Alle fünf Jahre hält die Kommunistische Partei Chinas ihren Nationalen Parteitag ab. Dabei wird auch das höchste Gremium, das Zentralkomitee, gewählt. Dieses wiederum tritt zwischen den Parteitagen in der Regel bis zu 7 Plenarsitzungen zusammen. In der vergangenen Woche fand das dritte Plenum statt, das sich traditionell mit Wirtschaftsthemen beschäftigt. Das besondere Gewicht und die internationale Aufmerksamkeit, die das dritte Plenum genießt, rühren von der Zeit her, als enorm wegweisende Veränderungen in der chinesischen Wirtschaft und Gesellschaft in Gang gesetzt wurden. Gemeint ist insbesondere die Entscheidung im Dezember 1978, die Reform- und Öffnungspolitik einzuführen, die es ausländischen Unternehmen ermöglichte, in China tätig zu werden. Auch die dritten Plenarsitzungen 1993 und 2013 gelten als Meilensteine auf dem Weg zu einer Marktwirtschaft chinesischer Prägung. Die Reform der Institutionen und die Formulierung richtungsweisender Beschlüsse sind seither eng mit diesem Ereignis verbunden. Entsprechend hoch waren die Erwartungen an die Tagung in der vergangenen Woche.
Die viertägigen Beratungen des Zentralkomitees fanden nicht öffentlich statt. Anwesend waren 199 Mitglieder und 165 Kandidaten des Zentralkomitees der KP Chinas. Die Ergebnisse wurden zum einen am 18. Juli in Form eines Kommuniqués veröffentlicht, das die Inhalte der Diskussion zusammenfassen soll. Zum anderen wurde am 21. Juli ein Beschluss der dritten Plenartagung bekannt gegeben, in dem detaillierte Informationen zu finden sind. Zudem fand inzwischen eine große Pressekonferenz statt, die sich vor allem an Journalisten und Experten aus aller Welt richtete und dementsprechend stärker mit der ausländischen Wirtschaftswelt assoziiert wird. Im Mittelpunkt des Kommuniqués stehen die Schaffung hochwertiger Instrumente für die chinesische Wirtschaftsentwicklung und eine umfassende Reform im Sinne der nationalen Wiederbelebung Chinas. Es knüpft an viele frühere langfristige Reformvorhaben an, formuliert aber besonders die Bedeutung neuer wissenschaftlicher und technologischer Innovationen und industrieller Transformation. Die Lebensqualität des chinesischen Volkes, die stärkere Verzahnung von ländlicher und städtischer Entwicklung, die noch bessere Einbindung der Bevölkerung in den Gesamtprozess der Volksdemokratie, die Teilhabe an der Schaffung eines schönen Chinas durch Modernisierung sind dabei zentrale Themen. Im Beschlussdokument heißt es, dass durch die "Verbesserung der Lebensqualität der Menschen“ die Einkommensverteilung, die Beschäftigung, die sozialen Sicherungssysteme und die öffentliche Daseinsvorsorge optimiert werden sollen. Durch eine stärkere Betonung von Umwelt und Ökologie soll auch ein „harmonisches Zusammenleben von Mensch und Natur“ verwirklicht werden.
Auf der internationalen Pressekonferenz wurde der versammelten Öffentlichkeit versichert, dass China sich der Welt nicht in irgendeiner Weise verschließt. Und das, obwohl das globale Umfeld für China angesichts der einseitig formulierten Feindseligkeiten und Rivalitäten des Westens, insbesondere der USA, deutlich schwieriger geworden ist. Trotzdem hält China zum Beispiel an der Entscheidung fest, die einseitige 15-tägige visafreie Einreise für Personen aus 15 Ländern mit normalen Reisepässen zu verlängern und eine 72- bzw. 144-stündige visafreie Transitpolitik für Staatsangehörige aus 54 Ländern auf 41 Einreisestellen einzuführen.
Der Vizedirektor des Büros für Finanz- und Wirtschaftsangelegenheiten beim ZK, Han Wenxiu, sagte, man wolle Chinas riesigen Markt der Welt als große Chance anbieten und es für Touristen und Geschäftsreisende sowohl in finanzieller als auch in medizinischer Hinsicht bequemer machen. Mehr als 300 Reformmaßnahmen wurden angekündigt, um die Modernisierung Chinas weiter voranzutreiben. Auch Investitionen in beide Richtungen sollen durch ein besseres Managementsystem vereinfacht werden. Die vorgelegten Zahlen fielen gemischt aus. Auf der positiven Seite wurden im ersten Halbjahr 2024 fast 27.000 neue Unternehmen mit ausländischem Kapital gegründet. Eine Herausforderung sei jedoch, dass die ausländischen Direktinvestitionen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 29 Prozent zurückgegangen seien. Es werde an der Verbesserung des Geschäftsumfeldes und der Marktchancen gearbeitet, um langfristig stabile Bedingungen für ausländische Unternehmen zu schaffen. Dies betreffe beispielsweise die Bereiche Telekommunikation, Bildung, Kultur, Gesundheit und Internetdienste. Aber auch der gleichberechtigte Zugang zu Ressourcen, Lizenzen und der Schutz geistigen Eigentums sollen ausgebaut werden.
Drohnenaufnahme von Lujiazui, Teilgebiet der Pilot-Freihandelszone in Shanghai (Foto: Fang Zhe / Xinhua)
Die epochalen Meilensteine des Reform- und Öffnungsprozesses der Vergangenheit werden mit dem aktuellen Beschluss des dritten Plenums deutlich beschleunigt und wichtige programmatische Punkte gezielt angegangen. So will man sich an internationalen Wirtschafts- und Handelsregeln orientieren, bei Industriesubventionen, Arbeitsschutz und öffentlichem Beschaffungswesen, E-Commerce und Finanzwirtschaft. Man will die Öffnung ausweiten und “Märkte wie unsere Waren-, Dienstleistungs-, Kapital- und Arbeitsmärkte geordnet und noch stärker nach außen öffnen“. Dazu soll ein „noch größeres weltweit ausgerichtetes Netz von Freihandelszonen“ geschaffen werden. Auch der Ausbau von „internationalen Logistikknotenpunkten und Distributionsdrehscheiben“ wird vorangetrieben.
Sowohl der Beschluss als auch die Aussagen der Pressekonferenz sind von enormer Relevanz. Sie sind ein Gradmesser für das weltweite Vertrauen in den weiteren Weg Chinas. Dies gilt sowohl für die nächsten fünf Jahre bis zum 80. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik, darüber hinaus für das mittelfristige Ziel der Schaffung einer sozialistischen Marktwirtschaft mit mittlerem Wohlstand, als auch für das langfristige Ziel, bis 2049 einen in allen Bereichen fortschrittlichen sozialistischen Staat geschaffen zu haben, der sich wiederum optimal mit der Welt austauscht. Die negativen Schlagzeilen im Westen, die man überwiegend als propagandistische Diffamierungen lesen muss, spielen hier eine bedauernswerte Rolle. Ohne zu sehr ins Detail zu gehen, kann man sagen, dass sie die seit Jahrzehnten kursierenden Theorien bedienen, Chinas Wirtschaft würde irgendwann an vermeintlichen inneren Widersprüchen scheitern. Das wirkliche Problem in der Welt ist jedoch der systemische Niedergang des westlichen Neoliberalismus mit seinen schädlichen Sanktionen, seiner Entkoppelung, seiner Desinformation und seinem Militarismus. Umso wichtiger ist es, sich aus erster Hand und aus eigener Erfahrung über China zu informieren.
Das Dritte Plenum bringt nämlich auch einen wichtigen Motor für Fortschritt und Innovation in die Diskussion ein, und zwar die "Innovation und Kreativität der ganzen Nation im Kulturbereich", wie es im Beschluss heißt. Wenn wir also an eine sozialistische Marktwirtschaft chinesischer Prägung denken, dann ist es ein entscheidender Irrtum zu glauben, dass man sich am Ende in allen Bereichen dem westlichen Liberalismus angleichen werde. Ja, moderne Marktelemente sind ein wichtiger Teil davon, denn die inneren Kräfte des wirtschaftlichen Handelns sind für jede Gesellschaft von großem Vorteil, vor allem wenn es um internationalen Austausch geht. Das liegt vollkommen in der Tradition der chinesischen Zivilisation, die über Jahrhunderte nicht nur durch den Austausch zwischen den verschiedenen Gruppen auf dem eurasischen Kontinent geprägt wurde - Stichwort Seidenstraße -, sondern auch durch den maritimen Austausch mit den Zivilisationen Asiens und Afrikas, der die Geschichte Chinas durchzieht.
Vor allem aber wurde auf der dritten Plenarsitzung Innovation im Sinne wissenschaftlicher Tätigkeit als Schlüsselelement für technologische Durchbrüche definiert. Daran sollen sich der Bildungssektor, der Finanzsektor, staatliche Institutionen und innen- wie außenpolitische Entscheidungen ausrichten. Es geht um die Schaffung von "Produktivkräften neuer Qualität". Die Spitzentechnologien und Arbeitskräfte, die die kommenden Jahrzehnte und das sogenannte neue Zeitalter prägen werden, sollen gesamtgesellschaftlich vorangetrieben werden. Heute denken wir vielleicht an blitzschnelle Verkehrssysteme, an die Erschließung neuer Energiesysteme und Rohstoffquellen, zum Beispiel auf dem Mond. Wir denken auch an künstliche Intelligenz, Quantencomputing, Robotik, autonome Mobilität. Aber die Frage ist: Woran denken wir heute noch nicht? Was werden die Durchbrüche physischer und kultureller Art sein, die nicht nur die chinesische Gesellschaft, sondern die Weltgemeinschaft insgesamt friedlich, stabil und wohlhabend werden lassen?
Der Plenarbeschluss drückt es so aus: „Im Bereich der außenpolitischen Arbeit müssen wir unbeirrt unsere unabhängige und selbständige Außenpolitik des Friedens verfolgen, die Menschheit zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammenschließen und die allgemein akzeptierten Werte der Menschheit fortführen. Wir treten für eine gleichberechtigte und geordnete Multipolarisierung der Welt sowie eine allgemein vorteilhafte und noch inklusive wirtschaftliche Globalisierung ein.“ Die Tatsache, dass die Kommunistische Partei Chinas jetzt bewusst die Weichen in Richtung zivilisatorischen Fortschritts stellt und dafür konkrete Planungssysteme und Koordinationsmechanismen schaffen will, verleiht China eine Führungsrolle bei der Gestaltung einer neuen internationalen Entwicklungsarchitektur und eines konstruktiven Dialogs aller Kulturen.
*Stephan Ossenkopp ist Senior Researcher am Schiller Institute Berlin und Senior Copy-Editor am China Institute of International Studies in Beijng.
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