Skulpturengrotten
in Dazu

Von Zhang Jiaqi
Im Altertum Chinas entstanden viele meisterhafte
Skulpturengrotten. Die bekanntesten davon sind die Tausend-Buddha-Grotten
bei Dunhuang in der Provinz Gansu, die Longmen-Grotten bei
Luoyang in der Provinz Henan und die Yungang-Grotten bei Datong
in der Provinz Shanxi. Die Skulpturengrotten im Kreis Dazu
dagegen in einem bergigen Gebiet, 16 Kilometer nordwestlich
der Stadt Chongqing, blieben relativ unbekannt. Ende des 9.
Jahrhunderts, das heißt gegen Ende der Tang-Dynastie,
war in Dazu damit begonnen worden, aus Felsen Skulpturen zu
meißeln. Im 13. Jahrhundert, Ende der Song-Dynastie,
gab es dort schließlich bereits mehr als 40 Plätze
mit über 50 000 Skulpturen. Die meisten und auch die wertvollsten
davon befinden sich in den Grotten des Nord-Bergs und des
„Schatzgipfel“-Bergs. Beide Grotten unterstehen dem staatlichen
Denkmalschutz.
Der
Nord-Berg, auch „Drachenhügel“-Berg genannt, befindet sich
zwei Kilometer von der Kreisstadt Dazu entfernt. Ende der
Tang-Dynastie hatte ein General dort eine Festung für das
Lagern von Waffen und Getreide bauen und aus Felsen Buddhastatuen
meißeln lassen. Hier und ringsum in diesem Gebiet kamen
auf Befehl reicher Leute weitere hinzu. Bis auf den heutigen
Tag haben ungefähr zehntausend die Zeiten überdauert.
Der wichtigste Bestandteil am Nord-Berg ist die einviertel
Kilometer lange „Buddha-Schlucht“ mit 290 Nischen, von denen
jede verschiedene Figuren beherbergt. Die Nischen Nr. 3, 5,
9 und 10 sind typisch für die späte Tang-Dynastie. Die
Figuren wirken würdevoll und sind wohlgeformt. Ihre Kleidung
ist schlicht. Sie sind in fließenden und schwungvollen
Linien ausgeführt. Der mittlere Teil der „Buddha-Schlucht“
enthält hervorragende Skulpturen aus der Song-Dynastie
(960-1279). Sie zeichnen sich durch ihre meisterhafte Komposition
und ihre klare und ruhige Linienführung aus. Die hervorragendste
Stelle am Nord-Berg ist die Nische Nr. 136. Sie stammt aus
der Zeit der Song-Dynastie, ist 6,70 Meter tief, 4 Meter hoch
und 4,20 Meter breit. In ihrem Zentrum steht etwas, was auf
den ersten Blick eine Säule zu sein scheint. Sie reicht
bis zur Höhlendecke und unterteilt sich in acht kleine
Säulen. Auf halber Höhe bildet sie eine Art von
Fahrkorb mit Pavillon- und Tempelverzierungen. Der untere
Teil zeigt einen Drachen. Wie kürzliche Untersuchungen ergaben,
war der Teil, der eine Stützsäule zu sein scheint, beweglich.
Die Wände der Nische sind mit mehr als 20 Skulpturen
von Bodhisattwas und Gläubigen bedeckt. Der Bodhisattwa
Samantabhadra wirkt wie eine Jadesschnitzerei. Sein Gesicht
ist voll und zart, Augen und Augenbrauen sind fein geformt,
und sein Körper ist wohlgerundet. Die Guanyin-Statue
(buddhistische Göttin der Barmherzigkeit) in der 125.
Nische ist ein weiteres meisterhaftes Kunstwerk. Es ist das
Porträt einer anmutigen Frau mit einem etwas verschämten,
gewinnenden Lächeln. Sie hält die Hände vor
der Brust gefaltet; ihre Kleider flattern im Wind.
Die
Nische Nr. 245 aus der Zeit der Tang-Dynastie ist 4,30 Meter
hoch und 2,60 Meter breit. Sie enthält tausend Figuren
aus buddhistischen Erzählungen, Musiker, Pavillons, Pagoden
und Tempel sowie phantasievoll gestaltete himmlische Kreaturen:
in den Wolken fliegende Feen, hüpfende Sperlinge, Drachen
und Schlangen, die Karren ziehen und Phönixe beim Bootrudern.
Der „Schatzgipfel“-Berg liegt 15 km von
der Kreisstadt Dazu entfernt. Im Verlauf von 70 Jahren, von
1179 bis 1249, entstanden hier 13 Grotten mit mehr als zehntausend
Skulpturen. Der größte und am besten erhaltene
der 15 Plätze dort ist die „Große Buddha-Schlucht“.
Im
Gegensatz zum Nord-Berg, wo die Skulpturen mehr oder weniger
zufällig geschaffen wurden, war die „Große Buddha-Schlucht“
das Ergebnis eines wohldurchdachten Plans. Man fertigte zuerst
Miniatur-Skulpturen an, bevor man in der „Großen-Buddha-Schlucht“
zu arbeiten begann. Die pferdehufförmige „Große-Buddha-Schlucht“
ist zwischen 4 und 14 Meter hoch und 500 Meter lang. Es gibt
insgesamt 31 Gruppen imponierender Skulpturen, 24 Inschriften
mit Legenden, die sich darauf beziehen, und zwei Steinstupas.
Die Bildhauer im Altertum Chinas bewiesen
ihr hervorragendes Können auch dadurch, dass sie die
natürlichen Gegebenheiten zu nutzen wußten. Beim Schaffen
dieser Reliefs mußten die Mechanik, der natürliche Lichteinfall
und die Perspektive in Rechnung gestellt werden. Die drei
7 Meter hohen Bodhisattwas, die erstaunlich unversehrt die
Zeiten überdauert haben, sind ein Beispiel dafür. Jeder trägt
in seinen einen halben Meter vom Körper weggestreckten
Händen eine 500 Kilogramm schwere Pagode. Diese Pagoden
werden durch nichts anderes getragen als durch einen Teil
des Gewandes, der lose über die Arme drapiert ist. Diese Reliefs
sind nicht senkrecht gegen eine gerade Wand herausgemeißelt,
sondern neigen sich etwas nach vorn, so wurde die Verzerrung
vermindert, die entsteht, wenn man von unten her zu den Figuren
aussieht. Die anderen Reliefs neigen sich ebenfalls nach vorn,
und zwar in einem Winkel, der der Höhe der Felswände
entspricht.
Die „Höhle des vollständigen Erwachsens“
ist 9 Meter breit, 12 Meter tief und 6 Meter hoch. In die
Stirnwand der Grotte und in die Seitenwände wurden 16
elegant gekleidete Gestalten mit Kronen mit durchbrochenen
Verzierungen und seidenähnlichen Gürteln gemeißelt.
Ihre Kleidung ist so geschickt gemeißelt, dass man glaubt,
das Gewebe fühlen zu können. In dieser Grotte findet
sich auch ein riesiger schlafender Buddha. Nur sein Oberkörper
ist sichtbar, und der ist 5,5 Meter hoch und 31 Meter lang.
Dies erweckt beim Besucher die Vorstellung, dass der Buddha
unendlich lang sei. Die übrigen Teile der Grottenwände
sind mit Tempeln, Pavillons, Bäumen, Bergen, Flüssen,
Wolken, Blumen und Unsterblichen bedeckt. Da das Licht, das
vom Eingang hereinkommt, nicht ausreicht, wurde über dem Tor
ein riesiges Fenster geschaffen. Dadurch wird nun jeder Winkel
beleuchtet, und die Konturen der Skulpturen werden so hervorgehoben,
dass die Statuen beinahe dreidimensional wirken.
Nennenswert ist auch der Abfluss für das
Regenwasser. Wenn es regnet, hört man Wasser rieseln,
sieht aber keine Leitungsröhren. Aber wenn man die Grotte
überprüft, entdeckt man, dass hinter den Wolken, Zweigen und
Pagoden der Deckenverzierungen ein vollständiges Wasserableitungssystem
liegt. Das Regenwasser gelangt in eine große Schale
auf dem Kopf einer Teufelsfigur und wird dann durch einen
unterirdischen Kanal abgeleitet.
Manche Bildhauer brachen mit der Gewohnheit,
nur religiöse Themen darzustellen, und schufen Figuren
aus dem Alltagsleben.
Ein Relief mit zehn Hirtenknaben und ihren
Ochsen beschreibt das Leben auf dem Lande: Die Ochsen schlafen
im Schatten eines Baumes, trinken an einer Bergquelle; ein
Hirtenknabe tanzt, und ein anderer führt Ochsen auf einen
Berg.
Elf Reliefgruppen, denen man den Titel „Elternliebe“
gegeben hat, zeigen ein Ehepaar, das Buddha um einen Sohn
bittet, dann ist die Frau schwanger, das Kind ist geboren,
wird gestillt, gewachsen, spielt auf dem Schoß der Mutter,
und schließlich nehmen die Eltern vom Sohn Abschied,
der sich zu einem weit entfernten Ort begibt. Ein anderes
Relief zeigt eine Bäuerin, die offensichtlich mit ihren
Küken zufrieden, am frühen Morgen ihren Hühnerkorb öffnet.
1979 stellte die Regierung 60 000 Yuan zur
Verfügung für die Renovierung der Grotten in Dazu und für
den Bau von Straßen, die die Grotten miteinander verbinden
sollen, sowie für eine Straße, die von Chongqing dorthin
führt. So ist es nun möglich, in einem Tagesausflug von
Chongqing aus die Skulpturengrotten in Dazu zu besichtigen.
Aus „China im Aufbau“, Nr.
6, 1981