte Heimat und für alte Freunde sehr anrührendes
Buch gelungen.
Han Sen: "Ein Chinese mit dem Kontrabass",
334 Seiten, Claassen Verlag
Atze
Schmidt