Der Dorfvorsteher: Früher ernannt, jetzt vom Volk gewählt
Seit einigen tausend Jahren wurden Dorfvorsteher, Verwaltungsbeamte
auf unterster Ebene, vom übergeordneten Organ ernannt. Die
Bauern setzten ihre Hoffnung für ein glückliches Leben
in der Zukunft ganz auf die Weitsicht des Organs der höheren
Ebene und auf die Rechtschaffenheit des Dorfvorstehers. Aber nicht
selten kam es anders. Heute sind viele Bauern reich geworden.
Sie wünschen sich Dorfvorsteher, die ihre Interessen wahren,
sie in eine bessere Zukunft führen und die sie selbst wählen
dürfen. Darum wurde ein System geschaffen, wonach Dorfvorsteher
direkt von den Dorfbewohnern gewählt werden. Bei unserem
Besuch in Yunnan schenkten wir der direkten Wahl der Dorfvorsteher
große Aufmerksamkeit und fragten in jedem Dorf nach der
Zuverlässigkeit dieses Wahlsystems und der Zufriedenheit
der Dorfbewohner.
Der Hongta-Bezirk der Stadt Yuxi hat 66 Dorfbewohnerkomitees,
die ausnahmslos von den Dorfbewohnern direkt gewählt worden
sind. Für der Wahl des Dorfvorstehers wird zuerst durch geheime
Abstimmung ein Wahlkomitee der Dorfbewohner gewählt.
Das Wahlkomitee sorgt dafür, dass die Wähler nach ihrem
eingetragenen ständigen Wohnsitz registriert werden, prüft
die Wahlberechtigungen, verteilt die Wahlscheine und veröffentlicht
die Wählerliste zu gesetzlich festgelegter Zeit. Dann lädt
das Wahlkomitee der Dorfbewohner zu einer Versammlung
ein, um die Amtsbefugnisse und Aufgaben des Direktors (des Dorfvorstehers),
des stellvertretenden Direktors und der Mitglieder des Dorfbewohnerkomitees
festzulegen und bekannt zu machen. Kurze Zeit später findet
eine Versammlung der Vertreter der Dorfbewohner statt, um die
Posten und ihre Anzahl festzulegen und bekannt zu machen. Dann
richtet das Wahlkomitee der Dorfbewohner einen zentralen Versammlungsort
und einige Wahllokale ein, damit die Dorfbewohner in geheimer
Abstimmung über die Kandidaten für den Posten des Direktors,
des stellvertretenden Direktors und über die Mitglieder des
Dorfbewohnerkomitees entscheiden können. Bei den Wahlen gibt
es konkurrierende Kandidaten. Es gibt also mehr Kandidaten als
Personen, die zu wählen sind. Je nach Stimmenzahl für
die einzelnen Bewerber wird dann eine Kandidatenliste aufgestellt
und veröffentlicht. Die Reihenfolge der Kandidaten richtet
sich nach der Folge der Schriftzeichen ihrer Familiennamen.
Für die eigentliche Wahl ruft das Wahlkomitee der Dorfbewohner
dann nach dem Prinzip Direkte Wahl, faire Konkurrenz, Mehrkandidaten-
und öffentliche Wahl, geheime Ausfüllung der Stimmzettel
zu einer Wahlversammlung auf. Vor der Abstimmung zählen die
für die Wahl Zuständigen die anwesenden Wähler.
Sind mehr als die Hälfte der Wähler des Wahlbezirks
anwesend, kann die Wahl durchgeführt werden. Dann wird das
Wahlverfahren erklärt, beispielsweise auch, dass die Zahl
der Kandidaten größer zu sein hat als die Zahl der
zu Wählenden. Die Veranstalter geben die Lebensläufe
der Kandidaten bekannt und ein Vertreter der Kandidaten hält
eine Wahlrede. Die Wähler wählen zunächst diejenigen,
die die Abstimmung beaufsichtigen und die Stimmzettel zählen.
Vor aller Augen werden dann die Wahlurnen kontrolliert und versiegelt.
Die Veranstalter erklären dann das Prinzip der mobilen Wahlurnen
und auch, wie Stimmzettel auszufüllen sind. Dann erhalten
die Wähler ihre Stimmzettel, wenn sie ihren Personalausweis
oder ihren Wahlberechtigungsschein vorlegen. Sie füllen die
Stimmzettel geheim aus und geben sie ab. Die nicht benötigten
Stimmzettel werden vernichtet und die Wahlurnen eingesammelt.
Vor aller Augen werden die Urnen geöffnet, die Stimmzettel
gezählt und dann das Wahlergebnis veröffentlicht. Die
Wahl ist gültig, wenn mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten
an der Abstimmung teilgenommen hat. Dann werden den Gewählten
Urkunden und Siegel verliehen. Das ganze Wahlverfahren steht unter
Kontrolle der Wähler. Für die Wahl werden Wahlkabinen
bereit gestellt, damit die geheime Wahl gesichert ist. Das Wahlkomitee
der Dorfbewohner prüft auch, ob Wähler, die aus verschiedenen
Gründen nicht an der Abstimmung teilgenommen haben, rechtmäßig
andere Person schriftlich beauftragt haben, für sie die Stimmzettel
auszufüllen und abzugeben.
Nach der Gründung des Dorfbewohnerkomitees werden Angelegenheiten
auf Dorfebene demokratisch entschieden. Erstens: Für Angelegenheiten,
die von der Versammlung der Vertreter der Dorfbewohner diskutiert
und überprüft werden sollen, wird vorher ein Ablaufplan
vom Dorfbewohnerkomitee erarbeitet. Zweitens: 30 bis 60 demokratisch
gewählte Vertreter der Dorfbewohner bilden eine Versammlung
der Vertreter der Dorfbewohner, um die vom Dorfbewohnerkomitee
behandelten Angelegenheiten zu überprüfen, zu diskutieren,
abzustimmen und offizielle Entscheidungen zu treffen. Drittens:
Das Dorfbewohnerkomitee überreicht der Dorfbewohergruppe
den Plan der zu entscheidenden wichtigen Angelegenheiten. Dann
veranstaltet diese Dorfbewohnergruppe eine Sitzung, um die Meinungen
aller Angehörigen dieser Gruppe zu befragen. Mit dieser einfachen
Verfahrensweise sind die Dorfbewohner sehr zufrieden. Ein alter
Bauer sagte: Früher hatten wir immer das Gefühl,
dass die Dorfkader uns gegenüber verschwiegen haben, welche
Entscheidungen sie getroffen haben. Je mehr sie verschwiegen,
desto mehr zweifelten wir an ihnen. Jetzt hat sich das geändert:
Zu allen möglichen Angelegenheiten, kleineren wie größeren,
werden Versammlungen veranstaltet, so dass uns klar wird, was
wann wie und warum wir etwas machen sollen. Außerdem werden
uns Möglichkeiten geboten, unsere eigenen Meinungen zu äußeren.
Alle Angelegenheiten des Dorfs sind uns jetzt bekannt. Das ist
die Demokratie, die wir verstehen.
Die Dorfbewohner haben nicht nur das Recht, die Dorfkader direkt
zu wählen, sondern sie können sie auch abberufen, wenn
sie ihre Pflicht nicht erfüllen oder nicht mehr würdig
sind, ihre Posten zu bekleiden. Beispielsweise schenkte der Direktor
des Dorfbewoherkomitees von Paishan der landwirtschaftlichen Produktion
gar keine Aufmerksamkeit und war dem Glückspiel verfallen,
was starke Unzufriedenheit unter den Volksmassen verursachte.
Im August 2003 legten mehr als 1/5 der wahlberechtigten Dorfbewohner
ein gemeinschaftliches Schreiben vor, um seine Abberufung zu verlangen.
Am 28. August erklärte das Dorfbewohnerkomitee von Paishan
die Klage für zulässig und bildete gleichzeitig eine
Untersuchungsgruppe zur Abberufung des Direktors des Dorfbewohnerkomitees
von Paishan. Durch Abstimmung der Versammlung der Vertreter
der Dorfbewohner wurde der Abberufungsprozess in Gang gesetzt.
Am 27. September fand die Versammlung der Dorfbewohner zur Abstimmung
statt, an der 1725 von 1794 Wählern teilnahmen. 1371 Wähler
stimmten für die Abberufung dieses Dorfvorstehers. Dies war
mehr als die Hälfte der Wähler. Folglich wurde der Dorfvorsteher
abberufen. Dieses Ereignis fand bei vielen Leuten großen
Widerhall. Die Dorfkader im Bezirk Hongta äußerten
alle: Wenn wir jetzt nicht fleißig arbeiten, müssen
wir uns später einen neuen Arbeitsplatz suchen.
Nach Berichten hat die direkte Wahl des Dorfvorstehers im Bezirk
Hongta die Aufmerksamkeit des ehemaligen US-Präsidenten Jimmy
Carter erregt. Er hatte Beobachter zum Wahlverfahren geschickt
und die direkte Wahl gelobt. Aber beim Gespräch mit den Dorfbewohnern
hatten wir doch den Eindruck, dass das demokratische Recht nach
dem Verständnis einiger Dorfbewohner immer noch die Hoffnung
auf ganz wenige tüchtige Menschen oder gerechte
Beamten bedeutete. Zwar darf ich keine allzu hohen Anforderungen
an die Bauern stellen, die in den ländlichen Gebieten Chinas
leben, wo seit einigen Tausenden von Jahren ein feudales System
herrschte, doch ich wünschte, sie würden ihr Rechtsbewusstsein
weiter entwickeln, dem Aufbau des demokratischen Systems mehr
Aufmerksamkeit schenken und nicht nur immer ihre Hoffnung auf
die Wahl eines guten Dorfvorstehers setzen. Nur so kann die Zukunft
der ländlichen Gebiete Chinas garantiert und nur so können
die vitalen Eigeninteressen der Bauern geschützt werden.
Soweit ich weiß, haben die Regierung der Provinz Yunnan
und alle anderen Lokalregierungen diesem Problem ihre Aufmerksamkeit
geschenkt. Einige von ihnen haben beim Aufbau des demokratischen
Systems Erfahrungen gesammelt. Möge die demokratische Ausgestaltung
der Politik in der Provinz Yunnan und in allen ländlichen
Gebieten Chinas reibungslos verwirklicht werden.
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