Die Bauern aus dem Chashulin-Dorf besaßen früher nichts außer ihren vier Wänden, heute jedoch sind sie wohlhabend

Was ich im Chashulin (Wald von Teebäumen)-Dorf gesehen und gehört habe, überraschte mich besonders, weil sich die Armut dieses Gebietes und seiner Bauern tief in mein Gedächtnis eingeprägt hat, obwohl ich dort nur einige Jahre gelebt habe. In meiner Erinnerung wohnten die meisten Bauernfamilien in alten, schäbigen Häusern aus ungebrannten Lehmziegeln mit Strohdächern, selbst wenn ihre Häuser an der Straße lagen. Die Bauern besaßen meist nichts außer ihren vier Wänden. Seit Generationen waren sie nicht in der Lage, sich einige annehmbare Möbelstücke zu leisten. Sie hatten auch selten Geld für neue Kleidung. Wegen des ständigen Geldmangels ließen sie ihre Kinder keine Schule besuchen. Die Kinder mussten schon früh arbeiten, oft hüteten sie Rinder auf dem Berg. Nur sehr wenige Bauern und noch wenigere Kinder gingen damals in der Stadt Simao nicht barfuß, manche von ihnen trugen nicht einmal eine Oberbekleidung. Es war nicht übertrieben, wenn man das Aussehen der Bauern mit den folgenden Wörtern charakterisierte: schwarz (Bauern trugen schwarze Kleidung), gelb (Bauern litten oft an Krankheiten, weil ihnen aber das Geld für eine medizinische Behandlung fehlte, war ihre Gesichtsfarbe oft blass und gelb), bitter (aufgrund des geringen Einkommens war das Leben der Bauern sehr hart) und dünn (wegen ständiger Unterernährung waren Bauern von kleiner, schmächtiger Gestalt).

Am frühen Morgen des Tages nach unserer Ankunft in Simao brachen wir zum Besuch des Chashulin-Dorfes auf. Unterwegs gab uns der Leiter des Bezirks Cuiyun, zu dem das Chashulin-Dorf gehört, einen Überblick: Chashulin ist ein kleines Dorf der Yi-Nationalität. Dort leben 64 Familien mit 275 Angehörigen. Weil die Wirtschaft schlecht entwickelt war, führten in der Vergangenheit die Bauern ein ärmliches Leben. Alles ging drunter und drüber, es war überall schmutzig und Krankheiten verbreiteten sich schnell. Seit dem Jahr 1995 hat sich aber im Dorf viel verändert und verbessert.

Beim Gespräch über die Vergangenheit waren wir am Eingang des Dorfs angekommen. Reissetzlinge waren bereits in den gefluteten Feldern gepflanzt worden, so dass ein hellgrüner Schimmer über der Landschaft lag. Von der Betonstraße, die um das Dorf führte, konnte man zu jedem Haushalt gelangen. Manche am Straßenrand gepflanzte Mango- und Kaffeebäume trugen kleine, zarte Früchte, andere zeigten eben erst ihre sich öffnenden Knospen. Der sanfte Wind wehte uns den Duft von Blumen ins Gesicht, was uns frisch und beschwingt machte. Alle Wege innerhalb des Dorfes waren sauber, man sah keine Schweine, Hühner, Enten oder Gänse herumlaufen, wie es sonst oft in Bauerndörfern der Fall ist. Der Dorfvorsteher holte uns ab und sagte zu uns: „Sie können eine Familie ihrer Wahl interviewen und auch die Dorfbewohner alles fragen, was Sie wissen wollen.“ Das war für uns Journalisten ein großzügiges und offenes Angebot!

Ich stand auf dem Platz vor dem Kulturhaus des Dorfes und sah mich um: Da standen neue, aber auch ältere Häuser sauber und ordentlich an den Wegen. Auf dem Dach jedes Wohnhauses war ein Solarenergie-Warmwasserbereiter installiert. Daraus war abzuleiten, dass die Dorfbewohner auf Hygiene achteten und sicher oft duschten. Beim Besuch mehrerer Bauernfamilien bemerkte ich, dass sie alle über Fernseher, Telefone, VCD-Geräte, Motorräder und Traktoren verfügten. Eine Faulgasgrube im Hof hatte Verbindung zum Schweine- und Rinderstall, aber auch zur Toilette und zum Badezimmer. So wurden der tierische Mist und alle sonst anfallenden Fäkalien im ökologischen Sinne zur Biogaserzeugung genutzt.

Diese auf Reichtum deutenden Erscheinungen standen im scharfen Kontrast zu dem rückständigen Simao in meiner Erinnerung. Wie war es zu den großen Veränderungen gekommen? Als ich noch darüber nachsann, begegnete ich dem 63-jährigen Dorfbewohner Fang Shunsheng. Einer plötzlichen Eingebung folgend stellte ich ihm einige Fragen, die er gelassen beantwortete.

Frage: Wieviel Angehörige hat Ihre Familie?

Antwort: Sechs, meine Ehefrau und ich, mein Sohn, meine Schwiegertochter und zwei Enkel.

Frage: Wie hoch war das Jahreseinkommen Ihrer Familie im letzten Jahr?

Antwort: 30 000 Yuan. Dafür haben mein Sohn und meine Schwiegertochter 8 Mu (15 Mu = 1 ha) Tee- und Kaffeebäume angeplanzt, 7 Mu Futtermais und 4 Mu Wasserreis angebaut sowie 11 Schweine gehalten. Außerdem haben sie noch 1 Mu Maozhu-Bambus (Phyllostachys pubescens) geplanzt.

Frage: Würden Sie mir erzählen, wie Sie das Geld ausgegeben haben?

Antwort: Kein Problem. Wir haben 3000 Yuan für Düngemittel und 2000 Yuan für Futter bezahlt. Außerdem haben wir 300 Yuan für ärztliche Behandlung, 1000 für den Alltagsbedarf und 400 Yuan Schulgeld für die Kinder ausgegeben. An die weiteren Ausgaben kann ich mich nicht mehr so genau erinnern.

Frage: Wieviel ist übriggeblieben?

Antwort: Ungefähr 10 000 Yuan.

Frage: War die Lage in den anderen Jahren auch so?

Antwort: Nein. Vor 1995 haben wir nur Reis angebaut und damit kein Geld verdient. Das Jahreseinkommen betrug damals nur ungefähr 300 bis 400 Yuan.

In diesem Moment ergänzte der Dorfvorsteher: „Armut und Rückständigkeit waren die Gründe für die frühere gesellschaftliche Instabilität in diesem Gebiet. Unserer Meinung nach sollte man beim Aufbau neuer, sozialistischer Dörfer vor allem die Wirtschaft entwickeln, damit die Bauern reich werden können. Bei uns begann die Leitungsgruppe des Dorfes im Jahre 1996, die Grundansichten über unsere Arbeitsaufgaben zu ändern. Vorher wurde einseitig auf die Getreideproduktion orientiert. Nun beschloss man, natürlich unter Berücksichtigung der vorhandenen intakten Öko-Systeme einen Teil des Hoch- und Strauchwaldes zu erschließen und Nutzpflanzen wie Tee, Kaffee und mehrere Obstbaumarten anzubauen. Dadurch erhöhte sich das Einkommen der Bauern deutlich: Das Pro-Kopf-Einkommen stieg von 800 Yuan im Jahre 1996 auf 2700 Yuan im Jahre 2005. Heute fällt es den jungen Männern aus dem Chashulin-Dorf im Gegensatz zu früher überhaupt nicht mehr schwer, eine Frau zu finden. Die Mädchen wollen auch nicht gern in Familien in einem anderen Gebiet einheiraten. Viele Menschen aus anderen Teilen Chinas, zum Beispiel aus Sichuan oder Guangxi, kommen in unser Dorf, um zu handeln oder sie suchen hier als Wanderarbeiter Beschäftigung. Einige von ihnen haben sogar beantragt, sich für immer hier niederlassen zu dürfen. Das ist ein Zeichen für die Tatsache, dass die Bauern hier zufrieden leben und mit Freude arbeiten. Darum haben wir auch bei der Erneuerung des Dorfes große Fortschritte gemacht.“ Fang Shunsheng nickte lächelnd dazu, um zu verstehen zu geben, dass er mit den Ergänzungen des Dorfvorstehers einverstanden war. Als ich dann inmitten dieses reich gewordenen Dorfes stand und das ausstrahlende Gesicht von Fang Shunsheng sah, war es mir kaum noch möglich, ihn und das ganze Dorf mit den vier Wörtern – schwarz, gelb, bitter und dünn – zu vergleichen. Das Dorf und die Bauern haben wirklich große Veränderungen erlebt!

In den folgenden Tagen besuchten wir noch einige andere Dörfer, darunter soll das Dayingjie-Dorf, ein Vorort der Stadt Yuxi, besonders erwähnt werden. Wenn man das Entwicklungstempo des Chashulin-Dorfes mit der Geschwindigkeit eines Autos vergliche, so müsste man das Entwicklungstempo des Dayingjie-Dorfes mit der eines Flugzeugs vergleichen.

Nach der Befreiung vom Joch des Ackerlandes und der vollständigen Trennung von der traditionellen Landwirtschaft begann für die Bauern in Dörfern wie Dayingjie ein glückliches Leben, das sich kaum noch vom Leben der Stadtbewohner unterscheidet. Darüber waren alle Journalisten, die zusammen mit mir diese Interviews in Yunnan machten, höchst verwundert. Beispielsweise fragte Erin Julia, eine Journalistin aus Kanada, wiederholt: „Ist das wirklich ein Dorf in China? Sind das tatsächlich Bauern?“

Mir fiel aber auch ein, was ein ausländischer Botschafter geschrieben hatte, nachdem er China verlassen hatte: „Chinesische Städte ähneln längst europäischen, aber chinesische Dörfer gleichen denen in Afrika.“ Das ist gewiss übertrieben. In der Tat haben chinesische Städte in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht, obwohl sie, verglichen mit dem Niveau der europäischen, alles in allem noch einen weiten Weg vor sich haben. Was die Entwicklung chinesischer Dörfer betrifft, möchte ich meine Eindrücke so wiedergeben: Erstens sollte man nicht wie ich den Fehler machen, aufgrund alter Erinnerungen Mutmaßungen über die Gegenwart anstellen. Zweitens sollte man sich vor vereinfachenden und verabsolutierenden Aussagen hüten. Man muss genau beobachten und dann analysieren. Tatsächlich sind die Zustände in den chinesischen Dörfern sehr unterschiedlich: einige Dörfer sind noch sehr rückständig, andere haben bereits große Fortschritte in ihrer Entwicklung gemacht. Es gibt auch schon Dörfer, in denen die Urbanisierung so weit fortgeschritten ist, dass sie sich dem Niveau europäischer Dörfer nähern. Aufgrund der Verschiedenheit der örtlichen und regionalen Verhältnisse und der daraus resultierenden Maßnahmen beschreiten die chinesischen Dörfer ganz unterschiedliche Wege zum Wohlstand. Welche dieser Modelle sich als erfolgreich erweisen, wird die Praxis lehren.

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