Chen
Zhinong, Vertreter der chinesischen volkstümlichen Kunst
Von
Gao Zhuan

Chen Zhinong, 90, wurde im Jahr 1912 geboren,
kurz nach dem Sturz der kaiserlichen Monarchie und der Gründung
der ersten chinesischen Republik. Er war von mongolischer Abstammung,
sein Großvater diente einst als Sonderbeauftragter des
mandschurischen Kabinetts in Ulan-Bator. Sein Vater war ein
Literaturliebhaber. Unter dem Einfluss der Reformperiode vor
der Jahrhundertwende lernte er Fremdsprachen. Er verdiente seinen
Lebensunterhalt als Privatlehrer und Buchhalter, die Familie
wohnte in einem geerbten, verfallenen Haus. Chen Zhinong verbrachte
seine Kindheit in Beijing. In den 20er und 30er Jahren litten
viele Einwohner unter Armut. Das vielseitige Leben einfacher
Menschen spielte sich hauptsächlich in engen Wohnhöfen
und kleinen Gassen ab, und das Lebensumfeld prägte seine
erste Kunstanschauung. Später griff er oft auf seine früheren
Lebenserfahrungen zurück, um mit verschiedenen künstlerischen
Mitteln das Leben im alten Beijing darzustellen.
Abb.
2
Es ist für einen Künstler wohl nichts Besonderes,
wenn er einen Erfolg auf einem bestimmten Gebiet erzielt und
deswegen hoch geschätzt oder ihm gar gehuldigt wird. Aber
wer die verschiedenen Zeiten einer Nation in seinen Werken widerspiegelt
und durch sein künstlerisches Schaffen das Wahre, das Gute zum
Ausdruck bringt und die Stimme des Volkes lebensnah wiedergibt,
verdient eine besondere Würdigung. Bereits am Anfang der 50er
Jahre wies Xu Beihong, der bedeutendste Vertreter der modernen
chinesischen Malerei, darauf hin, dass er in Chen Zhinong einen
Cao Xueqin (den Autor des Romans Traum der Roten Kammer)
der volkstümlichen Kunst sah, denn „er hat mit volkstümlichen
Darstellungsmitteln (…) die hohe, edle Menschenseele gestaltet“.
Chen Zhinongs Werke lassen sich deutlich ihrer Entstehungszeit
zuordnen, so dass sie in vielen Fällen auch als historische
Quellen betrachtet werden können.
Die künstlerische Laufbahn Chen Zhinongs lässt
sich auf seine Tätigkeit als Grafiker in den 30er Jahren
zurückverfolgen. Da wirkte er am geologischen Institut bei der
Rekonstruktion des Schädels des Ende der 20er Jahre entdeckten
Peking-Menschen mit. In dieser Zeit nahm er sein künstlerisches
Schaffen auf.
Abb.3
Er stellte eine umfassende Sammlung künstlerischer
Gestalten der Han-Dynastie (206 v. Chr.-220 n. Chr.) zusammen,
die 1954 herausgegeben wurde. In diese Sammlung wurde die Essenz
der chinesischen Kultur vor 2000 Jahren aufgenommen. Vor der
Erfindung von Papier waren Ziegelstein- und Steinplatten, in
die Figuren eingraviert wurden, die Kunstträger. Aus mehreren
Tausenden von Abreibungen der eingravierten Gestalten wählte
er rund eintausend Stücke aus, die die hochentwickelte Kultur
der Han-Dynastie repräsentieren und durch welche die traditionellen
konfuzianischen Werte überliefert wurden. Er fertigte selbst
Abreibungen an und malte Kopien. (Abb. 2, 3, 4) Diese mühevolle
Arbeit trug Früchte und schuf die Grundlagen für sein späteres
künstlerisches Schaffen.
Abb.4
In den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts
war die chinesische Gesellschaft geprägt durch politische
Wirren, das Volk lebte in Not und Elend. Zur Wiedergabe des
Lebens im alten Beijing brachte er eine Reihe von Skizzen und
Schattenrissen sowie Scherenschnitten heraus, bei denen er eine
Vielfalt von Motiven aufgriff und verarbeitete. (Abb. 5, 6)
Mit seinen Werken machte er einfache Menschen und unscheinbare
Dinge in ihrem Leben, die bisher nicht von den Künstlern beachtet
wurden, zum Gegenstand der künstlerischen Gestaltung. Damit
begründete er die Tradition in China, dass das Alltagsleben
einfacher Menschen in der Kunst dargestellt wird. (Abb. 7, 8)
Abb. 5
Abb. 6
Abb.
7
Abb.8
Er schuf daneben eine Reihe von Karikaturen,
mit denen er die damaligen Machthaber anprangerte. Repräsentativ
dafür ist die Biographie vom Dritten Onkel.
Nach
der Gründung der Volksrepublik begann eine neue Phase seines
künstlerischen Schaffens. Er konzentrierte sich auf die Darstellung
der neuen Zeit und verarbeitete unter verschiedenen Gesichtspunkten
Motive des neuen China. Wichtige Werke dafür sind: „Feier
der Befreiung“, „Aufziehen der Nationalflagge“, „Transport
staatlichen Getreides“, „Aufforstung“, „Bildung von Analphabeten“,
„Prosperierende Erdölproduktion“ und „Neues Antlitz eines
alten Tals.“ (Abb. 9)
In der Kulturrevolution wurde Chen Zhinong
wie die meisten Künstler politisch angegriffen. Er wurde
in seiner Arbeitseinheit eingesperrt. Die grotesken Anwürfe
waren bar jeglicher Vernunft. Die Roten Garden warfen ihm
z. B. vor, dass seine Landschaftsmalerei als Wegweiser für
die Kuomintang-Truppen diente. Seine Wohnung wurde durchsucht
und seine Kunstsammlung wurde konfisziert.
Erst nach der Kulturrevolution konnte
er sein künstlerisches Schaffen wiederaufnehmen. Im August
1984 veranstaltete er eine kleine Gemäldeausstellung
im kleinen Kreis, zu der führende Künstler erschienen. Sie
fand großes Echo bei Kunstkritikern und Besuchern.
Das Beijinger Fernsehen stellte ein Programm zusammen, in
dem die von Chen Zhinong geschaffenen Scherenschnitte über
das Leben im alten Beijing vorgestellt wurden. Diese Scherenschnitte
und Schattenrisse haben nicht nur hohen künstlerischen Wert,
sondern auch hohen historischen Wert als Archivmaterial.
Im Zeitalter der Reform und Öffnung
begann eine neue Phase des künstlerischen Schaffens. Chen
Zhinong bereiste viele Provinzen des Landes, sammelte Eindrücke
und erlebte verschiedene Landschaften, denen er Motive entnahm.
In dieser Phase erreichte er seinen Höhepunkt in der
Landschaftsmalerei. Er griff kaum in die Gestaltung eines
Kunstmotivs ein, sondern räumte seinen Motiven einen
hohen Grad an künstlerischer Autonomie ein. So entstanden
künstlerische Artefakte hohen Niveaus. Seine Landschaftsmalerei
spielt die Rolle einer Brücke zwischen dem traditionellen
Malstil und der neuen künstlerischen Stilrichtung.
Im Sommer 1990 besuchte der Vizepräsident
der Nationalen Politischen Konsultativkonferenz, Wang Guangying,
Chen Zhinongs Gemäldeausstellung. Er war begeistert
von der Darstellung des Beijinger Alltagslebens in alter
Zeit. Wang Guangying betrachtete außerdem mit großem
Interesse die Gemälde und meinte, dass sie die Zeiten
widerspiegeln. Bei der Veranstaltung hielt er eine Rede,
würdigte darin das Verdienst des künstlerischen Schaffens
von Herrn Chen und bezeichnete seine Werke als Staatsschätze.