Die Stadt Simao: Früher ein Gebiet, in dem sich Infektionskrankheiten schnell verbreiteten, heute eine „chinesische Teestadt“

Am Nachmittag des gleichen Tages erreichten wir zur vorgesehenen Zeit die Stadt Simao. Als ich am Stadtrand stand, glaubte ich, in einer mir gänzlich unbekannten, aber sehr neuen Stadt zu sein. Zuerst wusste ich gar nicht, wohin ich mich wenden sollte. Ich konnte kaum noch Spuren jener Grenzstadt Simao wiederfinden, die ich vor 36 Jahren verlassen hatte.

Nach meiner Erinnerung gab es damals in Simao nur eine einzige Straße, an der einige Dutzend nicht mehr ganz neue Häuser standen. Außer wenigen Häusern mit zwei oder drei Stockwerken waren sie einstöckig, und nicht weit von den Häusern der Stadt standen die der Bauern, hinter denen sich Felder erstreckten. Wenn die Bauern in die Stadt kamen, banden sie ihre Pferde, Rinder, Maultiere oder Esel an einem Straßenbaum fest. Dann setzten sie sich auf die Erde, suchten ihre Wasserpfeife aus Bambusrohr und zündeten sie an. In der Stadt waren ab und zu das Wiehern der Pferde und das Geschrei der Esel zu hören.

Die Stadt hatte so wenige Bewohner, dass fast jeder jeden kannte. Die Warenauswahl in den Läden war sehr bescheiden, alles hing von Lieferungen aus Shanghai ab. Auch Nahrungsmittel waren oft knapp. Die Regenzeit unterbrach die Versorgung mit Gemüse, und in der Kantine gab es dann nur getrocknetes Gemüse, essbaren Seetang, getrocknete Bambusprossen und Glasnudeln. Fisch und Fleisch blieben für viele häufig unerfüllbare Träume.

Der Gesundheitszustand der Einwohner gab auch Anlass zur Besorgnis. Ich erinnere mich, dass einer meiner Leiter sehr oft Malariaanfälle hatte. Damals gab es noch keine wirksame Methode, um Malaria zu bekämpfen. Beim Aufenthalt in Kunming, vor unserer Abreise nach Simao, sagte eine alte Angestellte in einem Hotel zu uns, als sie gehört hatte, wir seien Absolventen aus Shanghai, die in Simao arbeiten sollten: „Simao ist ein Gebiet voller Infektionskrankheiten. Es ist schlimmer als ein Revier voller Schlangen, Wölfe, Tiger oder Leoparden. Haben sie denn nie gehört, dass man seine Frau an einen anderen Mann verheiratet, bevor man nach Simao geht? Was glauben sie, wer von dort zurückkommt?“

Obwohl die Lage in Simao, wie wir später sahen, nicht ganz so schrecklich war wie die alte Frau dachte, war die Stadt damals in der Tat sehr arm und rückständig. Darum traute ich meinen Augen nicht, als ich die heutige Stadt Simao sah: Auf breiten Straßen fahren schöne Autos, zahlreiche Wolkenkratzer und Wohnhäuser stehen farbenfroh im Sonnenlicht. Gelungene Bildhauerarbeiten sind unter grünen Bäumen versteckt, die Waren in den Läden zu beiden Seiten der Alleen bieten einen prächtigen Anblick. Überflüssig zu sagen, dass man alle Waren, die man in großen Metropolen wie Beijing, Shanghai und Guangzhou bekommen kann, hier auch findet.

Wir fuhren mit dem Auto zu einem Park an einem Berg an der Stadtgrenze von Simao. Von dort aus überblickten wir die Stadt und stellten fest, dass sie den Umfang einer mittelgroßen, modernen Stadt aufwies. Nach unten blickend, sahen wir einen aschgrauen Streifen verschwimmen, das war die Landebahn des Flugplatzes. In meiner Erinnerung lag der Flughafen in der Stadt, doch jetzt befand er sich weit außerhalb. Ein Freund aus Simao erzählte mir, der Flughafen befinde sich am alten Standort, nur habe man kürzlich eine neue Landebahn gebaut. Früher konnten hier nur Propellerflugzeuge kleinen Typs mit weniger als 20 Plätzen landen, jetzt ist es auch größeren Maschinen wie Boeing oder Airbus möglich.

Ich betrachte die Stadt Simao aus der Vogelperspektive und sah diese farbenprächtige Stadt von grünen Teegärten und Wäldern umschlossen. Die Luft war sehr frisch. „Simao ist die einzige und folglich auch größte Oase am Wendekreis des Krebses, weshalb wir größten Wert auf ihren Schutz legen. Dank unserer Bemühungen ist die Vegetation dieses Gebietes besonders geschützt, 62,9% der gesamten Fläche sind bewaldet,“ erklärte mir mein Freund stolz.

Dann belehrte er mich, Simao sei der Ursprungsort und der wichtigste Produktionsort des weltbekannten „Pu’er-Tees“. Hier begann auch der alte „Tee-Pferde-Pfad“. In den abgeschiedenen Bergen mit Höhen über 2000 m stehen noch einige mehr als 1000-jährige Teesträucher, die auf einer Fläche von mehr als 14 000 ha wuchsen. Die Stadtregierung von Simao ist bemüht, die Teeindustrie zu entwickeln, um die Wirtschaft zu fördern. Sie hat deshalb Teegärten auf mehr als 44 000 ha angelegt. Die Tee verarbeitende Industrie nimmt einen immensen Aufschwung. Das arme und rückständige Gebiet Simao, in dem sich einst Infektionskrankheiten ausbreiteten, hat sich in eine der bekannten chinesischen „Teestädte“ verwandelt. „Durch die Ödlanderschließung und die Errichtung von Teegärten hat sich das Einkommen der Bauern erhöht, zugleich wird auch die Vegetation des Gebietes geschützt.“ „Aber“, erinnerte ich ihn: „Der Pu’er-Tee ist unter der jüngeren Generation nicht sehr bekannt. Es bleibt eine schwierige Aufgabe, ihn im ganzen Land populär zu machen. Wichtig ist es, dass mehr und mehr Menschen mit diesem Tee, vor allem mit seinen besonderen Wirkungen vertraut gemacht werden. Bei der Propaganda darf man aber nicht zu weit gehen, also den Pu’er-Tee nicht etwa als Biokost oder als Medikament zur Heilung aller Krankheiten ausgeben.“ Mein Freund nickte nachdenklich, als wäre ihm soeben eine neue Idee gekommen.

In diesem Moment kam ein Journalist der Simao-Tageszeitung zu mir und bat mich darum, meine Eindrücke über Simao nach dem Wiedersehen nach 36 Jahren zu schildern. Ich äußerte meine Begeisterung, verschwieg aber auch nicht mein Gefühl, als habe ich irgend etwas verloren: „Alles, was ich in der Vergangenheit kannte, sehe ich heute nicht mehr. Und was ich heute gesehen habe, gab es in der Vergangenheit nicht.“ Aufrichtig gesprochen, hatte ich ein bisschen Sehnsucht nach der alten Stadt Simao, obwohl mir doch die heutige blühende und gedeihende Stadt besser gefiel. Denn wir alle wissen: bei der Wahl zwischen Armut und Reichtum wählt man letztendlich den Reichtum.

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