Inhalt von Mai 2001
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Wenn man auf Leibniz gehört hätte…

Ein interessanter Denkansatz: Was wäre möglicherweise anders gelaufen, wenn Europa und China, sagen wir vor 300 Jahren, zu einem intensiven Kulturaustausch gefunden hätten? Kein Geringerer als Gottfried Wilhelm Leibniz hatte genau dies empfohlen, und zwar in der von ihm 1697 herausgegebenen Schriftensammlung "Novissima Sinica".

Europa und China, so Leibniz, müßten voneinander lernen, einander ergänzen. "Durch eine einzigartige Entscheidung des Schicksals", schrieb er, sei es dazu gekommen, "daß die höchste Kultur und die höchste technische Zivilisation der Menschheit heute gleichsam gesammelt sind an zwei äußeren Enden unseres Kontinents, in Europa und in China, das gleichsam wie ein Europa des Ostens das entgegengesetzte Ende der Erde ziert." Während Europa in den theoretischen Disziplinen, in der Logik, Metaphysik, Mathematik, Astronomie und Kriegskunst China überlegen sei, habe China "auf dem Gebiet der praktischen Philosophie", zumal "in den Lehren der Ethik und Politik", Vorzüge aufzuweisen. Die Chinesen seien "zu besseren Regelungen gekommen und haben in ihrer riesigen Menschengemeinschaft beinahe mehr erreicht als bei uns die Gründer religiöser Orden in ihrem engen Kreis."

Leibniz hatte viele Jahre eine rege Korrespondenz mit in China missionierenden und wissenschaftlich tätigen Jesuiten geführt, begierig, alles über dieses ferne Land zu erfahren, und sich so ein Chinabild erarbeitet, das bei weitem das umfassendste jener Zeit in Europa war. Seine Idee, umgekehrt auch Missionare aus China "zu uns" zu schicken, hatte in einer Zeit, in der Europa in einem Missionierungs- und Kolonisierungseifer sondergleichen seinen Geist und Ungeist über die Welt verbreitete, allerdings keine Chance, von den staatstragenden Kreisen auch nur erwogen zu werden.

Übrigens hat Schopenhauer - rund 150 Jahre nach Leibniz - den Gedanken nochmals aufgegriffen:

"Ich denke, daß, wenn der Kaiser von China oder der König von Siam oder andere asiatische Monarchen europäischen Mächten die Erlaubnis erteilen, Missionare in ihre Länder zu entsenden, sie ganz und gar befugt wären, es nur unter der Bedingung zu tun, daß sie ebenso viele buddhistische Priester mit gleichen Rechten in das betreffende europäische Land schicken dürfen… Da würden wir einen interessanten Wettstreit vor Augen haben und sehen, wer am meisten ausrichtet."

Verpaßte Chancen der Geschichte? Ganz ohne Zweifel. Denn wie die Jesuiten in China nicht nur ihren christlichen Gott und christliche Werte einzuführen versuchten, sondern als Kuluturmissionare auch Wissenschaft und Technik ins Land brachten, so hätten fraglos auch chinesische Missionare sich nicht mit der Erklärung der buddhistischen Lehre begnügt. Ein Quantum fernöstliche Weisheit, von der Leibniz und andere westliche Philosophen so angetan waren, hätte Europa jedenfalls gut getan und der Welt vielleicht manch bittere Erfahrung erspart.

Darüber und über vieles mehr ist Aufschlußreiches nachzulesen in Band 33 der "Studia Leibnitiana Supplementa". Das Buch enthält zwei Dutzend Abhandlungen von Leibniz-Experten aus mehreren Ländern zum Thema "Leibniz und China".

Wenchao Li / Hans Poser (Hrsg.): "Das Neueste über China - C. W. Leibnizens Novissima Sinica von 1697", Franz Steiner Verlag, 390 Seiten, DM 128.-

                                                    Atze Schmidt

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