Oktober 2003
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Gesellschaft

Im Gedenken an Gertrude Du-Wagner
Zerbrechliche Männer unter starkem Leistungsdruck
Schwanger in Beijing

Schwanger in Beijing

Von Katharina Schneider-Roos

Empfangen habe ich „es“ am 21. April 2003. Warum ich das so genau weiß: Mein Mann flog am nächsten Tag nach Hause. Das heißt, dieses Kind wird nicht nur in Beijing geboren, sondern es wurde auch hier gezeugt.

Aus dem obigen Datum können Sie erkennen, dass ich jetzt im 6. Monat bin. Laut westlicher Rechnung dauert eine Schwangerschaft bekanntlich 9 Monate, nach chinesischer 10 Mondmonate, was mich anfangs etwas verwirrte. Eigentlich spricht man im Westen aber auch von 40 Wochen, was ja nun wirklich nicht 9 Monate ergibt. Doch das sollte nur der Anfang meiner Verwirrungen sein.

Nach Bekanntgabe meiner Schwangerschaft bei chinesischen und westlichen Freunden trafen gleich die ersten Ratschläge ein. Großer Beliebtheit erfreute sich: „Lass dir nicht zu viele Ratschläge geben!“, worauf in der Regel eine Reihe eben dieser folgten, wie z. B.: „Geh nicht in dieses Krankenhaus, sondern in jenes!“ Oder genau umgekehrt von der nächsten Person: „Geh in jenes Krankenhaus und nicht in dieses!“ Jede hatte Geschichten von Freundesfreunden zu bieten, die die furchtbarsten Katastrophen erlebt hatten. Chinesische Freunde tendierten mehr dazu, mir Ernährungs- und Bewegungstipps zu geben. Das Essen sollte nicht zu scharf sein und keine Meeresfrüchte und Ingwer enthalten. Wenn ich dann zu scharfes Essen vermied, wurde das von den anderen Tischgästen als Blödsinn abgetan. Ich sollte doch mehr Suppe trinken (in China „trinkt“ man Suppe, man isst sie nicht), besonders mit schwarzen Hühnern. Nun versuche ich, mich möglichst ausgewogen zu ernähren. Wenigstens das finden alle richtig.

Einig sind sich Osten und Westen auch darin, dass ein schwangerer Bauch zur allgemeinen Betastung freigegeben ist. Ich hätte mir nie gedacht, dass mir meine Freunde und auch Kellnerinnen im Restaurant einmal auf den Bauch tätscheln, darüberstreichen oder ihn sonst berühren würden – eine unvergessliche Erfahrung.

Aus all den Ratschlägen heraus erhielt ich den Eindruck, dass man sich nach chinesischem Verständnis während der Schwangerschaft am besten gar nicht bewegt und beim Gehen vom Ehemann gestützt werden soll. Meinem Bewegungsdrang komme ich trotzdem nach. Ich schwimme drei Mal die Woche – nach westlicher Lehrmeinung die beste Aktivität, der man auch bis zum Ende der Schwangerschaft nachgehen soll. Natürlich halte ich Maß, und doch habe ich deswegen schon Kopfschütteln geerntet. Vom Schwimmen, warnten mich meine chinesischen Freunde, und vor allem vom „Wind“, den man dabei abbekommt, kann man unergründliche Leiden davontragen, die sich aber erst im Alter zeigen. Vor dem „Wind“ (in etwa: Durchzug, Kälte) muss man sich bis zum „Yuezi“, dem ersten Monat nach der Geburt, in Acht nehmen. „Zuo Yuezi“ würde man mit „Wochenbett“ übersetzen, was aber nicht den vollen Bedeutungsgehalt wiedergibt. Im ersten Monat nach der Geburt darf die chinesische Wöchnerin ihre Wohnung nicht verlassen, sich nicht waschen und sich vor allem keinem „Wind“ aussetzen. Meine persönliche Erklärung ist, dass dieser Brauch seine Wurzeln in Zeiten und Orten hat, in denen schwierige Lebensbedingungen herrschten. In den heutigen Städten, wo es 24 Stunden Heizung und heißes Wasser gibt, wird er sich mit der Zeit vielleicht auflockern. Ich denke, dass sich westliche Frauen in den ersten Wochen nach der Geburt auch nach Möglichkeit schonen, aber ein wenig frische Luft bekommen Mutter und Kind schon ab.

Und nun zur scheinbar wichtigsten Frage für chinesische Schwangere: Junge oder Mädchen? Zur Klärung dieser Frage gibt es verschiedene Analysemethoden: War der Schwangeren in den ersten drei Monaten unwohl, hat sie ungewollt Nahrung von sich gegeben? Dann ist es ein Junge. Ich hatte all meine Nahrung bei mir behalten, was auf ein Mädchen schließen ließ. Hat die Schwangere vermehrt saure oder vermehrt scharfe Nahrung zu sich genommen? Ist der Bauch spitz oder rund? Mein Vater bot im Scherz eine österreichische Variante: Wachsen vor dem Haus viele Walnüsse? Dann wird es ein Junge.

Wir verdarben das Spiel und ließen uns das Geschlecht des Kindes auf dem Monitor des Ultraschallgeräts zeigen, was chinesischen Eltern verboten ist, da in Gebieten, die stark der Tradition verhaftet sind, Mädchen als minderwertiger Nachwuchs gelten und in mehreren Fällen abgetrieben wurden. Es war unverkennbar ein Junge. Die untersuchende Ärztin hielt den Vater deswegen für besonders glücklich und überreichte ihm ein Ultraschallbild mit dem für sein Geschlecht charakteristischen Körperteil. Der Vater war eindeutig glücklich, aber darüber, dass er sein Kind sah und es gesund zu sein schien, nicht weil es seinem Geschlecht angehörte. Die Reaktionen der chinesischen Freunde waren unterschiedlich. Die einen gratulierten zum „runden Söhnchen“, im Sinn von „Glück gehabt!“. Die anderen, aufgeschlosseneren machten uns beinahe Vorwürfe, da sie dachten, wir hätten die Untersuchung nur wegen der frühestmöglichen Erkennung des Geschlechts durchführen lassen. Wir waren nur froh, dass sich nun die deutsche Namenssuche ein wenig eingeschränkt hatte. Die chinesische Namenssuche überlassen wir ohnehin einem chinesischen Arzt, der nach jahrhundertelang tradierten Methoden den passendsten und glückbringendsten Namen ermitteln wird. Er steht mir auch bei Fragen bei, die im westlichen Krankenhaus nicht besprochen werden, wie z. B. die Balance meines Magen-Qis. Seine Mutter war eine berühmte Dorfhebamme und ich freue mich schon auf die praktischen Hinweise zur Pflege des Neugeborenen. Was das angeht, verlasse ich mich auch auf meine Mutter, die mir bei der Geburt und einen Monat danach zur Seite stehen wird. Dies wiederum dürfte im Westen wie im Osten üblich sein.

Die Wahl des Krankenhauses fiel auf ein amerikanisches, das immens teuer ist, dessen Kosten aber von meiner Versicherung gedeckt werden. Zwei chinesische Krankenhäuser, die von gleicher Qualität und möglicherweise sogar besser ausgestattet sind, wären auch in Frage gekommen, doch wollte ich in dieser sensiblen Situation nicht mit kulturellen Unterschieden und sprachlichen Verwirrungen zu kämpfen haben. Gerüchten zufolge (es soll auch Statistiken geben) ist außerdem die Kaiserschnittrate in chinesischen Spitälern um einiges höher als im Westen, und die Männer sind bei der Geburt unerwünscht. Da mein Mann und ich dieses Erlebnis aber gemeinsam bestehen wollen, kam es nicht in Frage, dass er in den wichtigsten Minuten (oder eher Stunden) hinausgeschickt wird.

Nun hoffen wir, dass die nächsten Monate auch so gut wie die ersten sechs verlaufen. Nach der Geburt müssen wir uns wohl für eine Staatsbürgerschaft entscheiden – mein Mann und ich haben zusammen drei, zur Wahl steht allenfalls, aufgrund des Geburtsorts, auch die chinesische. Wir gehen nach dem Motto vor „Je mehr, desto besser“.

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