August 2002
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Kultur und Kunst

Lu Xun und die deutsche Graphik
Große Bauprojekte aus alter Zeit
Pekinger Zeit

Lu Xun und die deutsche Graphik

Ein Hobby des Schriftstellers Lu Xun (1881-1936) war die Graphik. Er sammelte Graphiken, und seiner Initiative ist es auch zu verdanken, dass der chinesische Holzschnitt eine wesentliche Entwicklung durchmachte. Seit 1915 hatte Lu Xun sich auf das Sammeln alter chinesischer graphischer Blätter verlegt. Später empfahl er chinesischen Künstlern, sich mit der modernen europäischen Graphik zu befassen.

Holzschneidekunst

Die chinesische Holzschneidekunst hat eine über tausendjährige Geschichte. Im 15. Jahrhundert hatte diese Kunst höchste Perfektion erreicht und hatte auch in Europa Verbreitung gefunden. Im 19. Jahrhundert verlor sie dann aber mit dem verstärkten Aufkommen der Drucktechnik an Bedeutung.

Die von Lu Xun geförderte moderne Graphik unterschied sich stark von der traditionellen chinesischen Graphik. Man griff auf Techniken aus Deutschland und anderen europäischen Ländern zurück. Anfang der 30er Jahre suchte Lu Xun, Werke von Carl Meffert und Käthe Kollwitz und anderer europäischer Graphiker den chinesischen Künstlern nahezubringen, brachte Bildbände heraus und arrangierte Ausstellungen.

Das war die Zeit der Übergriffe des japanischen Imperialismus auf China. Aber anstatt dagegen anzugehen, bekämpfte die Kuomingtang-Regierung die von der KP Chinas angeführte Widerstandsbewegung.

Das Volk musste aufgerüttelt werden, damit es sich gegen die japanische Aggression zusammenschloss, es galt, den Verrat der Kuomingtang-Regierung, die Korruption in der Gesellschaft und die Unterdrückung der Massen zu entlarven. Aber wie das Volk ansprechen? Die Drucktechnik war rückständig, und zudem gab es viele Analphabeten. Lu Xun meinte, dass der Holzschnitt eine gute Ergänzung, eine einfache und direkte Form sei, um die Menschen außer durch Gedrucktes aufzurufen. Weitere Vorteile des Holzschnittes sind, dass er einfach und billig herzustellen ist, dass man alles mit der Hand machen kann. Lu Xun kümmerte sich selbst darum, dass der moderne Holzschnitt in China gefördert wurde.

Zwischen 1929-1936 veröffentlichte er acht Bildbände mit europäischer Graphik, darunter Illustrationen von Carl Meffert zu dem Roman "Zement" vom sowjetischen Schriftsteller F. W. Gladkow unter dem Titel "Illustrationen zu ,Zement'" (Erstausgabe 1931) und ein Band mit Werken von Käthe Kollwitz unter dem Titel "Werke von Käthe Kollwitz" (Erstausgabe 1936).

Carl Meffert

Lu Xun hatte großes Interesse an der deutschen Graphik. Er bat einen Freund in Berlin, für ihn die Bildgeschichte "Deine Schwester" von Carl Meffert zu kaufen. Nachdem der Roman "Zement" ins Chinesische übersetzt worden war, hatte Lu Xun alles darangesetzt, um die Illustrationen dazu zu bekommen. 1931 veröffentlichte er zehn davon als Bilderserie. In dem Roman "Zement" wird der Aufbau der Industrie in der Sowjetunion kurz nach der Oktoberrevolution beschrieben. Lu Xun fand diesen Roman gut, und im Vorort zu dem Bildband "Illustrationen zu ,Zement' schrieb er, dass dieses Buch den Widerspruch zwischen den fortschrittlichen Faktoren und den rückständigen beim Aufbau des Landes widerspiegele, dass es Ziel des Autors gewesen sei, zu zeigen, wie die Produktion wieder in Gang gebracht werden konnte, aber gleichzeitig habe er auch verdeutlichen wollen, wie die Menschen sich geändert hatten. Hand in Hand mit der Veränderung der Fabriken änderte sich nämlich die Psyche der Menschen.

Mit Carl Meffert war Lu Xun nicht so vertraut. Im Vorort schrieb er: "Über Meffert weiß ich zu wenig. Meines Wissens ist er ein revolutionärer deutscher Künstler, der obwohl erst 27 Jahre alt, schon acht Jahre lang im Gefängnis war. Er hat sich vor allem auf Bildgeschichten revolutionären Inhalts verlegt. Ich habe Werke, wie "Deine Schwester" von ihm. Er hat Kummer und Elend der armen Leute zum Ausdruck gebracht. Bei seinen "Illustrationen zu ,Zement' ist schlichte Form mit künstlerischer Kraft gepaart, was offensichtlich auch mit dem historischen Hintergrund des Romans zusammenhängt". (Werke von Lu Xun, Bd. VII, S.789, chinesische Ausgabe).

In einem Brief an chinesische Graphiker wies Lu Xun darauf hin, dass er außer den "Illustrationen zu ,Zement' auch noch die Serie in sieben Bildern "Deine Schwester" von Carl Meffert habe. Diese Bilderserie sei zwei Jahre zuvor ausgestellt gewesen. Käthe Kollwitz habe Meffert einmal kritisiert, seine Holzschnitte seien zwar gut, würden aber noch Mängel aufweisen. Der Kernpunkt der Kritik von Käthe Kollwitz sei gewesen, dass er sich zu sehr von seiner Phantasie leiten lassen, und dass seine Werke von der Praxis losgelöst seien. Er denke, Käthe Kollwitz habe recht, aber dennoch möchte er diese Graphiken reproduzieren lassen, denn von der Technik her seien sie ausgezeichnet.

Käthe Kollwitz

Lu Xun war an den Holzschnitten von Käthe Kollwitz sehr interessiert. Er ließ Werke von ihr in Deutschland für sich aufkaufen. Um junge chinesische Graphiker über sie und ihre Werke informieren zu können, versuchte er über ihre Laufbahn, ihr Schaffen auf dem laufenden zu bleiben. Aus dem Tagebuch Lu Xuns wissen wir, dass er im Besitz von zwölf Originalgraphiken von Käthe Kollwitz sowie der Bildbände "Das Neue Kollwitz-Werk" und "Das Käthe Kollwitz-Werk" war. Im Juli 1936 wählte er aus diesen beiden Bänden 21 Bilder aus und veröffentlichte sie unter dem Titel "Kollwitz-Bildband". Er schrieb auch das Vorwort dafür. Damals war er krank, und obwohl es 40 Grad heiß war, schrieb er Erklärungen zu jedem Bild. Drei Monate später starb er.

Lu Xun schätze Käthe Kollwitz sehr, er meinte: "Käthe Kollwitz ist eine gute Künstlerin. Ein Beweis dafür ist auch, dass sie von manchen gelobt, von manchen angegriffen und von manchen verteidigt wird." Die Einschätzung Romain Rollands fand er zutreffend. Diese hatte geäußert, dass die Werke von Käthe Kollwitz wie Gedichte seien, dass sie das Elend und die Trauer der armen Leute widerspiegelten. Er meinte, dass diese charakterfeste Frau über tiefe, mütterliche Gefühle verfüge und es verstünde, die Lage einzuschätzen. Ihre Werke seien ein Zeugnis der schweigenden Opfer. Lu Xun ergänzte: "Dieser Bildband mit Werken von Käthe Kollwitz verdeutlicht uns, dass sie mütterliche Liebe zu allen Unterdrückten und Verachteten empfindet, deren Trauer, Widerstand, Zorn und Kampf versteht und sich damit identifiziert. Themen ihrer Holzschnitte sind Kummer, Hunger, Obdachlosigkeit und Tod, aber auch das Wehklagen, der Existenzkampf, der Zusammenschluss und schließlich das Sicherheben des Volkes." (Werke von Lu Xun: Bd, VI, S. 470, chinesische Ausgabe)

Unter der Kuomintang-Regierung wurde die Kampagne "Moderner Holzschnitt" unterdrückt und zugrunde gerichtet. Viele Künstlerorganisationen wurden aufgelöst, die Kunstwerke verbrannt. Da die kommunistische Bewegung und diese Kampagne eng verknüpft waren, kam es sogar vor, dass Leute, die in Besitz von Material und Gerät für das Herstellen von Holzschnitten waren, zusammengeschlagen, verhaftet oder sogar ermodert wurden.

Rou Shi, ein Schüler und Freund von Lu Xun, und weitere fünf junge Leute wurden im Januar 1931 auf Befehl der Kuomintang-Regierung hingerichtet, weil sie fortschrittliche ausländische Literatur in China verbreitet und großes Interesse am Holzschnitt gezeigt hatten. Fortschrittliche Künstler auf der ganzen Welt protestierten dagegen, darunter auch Käthe Kollwitz.

Um des Mordes an Rou Shi zu gedenken, ließ Lu Xun trotz des Terrors der Kuomintang-Regierung das Bild "Opfer" von Käthe Kollwitz, das zu dem Holzschnittzyklus "Krieg" gehört, reproduzieren. Eine Mutter, die Augen vor Trauer geschlossen, streckt ihr Kind weit von sich. Für Lu Xun war dies ein Symbol für Rou Shis blinde Mutter, die ihr Kind für die Revolution hingegeben hatte. Lu Xun setzte diese Graphik bewusst ein, um die Kuomintang-Regierung zu entlarven. Er schrieb dazu: "Das ist das Bündnis einer unterdrückten, missachteten Mutter. Die Künstlerin Käthe Kollwitz muss heute zwar schweigen, aber ihrer Werke fassen immer fester Fuß in China, denn die Sprache der Kunst wird überall auf der Welt verstanden." (Werke von Lu Xun, Bd. VI. S. 530, chinesische Ausgabe)

Die deutsche Graphik in China

Unter dem Faschismus wurde Käthe Kollwitz mundtot gemacht, aber die Kunst ist stärker als alle reaktionären Kräfte. Die Graphiken von Meffert und Kollwitz beeinflussten das chinesische Volk, das für Befreiung und Freiheit kämpfte. Ihre Werke fanden bei der fortschrittlichen chinesischen Jugend Anklang, insbesondere bei den jungen Künstlern. Lu Xun verstand es nämlich, ihnen deutsche Holzschnitte mit fortschrittlichem Inhalt nahezubringen und so ihre Schaffenskraft und Ausdrucksfähigkeit zu stärken, so dass sie Werke schufen, die zu Befreiung der Unterdrückten und Verachteten aufriefen. In Shanghai gab es zu dieser Zeit viele Organisationen von Holzschneidekünstlern, die von der Kuomintang-Regierung streng kontrolliert und schließlich auch verboten wurden. Aber die Flucht von Holzschnitten riss nicht ab. Der moderne chinesische Holzschnitt war in Inhalt und Form von Meffert und Kollwitz stark beeinflusst. Deren Werke sind aus der Entwicklungsgeschichte des chinesischen Holzschnittes nicht wegzudenken.

(Aus Nr. 1 von „China heute“, 1979)
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