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Januar 200250n

"Freunde verläßt man nicht so leicht"

Atze Schmidt zieht Bilanz nach 14 Jahren in Beijing

Dass ich einmal nach China kommen würde, war für mich klar, als ich noch ganz klein war. Ich sah mich überall in der Welt herumreisen, wollte jedes Land der Erde kennen lernen. Dass aber aus meiner Reise nach China schließlich ein Aufenthalt von bisher 14 Jahren werden würde, konnte ich damals natürlich nicht ahnen. Allerdings hatte mein kleines Knabenhirn bereits einen großen Entschluß gefaßt und damit gleichsam die Weichen gestellt für eine China-Reise ohne Rückfahrkarte: Nie wollte ich mir in meinem Leben die Chance verbauen, immer mal wieder was völlig anderes zu machen.

So gab es im Jahr 1987, als sich mir zufällig die Gelegenheit bot, für ein Jahr in die Redaktion der Zeitschrift "China im Aufbau" (jetzt "China heute") in Beijing einzutreten, überhaupt kein Überlegen. Aus dem einen geplanten Jahr wurden sechs Jahre, und dann gab es die Möglichkeit, von der Zeitschrift in den Verlag für fremdsprachige Literatur zu wechseln und dort an der Gestaltung von Büchern mitzuwirken. Daraus sind inzwischen weitere acht Jahre geworden.

Nun bin ich unter den ausländischen Mitarbeitern der "China International Publishing Group", der mehrere Verlage unterstehen, bereits ein Oldtimer, der Dienstälteste von allen. Und als solchem fällt mir oft die Rolle zu, frisch nach China hereingeschneiten Kollegen Rede und Antwort zu stehen: "Wie war das am Anfang in Beijing?" "Was hat dich so lange in China festgehalten?" "Wo sollte man hinfahren? Was ist besonders interessant?"

"Das Wort, das schnell dem Mund entschlüpft, holt auch ein Viergespann nicht ein", schrieb vor gut 2000 Jahren Liu Xiang. Dennoch werde ich's wagen.

Beijing war 1987, als ich hier ankam, eine völlig andere Stadt als heute. Alles war langsamer, ruhiger. Nun ist alles geschäftig und ziemlich hektisch. Damals haben meine Frau und ich ganz Beijing und die nähere Umgebung mit dem Fahrrad erkundet. Oft radelten wir noch abends zum Kanal beim Sommerpalast. Wir saßen im Gras und genossen das Stück Natur in der Stadt. Frösche quakten, Libellen schwirrten übers Wasser, es roch nach Pfefferminze, die hier wuchs. Die Modernisierung, das heißt in diesem Fall die Betonierung der Kanalufer, habe ich in Fotos festgehalten. Wir fahren schon lange nicht mehr dorthin.

Ein paar Jahre hatte ich im Yuanmingyuan, dem Alten Sommerpalast, einen kleinen Garten. Ein Bauer, der auf dem ehemals kaiserlichen Boden Reis und Gemüse anbaute, war damit einverstanden, dass ich einen Streifen Land am Ufer eines Lototeichs nutzte. Ich hatte Bedarf an Küchenkräutern wie Petersilie, Majoran, Thymian, Dill und Kresse, die es in Beijing nicht gab. Es war eine schöne Zeit, und ich vermisse mein Gärtchen sehr. Jetzt sind die Bauern aus dem Yuanmingyuan verschwunden, der Alte Sommerpalast wird ein großer Freizeitpark.

Was die gewaltigen baulichen Veränderungen Beijings betrifft, deren Augenzeuge ich geworden bin, so mögen sich dazu berufenere Leute äußern. Ich kann nur sagen, dass ich vieles, was der Stadt ein gewisses Flair verliehen hatte, verschwinden sah. In den letzten Jahren hätte man mindestens einmal monatlich eine Trauerfeier für ein dahingeschiedenes Viertel mit den für das alte Beijing typischen Hofhäusern abhalten können.

Was hielt mich dennoch so lange in China fest? Zwei Antworten gibt es darauf. Erstens: Meine Frau und ich haben in China Menschen getroffen, Chinesen verschiedener Nationalität, die gute Freunde geworden sind. Und Freunde verläßt man nicht so leicht. Zweitens: Wir waren neugierig auf dieses Land und sind es immer noch, und bei der Größe Chinas kostet es eben einige Zeit, Land und Leute kennen zu lernen. So sind wir auch nicht, wie viele in China lebende Ausländer, regelmäßig im Urlaub nach Hause geflogen, sondern haben Zeit und Geld hier verbracht und verbraucht.

Das bringt mich zur dritten der mir am häufigsten gestellten Fragen: Wohin sollte man fahren?

Eine unserer schönsten Touren in China war die nach Xishuangbanna im Süden der Provinz Yunnan. Man soll sich dort Zeit nehmen, einfach loswandern über die Dörfer der Dai, einer ethnischen Minderheit, verwandt mit den Thais. Die Landschaft ist herrlich, die Menschen sind liebenswürdig, das Essen ist phantastisch.

Sehr empfehlenswert ist eine Reise nach Xinjiang, und dort sollte man die Strapazen auf sich nehmen, per Bus von Kashgar nach Taxkorgan zu fahren. Der Karakorum-Highway führt durch eine atemberaubende Gegend, die sich einem für immer einprägt.

In den gängigen Reiseführern noch nicht vermerkt, doch von mir als ebenfalls sehr empfehlenswert eingestuft, ist ein Ausflug ins chinesische Mittelalter: Die Altstadt von Pingyao in der Provinz Shanxi ist zur Gänze von einer Stadtmauer umschlossen und beherbergt eine Menge schöner Wohnhöfe und größerer alter Anwesen.

Und dann natürlich die Große Mauer! Aber nicht die geschleckten, für den Massentourismus hergerichteten Abschnitte dieses längsten Bauwerks der Welt, sondern die Mauer, wie sie inzwischen wirklich ist: Gezeichnet vom jahrhundertelangen Verfall, von Gesträuch und Getier als Biotop erobert. Dorthin zieht es mich zusammen mit Freunden, wann immer wir Beijing für ein oder zwei Tage den Rücken kehren können.

Nach all den Jahren ist China für mich kein exotisches Land mehr. Alles ist mir so selbstverständlich geworden, als würde ich nicht in Beijing leben, sondern in Bayern, wo ich herkomme. Möglicherweise wäre mir das inzwischen fremder.

Öfter mal was anderes zu machen, das war gewiß der weiseste Entschluß in meinen jungen Jahren. Und als ich nach China kam, 50 Jahre alt, nahm ich mir vor, nie nein zu sagen, wenn sich mir außerhalb meiner beruflichen Arbeit noch andere Möglichkeiten der Betätigung ergeben sollten. Diesem Grundsatz verdanke ich eine Menge neuer Erfahrungen. So war ich in diesen Jahren schon Straßenmusikant, Dirigent, Regisseur, Impresario, Innenarchitekt, Sonderbotschafter, Astronom und Chef eines Bauunternehmens. In Deutschland hätten sich mir solche Chancen wohl kaum geboten. Doch in China haben die Filmstudios und Fernsehanstalten laufend Bedarf an ausländischen Gesichtern. Es macht Spaß, und die Anrufe von Bekannten "Ich hab dich im Fernsehen gesehn" sind nicht die lästigsten Telefonate.

Dem Verlag "China heute", der mir durch seine Einladung nach China vor 14 Jahren all dies ermöglicht hat, werde ich weiterhin verbunden bleiben.

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