Oktober 2003
Ihre Position: Homepage >

Gesellschaft

Im Gedenken an Gertrude Du-Wagner
Zerbrechliche Männer unter starkem Leistungsdruck
Schwanger in Beijing

Zerbrechliche Männer unter starkem Leistungsdruck

Von Hua Zi

Wenn der 36-jährige Zhang Yubin sein Unternehmen beschreibt, sagt er, in seinem Arbeitszimmer in einem Bürogebäude mit moderner Innengestaltung sitzend, er habe das Gefühl, als ob er ständig zu enge Schuhe trage. „Jetzt habe ich mehr Geld als früher, aber weniger Haare. Am meisten leide ich darunter, dass ich total erschöpft bin.“

Zhang hat Bauingenieur studiert. 1996 gab er den Wunsch auf, ein großer Architekt zu werden, und verließ die Akademie für Architektur-Design. Er eröffnete dann sein eigenes Architekturbüro, um Geld zu verdienen. „Ich war zum Schluss gekommen, dass man ohne Geld nichts machen kann, schon gar nicht das Leben genießen.“

Seine Frau gab ihre Stelle bei einer ausländischen Firma auf, um sich um die Familie zu kümmern. Dies setzte ihn noch mehr unter Druck. „Meistens würde ich für meine geliebte Frau alles in meiner Macht Stehende tun. Aber in der Anfangsphase, wenn man Kapital akkumuliert, steht man unter zunehmendem Druck. Als Mann trage ich ja unser beider Hoffnungen.“

2002 wendete sich endlich alles zum Guten für Zhangs Firma. Er kam in den Besitz eines Bürogebäudes und einer Villa. Bald darauf musste er allerdings feststellen, dass er doch wieder in einen Teufelskreis geraten war. „Ich kann nicht mehr aufhören. Selbst beim Verlust eines kleinen Auftrags habe ich Schuldgefühle. Denn jetzt hat meine Firma 50 Beschäftigte. Ich möchte ihnen das Gefühl geben, dass es sich lohnt, mir zu folgen. Dafür aber muss ich mit vollem Einsatz arbeiten.“

„Ich habe mein Familienleben völlig aufgegeben. Der Familie gegenüber habe ich ebenfalls Schuldgefühle. Ich habe beim besten Willen keine Zeit, die Freuden des Familienlebens zu genießen.“

Zhangs Befürchtung läuft darauf hinaus, dass es ihm in seinem restlichen Leben weiter so ergeht. „Mein Leben sieht aus wie eine Szene aus Chaplins Film Modern Times: Man ist an einer Dampfmaschine befestigt und bearbeitet an einer Drehbank in einem Mordstempo Schrauben und Muttern. Die Lust ist weitgehend aus meinem Leben verschwunden. Nicht nur ich, sondern auch die ganze Gesellschaft hat sich verändert. In dieser Gesellschaft neigt man dazu, Dinge an einem materiellen Maßstab zu messen. Mag sein, dass messbare Größen gesteigert wurden, aber die Lebensqualität ist gesunken.“ Allerdings hat Zhang Glück, denn schließlich hat er Erfahrungen mit dem Erfolg gemacht, auch wenn er einen hohen Preis dafür zahlen musste. 

Im Zuge der raschen gesellschaftlichen Entwicklung werden fher nie gekannte Anforderungen an die Männer und ihre beruflichen Leistungen gestellt. Mit der Erhöhung der gesellschaftlichen Stellung der Frauen sind außerdem Fragen, die früher in der traditionellen Gesellschaft vernachlässigt wurden, heute in den Vordergrund gerückt: Ein Mann soll der Gefühlswelt seiner Frau mehr Aufmerksamkeit schenken, das eigene Image beachten, das Leben zu genießen verstehen und sich an der Haushaltsarbeit beteiligen. Nicht nur Reichtum, auch Lebenslust bildet in den modernen chinesischen Städten ein Beurteilungskriterium für Männer. So haben sie eine doppelte Bürde zu tragen.

Während manche Männer in der drastisch veränderten Gesellschaft mit Leid und Freude wie Herr Zhang durchhalten, sehen sich andere an den Rand der Gesellschaft gedrängt oder sind bereits ausgeschlossen. Bei diesen handelt es sich meistens um Männer über 40.

Der sonst kerngesunde Dong Yunlu wurde eines Tages wegen eines akuten Herzleidens ins Krankenhaus eingeliefert. Dong ist als Angestellter in der Logistikabteilung einer staatlichen Außenhandelsfirma in Beijing tätig. Seine Arbeit umfasst die Auslieferung und Entgegennahme von Waren und erfordert viel körperliche Kraft und eine gute Arbeitsmoral. Aber in letzter Zeit hat er zweimal Waren an die falsche Adresse geliefert. Die Firmenleitung hat ihm klar gemacht, dass er von seiner Arbeitsstelle entfernt werde, wenn er den Fehler noch einmal wiederhole. Dong ist verzweifelt, denn er weiß nicht, wie er ohne Abreit sein restliches Leben verbringen soll. Er besitzt nur einen Mittelschulabschluss. Früher gab er sich damit zufrieden, einen mageren Lohn, aber dafür eine feste Arbeitsstelle zu haben. Doch jetzt geht es mit der Firma immer weiter bergab. Viele Kollegen haben die Stelle gewechselt, ohne Hochschulausbildung hat Dong jedoch keine andere Wahl, als bei der Firma zu bleiben. Der Lohn ist dürftig. „Ich bereue es sehr, dass ich keinen Weitblick hatte und viel zu faul war, um ein Hochschulstudium aufzunehmen.“ Dong Yunlus Frau ist Buchhalterin und verdient doppelt soviel wie er. Sie vergleicht ihren Mann jeden Tag mit den Managern, die einen Hochschulabschluss und eine gute Stellung haben und viel Geld verdienen. Neben ihnen scheint er eine Niete zu sein. In den Augen seiner Frau hat Dong nicht das geringste Potential für eine Weiterentwicklung, zudem fehlt es ihm an einem Sinn für Romantik. Hier nahm der Familienkrieg seinen Anfang. Dong klagt jämmerlich: „Was ist los? Es wird immer schwerer, die Frauen von heute zufrieden zu stellen. Habe ich nicht jeden Tag all meine Kraft für die Familie eingesetzt? Und doch verachtet mich meine Frau so sehr!“ Derart aus der Bahn geworfen, fällt es ihm schwer, sich bei der Arbeit zu konzentrieren – mit der Folge, dass er Fehler begeht und beinahe seine Arbeitsstelle verloren hätte.

Dongs Altersgenossen wurden meistens in eine unbemittelte Familie hineingeboren. Als sie in die Schule gingen, wütete gerade die „Kulturrevolution“. Mangels einer systematischen Ausbildung fehlen ihnen ausreichende Fertigkeiten, um den neuen Anforderungen, die der gesellschaftliche Wandel mit sich bringt, gerecht zu werden.

Neben dieser „angeborenen“ Schwäche haben sie heute oft ein Gefühl des Verlorenseins. Ein Soziologe sagt, dass die Gesellschaft heute eine Verschiebung der Wertvorstellungen erlebt. Während bis vor kurzem die Menschen älterer Generationen für ihre Erfahrungen verehrt wurden, hält man heute die Fähigkeit jüngerer Menschen, neues Wissen aufzunehmen, hoch. Die Welt gehört ja der jüngeren Generation. „Nicht nur meine Frau lässt mich sitzen, ich fühle mich von der ganzen Gesellschaft im Stich gelassen“, sagte der deprimierte Dong. Als Folge davon leidet er an der unter Männern am meisten gefürchteten Krankheit, nämlich an einer Geschlechtstriebstörung. Manchmal träumt Dong vom bäuerlichen Leben in alten Zeiten. „Damals war es anders als heute, man sprach nicht jeden Tag über Geld und Arbeit. Die Frauen bereiteten das Essen zu und warteten auf ihre Männer. Aber heute bin ich es, der kochen und arbeiten muss.“

Anfang 2003 startete das Komitee für Sexualforschung in der chinesischen Medizin der Chinesischen Vereinigung für Sexualwissenschaft mit sieben weiteren Institutionen aus dem Festland, Hong Kong, Macao und Taiwan eine landesweite Untersuchung über die Lebensqualität der Männer. Dies ist ein Zeichen dafür, dass China in eine Phase eintritt, in der man sich nicht nur um die Frauen kümmert, sondern auch um die Männer.

Diese groß angelegte Untersuchung berührt ein breites Spektrum von Fragen um das Sexualleben der Männer. Außerdem umfasst sie auch Fragen zur körperlichen Schädigung durch Beruf und Alterung unter den Männern. Den Hauptbestandteil der Studie bilden Fragen über den Gesundheitszustand und die Lebensqualität. Es scheint ein deutlicher Trend zu sein, dass die chinesischen Männer mit der Erhöhung des materiellen Lebensstandards immer schwächer werden. Ihr Gesundheitszustand ist besorgniserregend. Die Umweltverschmutzung, der Leistungsdruck im Beruf, die Belastung in der Familie und ungesunde Lebensgewohnheiten führen dazu, dass die Lebensqualität der Männer von Jahr zu Jahr sinkt. Durch diese Untersuchung will man sich umfassend über die Lebensverhältnisse der chinesischen Männer informieren und eine diesbezügliche Bestandesaufnahme erstellen, um später effektive Maßnahmen zur Steigerung der Lebensqualität der Männer treffen zu können.

Experten betonen, dass die Qualität des Sexuallebens einen wichtigen Platz in der Lebensqualität der Männer einnimmt. Lange Zeit wurde diese Frage in China tabuisiert, so dass auf diesem Gebiet nur sehr spärliche Erhebungen vorliegen. In- und ausländische Experten äußerten ihre Besorgnis um die Lebensqualität der chinesischen Männer und gaben bereits ein Warnsignal. Sie wiesen darauf hin, dass in China nach offiziellen Angaben 147 Mio. Männer an Impotenz leiden – wegen der Tabuisierung des Themas ist allerdings anzunehmen, dass die tatsächliche Zahl weit höher liegt.

Seit dem Jahr 2000 gibt es in 16 Städten Chinas, darunter Beijing, Shanghai, Guangzhou und Xi’an, einen Gesundheitsdienst für Männer, und der 28. Oktober wurde zum „Tag der Gesundheit der Männer“ erklärt. Diese Aktivitäten finden bei der männlichen Bevölkerung breite Unterstützung. Millionen nehmen daran teil.

Chen Shengli, Abteilungsleiter bei der Staatlichen Kommission für Familienplanung, weist darauf hin, dass Gesundheit nicht nur den Körper betrifft, sondern auch psychologisches Wohlbefinden und gesellschaftliche Belastbarkeit umfasst. Eine intakte Fortpflanzungsfähigkeit der Männer und ein richtige Bewusstsein davon seien für die Erhöhung der Qualität der Bevölkerung von großer Bedeutung.

Um die Betreuung möglichst individuell zu gestalten, beantworten die Mediziner aufgrund langfristiger Untersuchungen spezifische Fragen in Seminaren und Broschüren, und einzelne Männer können sich bei den medizinischen Dienststellen gemäß ihren eigenen Bedürfnissen beraten lassen.

Fu Shihua, Vizegeneralsekretär des Vereins für die Förderung der Bevölkerungsqualität, sagt: „Der Staat schenkt der Gesundheit der einzelnen Bürger immer mehr Beachtung und verteilt an Ehepaare Ratgeber für ein glückliches Eheleben. Durch diesen Dienst soll die Lebensqualität erhöht werden.“

In Beijing und anderen Städten wurden Kliniken für Männer eingerichtet, die ihnen physiologische und psychologische Beratung anbieten.

Viele Männer haben angefangen, ihren Lebensrhythmus zu verlangsamen, um ihre Lebensfreude wiederzufinden.

Herr Xu, Arzt an der Psychologischen Abteilung des Krankenhauses Tongren, rät verheirateten Frauen, Kleinigkeiten im Alltagsleben ihrer Männer zu beachten. Wenn sich z. B. etwas an ihrer Gewohnheit des Stuhlgangs ändert, sollten sie nach Anzeichen suchen, ob die Männer an Verstopfung oder Hämorrhoiden leiden. In diesem Fall sollten sie ihren Männern raten, mehr Obst und Gemüse zu essen und mehr Wasser zu trinken. Wenn die Männer in der Nacht öfter eine kleine Notdurft verrichten, dann könnte Prostatitis vorliegen. Denn 80% der Männer sind von dieser Krankheit betroffen. Und für Männer ist die Wahrscheinlichkeit, an Prostatakrebs zu erkranken, gleich groß wie für Frauen die Wahrscheinlichkeit, Milchdrüsenkrebs zu bekommen. Die Frauen sollten außerdem über ungewöhnliche Blutdruckwerte und Flecken am Körper nicht hinwegsehen.

All das kommt zwar etwas spät, ist aber nichtsdestotrotz eine frohe Botschaft für die Männer. 

-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+--+-+-+-+--+-+-+--+-
Zurück