Juli 2002
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Sonderberichte

Chen Zhinong, Vertreter der chinesischen volkstümlichen Kunst

Von Gao Zhuan

Chen Zhinong, 90, wurde im Jahr 1912 geboren, kurz nach dem Sturz der kaiserlichen Monarchie und der Gründung der ersten chinesischen Republik. Er war von mongolischer Abstammung, sein Großvater diente einst als Sonderbeauftragter des mandschurischen Kabinetts in Ulan-Bator. Sein Vater war ein Literaturliebhaber. Unter dem Einfluss der Reformperiode vor der Jahrhundertwende lernte er Fremdsprachen. Er verdiente seinen Lebensunterhalt als Privatlehrer und Buchhalter, die Familie wohnte in einem geerbten, verfallenen Haus. Chen Zhinong verbrachte seine Kindheit in Beijing. In den 20er und 30er Jahren litten viele Einwohner unter Armut. Das vielseitige Leben einfacher Menschen spielte sich hauptsächlich in engen Wohnhöfen und kleinen Gassen ab, und das Lebensumfeld prägte seine erste Kunstanschauung. Später griff er oft auf seine früheren Lebenserfahrungen zurück, um mit verschiedenen künstlerischen Mitteln das Leben im alten Beijing darzustellen.

Abb. 2

Es ist für einen Künstler wohl nichts Besonderes, wenn er einen Erfolg auf einem bestimmten Gebiet erzielt und deswegen hoch geschätzt oder ihm gar gehuldigt wird. Aber wer die verschiedenen Zeiten einer Nation in seinen Werken widerspiegelt und durch sein künstlerisches Schaffen das Wahre, das Gute zum Ausdruck bringt und die Stimme des Volkes lebensnah wiedergibt, verdient eine besondere Würdigung. Bereits am Anfang der 50er Jahre wies Xu Beihong, der bedeutendste Vertreter der modernen chinesischen Malerei, darauf hin, dass er in Chen Zhinong einen Cao Xueqin (den Autor des Romans Traum der Roten Kammer) der volkstümlichen Kunst sah, denn „er hat mit volkstümlichen Darstellungsmitteln (…) die hohe, edle Menschenseele gestaltet“.  Chen Zhinongs Werke lassen sich deutlich ihrer Entstehungszeit zuordnen, so dass sie in vielen Fällen auch als historische Quellen betrachtet werden können.

Die künstlerische Laufbahn Chen Zhinongs lässt sich auf seine Tätigkeit als Grafiker in den 30er Jahren zurückverfolgen. Da wirkte er am geologischen Institut bei der Rekonstruktion des Schädels des Ende der 20er Jahre entdeckten Peking-Menschen mit. In dieser Zeit nahm er sein künstlerisches Schaffen auf.

Abb.3

Er stellte eine umfassende Sammlung künstlerischer Gestalten der Han-Dynastie (206 v. Chr.-220 n. Chr.) zusammen, die 1954 herausgegeben wurde. In diese Sammlung wurde die Essenz der chinesischen Kultur vor 2000 Jahren aufgenommen. Vor der Erfindung von Papier waren Ziegelstein- und Steinplatten, in die Figuren eingraviert wurden, die Kunstträger. Aus mehreren Tausenden von Abreibungen der eingravierten Gestalten wählte er rund eintausend Stücke aus, die die hochentwickelte Kultur der Han-Dynastie repräsentieren und durch welche die traditionellen konfuzianischen Werte überliefert wurden. Er fertigte selbst Abreibungen an und malte Kopien. (Abb. 2, 3, 4) Diese mühevolle Arbeit trug Früchte und schuf die Grundlagen für sein späteres künstlerisches Schaffen.

Abb.4

In den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts war die chinesische Gesellschaft geprägt durch politische Wirren, das Volk lebte in Not und Elend. Zur Wiedergabe des Lebens im alten Beijing brachte er eine Reihe von Skizzen und Schattenrissen sowie Scherenschnitten heraus, bei denen er eine Vielfalt von Motiven aufgriff und verarbeitete. (Abb. 5, 6) Mit seinen Werken machte er einfache Menschen und unscheinbare Dinge in ihrem Leben, die bisher nicht von den Künstlern beachtet wurden, zum Gegenstand der künstlerischen Gestaltung. Damit begründete er die Tradition in China, dass das Alltagsleben einfacher Menschen in der Kunst dargestellt wird. (Abb. 7, 8)

Abb. 5 Abb. 6

Abb. 7

Abb.8

Er schuf daneben eine Reihe von Karikaturen, mit denen er die damaligen Machthaber anprangerte. Repräsentativ dafür ist die Biographie vom Dritten Onkel.

Nach der Gründung der Volksrepublik begann eine neue Phase seines künstlerischen Schaffens. Er konzentrierte sich auf die Darstellung der neuen Zeit und verarbeitete unter verschiedenen Gesichtspunkten Motive des neuen China. Wichtige Werke dafür sind: „Feier der Befreiung“, „Aufziehen der Nationalflagge“, „Transport staatlichen Getreides“, „Aufforstung“, „Bildung von Analphabeten“, „Prosperierende Erdölproduktion“ und „Neues Antlitz eines alten Tals.“ (Abb. 9)

In der Kulturrevolution wurde Chen Zhinong wie die meisten Künstler politisch angegriffen. Er wurde in seiner Arbeitseinheit eingesperrt. Die grotesken Anwürfe waren bar jeglicher Vernunft. Die Roten Garden warfen ihm z. B. vor, dass seine Landschaftsmalerei als Wegweiser für die Kuomintang-Truppen diente. Seine Wohnung wurde durchsucht und seine Kunstsammlung wurde konfisziert.

Erst nach der Kulturrevolution konnte er sein künstlerisches Schaffen wiederaufnehmen. Im August 1984 veranstaltete er eine kleine Gemäldeausstellung im kleinen Kreis, zu der führende Künstler erschienen. Sie fand großes Echo bei Kunstkritikern und Besuchern. Das Beijinger Fernsehen stellte ein Programm zusammen, in dem die von Chen Zhinong geschaffenen Scherenschnitte über das Leben im alten Beijing vorgestellt wurden. Diese Scherenschnitte und Schattenrisse haben nicht nur hohen künstlerischen Wert, sondern auch hohen historischen Wert als Archivmaterial.

Im Zeitalter der Reform und Öffnung begann eine neue Phase des künstlerischen Schaffens. Chen Zhinong bereiste viele Provinzen des Landes, sammelte Eindrücke und erlebte verschiedene Landschaften, denen er Motive entnahm. In dieser Phase erreichte er seinen Höhepunkt in der Landschaftsmalerei. Er griff kaum in die Gestaltung eines Kunstmotivs ein, sondern räumte seinen Motiven einen hohen Grad an künstlerischer Autonomie ein. So entstanden künstlerische Artefakte hohen Niveaus. Seine Landschaftsmalerei spielt die Rolle einer Brücke zwischen dem traditionellen Malstil und der neuen künstlerischen Stilrichtung.

Im Sommer 1990 besuchte der Vizepräsident der Nationalen Politischen Konsultativkonferenz, Wang Guangying, Chen Zhinongs Gemäldeausstellung. Er war begeistert von der Darstellung des Beijinger Alltagslebens in alter Zeit. Wang Guangying betrachtete außerdem mit großem Interesse die Gemälde und meinte, dass sie die Zeiten widerspiegeln. Bei der Veranstaltung hielt er eine Rede, würdigte darin das Verdienst des künstlerischen Schaffens von Herrn Chen und bezeichnete seine Werke als Staatsschätze.

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