Zerbrechliche
Männer unter starkem Leistungsdruck
Von Hua Zi
Wenn
der 36-jährige Zhang Yubin sein Unternehmen beschreibt,
sagt er, in seinem Arbeitszimmer in einem Bürogebäude
mit moderner Innengestaltung sitzend, er habe das Gefühl,
als ob er ständig zu enge Schuhe trage. „Jetzt habe
ich mehr Geld als früher, aber weniger Haare. Am meisten
leide ich darunter, dass ich total erschöpft bin.“
Zhang
hat Bauingenieur studiert. 1996 gab er den Wunsch auf, ein
großer Architekt zu werden, und verließ die
Akademie für
Architektur-Design. Er eröffnete dann sein eigenes
Architekturbüro,
um Geld zu verdienen. „Ich war zum Schluss gekommen, dass
man ohne Geld nichts machen kann, schon gar nicht das Leben
genießen.“
Seine
Frau gab ihre Stelle bei einer ausländischen Firma
auf, um sich um die Familie zu kümmern.
Dies setzte ihn noch mehr unter Druck. „Meistens würde ich
für meine geliebte Frau alles in meiner Macht Stehende tun.
Aber in der Anfangsphase, wenn man Kapital akkumuliert,
steht man unter zunehmendem Druck. Als Mann trage ich ja
unser beider Hoffnungen.“
2002
wendete sich endlich alles zum Guten für Zhangs Firma. Er
kam in den Besitz eines Bürogebäudes
und einer Villa. Bald darauf musste er allerdings feststellen,
dass er doch wieder in einen Teufelskreis geraten war. „Ich
kann nicht mehr aufhören. Selbst beim Verlust eines
kleinen Auftrags habe ich Schuldgefühle.
Denn jetzt hat meine Firma 50 Beschäftigte. Ich möchte
ihnen das Gefühl geben, dass es sich lohnt, mir zu folgen.
Dafür aber muss ich mit vollem Einsatz arbeiten.“
„Ich
habe mein Familienleben völlig aufgegeben. Der Familie
gegenüber habe ich ebenfalls Schuldgefühle.
Ich habe beim besten Willen keine Zeit, die Freuden des
Familienlebens zu genießen.“
Zhangs
Befürchtung
läuft darauf hinaus, dass es ihm in seinem restlichen
Leben weiter so ergeht. „Mein Leben sieht aus wie eine Szene
aus Chaplins Film Modern Times: Man ist an einer
Dampfmaschine befestigt und bearbeitet an einer Drehbank
in einem Mordstempo Schrauben und Muttern. Die Lust ist
weitgehend aus meinem Leben verschwunden. Nicht nur ich,
sondern auch die ganze Gesellschaft hat sich verändert.
In dieser Gesellschaft neigt man dazu, Dinge an einem materiellen
Maßstab zu messen. Mag sein, dass messbare Größen
gesteigert wurden, aber die Lebensqualität ist gesunken.“
Allerdings hat Zhang Glück,
denn schließlich hat er Erfahrungen mit dem Erfolg
gemacht, auch wenn er einen hohen Preis dafür
zahlen musste.
Im
Zuge der raschen gesellschaftlichen Entwicklung werden früher
nie gekannte Anforderungen an die Männer und ihre beruflichen
Leistungen gestellt. Mit der Erhöhung der gesellschaftlichen
Stellung der Frauen sind außerdem Fragen, die früher
in der traditionellen Gesellschaft vernachlässigt wurden,
heute in den Vordergrund gerückt: Ein Mann soll der Gefühlswelt
seiner Frau mehr Aufmerksamkeit schenken, das eigene Image
beachten, das Leben zu genießen verstehen und sich
an der Haushaltsarbeit beteiligen. Nicht nur Reichtum, auch
Lebenslust bildet in den modernen chinesischen Städten
ein Beurteilungskriterium für Männer. So haben sie
eine doppelte Bürde
zu tragen.
Während
manche Männer in der drastisch veränderten Gesellschaft
mit Leid und Freude wie Herr Zhang durchhalten, sehen sich
andere an den Rand der Gesellschaft gedrängt oder sind
bereits ausgeschlossen. Bei diesen handelt es sich meistens
um Männer über
40.
Der
sonst kerngesunde Dong Yunlu wurde eines Tages wegen eines
akuten Herzleidens ins Krankenhaus eingeliefert. Dong ist
als Angestellter in der Logistikabteilung einer staatlichen
Außenhandelsfirma in Beijing tätig. Seine Arbeit
umfasst die Auslieferung und Entgegennahme von Waren und
erfordert viel körperliche Kraft und eine gute Arbeitsmoral.
Aber in letzter Zeit hat er zweimal Waren an die falsche
Adresse geliefert. Die Firmenleitung hat ihm klar gemacht,
dass er von seiner Arbeitsstelle entfernt werde, wenn er
den Fehler noch einmal wiederhole. Dong ist verzweifelt,
denn er weiß nicht, wie er ohne Abreit sein restliches
Leben verbringen soll. Er besitzt nur einen Mittelschulabschluss.
Früher gab er sich damit zufrieden, einen mageren Lohn, aber dafür
eine feste Arbeitsstelle zu haben. Doch jetzt geht es mit
der Firma immer weiter bergab. Viele Kollegen haben die
Stelle gewechselt, ohne Hochschulausbildung hat Dong jedoch
keine andere Wahl, als bei der Firma zu bleiben. Der Lohn
ist dürftig.
„Ich bereue es sehr, dass ich keinen Weitblick hatte und
viel zu faul war, um ein Hochschulstudium aufzunehmen.“
Dong Yunlus Frau ist Buchhalterin und verdient doppelt soviel
wie er. Sie vergleicht ihren Mann jeden Tag mit den Managern,
die einen Hochschulabschluss und eine gute Stellung haben
und viel Geld verdienen. Neben ihnen scheint er eine Niete
zu sein. In den Augen seiner Frau hat Dong nicht das geringste
Potential für eine Weiterentwicklung, zudem fehlt es ihm
an einem Sinn für Romantik. Hier nahm der Familienkrieg
seinen Anfang. Dong klagt jämmerlich: „Was ist los?
Es wird immer schwerer, die Frauen von heute zufrieden zu
stellen. Habe ich nicht jeden Tag all meine Kraft für
die Familie eingesetzt? Und doch verachtet mich meine Frau
so sehr!“ Derart aus der Bahn geworfen, fällt es ihm
schwer, sich bei der Arbeit zu konzentrieren – mit der Folge,
dass er Fehler begeht und beinahe seine Arbeitsstelle verloren
hätte.
Dongs
Altersgenossen wurden meistens in eine unbemittelte Familie
hineingeboren. Als sie in die Schule gingen, wütete gerade
die „Kulturrevolution“. Mangels einer systematischen Ausbildung
fehlen ihnen ausreichende Fertigkeiten, um den neuen Anforderungen,
die der gesellschaftliche Wandel mit sich bringt, gerecht
zu werden.
Neben
dieser „angeborenen“ Schwäche haben sie heute oft ein
Gefühl des Verlorenseins. Ein Soziologe sagt, dass die Gesellschaft
heute eine Verschiebung der Wertvorstellungen erlebt. Während
bis vor kurzem die Menschen älterer Generationen für
ihre Erfahrungen verehrt wurden, hält man heute die
Fähigkeit jüngerer Menschen, neues Wissen aufzunehmen,
hoch. Die Welt gehört ja der jüngeren
Generation. „Nicht nur meine Frau lässt mich sitzen,
ich fühle mich von der ganzen Gesellschaft im Stich gelassen“,
sagte der deprimierte Dong. Als Folge davon leidet er an
der unter Männern am meisten gefürchteten Krankheit, nämlich an einer Geschlechtstriebstörung.
Manchmal träumt Dong vom bäuerlichen Leben in
alten Zeiten. „Damals war es anders als heute, man sprach
nicht jeden Tag über
Geld und Arbeit. Die Frauen bereiteten das Essen zu und
warteten auf ihre Männer. Aber heute bin ich es, der
kochen und arbeiten muss.“
Anfang
2003 startete das Komitee für Sexualforschung in der chinesischen
Medizin der Chinesischen Vereinigung für
Sexualwissenschaft mit sieben weiteren Institutionen aus
dem Festland, Hong Kong, Macao und Taiwan eine landesweite
Untersuchung über die Lebensqualität der Männer. Dies ist ein Zeichen
dafür, dass China in eine Phase eintritt, in der man sich
nicht nur um die Frauen kümmert,
sondern auch um die Männer.
Diese
groß angelegte Untersuchung berührt
ein breites Spektrum von Fragen um das Sexualleben der Männer.
Außerdem umfasst sie auch Fragen zur körperlichen
Schädigung durch Beruf und Alterung unter den Männern.
Den Hauptbestandteil der Studie bilden Fragen über
den Gesundheitszustand und die Lebensqualität. Es scheint
ein deutlicher Trend zu sein, dass die chinesischen Männer
mit der Erhöhung des materiellen Lebensstandards immer
schwächer werden. Ihr Gesundheitszustand ist besorgniserregend.
Die Umweltverschmutzung, der Leistungsdruck im Beruf, die
Belastung in der Familie und ungesunde Lebensgewohnheiten
führen dazu, dass die Lebensqualität der Männer von
Jahr zu Jahr sinkt. Durch diese Untersuchung will man sich
umfassend über
die Lebensverhältnisse der chinesischen Männer
informieren und eine diesbezügliche
Bestandesaufnahme erstellen, um später effektive Maßnahmen
zur Steigerung der Lebensqualität der Männer treffen
zu können.
Experten
betonen, dass die Qualität des Sexuallebens einen wichtigen
Platz in der Lebensqualität der Männer einnimmt.
Lange Zeit wurde diese Frage in China tabuisiert, so dass
auf
diesem
Gebiet nur sehr spärliche Erhebungen vorliegen. In-
und ausländische Experten äußerten ihre
Besorgnis um die Lebensqualität der chinesischen Männer
und gaben bereits ein Warnsignal. Sie wiesen darauf hin,
dass in China nach offiziellen Angaben 147 Mio. Männer
an Impotenz leiden – wegen der Tabuisierung des Themas ist
allerdings anzunehmen, dass die tatsächliche Zahl weit
höher liegt.
Seit
dem Jahr 2000 gibt es in 16 Städten Chinas, darunter
Beijing, Shanghai, Guangzhou und Xi’an, einen Gesundheitsdienst
für
Männer, und der 28. Oktober wurde zum „Tag der Gesundheit
der Männer“ erklärt. Diese Aktivitäten finden
bei der männlichen Bevölkerung breite Unterstützung.
Millionen nehmen daran teil.
Chen
Shengli, Abteilungsleiter bei der Staatlichen Kommission
für Familienplanung, weist darauf hin, dass Gesundheit nicht
nur den Körper betrifft, sondern auch psychologisches
Wohlbefinden und gesellschaftliche Belastbarkeit umfasst.
Eine intakte Fortpflanzungsfähigkeit der Männer
und ein richtige Bewusstsein davon seien für
die Erhöhung der Qualität der Bevölkerung
von großer Bedeutung.
Um
die Betreuung möglichst individuell zu gestalten, beantworten
die Mediziner aufgrund langfristiger Untersuchungen spezifische
Fragen in Seminaren und Broschüren,
und einzelne Männer können sich bei den medizinischen
Dienststellen gemäß ihren eigenen Bedürfnissen
beraten lassen.
Fu
Shihua, Vizegeneralsekretär des Vereins für
die Förderung der Bevölkerungsqualität, sagt:
„Der Staat schenkt der Gesundheit der einzelnen Bürger
immer mehr Beachtung und verteilt an Ehepaare Ratgeber für
ein glückliches
Eheleben. Durch diesen Dienst soll die Lebensqualität
erhöht werden.“
In
Beijing und anderen Städten wurden Kliniken für
Männer eingerichtet, die ihnen physiologische und psychologische
Beratung anbieten.
Viele
Männer haben angefangen, ihren Lebensrhythmus zu verlangsamen,
um ihre Lebensfreude wiederzufinden.
Herr
Xu, Arzt an der Psychologischen Abteilung des Krankenhauses
Tongren, rät verheirateten Frauen, Kleinigkeiten im
Alltagsleben ihrer Männer zu beachten. Wenn sich z.
B. etwas an ihrer Gewohnheit des Stuhlgangs ändert,
sollten sie nach Anzeichen suchen, ob die Männer an
Verstopfung oder Hämorrhoiden leiden. In diesem Fall
sollten sie ihren Männern raten, mehr Obst und Gemüse
zu essen und mehr Wasser zu trinken. Wenn die Männer
in der Nacht öfter eine kleine Notdurft verrichten,
dann könnte Prostatitis vorliegen. Denn 80% der Männer
sind von dieser Krankheit betroffen. Und für Männer
ist die Wahrscheinlichkeit, an Prostatakrebs zu erkranken,
gleich groß wie für Frauen die Wahrscheinlichkeit,
Milchdrüsenkrebs
zu bekommen. Die Frauen sollten außerdem über ungewöhnliche Blutdruckwerte und Flecken am Körper nicht hinwegsehen.
All
das kommt zwar etwas spät, ist aber nichtsdestotrotz
eine frohe Botschaft für
die Männer.