Die
Perle und der Spatz
Von Chinas erstem „Grünen“ zu
den Umweltproblemen von heute
Von Atze Schmidt
Im Jahre
235 v.Chr. entzog sich in China ein Mann namens Lü Bu-we durch
Selbstmord der drohenden Verbannung. Zunächst ein reicher Kaufmann,
hatte er ein politisches Amt angenommen und war schließlich in
Ungnade gefallen. Hinterlassen hat er ein umfangreiches Werk,
in dem er sich mit vielen Themen beschäftigte.
„Nicht etwa, daß man nicht einen guten Fang
machte, wenn man einen Teich leerfischt, nur gibt es dann im nächsten
Jahr keine Fische mehr. Nicht etwa, daß man nicht eine reiche
Beute machte, wenn man das Buschwerk des Jagdgrunds niederbrennt,
nur gibt es im nächsten Jahr kein Wild mehr.“
Der Mann bewies für seine Zeit, in der weder
die Herrscher noch die Untertanen die Folgen des Raubbaus an der
Natur bedachten, eine erstaunliche Weitsicht. An anderer Stelle
schreibt er:
„Wenn jemand eine kostbare Perle auf seine Schleuder
legt, um einen Sperling herunterzuschießen, so lachen ihn gewiß
alle aus. Warum? Weil er etwas so Wertvolles für ein sehr nichtiges
Vorhaben einsetzte. Aber ist das Leben nicht noch wertvoller als
jede noch so kostbare Perle?“
Er war seinem König, der sich 221 v. Chr. zum
ersten Kaiser von China krönte, wohl zu kritisch geworden. Zum
Beispiel mit Sätzen wie diesem:
„Ein Übel der Herrscher ist es, daß sie offene
Worte nicht ausstehen können. Sie wollen zwar Wasser trinken,
verstopfen jedoch die Quellen.“
An Mahnern, sorgsam mit der Natur umzugehen,
hat es auch in China durch die Jahrhunderte nicht gefehlt, doch
meistens predigten sie tauben Ohren. Einer von ihnen war Liu Chi,
der nach der Errichtung der Ming-Dynastie 1368 in die damalige
Hauptstadt Nanking berufen wurde, wo er die Denkschrift „Dringende
Aufgaben der Regierung“ einreichte. Von ihm stammen folgende Worte,
die an Eindringlichkeit nichts zu wünschen übrig lassen:
„Der Mensch ist ein Räuber der Natur. Gäbe es
nicht Weise, die wohl wissen, wie man die Natur nutzen soll, so
würden bald all ihr Reichtum und ihre Vorräte aufgebraucht sein.
Was bleibt den Menschen also zu tun? Sie müssen den Räubern unter
ihnen in den Arm fallen. Das ist der einzige Weg. Wer es nicht
versteht, die Natur in der rechten Weise zu nutzen, ist nichts
als ein verruchter Frevler an der Natur.“
Als der deutsche Außenminister Joschka Fischer
im Dezember nach Beijing kam, stand das Thema Umwelt obenan, so
las man es in der Zeitung „China Daily“.
Am selben Tag berichteten die Medien, China
habe mit dem Ölkonzern BP und dem WWF die Fortsetzung eines Projekts
zur Förderung der Umwelterziehung in den Schulen vereinbart.
Ebenfalls an diesem Tag war zu lesen, daß die
Sorge um die Umwelt bei der chinesischen Stadtbevölkerung inzwischen
an der Spitze aller Besorgnisse steht. Arbeitslosigkeit, Korruption
und die um sich greifende Kriminalität, die früher diesen Spitzenplatz
abwechsend eingenommen hatten, erscheinen nicht mehr als so gravierend
wie die Versündigung an der Umwelt und die daraus erwachsenden
Folgen.
Seit Monaten kein Tag in China ohne Berichte
zum Umweltproblem. Noch vor zehn Jahren wurde, wer als Ausländer
in China das Thema Umwelt ansprach, von Kommunal- und Provinzpolitikern
belehrt, im Entwicklungsland China gälten andere Prioritäten:
„Erst die Wirtschaft und die Anhebung des Lebensstandards, dann
kümmern wir uns um die Umwelt!“ Übersehen wurde, wie lange Zeit
auch im Westen, daß die Umwelt gleichfalls ein Wirtschaftsfaktor
ist.
Und nun wird es teuer! Viele Flüsse sind verdreckt.
Seen hat man zur Gewinnung von Ackerland zugeschüttet. Viehzuchtgebiete
sind durch Überweidung schwer geschädigt. Das Wasser ist in weiten
Bereichen knapp. Die Luft in den Ballungsgebieten hat Werte, die
sie in der internationalen Skala regelmäßig nach ganz unten verweisen.
Chinas Partei und Regierung, zu lange vor allem
auf das Wirtschaftswachstum fixiert, ist aufgeschreckt und gibt
nun Fehler zu. So liest man zum Beispiel in einer Schrift, herausgegeben
vom Verlag für fremdsprachige Literatur der chinesischen Hauptstadt:
„Die meisten Süßwasserseen in Südchina, insbesondere
am Yangtse, wurden zur Gewinnung von Ackerboden verkleinert oder
zugeschüttet. Ihre wichtige Funktion, Hochwasser aufzunehmen und
dadurch die Gefahl von Deichbrüchen zu verhindern, wurde dabei
außer acht gelassen. Jetzt ist vorgesehen, die künstlich gewonnenen
Ackerflächen wieder in Seen zu verwandeln.“
Solche Fehler zu korrigieren kostet eine Menge
Geld. Und so ist die chinesische Regierung nun dabei, überall
um Unterstützung für die Lösung der Umweltprobleme zu bitten.
Nun gibt es im westlichen Ausland Leute, die
verkünden, China verdiene diesbezüglich keine Hilfe, weder technischer
noch finanzieller Art noch in Form zur Verfügung gestellten Know-hows,
weil es wohlgemeinten Ratschlägen zum Trotz die Chance, Fehler
zu vermeiden, die vorher schon andere Länder gemacht und dafür
bezahlt haben, nicht genutzt hat.
Sicherlich hätte der hier eingangs zitierte
Lü Bu-we eine solche Schlußfolgerung als zu kurzsichtig kritisiert.
Dem heute bevölkerungsreichsten Land der Welt mit Rat und Tat
beizustehen, damit es seine Umweltprobleme bewältigt, kann nur
richtig sein. Denn wenn etwas wirklich global ist, dann sind es
die Folgen von Umweltverschmutzung und -zerstörung. Eine diesbezüglich
noch weitgehend unwissende Bevölkerung Chinas, die noch vor wenigen
Jahren mit einem Begriff wie Umweltschutz keinerlei konkrete Vorstellungen
verband, ist von der rasanten Entwicklung der letzten 20 Jahre
total überrollt und überfordert worden. Und auch jetzt sind es
eher die mündiger werdenden Städter, die ihr Recht auf eine saubere
Umwelt einzuklagen beginnen.