Frech,
charmant, poetisch:
Der
Überraschungserfolg eines chinesischen Autors
"Wenn
dieses Buch kein Bestseller wird, ist meine Sendung zu nichts
mehr gut", sagte Bernard Pivot in seiner viel beachteten
Sendung "Bouillon de Culture" im französischen
Fernsehen. Der Mann, dessen Urteile über Bücher nicht selten
umstritten sind, hat recht behalten. "Balzac und die
kleine chinesische Schneiderin" wurde ein Bestseller.
Das Roman-Debüt des chinesischen Autors
Dai Sijie, der in Paris lebt und das Buch auf Französisch
schrieb, hat das Thema Kulturrevolution mal völlig neu
gemischt. Mit leichter Hand hat er den dramatischen Ereignissen
im China der 60er und 70er Jahre eine bezaubernde Liebesgeschichte
abgewonnen, "witzig, frech, zärtlich, von einem
geheimnisvollen Charme", wie das französische Blatt
"Madame Figaro" schreibt.
Sogleich nach Erscheinen des schmalen Bandes
im Lande Balzacs und Flauberts und Baudelaires war die Begeisterung
überwältigend. Das "Figaro Magzine" ließ
sich gar zu dem kühnen Urteil hinreissen: "Wenn Sie dieses
Jahr nur einen Roman lesen wollen, lesen Sie diesen: Er wiegt
hundert andere auf." Er sei "die frechste und charmanteste
Lektion zum Thema Freiheit und die schönste Liebeserklärung
des Jahres: an die Literatur, an das Leben, an die Ironie,
an eine Frau".
Auch in Deutschland gab es Lob von vielen
Seiten. "Dai Sijie schreibt poetisch, witzig, mit genauem
Blick für die Absurditäten", las man z.B. im "Stern".
Darf man bei soviel positiver Kritik überhaupt
noch über Kleinigkeiten mäkeln? Es sind in der Tat nur
ein paar störende Winzigkeiten, und sie betreffen nur
die deutsche Übersetzung: "Nasenchaise" statt
"Brille" zu schreiben ist nicht die Art von Humor,
die den Roman ansonsten auszeichnet. Dasselbe dürfte für die
arg gewollte Wortkonstruktion "Monster-Potaufeu"
gelten, die hier für einen simplen, allerdings sehr großen
Kochkessel steht. Und zweimal stolpert man darüber, daß
der Übersetzer das im Deutschen immer noch weibliche
Wort "Konkubine" für einen Mann gebraucht, nämlich
für einen Eunuchen, mit dem ein Kaiser ein homosexuelles Verhältnis
gehabt haben soll.
Diese und ein paar weitere Schönheitsfehler
lassen sich für die folgenden Auflagen, die das Buch bestimmt
erleben wird, ja leicht beheben.
Da Sijie: "Balzac und
die kleine chinesische Schneiderin", Piper Verlag, 200
Seiten, DM 34.-
Atze
Schmidt